Haltung des begnadigten Heinz Brandt
26. Mai 1964
Einzelinformation Nr. 424/64 über die Haltung des begnadigten Heinz Brandt und einiger führender politischer Kreise Westdeutschlands
Nachdem Heinz Brandt1 seine Begnadigung2 bekannt gegeben worden war,3 beteuerte er, dass er in Zukunft in Westdeutschland – wohin er zurückkehren will – nichts unternehmen und allem entgegentreten wolle, was in Form politischer, geheimdienstlicher oder pressemäßiger Maßnahmen oder Kampagnen darauf abzielen sollte, seine Person, seine Inhaftierung und Begnadigung zu politischen Aktionen gegen die DDR, gegen Entspannungs-, Annäherungs- und Kontaktbestrebungen auszunutzen. Wie intern bekannt ist, hat Heinz Brandt nach seiner Entlassung diese Ansicht auch dem Vorsitzenden der IG Metall Otto Brenner4 mitgeteilt, der sie vollinhaltlich auch als seine eigene Meinung akzeptiert habe. Brenner habe dabei besonders dem Vorschlag Heinz Brandts zugestimmt, ihn weitgehendst vor der Presse und vor westlichen Geheimdiensten abzuschirmen.
Außerdem habe Brenner auch die sinngemäße Zustimmung gegeben, dass durch die Zusammenhänge um Heinz Brandt keinesfalls den »Ultras«5 Wasser auf die Mühle gegossen, die politische Rolle der IG Metall als »progressivste Kraft« beeinträchtigt und Akte der Entspannung gefährdet werden dürften. (Heinz Brandt hat außerdem seine Ehefrau beauftragt, in diesem Sinne nochmals an Brenner heranzutreten, um noch mehr Garantien zu haben, dass seine Angelegenheit nicht politisch hochgespielt wird.) Brenner versprach deshalb Brandt, zu seiner Unterstützung den Rechtsanwalt Dr. Posser6 zu schicken, der am 25.5.1964 auch in der Hauptstadt der DDR eintraf. Dr. Posser habe nach seinen eigenen Angaben von Brenner den Auftrag, Brandt vor der Presse und vor den westlichen Geheimdiensten oder anderen Stellen abzuschirmen und ihn bei der Ausreise behilflich zu sein. Auch Dr. Posser bestätigte, dass Brenner und Brandt interessiert daran seien, keinen Anlass zur Belebung des »kalten Krieges« zu geben und dass Brenner die Meinung vertrete, der Gnadenakt gegenüber Heinz Brandt sei ein Ausdruck der »neuen Politik« der DDR und diene der Entspannung und der Annäherung zwischen beiden deutschen Staaten.
Dr. Posser teilte Heinz Brandt im Auftrage Brenners ferner mit, dass nach der Übersiedlung Brandts nach Westdeutschland eine Beratung im engsten Kreise (genannt wurden Brenner, Dr. Posser, Heinz Brandt, Thönnessen7 und Opel8) stattfinden wird, in der die weitere Verhaltenslinie festgelegt würde. Dieser Vorschlag Brenners fand auch die volle Zustimmung Heinz Brandts. Er erklärte aber, dass er selbst in diesem Kreise keinerlei Angaben machen werde, die in irgendeiner Form zu Entstellungen führen oder gegen die DDR und gegen Annäherungsbestrebungen überhaupt missbraucht werden könnten.
Wie weiter intern bekannt wurde, herrscht in maßgeblichen Kreisen des Westberliner Senats die Meinung, man könne die Erklärung Herbert Wehners9 – die im Gegensatz zur Haltung Brenners und Heinz Brandts steht (Begnadigung sei »Erfolg der Proteste der freien Welt«, weiteres Hochspielen der Hetze um »politische Häftlinge«) – nicht akzeptieren, weil sie der weiteren politischen Entwicklung schaden würde.
Für den Fall, dass von Wehner und anderen Kreisen versucht werden sollte, Brandt zu Aktionen gegen die DDR auszunutzen, wurden vom MfS bereits geeignete operative und propagandistische Gegenmaßnahmen vorbereitet, die diese Kreise selbst wirksam treffen würden.