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Besuch einer Delegation des Nationalrates der Kirchen Christi, USA

6. April 1976
Information Nr. 249/76 über den Aufenthalt einer Delegation des »Nationalrates der Kirchen Christi in den USA« vom 22. bis 29. März 1976 in der DDR

Ergänzend zu unserer Information Nr. 221/76 vom 20. März 1976 über den geplanten Besuch einer Delegation des »Nationalrates der Kirchen Christi in den USA«1 beim »Bund Evangelischer Kirchen in der DDR«2 wurden dem MfS intern Hinweise zum Verlauf des Besuchs bekannt.3

Die Delegation, der Rechtsanwalt Thompson; Präsident des Nationalen Christenrates (Presbyterianische Kirche), Pfarrer Dr. Cary; Vizepräsident des Nationalen Christenrates (Unierte Kirche), Frau Randall; Generalsekretär des Nationalen Christenrates (Presbyterianische Kirche), Pfarrer Meister; Beauftragter der Unierten Kirche der USA für die Beziehungen zur Evangelischen Kirche der Union in der BRD und der DDR, Sitz Westberlin, Dolmetscher, angehörten, reiste am 22. März 1976 in Berlin-Schönefeld an, nahm mit Bischof Schönherr auf dem Flughafen ein gemeinsames Essen ein und begann sofort vom Flughafen aus in zwei Gruppen mit dem Besuch mehrerer Landeskirchen.

Die erste Gruppe, bestehend aus Thompson und Meister, besuchte in Begleitung von Pfarrer Kramer, Magdeburg (Mitglied des Vorstandes der Konferenz der Kirchenleitungen), die Landeskirche Greifswald und die Evangelische Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg. In beiden Landeskirchen besuchten sie diakonische Einrichtungen, kirchliche Ausbildungsstätten und nahmen an einigen Gemeindeveranstaltungen teil.

Während dieser Reise kam es zu keinen besonderen Vorkommnissen. Lediglich bei einer internen Gesprächsrunde im Haus von Bischof Gienke, Greifswald, unternahm Thompson den Versuch, Bischof Gienke zu brüskieren. Thompson richtete an Gienke die Frage, wie nach des Bischofs Vorstellungen der DDR-Aufenthalt der Delegation nach deren Rückkehr in die USA ausgewertet werden soll. Bischof Gienke wies diese Frage zurück und betonte, es komme ihm auf eine objektive Berichterstattung an. Eine Frage Bischof Gienkes an Thompson, wie dessen Verhalten in Nairobi (Organisierung von Aktivitäten gegen die russisch-orthodoxe Kirche auf der V. Vollversammlung des Weltkirchenrates) zu verstehen sei, wurde von Thompson nicht beantwortet.

Während des Aufenthaltes der Delegation in der Landeskirche Greifswald war auffällig, welches Interesse sie insbesondere für die Hauskreisarbeit in den Neubaugebieten aufbrachte.

Die zweite Gruppe, bestehend aus Frau Randall und Cary, reiste in Begleitung von Diakon Franke, Berlin (Mitarbeiter im Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR), und einer Dolmetscherin nach Görlitz, Dresden und Herrnhut. In Görlitz besuchte diese Gruppe die diakonischen Einrichtungen der Landeskirche in Rothenburg und weitere diakonische Einrichtungen in Görlitz. Auf Einladung von Bischof Fränkel, Görlitz, erfolgte im Anschluss an diese Besichtigungen eine Gesprächsrunde mit 20 Pfarrern und kirchlichen Angestellten. Bei diesem Treffen wurden vom Delegationsmitglied Cary positive Stellungnahmen zur Beendigung des Vietnamkrieges, zur Verurteilung der Rassendiskriminierung und zu theologischen Problemen abgegeben.

Während ihres Aufenthaltes in Dresden besichtigte die Gruppe die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Danach nahm sie für einige Stunden an der Abendsitzung der zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden Synode der Landeskirche Sachsen, Dresden, teil. Sie wurden dort nicht offiziell begrüßt, und es ergriff auch keiner der USA-Gäste das Wort.

Ein internes Gespräch fand lediglich am 24. März mit Oberlandeskirchenrat von Brück, Dresden, dem Präses der Synode Cieslak und der Synodalen Kahl anlässlich eines gemeinsamen Essens im Hotel »Astoria« statt. In diesem Gespräch ging es vor allem um die Erörterung von Möglichkeiten des Ausbaues der Beziehungen zwischen den Evangelischen Landeskirchen in der DDR mit den evangelischen Kirchen in den USA, an denen sich die Delegationsmitglieder sehr interessiert zeigten.

Im Anschluss daran reiste die Gruppe nach Herrnhut zum Besuch der sogenannten Herrnhuter Brüderunität. In Gesprächen mit der Leitung der Brüderunität äußerten sie ihre große Überraschung über die Größe und Perfektheit dieser kirchlichen Glaubensgemeinschaft.

Am 26. März 1976 erfolgte von beiden Gruppen über die Lutherstadt Wittenberg, in der sie die Luther-Gedenkstätten besichtigten, die Rückreise nach Berlin.

Am gleichen Tag fand um 15.00 Uhr ein Gespräch bei Staatssekretär Seigewasser statt. (An diesem offiziellen Gespräch nahmen weiterhin teil

  • Stellvertretender Staatssekretär Flint,

  • der amtierende Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen im Staatssekretariat für Kirchenfragen, Gen[osse] Münchow,

  • Oberkirchenrat Pabst, Berlin,

  • Diakon Franke, Berlin,

  • als Vertreter der kirchlichen Presse, Lorenz.)

Nach der Begrüßung durch Staatssekretär Seigewasser nahm Präsident Thompson das Wort. Er dankte für die Möglichkeit des Besuches in der DDR und zeigte sich beeindruckt vom hohen Stand der diakonischen Einrichtungen und ihrer Unterstützung durch den Staat. Ihn habe bei der Reise besonders beeindruckt, dass viele Christen, mit denen er gesprochen habe, sich mit den Zielen des sozialistischen Staates identifizierten. Cary, der bereits 1967 die DDR besucht hatte, hob die großen Veränderungen seit diesem Zeitpunkt hervor und verwies dabei besonders auf das Bauprogramm.

Frau Randall gab der Hoffnung Ausdruck, dass sich die Kontakte zwischen den Kirchen der USA und der DDR besonders auf der Basis gegenseitiger Besuche vertiefen mögen. Präsident Thompson unterbreitete den Vorschlag, Theologiestudenten aus der DDR zum Studium an theologische Einrichtungen der USA zu entsenden. Staatssekretär Seigewasser wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein solcher Schritt nur auf der Grundlage eines zwischenstaatlichen Wissenschafts- bzw. Kulturabkommens möglich sei. Er verwies weiterhin auf Probleme, die sich aus den unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen ergeben. Thompson zeigte sich daraufhin ziemlich erregt. Seiner Meinung nach dürften die Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Systemen nicht verkleinert werden, jedoch elementare bürgerliche Freiheiten, wie Presse- und Redefreiheit und Freiheit der Religion, die er in der DDR nicht voll verwirklicht sehe, müssten garantiert sein. Trotz unterschiedlicher Konzeptionen im ideologischen und politischen Bereich dürften die Rechte des Andersdenkenden nicht »beschnitten« werden. Thompson fand Unterstützung durch Frau Randall, die zum Ausdruck brachte, dass diese Rechte nicht durch staatliche Mittel »eingeengt« werden sollten.

Im Anschluss an das Gespräch bei Staatssekretär Seigewasser besuchte die USA-Delegation in Begleitung von Oberkirchenrat Meckel, Pfarrer Kramer und einer Dolmetscherin den Botschafter der USA. Der Botschafter empfing die Delegation im Beisein seines Stellvertreters und des Kulturattachès. Bei der Zusammenkunft wurden keine offiziellen Reden gehalten. Es erfolgten lediglich Einzelgespräche, die den Charakter reiner Konversation trugen. Botschafter Cooper brachte dabei zum Ausdruck, er empfinde es als positiv, dass es zur Herstellung offizieller Kontakte zwischen den Kirchen beider Länder gekommen sei.

Der Stellvertreter des Botschafters, Hanson, erkundigte sich intensiv über die Person des Staatssekretärs Seigewasser und ließ sich diesen eingehend charakterisieren. Hanson äußerte, dass er aus Zeitmangel das Gespräch über ihn zurzeit interessierende Fragen nicht ausbauen könne. Er wolle deshalb in nächster Zeit bei einem der leitenden Mitarbeiter des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vorstellig werden, um bei einem gemeinsamen Essen weitere Probleme erörtern zu können. Aus seinen Andeutungen war ersichtlich, dass er besonders Interesse am Einsatz des Pfarrers Meister bei der Kirchenkanzlei der EKU in der Hauptstadt der DDR habe. (Meister hatte in den letzten zwei Jahren eine Pfarrstelle bei der EKU in Westberlin inne und galt als Verbindungsmann zwischen den USA-Kirchen und der Evangelischen Kirche der Union in Westberlin und der DDR. Meister beendet gegenwärtig diese Tätigkeit und geht für ein Jahr nach den USA.)

Im Anschluss an den Empfang bei dem USA-Botschafter nahm die Delegation eine Einladung Bischof Schönherrs, Berlin, wahr.

Am 27. März 1976 bereiste die Delegation in zwei Gruppen Fürstenwalde und Potsdam. In Fürstenwalde wurden die Samariteranstalten besichtigt. In Potsdam besuchte die zweite Gruppe das Kirchliche Oberseminar in Herrmanswerder und das Kirchliche Krankenhaus in Lehnin.

In Fürstenwalde verlief der Besuch ohne Vorkommnisse. Am Kirchlichen Oberseminar in Herrmanswerder wurde eine Diskussionsrunde mit den Seminaristen durchgeführt. Frau Randall machte kurze Ausführungen zur Kirche in den USA. In der nachfolgenden Diskussion ging es um Fragen der Ausbildung kirchlicher Kader, die von den Seminaristen als unmodern bezeichnet wurde. Frau Randall wurde u. a. die Frage gestellt, wie sie die politische Mitarbeit der Kirche in den USA sehe und ob man in den USA von einem Wächteramt der Kirche sprechen könne. Frau Randall beantwortete diese Fragen unklar und ausweichend.

Eine weitere Frage wurde zum Verhältnis der USA-Kirche zu den Juden gestellt. Frau Randall antwortete darauf, dass sich ihre Kirche für die Juden verantwortlich fühle und vor allem um Hilfe für Israel bitte. Sie stellte die Gegenfrage, welche Stellung die Juden in der DDR hätten. Ein Seminarist antwortete darauf, dass es in der DDR keinen Zionismus gebe. Nach der Diskussion mit den Seminaristen erfolgte eine kurze Zusammenkunft mit dem Lehrkörper. Bei dieser Zusammenkunft wurden allgemeine Erziehungsfragen diskutiert. Frau Randall warf die Frage nach der Rolle der Kirche im Sozialismus auf. In der sich anschließenden Diskussion wurden folgende Argumente geäußert, so u. a.:

  • Die Möglichkeiten der Kirche in der DDR seien eingeschränkt, und die Linie der SED sei bestimmend.

  • Eine politische Mitarbeit der Christen in der DDR sei nur in der CDU möglich. Diese Partei habe aber keinen großen Anklang unter den Christen.

  • Viele Christen würden der gesellschaftlichen Entwicklung der DDR fremd gegenüberstehen, weil ihr Denken und Tun stark von bürgerlichen Denk- und Verhaltensweisen bestimmt sei. Dieser Umstand würde sehr aktiviert werden durch den Einfluss des Westfernsehens.

  • Eine Vielzahl der Gemeinden der DDR-Kirchen sei politisch zu inaktiv.

Nach dem Besuch des Oberseminars wurde eine Besichtigung der Gedenkstätte des Potsdamer Abkommens und der Potsdamer Schlösser durchgeführt. Im Anschluss daran wurden das Luise-Henrietten-Stift in Lehnin und die Gedenkstätte Sachsenhausen besucht.

Am 28. März 1976 besuchte die Delegation verschiedene Gottesdienste in Kirchen der Hauptstadt der DDR, Berlin, und nahm am Nachmittag für kurze Zeit am sogenannten Kirchentagskongress der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg teil. Bei diesen Veranstaltungen traten die USA-Gäste nicht öffentlich in Erscheinung.

Am gleichen Tag fand um 17.00 Uhr beim »Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR« ein Auswertungsgespräch statt. Daran nahmen teil:

  • Bischof Schönherr, Berlin,

  • Oberkirchenrätin Lewek, Berlin,

  • Oberkirchenrat Meckel, Berlin,

  • Oberkirchenrat Stolpe, Berlin,

  • Konsistorialrat Althausen, Berlin,

  • Oberkirchenrat Pabst, Berlin,

  • Pfarrer Kramer, Berlin,

  • Diakon Franke, Berlin.

Die Vertreter der USA-Delegation äußerten sich zufriedenstellend über Ablauf und Inhalt ihrer Reise durch die DDR. Sie seien überrascht gewesen über die angetroffene Ungezwungenheit und Offenheit der DDR-Bürger. Trotz einiger Sorgen einzelner Christen, die sich in einem sozialistischen Staat benachteiligt fühlen, hätten sie keinen Pessimismus festgestellt. Der Besuch von Gemeindeveranstaltungen und die geführten Gespräche mit jungen Menschen seien sehr beeindruckend gewesen. Ausgehend von dieser Feststellung stellte Thompson die Frage, warum in der DDR die Ehescheidungsquote so hoch sei. Diese Frage wurde von Oberkirchenrätin Lewek sinngemäß so beantwortet, dass die Scheidungsquote in den USA viel höher sei und das Problem sich in der DDR völlig anders darstelle. Sie verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass 84 Prozent der Frauen hier berufstätig und die Emanzipation der Frau höher sei als in den USA.

Eine weitere Frage von Thompson, an Bischof Schönherr gerichtet, hatte zum Inhalt, ob die Empfänge bei Staatssekretär Seigewasser immer so abliefen wie der mit seiner Delegation. Er sei sehr betroffen gewesen, in welcher Art und Weise der Staatssekretär ihn über den Frieden, über die DDR, über die Gerechtigkeit usw. »belehrt« habe. Er sei kaum zu Fragen und fast gar nicht zu Wort gekommen. Der Beantwortung der Frage wurde durch Bischof Schönherr ausgewichen.

Bischof Schönherr richtete seinerseits an Thompson die Frage, wie sein Auftreten in Nairobi zu verstehen sei. Thompson schilderte daraufhin detailliert seine Mitarbeit in verschiedenen Kommissionen der V. Vollversammlung des Weltkirchenrates4 und betonte, er habe keinen überzeugenden Eindruck von der Delegation der russisch-orthodoxen Kirche gehabt. Einer der Vertreter der ROK habe sich sogar für sein Auftreten bei ihm bedankt.

Weitere Ausführungen von Thompson beinhalteten, dass er den Besuch der DDR-Kirchen für seine Delegation sehr hoch einschätzt. Er habe konkret feststellen können, wie sich die spezifische Situation der Kirchen in den einzelnen sozialistischen Ländern unterscheide. Die Kirchen in der DDR hätten mit ihren diakonischen Einrichtungen, Ausbildungsstätten und direkter staatlicher Unterstützung die größten Möglichkeiten der Religionsausübung.

Während dieses Auswertungsgesprächs erfolgte seitens der Delegation des »Nationalrates der Kirchen Christi« in den USA für den Herbst 1976 eine Gegeneinladung an Bischof Schönherr und seine Frau persönlich sowie an weitere zwei Vertreter des »Bundes evangelischer Kirchen in der DDR«, die in nächster Zeit vom Vorstand des »Bundes« namentlich festgelegt werden sollen.

Thompson hob zum Abschluss des Auswertungsgespräches hervor, er wolle sich für das Zustandekommen eines Kulturabkommens zwischen der DDR und den USA einsetzen.

Die Abreise der Delegation erfolgte am 29. März 1976, 8.40 Uhr, von Berlin-Schönefeld.

Diese Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!

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