Westliche Gedenkveranstaltungen zum 15. Jahrestag des Mauerbaus
10. August 1976
Information Nr. 560/76 über geplante gegnerische Aktivitäten anlässlich des 15. Jahrestages der Errichtung des antifaschistischen Schutzwalles
Nach vorliegenden internen Informationen und offiziellen Hinweisen beabsichtigen gegnerische Kräfte der BRD und Westberlins, insbesondere rechtsgerichtete, entspannungsfeindliche Kreise sowie linksextremistische, maoistische Gruppen, anlässlich des 15. Jahrestages der Errichtung des antifaschistischen Schutzwalles Hetzkundgebungen, Hetzdemonstrationen, Grenzprovokationen und andere Störaktionen durchzuführen.
Bisher wurden dazu folgende Einzelheiten bekannt:
Die Jugendorganisationen der CDU, Junge Union und Schüler-Union, und andere der CDU/CSU nahe stehende Organisationen – federführend sei der »Arbeitskreis für freiheitliche Gesellschaftspolitik«, Wiesbaden – planen am 13. August 1976 eine Sternfahrt nach Westberlin mit Teilnehmern aus allen Ländern der BRD. Gerechnet wird mit etwa 1 000 Teilnehmern. Allein die Junge Union Schleswig Holsteins will mit mindestens 300 Personen anreisen. (Die Junge Union hat die Jungsozialisten und Jungdemokraten aufgefordert, sich an der Sternfahrt zu beteiligen.)
Die Beförderung der Teilnehmer über die Transitwege der DDR (Straße) nach Westberlin soll mit Bussen und Pkw erfolgen. Die Busse nach Westberlin fahren Freitag früh von größeren Städten der BRD ab. Haupttreffpunkt ist Helmstedt (Niedersachsen). Dort sollen sich die Teilnehmer am 13. August 1976 zwischen 12.00 Uhr und 14.00 Uhr sammeln.
In Westberlin werden für die Teilnehmer der Sternfahrt gegen 18.00 Uhr im Haus des »Deutschen Städtetages« (Ernst-Reuter-Saal) eine sogenannte Informationsstunde sowie Filmvorführungen durchgeführt. Danach sollen sich die Teilnehmer der Sternfahrt in einem Fackelzug an der von der CDU für den Abend des 13. August 1976 organisierten Hetzdemonstration mit anschließender Hetzkundgebung beteiligen.
Die geplante Hetzdemonstration am 13. August 1976 in Westberlin soll um 20.00 Uhr am Olivaerplatz beginnen, über den Kurfürstendamm führen und vor dem Reichstagsgebäude mit einer sogenannten Großkundgebung enden, auf der u. a. der CDU-Generalsekretär Biedenkopf und der Renegat Amalrik sprechen werden. Die Westberliner CDU-Abgeordnete Dr. Ursula Besser hat Schütz und alle Mitglieder des Westberliner Abgeordnetenhauses aufgerufen, an einer »gemeinsamen Kundgebung« teilzunehmen.1
Am 13. August 1976 soll außerdem bereits um 10.00 Uhr am »Mahnmal« auf dem Steinplatz in Westberlin eine Hetzveranstaltung stattfinden. Als Sprecher sind vorgesehen Peter Lorenz (Westberliner CDU-Vorsitzender), Roman Legien (Bezirksbürgermeister von Charlottenburg) und Friedrich Reinhardt (Westberliner Vorsitzender der »Vereinigung der Opfer des Stalinismus«).2
Vor der Hetzveranstaltung wollen der Regierende Bürgermeister von Westberlin, Schütz, und der Westberliner FDP-Vorsitzende, Lüder, am »Mahnmal« einen Kranz niederlegen. An Kranzniederlegungen in Westberlin will sich auch eine Abordnung des Bundesvorstandes der »Aktionsgemeinschaft Vierte Partei«3 beteiligen, die sich zu diesem Zweck am 13. August 1976 von der BRD aus auf dem Luftweg nach Westberlin begeben würde.
Weiterhin ist von der CDU – neben der Teilnahme an Kranzniederlegungen in den Westberliner Stadtbezirken – ein Auto-Korso durch das Stadtzentrum Westberlins geplant.
Der »Bund Freies Deutschland«4 veranstaltet am 15. August 1976 um 10.00 Uhr in der Westberliner Kongresshalle eine Hetzkundgebung, auf der Matthias Walden (Chefkommentator des SFB) auftreten wird. In der Hetzveranstaltung sollen auch Hetzreportagen des RIAS und Hetzfilme über die Errichtung des antifaschistischen Schutzwalls 1961 vorgeführt werden.
Die »Vereinigung der Ost- und Mitteldeutschen in der CDU/CSU« in Schleswig Holstein führt am 13. August 1976 in Lübeck eine sogenannte Großkundgebung durch. Als Sprecher ist u. a. der Renegat Pachmann vorgesehen.
In Bremen und Kiel will die Junge Union jeweils eine »symbolische Berliner Mauer« errichten. In Kiel soll die »Mauer« von vier als Volkspolizisten verkleideten Personen »bewacht« werden.
Das dänische »Sacharow-Komitee«5 und die Westberliner »Arbeitsgemeinschaft 13. August e. V.«6 haben gemeinsam die Veranstaltung eines »Hearing« am 12. August 1976 in Kopenhagen (im Hotel d’Angleterre) über die angebliche Verletzung der Menschrechte in der DDR und die Übergabe einer entsprechenden »Dokumentation« an die Presse sowie an »Gäste« der Hetzveranstaltung vorbereitet.
Für den Inhalt dieser 35-seitigen »Dokumentation« mit dem Titel »15 Jahre Mauer – Menschenrechtsverletzungen der DDR seit dem 13. August 1961« sind u. a. kennzeichnend:
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Intensive Hetze gegen die Maßnahmen der DDR zur Sicherung ihrer Staatsgrenzen (»Schießbefehl«, Selbstschussgeräte, sogenannte Grenztote, Befehle für den Grenzdienst),
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Versuche, Sicherungsmaßnahmen der DDR als »im Widerspruch zum Völkerrecht stehend« darzulegen,
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ausführliche Übersichten über »Fluchten« aus der DDR (hetzerische Texte und graphische Darstellung),
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Hetze um die »politischen Gefangenen« und ihre Behandlung in der DDR sowie insgesamt gegen den Strafvollzug (einschließlich Übersichten und Schilderung sogenannter Einzelschicksale),
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ein »Appell an die internationale Öffentlichkeit« im Sinne der Diffamierung der Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR und mit der Forderung nach einer »Generalamnestie« für »politische Häftlinge« in der DDR.
Weiter ist bekannt, dass die Junge Union Westberlins ebenfalls eine »Dokumentation« herausgeben will. Sie soll am Vorabend des 13. August 1976 im Rahmen einer Pressekonferenz, an der auch der CDU-Vorsitzende Kohl teilnehmen soll, veröffentlicht werden.
Nach vorliegenden internen Hinweisen beabsichtigen auch maoistische Kräfte Westberlins, insbesondere die »KPD«7 und die »KPD/ML«8, Hetzkundgebungen sowie Grenzprovokationen durchzuführen.9 Für den 13. August 1976, ab 17.00 Uhr sind seitens der »KPD« und der »KPD/ML«in Westberlin eine gemeinsame Hetzdemonstration vom Nettelbeckplatz an die Staatsgrenze der DDR/Bernauer Straße und das Anbringen von Hetzschmierereien an den Grenzsicherungsanlagen geplant.
Im Hinblick auf die »Sternfahrt« vom Gebiet der BRD nach Westberlin sind mögliche Versuche der Organisatoren in Rechnung zu stellen, eine größere Anzahl von Bussen (unter Umständen bis zu 20 mit mehreren Hundert Teilnehmern) als Konvoi zusammenzustellen und in Kolonne auf Transitwegen der DDR (Straße) fahren zu lassen.
Bei Zurückweisung der Busse und im Zusammenhang mit dem dadurch möglicherweise entstehenden Fahrzeugstau kann es seitens Teilnehmern der Sternfahrt zu Provokationen und Gewalttätigkeiten kommen, die es mit erforderlichen geeigneten Mitteln abzuwehren gilt.
Seitens der Organisatoren ist Helmstedt als Haupttreffpunkt vorgesehen. Es ist jedoch auch damit zu rechnen, dass eine bestimmte Anzahl von Teilnehmern der Sternfahrt die Grenzübergangsstelle Hirschberg und andere für den Transitverkehr BRD – Westberlin zugelassene Grenzübergangsstellen zu passieren versucht.
Hinsichtlich der Grenzübergangsstelle Hirschberg ist dabei zu berücksichtigen, dass die Abfertigung des grenzüberschreitenden Verkehrs in einer Entfernung von ca. 1 400 m von der Staatsgrenze zur BRD erfolgt, mögliche Vorkommnisse im Zusammenhang mit der eventuellen Zurückweisung von BRD-Teilnehmern also bereits tief im DDR-Territorium geschehen würden.