Versuchter Angriff auf den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Borna
18. Januar 1968
Einzelinformation Nr. 49/68 über einen versuchten tätlichen Angriff gegen den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Borna, [Bezirk] Leipzig
Am 11.1.1968, gegen 20.10 Uhr, klingelte der Formleger im VEB Kombinat »Otto Grotewohl« in Böhlen, [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1931, wohnhaft Borna, [Straße, Nr.], Mitglied des FDGB, am Wohngrundstück des 1. Sekretärs der SED, Kreisleitung Borna, Genossen Hildebrandt. [Name 1] wurde die Haustür von dem im gleichen Haus wohnenden Genossen [Name 2] geöffnet. [Name 1] ging in der Annahme, den 1. Kreissekretär, Genossen Hildebrandt, vor sich zu haben, gegen den Genossen [Name 2] mit erhobener Hand vor, wobei er laut rief: »Hildebrandt, heute schlage ich dich tot!« Genosse [Name 2], der von der Absicht des [Name 1] kurze Zeit vorher verständigt worden war, überwältigte den [Name 1] und veranlasste dessen Festnahme.
Die vom MfS eingeleitete Untersuchung ergab bisher Folgendes: [Name 1] nimmt häufig Alkohol zu sich, kennt dabei keine Grenzen und ging wiederholt in angetrunkenem Zustand gegen andere Bürger und auch die Ehefrau und sein Kind tätlich vor. Wegen Körperverletzung und Hausfriedensbruch wurde er 1958 zu 300 MDN Geldstrafe und 1967 zu zehn Monaten Gefängnis mit Bewährung verurteilt.
Nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen lagen diesen Handlungen keine politischen Motive zugrunde. Infolge des übermäßigen Alkoholgenusses blieb [Name 1] auch wiederholt der Arbeit fern oder erschien betrunken zur Schicht. Am 27.12.1967 war er erneut betrunken auf der Arbeitsstelle erschienen. Da ihm nach seinen Angaben am selben Tage die Zusicherung gegeben worden sei, diese Schicht herausarbeiten zu können, fühlte er sich mit danach erfolgter Eintragung einer Fehlschicht ungerecht behandelt.
[Name 1] fasste dann am 11.1.1968 vormittags während seiner Arbeit den Entschluss, beim 1. Sekretär der SED-Kreisleitung »sein Recht zu suchen«. (Der Genosse Hildebrandt ist ihm durch seine Ehefrau, die längere Zeit als Telefonistin in der SED-Kreisleitung Borna beschäftigt war, persönlich bekannt. Die Ehefrau des [Name 1] musste von dieser Tätigkeit entbunden werden, da ihr Mann trotz Aussprachen und Auseinandersetzungen mit Mitarbeitern der SED-Kreisleitung sein moralisches Verhalten nicht änderte.) [Name 1] traf nach Schichtschluss gegen 14.30 Uhr in Borna ein. Er suchte jedoch entgegen seiner ursprünglichen Absicht wegen der ihm bekannten Mitarbeiter, die mit ihm die Auseinandersetzungen geführt hatten, die SED-Kreisleitung nicht auf. Um den 1. Kreissekretär allein sprechen zu können, wollte er diesen später in seiner Wohnung aufsuchen. In der Zwischenzeit traf [Name 1] seinen Schwager, der ihn zum Biertrinken einlud. [Name 1] suchte dann bis gegen 22.00 Uhr mehrere Gaststätten auf, wo er alkoholische Getränke zu sich nahm. Er will das nicht bewusst im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Aufsuchen bzw. tätlichen Vorgehen gegen den 1. Kreissekretär getan haben.
In angetrunkenem, nicht volltrunkenem Zustand (1,9 ‰) begab er sich zur Wohnung des 1. Sekretärs der SED-Kreisleitung Borna, Genossen Hildebrandt. Irrtümlicherweise klingelte er zunächst bei dem in der Nähe wohnenden Genossen [Name 3], den er dann nach der Wohnung des 1. Sekretärs fragte und von dem er entsprechende Auskunft erhielt. Nach dem Erhalt dieser Auskunft äußerte [Name 1] zu Genossen [Name 3]: »Das Schwein mache ich fertig.« Gleichzeitig verlangte [Name 1] nach einem Messer, was ihm verweigert wurde. Genosse [Name 3] verständigte von diesem Vorfall unmittelbar danach den ihm bekannten und im Hause des 1. Kreissekretärs wohnenden Genossen [Name 2], der wie eingangs geschildert den [Name 1] überwältigte und seine Festnahme durch die VP veranlasste. [Name 1] leugnet das von den Zeugen dargelegte Verhalten nicht, bestreitet aber, aus einer feindlichen oder negativen Einstellung heraus gehandelt zu haben. Zu seiner politischen Haltung wurde bisher lediglich bekannt, dass er seine Ehefrau, die Mitglied der SED ist, in angetrunkenem Zustand mehrfach als »Kommunistenschwein« beschimpft hat. In der Öffentlichkeit ist [Name 1] – nach dem bisherigen Stand der Untersuchung – dahingehend noch nicht aufgetreten. Abgesehen von den durch Trinkerei bedingten Ausfällen gilt [Name 1] als guter Arbeiter. Sein geistiges und politisch-ideologisches Niveau ist niedrig bis primitiv.
Die Untersuchungen werden weitergeführt.