Direkt zum Seiteninhalt springen

Vorkommnisse mit neu einberufenen Wehrpflichtigen

5. Mai 1965
Einzelinformation Nr. 421/65 über Vorkommnisse mit Wehrpflichtigen

In der Zeit vom 30.4. bis 3.5.1965 ereigneten sich in Berlin und beim Transport Wehrpflichtiger mit Sonderzügen der Reichsbahn zu ihren Standorten eine Reihe von Vorkommnissen, in deren Verlauf vorwiegend einberufene Wehrpflichtige rowdyhaft in Erscheinung traten und in angetrunkenem Zustand Delikte der Verletzung inländischer Hoheitszeichen, des versuchten Passvergehens, der Staatsverleumdung, Transportgefährdung, Sachbeschädigung, Körperverletzung oder der Erregung öffentlichen Ärgernisses begingen.

Der am 3.5.1964 auf der Strecke Wildpark–Ueckermünde eingesetzte Sonderzug 01300, der ab Berlin-Schönefeld mit ca. 1 200 einberufenen Wehrpflichtigen besetzt war und planmäßig um 13.40 Uhr in Ueckermünde eintreffen sollte, kam erst um 17.30 Uhr am Endbahnhof an. Zu dieser Verspätung von 3½ Stunden, von denen nur ca. 30 Minuten auf wirkliche bahnbetriebliche Schwierigkeiten zurückzuführen waren, kam es infolge undisziplinierten, randalierenden und transportgefährdenden Verhaltens der Wehrpflichtigen. So verließen z. B. bei eingeplanten Aufenthalten auf den Bahnhöfen Berlin-Buch, Bernau, Eberswalde, Wilmersdorf und Pasewalk wiederholt bis zu 200 Wehrpflichtige den Zug, um alkoholische Getränke einzukaufen. Auf allen Bahnhöfen gab es infolge der Alkoholeinwirkung Schwierigkeiten mit den Wehrpflichtigen, sie zum Einsteigen in den Zug zu bewegen. Auf dem Bahnhof Wilmersdorf, wo der Sonderzug die Kreuzung eines D-Zuges und eines Personenzuges abwarten musste, betraten die Wehrpflichtigen darüber hinaus auch das durch den Personenzug zu befahrende Gleis, pöbelten eine an diesem Gleis arbeitende Rotte der Bahnmeisterei an und legten deren Werkzeug auf das vom Personenzug zu befahrende Gleis. Während der Fahrt wurde der Sonderzug von den Wehrpflichtigen außerdem durch dreimaliges Öffnen des Lufthahnes und viermaliges Ziehen der Notbremse zum Stehen gebracht, wodurch ebenfalls erhebliche Verspätungen eintraten.

Nachdem beim Aufenthalt auf dem Bahnhof Pasewalk auch das Lok- und Zugpersonal von angetrunkenen Wehrpflichtigen angepöbelt wurde, lehnte das Lok- und Zugpersonal eine Weiterfahrt des Zuges ohne Verstärkung des Begleitpersonals durch Angehörige der Trapo und Streifenkräfte der NVA ab, da die Betriebssicherheit unter den geschilderten Bedingungen nicht mehr gewährleistet war. Daraufhin wurden durch 20 Genossen eines Kommandos der NVA und vier Transportpolizisten zur Wiederherstellung der Ordnung mehrere stark angetrunkene Wehrpflichtige, die als Rädelsführer auftraten, aus dem Zug geholt und mit einem Lkw der NVA gesondert nach Ueckermünde gebracht. Das Kommando der NVA begleitete den Zug danach bis Ueckermünde, wodurch es zu keinen weiteren Vorkommnissen kam.

Zu ähnlichen Vorkommnissen kam es während der Fahrten der Sonderzüge 07307 und 07308 vom Hbf. Magdeburg nach Prora. Auch in diesen Zügen wurde von den einberufenen Wehrpflichtigen in starkem Maße Alkohol getrunken, die Betriebssicherheit der Reichsbahn durch Öffnen der Türen während der Fahrt, durch Fahren auf den Trittbrettern, durch unbefugtes Betreten der Gleisanlagen bei Aufenthalten auf der Strecke und auf Bahnhöfen und durch Aufspringen bei Anfahrt der Züge gefährdet sowie die Fahrt durch missbräuchliches Benutzen der Notbremsen behindert. Das gegen dieses Verhalten einschreitende und zur Ordnung aufrufende Zugbegleitpersonal bzw. Bahnhofspersonal der Reichsbahn wurde beschimpft und sogar tätlich bedroht. Der Zugführer des Sonderzuges 07307, [Name1], hat daraufhin abgelehnt, in Zukunft weitere solche Sonderzüge zu fahren. Zwischen den Bahnhöfen Schwerin Hbf. und Carlshöhe wurde durch Wehrpflichtige aus dem drittletzten Wagen des Sonderzuges 07307 nach der diensthabenden Schrankenwärterin der Deutschen Reichsbahn, [Vorname Name 2], mit einer leeren Schnapsflasche geworfen, die vor ihr zersplitterte und ihr Schnittwunden am linken Knie beibrachte, sodass die Schrankenwärterin sich in ambulante Behandlung begeben und bis zum 6.5.1965 krankgeschrieben werden musste.

Bei Ausfahrt des Sonderzuges 07308 aus dem Bahnhof Neustrelitz wurden von Wehrpflichtigen ebenfalls drei Flaschen aus dem Wagen geworfen, wovon eine ein Fenster im Erdgeschoss des Fahrdienstleiterstellwerkes zertrümmerte.

Alle übrigen am 3.5.1965 eingesetzten Sonderzüge kamen nach bisherigen Informationen planmäßig auf den Bestimmungsbahnhöfen an.

Im gleichen Zeitraum ereigneten sich auch in der Hauptstadt der DDR eine Reihe ähnlicher Vorkommnisse mit Wehrpflichtigen, wobei zur Klärung der Motive ihrer Handlungen und möglicher Zusammenhänge mit der Einberufung zur NVA die Zuführung von insgesamt zwölf Wehrpflichtigen, von denen acht bereits für den 3.5.1965 einberufen waren, erforderlich war. So erfolgte z. B. am 1.5.1965, gegen 3.00 Uhr, die Festnahme des Wehrpflichtigen [Name 3, Vorname] aus Bad Dürrenberg, [Straße Nr.], im Bereich des Grenzüberganges Invalidenstraße. [Name 3], der als Schlosser des VEB Großmontage Berlin-Lichtenberg auf der Montagebaustelle Leuna II beschäftigt war, hat gestanden, dass er einen Grenzdurchbruch nach Westberlin versuchte, um sich der für Anfang Mai 1965 vorgesehenen Einberufung zur NVA zu entziehen.

Am 3.5.1965, gegen 17.30 Uhr, wurde der einberufene Wehrpflichtige [Name 4, Vorname] aus Deuben, [Kreis] Hohenmölsen, [Straße Nr.], mit einer Messerstichverletzung aus dem Mitropa-Wartesaal des Ostbahnhofes in das Krankenhaus Berlin-Friedrichshain eingeliefert. [Name 4], der zunächst einen Raubüberfall auf sich vortäuschte, hat inzwischen gestanden, sich die Verletzung selbst beigebracht zu haben, um eine Begründung für sein Nichterscheinen am 3.5.1965 bei seiner Einheit der NVA in Bernau zu haben.

In mehreren Fällen erfolgte die Zuführung von Wehrpflichtigen auch deshalb, weil sie nach ausgiebigen Zechtouren bzw. von ihnen organisierten Abschiedsfeiern in der Nacht vom 30.4. zum 1.5.1965 Fahnen aus ihren Halterungen rissen, Sichtwerbungen beschädigten bzw. durch Randalieren öffentliches Ärgernis erregten. Wegen dieser Delikte wurden in den Stadtbezirken Köpenick, Lichtenberg, Weißensee und Mitte insgesamt zehn Wehrpflichtige zugeführt, von denen acht bereits für den 3.5.1965 zur NVA einberufen waren.

In Köpenick wurde z. B. am 30.4.1965 der zu einer Artillerieeinheit einberufene [Name 5, Vorname] aus Berlin-Friedrichshagen zugeführt, der von VP-Angehörigen dabei gestellt wurde, als er in der Bölschestraße in Köpenick eine Staatsflagge aus der Halterung riss und in die Dachrinne eines einstöckigen Wohnhauses warf.

In Lichtenberg erfolgte am 1.5.1965, gegen 3.00 Uhr, die Zuführung der zur NVA einberufenen Wehrpflichtigen [Name 6, Vorname], [Name 7, Vorname] und [Name 8, Vorname]. Die Genannten hatten nach einer Abschiedsfeier in der Wohnung des [Name 6] beschlossen, nach Berlin-Johannisthal zu fahren und dort noch die Gaststätte »Zum Stern« aufzusuchen. Auf dem Wege zur Straßenbahn der Linie 69 rissen sie in der Wilhelmstraße in Berlin-Friedrichsfelde vier Fahnen aus ihren Halterungen, zerschlugen die Fahnenstöcke und warfen am Wege stehende Papierkörbe um.

In Weißensee wurden am 30.4.1965, gegen 21.45 Uhr, die einberufenen Wehrpflichtigen [Name 9, Vorname] und [Name 10, Vorname] zugeführt. Beide hatten sich in der Konsum-Gaststätte »Casino« getroffen und aus Anlass ihrer Einberufung in starkem Maße Alkohol zu sich genommen. Nach Verlassen der Gaststätte erregt der [Name 9] durch unsittliche Handlungen öffentliches Ärgernis, weshalb seine Zuführung durch einen Zeugen veranlasst wurde. Nach der Zuführung schlug [Name 9] einem VP-Angehörigen mit der Faust ins Gesicht und randalierte gemeinsam mit dem [Name 10] im VP-Revier, wobei beide die VP-Angehörigen beschimpften. [Name 9] war bereits 1960 wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt bedingt zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.

Am 1.5.1965, gegen 2.00 Uhr, wurde der Wehrpflichtige [Name 11, Vorname] aus Lichtenberg, dessen Einberufung zur NVA für den Herbst 1965 vorgesehen ist, der VP-Inspektion Lichtenberg zugeführt. [Name 11] hatte an einer Maiveranstaltung im Kulturhaus des VEB Elektrokohle teilgenommen und dort seine Unlust über den Dienst in der NVA zum Ausdruck gebracht. Nach dem Entschluss mit zwei weiteren Personen noch andere Gaststätten aufzusuchen, riss [Name 11] auf dem Wege dahin am Roederplatz zwei Staatsflaggen aus ihren Halterungen, zerbrach die Fahnenstangen und warf damit gegen die dort aufgestellten Lichttafeln.

Wegen gleicher Delikte erfolgte auch die Zuführung des [Name 12, Vorname] am 30.4.1965, gegen 24.00 Uhr, des [Name 13, Vorname] am 1.5.1965, gegen 3.00 Uhr, in Berlin-Weißensee und des [Name 14, Vorname] am 1.5.1965, gegen 5.40 Uhr, in Berlin-Mitte. Mit Ausnahme des [Name 9] ergaben die Untersuchungen, dass die Zugeführten in ihrem Wohngebiet und auf ihren Arbeitsstellen einen guten Leumund besaßen. Bei ihren Handlungen standen alle Zugeführten unter starken Alkoholeinwirkungen.

  1. Zum nächsten Dokument Versuchter Grenzdurchbruch in Benneckenstein/Harz

    6. Mai 1965
    Einzelinformation Nr. 423/65 über einen versuchten Grenzdurchbruch in Benneckenstein/Harz nach Westdeutschland

  2. Zum vorherigen Dokument Ansichten von Leistungssportlern zur Sportentwicklung

    5. Mai 1965
    Einzelinformation Nr. 415/65 über Ansichten einiger Leistungssportler zu Problemen des Sports in der DDR