IG Metall und Heinz Brandt über seine Ausreise (1)
4. Juni 1964
Einzelinformation Nr. 448/64 über die Haltung von Heinz Brandt und der IG Metall seit der Ausreise Brandts nach Westdeutschland
Die Begnadigung Heinz Brandts1 und seine Freilassung nach Westdeutschland wurden von der Westpresse und vom Westrundfunk in verhältnismäßig großem Umfang für die Hetze gegen die DDR auszunutzen versucht. Gleichzeitig wurde dabei aber auch sichtbar, dass sich die Initiatoren der Hetze über die Umstände der Freilassung Brandts, seines Empfanges in Westdeutschland und der Haltung der IG Metall nicht im Klaren waren. Sie konzentrierten die Hetze auf Versuche, die Begnadigung und Freilassung Brandts als einen »Erfolg« der Protestbewegung darzustellen. Verschiedentlich wurden diese Parolen mit der Forderung nach Freilassung weiterer sogenannter politischer Gefangener und in Einzelfällen mit Spekulationen auf bevorstehende »Wandlungen« im Justizwesen der DDR verbunden.
Wie offiziell bekannt wurde, hatten sich zur Begrüßung Brandts seine Familie, führende Vertreter der IG Metall und zahlreiche Journalisten eingefunden. Brandt hatte seine Ankunft auf den Flughafen Frankfurt/M. als »seine dritte Auferstehung«2 bezeichnet und – offensichtlich in Abstimmung seines Auftretens mit der IG Metall (»den Ultras3 kein Wasser auf ihre Mühlen zu liefern«) – jetzt4 angekündigt, zu gegebener Zeit der Öffentlichkeit Einzelheiten seiner Verhaftung mitzuteilen. Die Berichterstattung über die Ankunft Brandts in Westdeutschland war auf die Wiedergabe der »Wiedersehensszene« konzentriert. Mit der Bemerkung von Brandts Frau, dass ihr Mann erst einmal einen guten Arzt gebrauche und man dann weiter sehen könne, wurde die Beantwortung von Fragen der Journalisten umgangen.
Am 30.5.1964 soll Brandt angeblich einen anonymen Anruf mit der Drohung erhalten haben: »Ich warne Sie, in Ihrer Angelegenheit irgendwelche Schritte zu unternehmen.« Die IG Metall hatte daraufhin veranlasst, dass Brandt und seine Familie verstärkten Polizeischutz erhalten.
Breiten Raum nahmen in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Parolen und Spekulationen um den geflüchteten ehemaligen Funktionär der IG Metall Hans Beyerlein5 ein, gegen den der Vorstand der IG Metall am 29.5.1964 Strafanzeige wegen »Verdachts der Beihilfe zur Freiheitsberaubung« erstattet hatte.
Das Vorhandensein festgelegter Instruktionen der IG Metall für das Auftreten von Heinz Brandt wurde durch die Pressekonferenz vom 3.6. erneut bestätigt. Brandt behandelte auf dieser Konferenz – entsprechend seiner vorherigen Ankündigung – sehr ausführlich seine »Entführung« und sein Verhalten in der Untersuchungshaft.6 Dabei hob er hervor, dass er ein Angebot von DDR-Seite, nach Abgabe einer sogenannten Reue-Erklärung in der DDR zu bleiben und seine Familie nachzuholen, abgelehnt habe. Er sei aufgrund der Erfahrungen mit seinem Bruder (angeblich Ermordung in der Sowjetunion)7 nicht den Weg der Aussageverweigerung gegangen. Er habe seine »physische Vernichtung« nicht provozieren wollen.
Von der Erklärung Brandts verdienen weiter seine Ausführungen über seine frühere Tätigkeit in der DDR Beachtung. Seine oppositionelle Einstellung gegen die Politik der DDR habe ihn von »Formen des Widerspruchs zu Methoden des Widerstandes« geführt. Er habe nach Verständigungswegen zwischen den ausgeschlossenen und nach Liberalisierung drängenden Kräften der SED und den Kräften in der SPD gesucht, die unter der Voraussetzung einer »Liberalisierung« in der DDR zur Fühlungnahme mit der SED und zur Verständigung bereit waren. Er betrachte deshalb auch seine Verurteilung als einen Racheakt wegen dieser von ihm unternommenen Versuche. Er sei 1958 nach Westdeutschland gegangen, weil er von der Parteikontrollkommission Schwierigkeiten erwartete, die nicht nur zum Parteiausschluss, sondern auch zu seiner Verhaftung geführt hätten. Er, Brandt, sei jederzeit bereit, vor einem Gericht der DDR als Zeuge in einem Untersuchungsverfahren zur Aufklärung seines Falles aufzutreten. Er habe zu bedenken gegeben, dass seine »Entführung« unter Umständen ein Irrtum untergeordneter Stellen gewesen sein könne. Er wolle mit seinem Angebot den DDR-Behörden eine Brücke bauen.
Brandt führte weiter an, dass er aber schon damals nicht mit der Absicht nach Westdeutschland gekommen sei, um im Westen kalter Krieger zu werden und für die atomare Aufrüstung einzutreten, sondern um der »freien Demokratischen Arbeiterbewegung« zu dienen. Er vertrete die Meinung, dass die im Westen bestehende »Freiheit gegen Einengung zu schützen« sei.
Er, Brandt, sehe nicht den sogenannten Menschenraub als Sensation an, sondern seine Freilassung zu seiner Familie und an seinen Arbeitsplatz nach Frankfurt/M. Er sehe dies als eine »überraschende Geste Walter Ulbrichts«, die auf die »weltweite Solidarität«, seine eigenen Bemühungen (über die er noch nicht sprechen wolle) und auf die sich anbahnende Annäherung und Auflockerung des kalten Krieges zurückzuführen sei. Er wolle die auf beiden Seiten errichtete »Hass-Mauer« mit abtragen helfen. Er denke dabei nicht nur an »politische Häftlinge« in der DDR, sondern »auch an so manchen politischen Häftling in der Bundesrepublik«.
Zu den Möglichkeiten einer Verständigung zwischen der SPD und SED habe Brandt ausgeführt, dass der Weg der Verständigung zwischen der Sowjetunion und den USA auch zur Annäherung in der deutschen Frage führe. Ihm seien bei seiner Entlassung seitens der DDR-Organe keine Auflagen gemacht worden. Allerdings habe man ihm erklärt, dass er nach wie vor Bürger der DDR bleibe, den Gesetzen der DDR unterstehe und zur Rechenschaft gezogen werde, wenn er gegen diese Gesetze verstoße. Seine Entlassung habe Brandt als »Vorspiel für größere Entlassungsmaßnahmen« gewertet.
Auf die Frage eines Journalisten, warum Brandt trotz seiner »bitteren Erfahrungen« immer noch von der DDR spreche, habe Brandt erwidert, die DDR ist eine Realität.
Der Vorsitzende der IG Metall machte in der gleichen Pressekonferenz ausführliche Angaben über den von der westdeutschen Polizei gesuchten ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär Beyerlein, wobei er besonders hervorhob, dass Beyerlein von 1925 bis 1930 der NSDAP angehört habe und von einem westlichen Geheimdienst nach 1945 in die KPD geschleust worden sei und ihr bis 1955 angehört habe.8 Brenner9 bemühte sich dabei »klarzustellen«, dass von einer »kommunistischen Unterwanderung« der IG Metall nicht die Rede sein könne. Die IG Metall werde mit den Kommunisten in ihren eigenen Reihen selbst fertig.
Auch Brenner bezeichnete die Freilassung Brandts als Vorspiel für größere Entlassungsmaßnahmen. Er habe der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass die DDR damit einen kleinen Beitrag zur Entspannung leisten wollte, wobei jedoch noch niemand sagen könne, ob sich daraus eine neue Politik entwickeln werde und ob sich der »Druck auf die Bevölkerung« vermindere.
Brenner habe es als eine falsche Politik bezeichnet, einen langen Katalog von Forderungen an die DDR zu richten. Auch der Westen und insbesondere die Bonner Politik müssten in Bewegung kommen, wenn der Kalte Krieg und die Spannungen abgebaut werden sollen.
In der Reaktion der Westpresse10 fällt auf, dass sie zwar ausführlich, jedoch nur auf ihren Innenseiten über Brandt und die Pressekonferenz berichtete. Sie versucht dabei insbesondere die »Entführung« Brandts hochzuspielen. Seine in Richtung Verständigung zielenden Worte, seine wenn auch vorsichtige Kritik an den Verhältnissen in Westdeutschland und seine von den bisherigen Darstellungen abweichenden Ausführungen wurden von der überwiegenden Mehrheit der Westblätter verschwiegen. In westlichen Rundfunkkommentaren wurde u. a. zum Ausdruck gebracht, dass nach dem Auftreten Brandts das Gesamtbild noch »unklar« sei und gewisse Vorgänge noch der präziseren und offeneren Erklärung bedürfen.