Verhinderung eines Grenzdurchbruchs in Gera (2)
16. April 1964
Einzelinformation Nr. 324/64 über die Verhinderung eines geplanten Grenzdurchbruchs im Bezirk Gera (Ergänzung zur Information 309/64 vom 14. April 1964)
Die weitere Untersuchung des Waffendiebstahls in der Unterkunftsabteilung der NVA, Gera, Leninstraße 107, ergab, dass der festgenommene Täter [Vorname Name 1] bereits im Oktober/November 1962 und im April 1963 als Strafhäftling des Haftarbeitslagers Gera-Liebschwitz mit einem Arbeitskommando zu Arbeiten in der Unterkunftsabteilung der NVA (UKA) eingesetzt war. Während dieser Tätigkeit erhielt er auch Kenntnis von der genauen Lage und Absicherung der Waffenkammer sowie den Zugangsmöglichkeiten zu derselben. Nach den bisherigen Feststellungen war [Name 1] auch an der Umlagerung der Waffenkammer beteiligt, sodass er wusste, wo die Waffen und die Munition innerhalb der Waffenkammer aufbewahrt wurden. (Die Waffen befanden sich in einem offenen Waffenständer, während die Munition in einem Kleiderspind gelagert wurde, obwohl ein Panzerschrank vorhanden war.) Auch nach seiner Haftentlassung hielt sich [Name 1] wiederholt am NVA-Objekt der UKA auf und suchte Kontakt mit dem dort beschäftigten Personenkreis. Er suchte mehrmals die Torwache auf und führte unter Anspielung auf seine Tätigkeit als Strafgefangener in der UKA Gespräche mit den Kraftfahrern der NVA [Name 3] und [Name 4] sowie mit der Zivilangestellten [Name 5].
Auch am Vorabend des Einbruchdiebstahls (9.4.1964) traf [Name 1] in der »Bodega-Bar« mit den Zivilangestellten [Name 3] und [Name 4] zusammen, wo sie gemeinsam Alkohol tranken. Im Gespräch versuchte er Näheres über die gegenwärtige Lage im Objekt in Erfahrung zu bringen. Durch das leichtfertige Verhalten der Zivilangestellten konnte [Name 1] aus der Unterhaltung entnehmen, dass sich im Objekt weder an der Bewachung noch an der personalmäßigen Besetzung etwas geändert hat und dass das Objekt lediglich durch ältere Genossen des Betriebsschutzes an der Toreinfahrt gesichert wird, während für die Garagen, Werkhallen, Tankstelle und das Stabsgebäude keine Außensicherung vorhanden ist.
Diese Kenntnisse bestärkten [Name 1] offensichtlich in seinem Vorhaben, aus dem genannten Objekt Waffen zu beschaffen und bewaffnet gewaltsam die Staatsgrenze zu durchbrechen. [Name 1] begab sich am 10.4.1964 gegen 3.00 Uhr zum Objekt der UKA der NVA, erkletterte zunächst über eine Außentreppe die Gebäude und lief auf dem Dach bis zum Stabsgebäude entlang, wo er ein in der 3. Etage gelegenes Fenster von außen einschlug und in das Stabsgebäude der UKA einstieg. Anschließend begab er sich in das 2. Stockwerk, wo er mittels eines Stuhlbeines die Eisengittertür der Waffenkammer aushing und die dahinter befindliche Holztür gewaltsam aufbrach.
Nachdem der Täter
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eine Maschinenpistole (K),
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einen Karabiner (S),
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135 Schuss Karabiner- und MPi-Munition und
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58 Schuss Pistolenmunition
entwendet hatte, verließ er das Stabsgebäude durch den normalen Ausgang.
Unmittelbar neben der Wachstube im Objekt der UKA löste sich plötzlich ein Schuss, ohne dass dies vom Wachposten bemerkt wurde. (Der Posten ist 77 Jahre alt; das gesamte Wachpersonal ist überaltert.) Selbst als im Objekt schlafende NVA-Angehörige durch den Schuss aufwachten und sich beim Wachposten erkundigten, ob im Objekt geschossen worden sei, erklärte dieser, dass er nichts gehört habe. Weder von den NVA-Angehörigen noch vom Wachposten wurden daraufhin Maßnahmen zur Überprüfung eingeleitet. Auch bei den späteren angeblichen Kontrollgängen des Wachpostens wurde der Einbruchdiebstahl nicht bemerkt. Obwohl der Täter auf dem Hof des Objekts die Maschinenpistole und mehrere Schuss Munition liegen gelassen hatte und lt. Eintragungen im Wachbuch angeblich Kontrollgänge durchgeführt worden waren, wurde der Einbruch und Waffendiebstahl erst am Morgen durch eine Reinigungskraft festgestellt.
Unmittelbar nach Verlassen des NVA-Objektes überquerte der Täter die Elster und drang in das Betriebsgelände des VEB Textilbedarf, Gera, Zwötzener Straße 4, ein. Da [Name 1] auf diesem Wege aus bisher unbekannten Gründen mehrere Schüsse abgab, wurden einige Betriebsangehörige auf den Täter aufmerksam und es gelang dem Wachmann [Name 6] durch persönlichen Einsatz und unter Gefährdung seines Lebens den Täter zu stellen, ihm gewaltsam die Waffe zu entreißen und damit größeren Schaden zu verhindern. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzung löste sich ein Schuss aus dem Karabiner, wodurch [Name 1] am Oberarm schwer verletzt wurde. [Name 1] gelang es nochmals zu entkommen. Durch den Einsatz des Wachmanns [Name 6] wurde er aber später erneut aufgefunden und festgenommen. Der Wachmann [Name 6] vom VEB Textilbedarf Gera wurde für sein umsichtiges Verhalten und seinen persönlichen Einsatz vom MfS prämiert und ausgezeichnet.