Provokatorisches Verhalten in der Kooperationsgemeinschaft Ludwigslust
29. Juli 1968
Einzelinformation Nr. 806/68 über das provokatorische Verhalten einiger Konferenzteilnehmer der Kooperationsgemeinschaft Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin, gegenüber dem 1. Sekretär der Kreisleitung der SED am 27. Juli 1968
Am 27.7.1968, in der Zeit von 9.30 bis 16.30 Uhr, fand die der halbjährigen Rechenschaftslegung dienende ökonomische Konferenz der Kooperationsgemeinschaft Ludwigslust mit ca. 100 Vertretern der LPG »Morgenrot« Niendorf, LPG »Weselheide« Weseldorf und der GPG »Storchennest« Ludwigslust in der HOG »Mecklenburger Hof« in Ludwigslust statt.
Behandelt wurden folgende Probleme:
- a)
Rechenschaftsbericht über die Planerfüllung der in der Kooperationsgemeinschaft erfassten landwirtschaftlichen Betriebe;
- b)
Rechenschaftsbericht aller Vorsitzenden;
- c)
Annahme einer Zustimmungserklärung zum Gemeinsamen Brief der fünf Bruderparteien1 an das ZK der KSČ;2
- d)
Diskussion.
Als Gast nahm an dieser Konferenz u. a. auch der 1. Sekretär der Kreisleitung der SED, Genosse Dettmer,3 teil.
Die Konferenz hatte bis zur Verlesung der Zustimmungserklärung, dem 3. Tagesordnungspunkt, einen ordnungsgemäßen Verlauf.
Nach der Aufforderung des Versammlungsleiters, Genossen Thalmann, zur Diskussion und zur Äußerung von Änderungs- oder Ergänzungsvorschlägen meldete sich der [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1944 in Ludwigslust, wohnhaft Ludwigslust, [Straße, Nr.], Maurer in der GPG »Storchennest«, zu Wort und brachte zum Ausdruck, mit einigen Formulierungen der Zustimmungserklärung nicht einverstanden zu sein, ohne jedoch dabei konkrete Formulierungen zu nennen. Des Weiteren wäre er nicht in der Lage, der Erklärung zustimmen zu können, da »mit ihm der Brief der fünf Bruderparteien an das ZK der KSČ nicht durchgesprochen worden« wäre.
Danach sprach der [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1944 in Gebirgsneudorf/ČSSR, wohnhaft Ludwigslust, [Straße, Nr.], Maurer in der GPG »Storchennest«, zur Diskussion und äußerte sich gegen den Inhalt der Zustimmungserklärung. Seine Ablehnung begründete er damit, aus der ČSSR zu stammen und die dortigen Verhältnisse zu kennen. Die ČSSR wäre ein selbstständiger Staat, demzufolge könne sie selbst bestimmen, und es sei nicht richtig, sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen.
Dieses negative Auftreten veranlasste den 1. Sekretär, Genossen Dettmer, zunächst erst einmal in die Diskussion einzugreifen und den falschen Standpunkt von [Name 1] und [Name 2] aufzuzeigen.
Nach diesen Ausführungen ließ der Versammlungsleiter Thalmann über die Zustimmungserklärung abstimmen und stellte die Gegenstimmen der beiden Genannten fest. Auf Zwischenrufe, es gäbe außerdem Stimmenthaltungen, erfolgt erneut eine Abstimmung, wobei [Name 1] und [Name 2] sich ebenfalls für die Zustimmungserklärung entschieden, es jedoch einige Stimmenthaltungen gab. Daraufhin sprach Genosse Dettmer ca. 20 Minuten zur internationalen Lage, zur Situation in der ČSSR und den sich daraus ergebenden Aufgaben.
Diese Ausführungen wurden durch laut geführte Unterhaltungen des [Name 2, Vorname], [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1909 in Ludwigslust, wohnhaft Ludwigslust, [Straße, Nr.], Zimmermann in der GPG »Storchennest«, und [Name 4, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1933 in Ludwigslust, wohnhaft Ludwigslust, [Straße, Nr.], Traktorist der GPG »Storchennest«, fortlaufend gestört.
Die Darlegungen des Genossen Dettmer wurden dann durch Zwischenrufe des [Name 5, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1931 in Werle, wohnhaft Ludwigslust, [Straße, Nr.], Melker in der GPG »Storchennest«, direkt unterbrochen, indem er zum Ausdruck brachte, D. solle mit seinen Ausführungen aufhören, da der Parteisekretär der GPG und der Vorsitzende der Kooperationsgemeinschaft schon oft genug über diese Dinge gesprochen hätten. Außerdem würde D. sich sein Geld mit Reden verdienen, während er und andere Mitglieder der Kooperationsgemeinschaft sich ihr Geld durch schwere körperliche Arbeit verdienen müssen. Auf die in herausfordernder Art gestellte Frage nach dem Verdienst des 1. Sekretärs antwortete dieser, dass er 1 000 M verdiene. [Name 5] erklärte dazu, dass er täglich 16 Stunden arbeiten müsste, um soviel Geld zu verdienen.
In diesem Augenblick rief der obengenannte [Name 2] provokatorisch in den Saal: »Das Aktentaschengeschwader sichert uns die Einnahmen.«
Nachdem Genosse Dettmer seine Ausführungen beendet hatte, meldete sich der obengenannte [Name 3] zu Wort und behauptete, »wenn Ernst Thälmann4 noch leben würde, hätten wir heute einen anderen Kommunismus. Dann hätte man solche Leute wie Dich (gemeint war Genosse Dettmer) in Grund und Boden gestampft.« [Name 3] benutzte außerdem gegenüber dem 1. Sekretär beleidigende und vulgäre Ausdrücke. Bei dem Versuch des Genossen Dettmer, dieser Provokation zu begegnen, unterbrach ihn [Name 3] erneut mit solchen Bemerkungen wie:
- –
»Kennst Du das Manifest?«5
- –
»Im Manifest steht, niemand soll über 1 000 Mark verdienen.«
- –
»Solche Aktentaschenträger wie Dich brauchen wir nicht!«
Der genannte [Name 2] stellte außerdem die Frage nach den Ursachen dafür, dass Arbeiter nur 20,00 Mark, Angehörige der Intelligenz jedoch 40,00 Mark Kindergeld erhalten würden. Weitere Äußerungen gingen in dem tumultartigen Lärm unter.
Nach der Mittagspause, in der Genosse Dettmer mit allen anwesenden Parteimitgliedern gesprochen hatte, wurde die Beratung mit der Diskussion über verschiedene politische und ökonomische Probleme fortgesetzt. In der Diskussion forderte u. a. der [Name 4] die Absetzung des Tagesordnungspunktes über die Lage in der ČSSR6 und einen offenen Meinungsstreit, bei dem »nicht immer auf den Kollegen herumgetrampelt« werde.
[Name 5] meldete sich nochmals zu Wort, befürwortete den Brief der Bruderparteien an das ZK der KSČ und die Kooperationsgemeinschaft, brachte aber dann zum Ausdruck, dass er zu keiner Vollversammlung mehr gehen wolle, »weil man dann immer eine auf die Schnauze« bekäme. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass [Name 5] und [Name 4] in der Mittagspause darüber diskutiert hatten, in der Versammlung wohl etwas zu weit gegangen zu sein. Beide stellten jedoch auch fest, »solche Auseinandersetzung musste mal kommen«. Wie nachträglich festgestellt wurde, hatten [Name 3], [Name 2] und [Name 5] sowie andere Konferenzteilnehmer Alkohol zu sich genommen.
Gegen [Name 3] wurde durch das MfS ein Ermittlungsverfahren ohne Haft gemäß § 220 StGB7 eingeleitet. Im Ergebnis der bisherigen Untersuchungen wurden keine Hinweise für eine organisierte Vorbereitung dieser Provokationen erarbeitet. [Name 3] will nach seinen eigenen Angaben nicht die Absicht gehabt haben, die Partei anzugreifen, sondern nur die schlechte Arbeitsorganisation und die mangelhafte Materialversorgung zu kritisieren.
Durch das MfS werden die Untersuchungen zur Aufklärung der Gründe und Ursachen weitergeführt.
Der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Schwerin8 wurde von diesem Vorkommnis verständigt, und durch die Parteiorgane wurden die notwendigen politischen Maßnahmen eingeleitet.9