Unkontrollierte Westkontakte im Gesundheitswesen
19. Februar 1964
Einzelinformation Nr. 127/64 über unkontrollierte Westkontakte im Bereich des staatlichen Gesundheitswesens
Dem MfS wurde bekannt, dass durch das dem Ministerium für Gesundheitswesen, Abteilung Hygiene, untergeordnete Staatliche Institut für Serum- und Impfstoffprüfung, Berlin-Pankow, Wollankstraße 16, seit einiger Zeit Kontakte nach Westdeutschland unterhalten werden. Diese Kontakte zu Institutionen und Einzelpersonen aus Westdeutschland stehen fachlich und politisch außerhalb jeder Kontrolle durch das Ministerium für Gesundheitswesen.
Nach bisherigen Feststellungen werden die bestehenden Kontakte von westdeutschen Instituten dazu ausgenutzt, in den Besitz von in der DDR erarbeiteten wissenschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsergebnissen zu gelangen.
Durch einen Dr. Lüderitz,1 tätig am Max-Planck-Institut Freiburg/Br. (vormals Wanderer-Forschungsinstitut),2 wurde postalischer und persönlicher Kontakt zu der leitenden medizinisch-technischen Assistentin Schlosshardt, Johanna,3 vom Staatlichen Institut für Serum- und Impfstoffprüfung Berlin-Pankow, Wollankstraße 16,4 hergestellt. Die Assistentin Schlosshardt arbeitet auf dem Gebiet der Thyphuserreger und wird allgemein als Fachkraft bezeichnet. Einige von ihr im Jahre 1962 veröffentlichten Arbeiten nahm Dr. Lüderitz zum Anlass, postalische Verbindung zu ihr herzustellen. Eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Schlosshardt und dem Dr. Lüderitz entstand besonders nach einem persönlichen Besuch des Dr. Lüderitz Ende November 1962 in Berlin. Die Schlosshardt führt seitdem für den Dr. Lüderitz bzw. das Max-Plank-Institut Untersuchungsaufgaben im Rahmen des Gesamtkomplexes der Darstellung der chemischen Struktur von Antigenen durch. Zu diesem Zweck werden von ihr Bakterienstammkulturen nach Westdeutschland versandt.
Der Direktor des Institutes, Prof. Sartorius, Friedrich,5 hat konkrete Kenntnis von der Verbindung seiner Mitarbeiterin Schlosshardt nach Westdeutschland und spricht persönlich auch alle Details mit ihr ab. Die Schlosshardt erklärte gegenüber anderen Mitarbeitern des Institutes, sie versende auf Anforderung von Dr. [Name] vom Robert-Koch-Institut in Westberlin mit ausdrücklicher Genehmigung des Prof. Sartorius während der Geraer Ruhr-Epidemie 1962 isolierte Flexner-Ruhr-Stämme an das Westberliner Institut. Die Schlosshardt wurde von einigen Mitarbeitern des Instituts darauf aufmerksam gemacht, dass derartige Handlungen verboten sind, reagierte jedoch nicht darauf.
Weiter wurde dem MfS bekannt, dass Prof. Sartorius beabsichtigt, zusammen mit der Schlosshardt eine Reise nach Westdeutschland zu beantragen. Eine gemeinsame Reise mit der Schlosshardt zieht Prof. Sartorius deshalb in Erwägung, weil eine Einzelreise der Schlosshardt trotz seiner Befürwortung abgelehnt wurde. Dagegen hält er die gemeinsame Reise nach Westdeutschland für die Behörden als zumutbar. Sollte auch der Antrag auf eine gemeinsame Reise mit der Schlosshardt abgelehnt werden, beabsichtigt Prof. Sartorius Einladungen zu Kongressen, die ihm von verschiedenen Gesellschaften in Österreich, Schweden und Portugal zugegangen sind, unbedingt anzunehmen und seinen dortigen Aufenthalt zum Zusammentreffen mit Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts auszunutzen.
Am 7./8.6.1963 weilte auf Einladung der chemischen Gesellschaft der DDR der Direktor des Max-Planck-Institutes Freiburg/Br. Prof. Dr. Westphal in Berlin, wo er am Chemischen Institut der Humboldt-Universität einen Vortrag hielt. Prof. Dr. Westphal nutzte seine Anwesenheit in Berlin dazu aus, weitere Einzelheiten der »wissenschaftlichen« Zusammenarbeit mit der Schlosshardt zu besprechen. Prof. Dr. Westphal unterbreitete der Schlosshardt bei dieser Gelegenheit den Vorschlag, einige Wochen in Westdeutschland zu arbeiten, wo sie in seinem Institut begonnene Arbeiten in ihrer Fachrichtung fortführen sollte.
Prof. Dr. Westphal unterrichtete von diesem seinen Anliegen auch einige Professoren der Akademie der Wissenschaften zu Berlin und ersuchte Prof. Thilo,6 Institut für Anorganische Chemie der Deutschen Akademie der Wissenschaften, seinen Vorschlag auch antragsmäßig bei den zuständigen Organen der DDR zu unterstützen.
Nach dem MfS vorliegenden Informationen wäre es unbedingt notwendig, von einer Reise der Schlosshardt nach Westdeutschland und von Prof. Sartorius nach Westdeutschland oder dem kapitalistischen Ausland abzusehen.
Es wird vorgeschlagen, seitens der Leitung des Ministeriums für Gesundheitswesen mit Prof. Sartorius über die nicht genehmigte wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem westdeutschen Institut ein Aussprache zu führen und die Weiterführung der Kontakte zu unterbinden oder unter zentrale Kontrolle zu bringen. Außerdem wäre es notwendig, durch das Ministerium für Gesundheitswesen den gesamten Umfang der Untersuchungen – eventuell auch Forschungen –, die von der Schlosshardt mit Mitteln der DDR für westdeutsche Unternehmen durchgeführt werden, konkret zu erfassen und entsprechende Maßnahmen zur Auswertung dieser Ergebnisse in der DDR einzuleiten.
Es wäre weiterhin notwendig, seitens des Ministeriums für Gesundheitswesen generell alle Westkontakte der Institute zu erfassen und unter Kontrolle zu bringen.