Lebensumstände von in die Bundesrepublik ausgereisten DDR-Künstlern
19. Oktober 1977
Information Nr. 636/77 über die Situation und soziale Lage ehemaliger Kulturschaffender der DDR, die in die BRD, nach Westberlin und andere kapitalistische Staaten übergesiedelt sind bzw. von Auslandsaufenthalten nicht wieder in die DDR zurückkehrten
Im Folgenden wird aus noch unvollständigen Berichten sowie aus intern vorliegenden Hinweisen eine Darstellung der Situation und sozialen Lage einer Reihe ehemaliger Kulturschaffender der DDR, die in die BRD oder nach Westberlin übergesiedelt sind (bzw. von Auslandsaufenthalten nicht wieder in die DDR zurückkehrten), gegeben. In diesem Material wurden auch Veröffentlichungen westlicher Massenmedien verwendet, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich einzelne Veröffentlichungen widersprechen und z. T. – wie auch interne Hinweise – auf subjektive Betrachtungsweisen Einzelner stützen.
Nach vorliegenden Erkenntnissen weist die Entwicklung nach der erfolgten Übersiedlung und derzeitige Stellung ehemaliger Kulturschaffender der DDR in der BRD und Westberlin bestimmte Gemeinsamkeiten auf. Sie bestehen im Wesentlichen darin:
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Alle Personen wurden durch den Gegner benutzt, um sie massiv in die antikommunistischen Angriffe und Verleumdungskampagne gegen den real existierenden Sozialismus einzubeziehen und als Beweis für die angeblich gescheiterte Kulturpolitik des VIII. und IX. Parteitages unserer Partei1 und die »Schwäche der Führung der DDR« anzuführen.
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Graduell unterschiedlich ließ das Interesse feindlicher Massenmedien relativ schnell nach, sobald die publizistische »Ausschlachtung« keine neuen Akzente mehr setzen konnte und nachlassendes Interesse beim Leser bzw. Hörer befürchtet werden musste. (»Vorwärts« vom 8.9.1977: »Des eiligen Vergessens nach anfänglich überproportionalem Rummel können die Ausgebürgerten sicher sein.«)2 In dem Maße, wie das geschah, versuchte der Gegner, neue »Fälle« zu schaffen, wie das an den Beispielen von Manfred Krug und Sarah Kirsch sichtbar wurde und bei Hans Joachim Schädlich derzeitig der Fall ist.
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Alle Personen, die nach dem November 1976 aus der DDR ausreisten, führten als Begründung für ihren Schritt angebliche Repressalien der DDR wegen ihrer Unterschrift unter Protesterklärungen gegen die Ausweisung Biermanns3 und eine angebliche Verhärtung der Kulturpolitik der DDR an.
Gemeinsam ist ihnen weiterhin, dass bis auf Ausnahmen alle Anpassungsschwierigkeiten an das politische und öffentliche Klima in der BRD und Westberlin hatten und haben.
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Die Mehrzahl dieser Personen hatte Schwierigkeiten, sich umgehend eine gesicherte materielle Existenz aufzubauen. Meist bedurfte es dazu mehrerer Monate. Bei einigen Personen ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt die materielle Lage noch nicht gesichert.
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Mehrfach wurde von ihnen die bisher fremde Gesellschaftsordnung und das für sie ungewohnte Milieu erwähnt, wobei sie betonten, dass sie große Anpassungsschwierigkeiten hätten.
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Alle übergesiedelten Personen finden es psychisch belastend, aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen worden zu sein, und es fehle ihnen besonders ihr Freundes- und Bekanntenkreis, mit dem sie sich ständig austauschen konnten.
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Die vorgefundenen kapitalistischen kommerziellen Gepflogenheiten, die Praktiken des Showgeschäftes waren ihnen vollkommen neu. Einige beklagten sich über die ungewohnt hohen Mietpreise.
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In der DDR seien sie an eine materielle und soziale Sicherstellung gewöhnt gewesen; in der BRD müssten sie dagegen schwer arbeiten, um das zu erreichen.
Konkret stellt sich die Lage bei den einzelnen Personen gegenwärtig wie folgt dar:
Biermann, Wolf, (Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR am 16.11.1976), jetzt wohnhaft in einer Mehrzimmervilla in 02 Hamburg 50, [Adresse], wird in letzter Zeit von dem BRD-Schriftsteller Günter Wallraff, der ihn nach seiner Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR vorerst aufgenommen hatte, und linksorientierten Personen aus Wallraffs Umgebung zunehmend kritisiert, weil er sich mit seiner antikommunistischen Hetze zum Sprachrohr der reaktionärsten Kräfte der BRD machte und andererseits keine Bemühungen erkennen ließ, mit künstlerischen Mitteln Stellung zur politischen Szenerie der BRD (Berufsverbote, Arbeitslosigkeit u. a.) zu nehmen. In letzter Zeit ist eine verstärkte Anlehnung von Biermann an trotzkistische Kräfte festzustellen. Aus vorliegenden Hinweisen ist zu entnehmen, dass Biermann mit seinen Auslandsauftritten (Skandinavien, Niederlande, Spanien, Griechenland, Italien u. a.) einer derartigen Stellungnahme auszuweichen versuchte und dem nachlassenden Öffentlichkeitsinteresse in der BRD begegnen wollte. Gegenwärtig sieht er in einer noch vorhandenen Anhängerschaft unter Jungsozialisten4, Falken5 und sog. spontanen Linken6 eine Chance, die Öffentlichkeit weiterhin für seine Person zu interessieren.
Dieser Zielstellung sollen dienen:
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geplante Auftritte während einer Tournee durch die BRD, teilweise gemeinsam mit Eva-Maria Hagen (Ausreise aus der DDR am 28.3.1977) sowie geplante Veranstaltungen in anderen kapitalistischen Ländern;
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eine Anfang September erschienene Langspielplatte mit Kinderliedern,7 die Biermann noch in der DDR erarbeitet hatte;
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die Durchführung gemeinsamer Liederabende mit Eva-Maria Hagen.
Biermann stellte weiterhin Überlegungen an, zusammen mit Eva-Maria Hagen in Hamburg ein Ensemble mit weiteren ehemaligen DDR-Bürgern aufzubauen, das vom Programm her einem Theater entsprechen soll.
Vorliegenden Informationen zufolge zeigt sich in den verschiedensten Kreisen in der BRD eine spürbare Ablehnung und auch ein wachsendes Desinteresse unter linken Gruppierungen und Kräften gegenüber der Person des Biermann. Diese Entwicklung findet ihren Ausdruck in
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der immer deutlicher hervortretenden Tendenz zur Kommerzialisierung seiner Tätigkeit und in dem dabei sichtbar werdenden Widerspruch zu seiner Selbstbezeichnung als »Kommunist«;
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teilweise beleidigenden Angriffen Biermanns gegen führende Persönlichkeiten in der BRD und anderen kapitalistischen Staaten, und als Reaktion darauf verstärkte Angriffe der Presse gegen seine Person;
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öffentlichen Behauptungen Biermanns, in die BRD übergesiedelte ehemalige DDR-Künstler fänden ungenügende staatliche und gesellschaftliche Unterstützung.
Nach weiter vorliegenden Hinweisen hat Biermann in der Folgezeit seine Zustimmung für Auftritte grundsätzlich von der Höhe des Honorars abhängig gemacht. Auftrittsersuchen von einzelnen Gruppen ohne besondere finanzielle Möglichkeiten lehnte er grundsätzlich ab.
Nachdem Biermann Kenntnis erhielt, dass sein geplanter Auftritt auf einer SPÖ-Veranstaltung am 3.9.1977 in Wien praktisch eine Konkurrenzveranstaltung zu dem gleichzeitig stattfindenden Pressefest des KPÖ-Zentralorgans »Volksstimme« darstellt, erhob er die kategorische Forderung nach einem Honorar von 10 000 DM. Dies wurde ihm zugesagt.
Von Journalisten zur Rede gestellt hinsichtlich seiner Selbstbezeichnung als »Kommunist« und im Widerspruch dazu stehend sein Auftritt für die SPÖ als »Zugpferd wirkend gegen die KPÖ«, wurde Biermann ausfällig und vertrat die Auffassung, dass dies ausschließlich seine eigene Angelegenheit wäre und nichts mit seiner Gesinnung als »Kommunist« zu tun habe. Auf eine Diskussion zur finanziellen Seite ließ er sich nicht ein und lehnte eine Antwort strikt ab.
Biermann soll derzeitig Überlegungen anstellen, ob er die von ihm für den Herbst 1977 geplante BRD-Tournee überhaupt antrete, da die ihm bisher vorliegenden Angebote in finanzieller Hinsicht nicht seinen Vorstellungen entsprechen würden. Einige Veranstalter, die früher auf einen Vertrag mit Biermann eingegangen seien, zeigen kein Interesse mehr an einer Biermann-Veranstaltung.
Verärgert zeige sich Biermann über das Desinteresse der Verantwortlichen der Stadt Hamburg an gemeinsamen Auftritten mit der Eva-Maria Hagen. Die Forderung Biermanns, bei gemeinsamen Veranstaltungen für die Hagen ein Honorar von 2 500 DM pro Auftritt zu zahlen, sei abgelehnt worden mit der Begründung, für sie bestehe kein öffentliches Interesse.
Auf die für Biermann zunehmend spürbare Ablehnung in den verschiedensten Kreisen in der BRD und das wachsende Desinteresse auch in linken Kreisen reagiert er mit wachsender Aggressivität. Die auch in der Öffentlichkeit immer deutlicher werdende Arroganz, Überheblichkeit und Egozentrik Biermanns zeigt sich im Ergebnis von Gesprächen mit Mitterrand und Kreisky. Während Mitterrand von Biermann als »Kultureierkopf« und »penetranter Antikommunist« bezeichnet wurde, charakterisierte er Kreisky als Antikommunisten, mit dem nicht vernünftig zu reden sei; die Republik Österreich nannte Biermann einen »ökonomischen Wurmfortsatz der BRD-Konzerne«. Diese bekannt gewordenen Äußerungen trugen ihm heftige Angriffe durch die Presse ein. Seine Reaktionen waren verletzend und überheblich wie kaum vorher gegenüber Pressevertretern.
Weiteren Äußerungen Biermanns ist zu entnehmen, dass die BRD den ehemaligen DDR-Künstlern nicht genügend Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommen lasse. Biermann fühle sich deshalb moralisch verpflichtet, sich für alle in der letzten Zeit in die BRD bzw. nach Westberlin übergesiedelten DDR-Künstler einzusetzen und diese mit allen Mitteln zu unterstützen. Nach eigenen Angaben stelle er diesen Künstlern größere finanzielle Mittel zur Verfügung, da sie für ihn eingetreten und wegen ihm in diese Situation gekommen seien.
Internen Hinweisen zufolge wolle Biermann Aktivitäten entwickeln, einen großen Teil jetzt in der BRD lebende ehemalige DDR-Künstler in einem »organisierten Kreis« zusammenzuschließen. Notwendig sei das nach seiner Meinung aus folgenden Gründen:
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sie würden alle mit großer Wahrscheinlichkeit in der BRD »an den politischen Verhältnissen kollidieren«, deshalb sei für sie eine Art »politisches Zuhause« erforderlich;
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dieses »Zuhause« solle ihnen eine politische Kommunikation ermöglichen, an die sie aus ihrer DDR-Zeit gewöhnt seien;
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es solle ihnen eine gewisse materielle Sicherheit geschaffen werden, die seit ihrer Übersiedlung nicht mehr wie vorher gegeben sei;
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die ehemaligen DDR-Bürger sollten sich nach Ansicht Biermanns nicht gesellschaftlich und politisch in die BRD integrieren; sie sollten weiterhin als eine Art »geistige Heimatvertriebene« gelten und sich als »Exil-Schriftsteller« fühlen, die auf den Tag »X« warten, um die von ihnen propagierten »kommunistischen Ideale« in einer »besseren« DDR realisieren zu können.
Trotz bestehender Differenzen zwischen Biermann und Wallraff wolle Biermann versuchen, Wallraff für seine »Pläne« auszunutzen und habe ihn aufgefordert, einen »Gründungsaufruf« zu unterstützen. Wallraff habe sich jedoch bisher ablehnend verhalten.
Bezug nehmend auf seine Absicht der »Sammlung« dieser Künstler in der BRD äußerte Biermann jedoch in letzter Zeit Zweifel an der Realisierbarkeit eines solchen Vorhabens. Zunehmend sei es in jüngster Zeit zu Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen Künstlern gekommen. Die Periode der Anpassung verlaufe zu unterschiedlich, und die subjektive Verarbeitung der vorgefundenen Bedingungen vermehre die Reizbarkeit in Streitgesprächen.
Ein gutes Verhältnis habe Biermann dagegen zu Pannach8 und Kunert9, die er in Westberlin mit empfangen und seitdem auch mehrmals gesprochen habe. Biermann beabsichtigte, sich bei der Schallplattenfirma CBS für sie und einige übersiedelte DDR-Bürger einzusetzen.
Biermann ist weiterhin um ein künstlerisches Engagement für die Nina Hagen bemüht. Durch seine Vermittlung hatte sie einen Vertrag bei der CBS erhalten. Die beabsichtigte Langspielplatte ist bisher jedoch noch nicht erschienen […]
Nach Berechnungen und Schätzungen verschiedener BRD-Zeitschriften (die jedoch widersprüchliche Angaben enthalten) hat Biermann seit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR mindestens 500 000 DM verdient.
Er hat in Hamburg ein Haus (laut BRD-Zeitungsmeldungen für 350 000 DM) erworben, in dem er gegenwärtig mit seiner Ehefrau Christine lebt und in das er auch Eva-Maria Hagen aufgenommen hat. […] Außer gelegentlichen Auftritten mit Biermann hat die Hagen keine anderen Erwerbsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten, sich anderweitig künstlerisch zu betätigen. (Die Auftrittsmöglichkeiten von Eva-Maria Hagen sind noch dadurch eingeschränkt, dass ein Heft mit für sie bestimmten handschriftlichen Texten Biermanns aus dem Auto gestohlen wurde.)
Biermann lebt nach eigenen, in westlichen Presseorganen publizierten Äußerungen ständig in Angst, da er laufend Morddrohungen sowie anonyme Anrufe und Briefe erhalte. Aus diesem Grunde habe er um Polizeischutz nachgesucht.10
In der letzten Zeit zeichnet sich eine deutliche Verbesserung und Intensivierung des persönlichen Verhältnisses zwischen Biermann und solchen trotzkistischen Kräften wie Heinz Brandt11 und Jakob Moneta12 ab, was in häufigen gegenseitigen Besuchen zum Ausdruck kommt. Öffentliche Auftritte Biermanns in Verbindung mit den durch diese Personen vertretenen Frankfurter bzw. Bochumer Initiativen13 wurden bisher nicht bekannt. Nach eigenen Angaben Biermanns verbindet ihn mit beiden Personen »ein gutes persönliches Verhältnis«. Angeblich sei für ihn keine Absicht der Ausnutzung erkennbar. Er habe beiden erklärt, er wolle sich nicht durch rechte Kräfte ausnutzen lassen.
Biermann, Christine (Ausreise aus der DDR am 24.3.1977), jetzt wohnhaft in Hamburg bei Biermann, Wolf, führt ab Herbst 1977 an der Universität Hamburg ihr Medizinstudium weiter, nachdem sie dort auf Betreiben Biermanns im August 1977 Prüfungen abgelegt hatte. Im Rahmen des Studiums wolle sie demnächst in Paris eine 6-monatige Famulatur übernehmen.
Biermann, Christine, zeigt sich in einer Reihe von Gesprächen begeistert von in der BRD vorhandenen Reisemöglichkeiten. Sie betont wiederholt, dass sie sich in Hamburg sehr wohl fühlt. Gleichzeitig erklärte sie, mit der politischen Situation in der BRD, der »Kälte in den zwischenmenschlichen Beziehungen«, der »Selbstsucht«, könne sie nur schwer fertig werden.
Sie habe – nach eigenen und nach Äußerungen Biermanns – zunehmend »Sehnsucht« nach ihrem in der DDR lebenden Vater sowie nach ihrem ehemaligen Umgangs- und Bekanntenkreis, und das Kind sei »ihr letzter Halt«.
[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
Havemann, Sibylle (Ausreise aus der DDR am 11.2.1977), nach Ausreise wohnhaft bei Biermann, Wolf, in Hamburg, jetzt wohnhaft in einer Kleinstwohnung in Hamburg, ab Herbst voraussichtlich in Westberlin, hat sich vor einiger Zeit aus Biermanns Wohnung (wo sie seit ihrer Ausreise lebte) zurückgezogen und hat in der Nähe eine eigene kleine Wohnung bezogen. [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.] Nach eigenen Äußerungen bereite sie die Herausgabe einer Schallplatte mit Liedern und Texten von Jürgen Fuchs und Gerulf Pannach vor.14
Biermann habe mithilfe des Senats von Hamburg erreicht, dass sie vorläufig als Studentin der Sprachwissenschaft immatrikuliert wurde. […]
Sibylle Havemann habe den festen Willen, ihr Psychologiestudium auf jeden Fall weiterzuführen. Kontakte Biermanns mit der Goethe-Universität Frankfurt/M. hätten diesbezüglich positive Ergebnisse – vor allem hinsichtlich der Anerkennung ihres in der DDR bisher absolvierten Studiums – gebracht. In jüngster Zeit ist auch eine Weiterführung des Studiums in Westberlin im Gespräch. Biermann habe sich für die Aufnahme eines Studiums der Sibylle Havemann in Westberlin ausgesprochen. Er wolle sich dann auch regelmäßig in Westberlin aufhalten und diese Aufenthalte zu Treffen mit den dorthin übergesiedelten ehemaligen DDR-Künstlern nutzen.
[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
Aus ihren Äußerungen zur persönlichen Situation wird eine gewisse Enttäuschung über ihre gegenwärtige Lage sichtbar, in der die Bedenken ihres Vaters zu ihrer Ausreise anerkannt werden. Sie äußerte intern, sie würde gern besuchsweise in die Hauptstadt der DDR einreisen, sieht jedoch dafür keine reale Chance.
(Bedenken ihres Vaters gab es vor ihrer Ausreise in der Hinsicht:
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sie werde aus der gewohnten Umgebung gerissen, der Freundes- und Bekanntenkreis wird fehlen,
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das neue Milieu, die andere Gesellschaft und Umgebung werden ungewohnt sein, sie wird Anpassungsschwierigkeiten haben,
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ihr Platz sei in der DDR, um hier in seinem (ihrem) Sinne zu wirken […])
Hagen, Nina (Ausreise aus der DDR am 10.12.1976), wohnhaft Hamburg 55, [Adresse], zeitweise aufenthältlich in London, hat sich, nachdem sie nach ihrer Ausreise aus der DDR zunächst von Wolf Biermann aufgenommen worden war, in Hamburg als ständigen Wohnsitz eine kleine Wohnung gemietet. Sie wird häufig von Christine Biermann besucht.
Nachdem ihr durch Wolf Biermann ein Schallplattenvertrag mit CBS vermittelt worden war, ist anzunehmen, dass sie durch Voraus-Honorare erste bescheidene finanzielle Einkünfte hat. Die beabsichtigte Langspielplatte ist bisher jedoch noch nicht erschienen […]
Die Situation der Hagens (Nina und Eva-Maria) wird von dem [Beruf, Vorname Name], der als DDR-Bürger mit gültigem Pass in die BRD ausreisen konnte, so charakterisiert, dass sie »dämlich quatschen über ihre angeblich erlangte Freiheit« und keinerlei Ambitionen zeigten, um eine »Arbeit aufzunehmen oder etwa Nützliches in ihrem Beruf zu leisten«. Von derartigen »Idioten und Typen« würden er und Manfred Krug, mit dem er in Verbindung steht, sich distanzieren.
Fuchs, Jürgen, und die Mitglieder der ehemaligen Renft-Combo Pannach, Gerulf, Kunert, Christian (Ausreise aus der DDR dieser drei Personen am 26.8 1977; aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen und nach Westberlin übergesiedelt; alle drei wohnhaft in Westberlin unter besonderer Fürsorge von Schwenger, Vorsitzender »Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus«)15 ließen nach ihrer Entlassung in die BRD über das »Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus« in Westberlin eine Erklärung verbreiten. Darin betonen sie, »unfreiwillig und unter Druck des MfS« in die BRD gegangen zu sein und bringen provokatorisch »ihre Sorge um das Leben von Havemann und Bahro« zum Ausdruck.16
Anlässlich ihrer Entlassung in die BRD war Biermann nach Westberlin geflogen, um sich mit ihnen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Über die weiteren Pläne und Absichten dieser drei Personen liegen gegenwärtig noch keine Hinweise vor.
Fuchs erhielt während der Untersuchungshaft im Mai 1977 den mit 5 000 DM dotierten »Internationalen Pressepreis« der Buchmesse von Nizza. Außerdem erschien bereits im Februar 1977 in der BRD sein Machwerk »Gedächtnisprotokolle« zusammen mit Liedern von Pannach.17
Jentzsch, Klaus, ehemaliger Leiter der Renft-Combo, Meißen,18 (Ausreise aus der DDR am 30.5.1976), jetzt wohnhaft in Berlin-Schöneberg (in einem Miets-Hinterhaus), lebt gegenwärtig in Westberlin in bescheidenen Verhältnissen. Es ist ihm bisher nicht gelungen, eine neue Kapelle aufzubauen. BRD-Massenmedien räumen ihm dafür unter den Bedingungen der kommerzialisierten Unterhaltungsbranche auch wenig Chancen ein. Seinen Unterhalt begleicht er durch Programmgestaltungen von Tanzmusiksendungen beim RIAS (ca. 1 000 DM pro Monat).
Am 12.8.1977 brachte die ARD unter dem Titel »Saitenwechsel« einen Film über Jentzsch und dessen Schwierigkeiten, in der BRD und Westberlin in der Unterhaltungsszene Fuß zu fassen.19
Jentzsch und Biermann leben zzt. in vor der Öffentlichkeit ausgetragenem Streit. Biermann hatte Jentzsch öffentlich vorgeworfen, er hätte nach dem »Verbot« der Combo deren Mitglieder durch seine Übersiedlung nach Westberlin im Stich gelassen. Jentzsch seinerseits forderte Biermann auf, diese Behauptung öffentlich zurückzunehmen.
Wunder-Ufholz, Christiane (Ausreise aus der DDR im Dezember 1976), jetzt wohnhaft in Westberlin, die in der DDR mehrfach mit Klaus Jentzsch zusammengearbeitet hatte, ist bisher lediglich mit einem Interview in Erscheinung getreten, in dem sie darlegte, dass es ihr aufgrund fehlender Beziehungen und Eingewöhnungsschwierigkeiten bisher nicht gelungen ist, als Sängerin in Westberlin Fuß zu fassen.
Nach Veröffentlichungen westlicher Massenmedien lebt Christiane Wunder-Ufholz mit ihrem Sohn in einer Kleinst-Altbauwohnung in Westberlin und bezieht Arbeitslosenunterstützung.20
Brasch, Thomas (Ausreise aus der DDR am 11.12.1976 mit Reisepass der DDR, gültig bis 8.12.1978), jetzt wohnhaft in Westberlin, und seine Lebensgefährtin Thalbach, Katharina (Ausreise am gleichen Tag), lebt mit Brasch in Westberlin zusammen, fühlten sich nach eigenen Äußerungen nach ihrer Ausreise nach Westberlin dort wie »Fremdlinge« und sahen sich finanziellen Problemen gegenübergestellt.
Es ist jedoch einzuschätzen, dass Brasch es von den in die BRD bzw. nach Westberlin ausgereisten Personen bisher am besten verstanden hat, für seine finanziell-materielle Sicherstellung zu sorgen und sich ein Image als ernsthafter, produktiver Künstler zu schaffen.
In den verschiedensten Interviews (bei denen seine Herkunft und Entwicklung stets herausgehoben wurden) wich Brasch Fragen nach seinem politischen Standpunkt stets aus und betonte demagogisch, er sei Schriftsteller und betrachtete und interpretiere lediglich als solcher seine Umwelt – unabhängig von deren politischer Struktur.
Nachdem in geringer Auflage im Westberliner Klaus Wagenbach Verlag sein Buch »Vor den Vätern sterben die Söhne«21 erschienen war, wechselte Brasch zum Suhrkamp-Verlag Frankfurt/M. über. Er begründete – auch in Interviews – diesen Schritt damit, im Wagenbach Verlag hätte man ihn in seinem Auftreten auf »linke Positionen« festlegen wollen.
Im Suhrkamp-Verlag erschien im August Braschs Buch »Kargo 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu kommen« (199 Seiten, 18,00 DM). Die wohlwollenden Besprechungen dieses Werkes in BRD-Medien22 heben Braschs literarisches Talent und seinen sicheren Umgang mit in der DDR »verpönten« westlichen Techniken und Stilmitteln hervor und betonen seinen – durch »DDR-Erfahrungen geprägten – eigenständigen literarischen Weg«.
Brasch erhielt nach eigenen Angaben im April 1977 ein einmaliges Stipendium in Höhe von 5 000 DM, das (lt. Westpresse) als Teil des vom Hamburger Senat jährlich verliehenen Lessing-Preises für junge Künstler anzusehen sei. (Den diesjährigen Lessing-Preis erhielt der BRD-Schriftsteller Jean Amery, das Stipendium Brasch.)
Kürzlich beendete Brasch eine Vortragsreise in die USA und erhielt nach eigenen Angaben das Angebot zu einer auf sechs Monate beschränkte Professur in den USA. Darüber hinaus arbeitet er im Auftrag des Stuttgarter Theaters an einer Bühnenfassung einiger Teile des Buches »Vor den Vätern sterben die Söhne«. In Westberlin (»Staatliche Bühnen«)23 wurde im September 1977 sein Theaterstück »Lovely Rita« mit Katharina Thalbach in der Hauptrolle aufgeführt. An einem weiteren Theaterstück für die »Staatlichen Bühnen« Westberlins würde er auftragsgemäß arbeiten.
Nach eigenen Äußerungen hat er das Angebot erhalten, für zwei in Westberlin geplante Filme die Drehbücher zu schreiben. Die finanziellen Angebote dafür würden bei ca. 2,5 Mio. DM liegen.
Brasch hofft, dass der DDR-Dramatiker Heiner Müller, den er bei seinen Einreisen in die Hauptstadt regelmäßig aufsucht, um sich über die Lage im kulturellen Bereich zu informieren, die Drehbücher nach Fertigstellung begutachtet und einschätzt. Er hat außer mit Katharina Thalbach auch mit Manfred Krug und Ingolf Gorges (Ausreise aus der DDR am 9.3.1977/1 Berlin 19, [Adresse]), gesprochen, um sich deren Zustimmung zu sichern, in den Filmen mitzuwirken. Gegenüber den Produzenten der vorgesehenen Filme will Brasch durchsetzen, dass sie mit den genannten Personen entsprechende Verträge abschließen.
Es geht ihm vor allem auch darum, dass Ingolf Gorges sich betätigen kann. Gorges hätte nach Äußerungen von Brasch gegenwärtig erhebliche finanzielle Schwierigkeiten und lebe praktisch nur von der Arbeitslosenunterstützung. Brasch habe deshalb von seinem Honorar der USA-Vortragsreise Gorges eine größere Unterstützung zukommen lassen. Er wolle diese Unterstützung fortsetzen, bis es dem Gorges finanziell-materiell besser geht. (Gorges sei nach eigenen Äußerungen durch »bestimmte Dienststellen« in Westberlin zu seinen ehemaligen Verbindungspersonen in der DDR ausführlich vernommen worden und habe eine Sofortunterstützung von 30 000 DM erhalten.)
Es hat den Anschein, dass Brasch voll in die Kulturszene integriert ist und keine materiell-technischen Probleme hat.
In einem internen Gespräch äußerte die in Westberlin wohnhafte Sarah Kirsch (Ausreise aus der DDR am 28.8.1977) nach Zusammentreffen mit Brasch, sie kenne ihn nicht wieder, sein ganzes Auftreten und Verhalten sei stark arriviert. Seine Wohnung sei hervorragend eingerichtet und alles zeuge von Geld und Besitz. In seinem Verhalten habe Brasch stark überhebliche Züge angenommen.
Für Katharina Thalbach ist die Übernahme der Hauptrolle in dem Theaterstück »Lovely Rita« in den »Staatlichen Bühnen« Westberlin die erste künstlerische Betätigung in Westberlin. Ihr künstlerisches Talent wurde in BRD-Massenmedien hervorgehoben; sie erhielt am 1.2.1977 einen Vertrag mit den »Staatlichen Bühnen« Westberlin bei monatlich 2 000 DM Gage. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits geäußert, Arbeitslosenunterstützung beantragen zu wollen. Gegenwärtig hat die Thalbach außer der o. g. keine anderen Rollen in Aussicht.
Krug, Manfred (Ausreise aus der DDR am 20.6.1977), jetzt wohnhaft in Berlin 41, [Adresse]. Krug ist außer einer Zusage für die Hauptrolle in einem Film, der in Westberlin ab Herbst 1977 gedreht werden soll, bisher noch keine vertragliche Verpflichtung eingegangen. Einige kleinere Angebote zu Auftritten im Rahmen von Chansonabenden hatte er meist abgelehnt mit der Begründung, sich zunächst in seiner neuen Umgebung einleben zu müssen. Auch einige Angebote zur Übernahme von Film- bzw. Theaterrollen lehnte er ab, offensichtlich in dem Bestreben, damit Gagenangebote in die Höhe zu treiben. (In der DDR hatte er »Müßiggang« und angeblich fehlende attraktive Angebote in den ersten Monaten des Jahres 1977 nach eigenen Angaben nicht ertragen können.)
Krug ist eifrig bemüht, sich umfassende Kenntnisse über kommerzielle Praktiken im Unterhaltungsgewerbe der BRD anzueignen, um für sich die bestmöglichen Vertragsabschlüsse zu erzielen. Nach internen Hinweisen hat Krug aus eigener Initiative dem BRD-Sender »Deutschlandfunk« den Vorschlag unterbreitet, aus dem in der BRD erschienenen Buch von Hans Joachim Schädlich »Versuchte Nähe«24 zu lesen. Nach Vorstellungen Krugs sollte eine derartige Lesung vom »Deutschlandfunk« übertragen werden, weil dieser Sender überall in der DDR gut empfangen werde und damit viele DDR-Bürger erreichen würde. Die Lesung fand am 6.10.1977, in der Zeit 10.05 bis 10.30 Uhr, im Rahmen der Senderreihe »Die Leseprobe« statt. Krug las aus dem Buch von Schädlich die Geschichten »Tibaos«, »Apfel auf silberner Schale« und »Letzte Ehre großem Sohn«, in denen in besonders massiver Form die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR und der UdSSR diskriminiert werden.25
Internen Hinweisen zufolge ist Krug bemüht, gegenüber Rückverbindungen in die DDR eine solche Selbstdarstellung seiner Person zu geben, die nur den Schluss zulässt, es gehe ihm gut und er könne den vielen Rollenangeboten gar nicht nachkommen. Er entwickelte auch umfangreiche Konzeptionen, nach denen er in das Schallplattengeschäft der BRD, evtl. sogar als Verleger »einsteigen wolle«. Er betonte mehrfach, dass er mit der DDR gute und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen herstellen wolle.
Schwierigkeiten hat Krug immer noch mit der Beschaffung einer seinen anspruchsvollen Anforderungen bezüglich Größe und Beschaffenheit entsprechenden Wohnung. Dadurch ist das Umzugsgut zum großen Teil noch nicht ausgepackt. (In Anspielung auf das umfangreiche Umzugsgut der Familie Krug meldeten auch westliche Massenmedien unter der Überschrift »Kein Platz für Oldtimer Manfred Krugs«, diese seien noch immer – im September – ohne Pflegeleistungen in einer alten Scheune untergebracht.)26
Die mit nach Westberlin übergesiedelte Haushälterin Frau Engel äußerte im internen Kreis zur derzeitigen Lage der Familie Krug: Die Kinder vor allem hätten noch keine Beziehung und Bindung zu ihrer Umwelt gefunden. Der älteste Sohn würde in der Schule als »Kommunistenschwein« beschimpft. […] Familie Krug und auch sie selbst seien zur alliierten Stadtkommandantur in Westberlin bestellt worden. Dort hätten sie – da sie kein Aufnahmelager durchlaufen brauchten – Fragebögen ausfüllen müssen. Sie seien ausdrücklich darauf hingewiesen worden, Kontakte zu Biermann zu vermeiden. Es sei ihnen erklärt worden, Kontakte zu Biermann seien nicht gut für sie.
In einem internen Gespräch brachte Krug zum Ausdruck, er würde sich nicht wieder für Biermann einsetzen. (Die Quelle dieses Hinweises schätzte ein, dass diese Äußerung Krugs ernst zu nehmen sei.)
Das Verhalten Biermanns in der BRD entspreche nicht dem, was sich Krug von ihm erhofft hatte; es sei widersprüchlich und stimme nicht mit dem überein, was er in seinen Balladen getextet habe. Biermann habe die Familie Krug während eines Westberlin-Aufenthaltes aufgesucht. In Anbetracht der derzeitigen Wohnverhältnisse Krugs (noch nicht eingerichtet, umherstehendes Umzugsgut) sei er arrogant, belehrend und anmaßend aufgetreten, was in der Äußerung gegipfelt habe: »Ihr habt in der DDR lange genug wie die Fürsten gelebt, nun könnt Ihr mal sehen, wie es den einfachen Menschen geht.«
Kunze, Reiner (Ausreise aus der DDR am 13.4.1977), nach seiner Ausreise zunächst wohnhaft in Stockhausen bei München, jetzt ansässig bei Passau, trat nach seiner Übersiedlung in ersten Stellungnahmen und Interviews in bekannter antikommunistischer Weise in Erscheinung und beschuldigte die DDR des psychischen und physischen Terrors bis zur Vernichtung des Individuums.
Kunze gab an, zunächst öffentlich kaum in Erscheinung treten zu wollen und ggfs. auch literarisch inaktiv zu bleiben, um seine Übersiedlung »moralisch« zu verarbeiten. Nach ersten Stellungnahmen und Interviews unmittelbar nach seiner Übersiedlung liegen keine öffentlichen Äußerungen von ihm vor.
Obwohl gegenwärtig kein Zusammenwirken Kunze – Biermann bekannt ist, erklärte Kunze nach einer Lesung am 26.9.1977 in Lohr/Main, er fühle sich als »deutscher Schriftsteller«, und er und Biermann hätten stets zusammengehalten.
Ausgehend von der Tatsache, dass sich Kunze durch seine Veröffentlichungen in der BRD ein finanziell-materielles Polster geschaffen hat und durch die Verleihung des »Georg-Trakl-Preises für Lyrik 1977«/Österreich27 mit 25 000 Schilling, des »Andreas-Gryphius-Preises«28 sowie des »Georg-Büchner-Preises«29, der extra seinetwegen von 10 000 auf 20 000 DM erhöht wurde, ist einzuschätzen, dass sich Kunze keinerlei materiellen Problemen gegenübersieht.
Offensichtlich zur Vertuschung seiner guten finanziellen Lage gibt Kunze in der Öffentlichkeit demagogisch vor, eine notwendige Kur nur in Abhängigkeit von seiner finanziellen Lage antreten zu können.
Kirsch, Sarah (Ausreise aus der DDR am 28.8.1977), jetzt wohnhaft in Westberlin, noch keine eigene Wohnung, wohnt nach eigenen Angaben »bei Freunden«, hat nach ihrer Ausreise mehrfach öffentlich erklärt, dass ein »Arbeitsurlaub« für sie die einzige Voraussetzung sei, um künstlerisch weiterhin produktiv werden zu können. In ersten Stellungnahmen und Äußerungen betonte sie, in der DDR hätten für sie keine Voraussetzungen mehr bestanden, um künstlerisch arbeiten zu können. Sie instruierte Hans Joachim Schädlich, eine ihrer engsten Verbindungen, über dessen Vorgehen bei der Realisierung seines Übersiedlungsersuchens. Dazu empfahl sie ihm, falls er keine Reaktionen seitens der zuständigen staatlichen Organe zu seinem Antrag bemerke, die Westpresse zu informieren. Die Kirsch sicherte Schädlich ausdrücklich ihre Unterstützung dabei zu.
In Andeutungen in westlichen Massenmedien wurden Zweifel laut, ob der literarisch-lyrische Stil der Kirsch in der BRD/Westberlin überhaupt gefragt sei.
Nach eigenen Äußerungen der Kirsch hätten ihr Brasch und Katharina Thalbach ernsthaft vorgeschlagen, Arbeitslosenunterstützung zu beantragen. Sie erhalte zwar eine Reihe Einladungen zu Lesungen in der BRD, könne sie aber nicht wahrnehmen, da sie ihren Sohn, der inzwischen in Westberlin zur Schule geht, nicht allein lassen könne. Sie habe aber vor, demnächst in Westberlin zwei oder drei Lesungen durchzuführen, da sie Geld brauche und deswegen etwas unternehmen müsse.
Jentzsch, Bernd (Ausreise aus der DDR am 20.10.1976. Er erhielt am 19.8.1976 einen Reisepass – gültig bis 18.8.1986 – und ein Visum – befristet bis 10.2.1977 –. Am 14.1.1977 teilte er seinem Verlag »Neues Leben« schriftlich mit, dass er nicht mehr in die DDR zurückkehrt. Seine Ehefrau und sein Kind sind am 30.3.1977 in die Schweiz übergesiedelt; sie wurden gleichzeitig aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen.) Jetzt wohnhaft in Küsnacht am Zürichsee, Schweiz, hatte bis August 1977 große Schwierigkeiten, im Verlags- und Literaturleben der BRD bzw. des deutschsprachigen Raumes Fuß zu fassen.
Entgegen allen Gerüchten und Behauptungen seinerseits, wonach er sich in einer gesicherten materiellen Lage befände, gelang es ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht, sich eine gesicherte Existenz zu schaffen. Er erhielt zunächst durch die Schweizer Behörden keine Arbeitserlaubnis und scheiterte bei seinen Bemühungen, als Lektor tätig zu werden. Erst mit Beginn September 1977 gelang es ihm, sich bei dem Verlag Otto F. Walter AG, Olten/Schweiz, als Programmdirektor (entspricht der Funktion eines Cheflektors) eine Position zu schaffen. Damit hat auch Jentzsch vorerst seine finanziellen und materiellen Fragen gelöst.
Cohrs, Eberhard, die DDR ungesetzlich verlassen am 19.2.1977, jetzt wohnhaft in 1 Berlin-Zehlendorf 37, [Adresse], erlebte mit seinem ersten Auftritt in der BRD-Fernsehsendung »Am laufenden Band« einen ausgesprochenen Reinfall.30 Trotzdem wurden ihm in den Massenmedien der BRD Schlagzeilen eingeräumt. Demgegenüber wurden aber auch Kritiken laut, Cohrs bringe nicht die Qualität, die für das BRD-Showgeschäft erforderlich wäre.
Ausdruck der materiellen Unterstützung seitens offizieller BRD-Stellen ist die Tatsache, dass Cohrs trotz des miserablen ersten Auftritts vom ZDF den Auftrag erhalten hat, für verschiedene Sendungen satirische Texte zu erarbeiten, womit er für die nächsten zwei Jahre seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. (Nach widersprüchlichen Angaben seien ihm dafür monatliche Verdienste bis zu ca. 10 000 DM zugesichert worden, wobei von der Qualität dieser Arbeit sein weiterer Einsatz abhängig gemacht worden wäre.)
Geplant sei weiter eine Dialektplatte für den Bertelsmann-Verlag.31 Cohrs nimmt außerdem Aufträge zur Mitwirkung in Kleinstveranstaltungen (z. B. in Rentner-Nachmittagen) an. Bei öffentlichen Auftritten in mehreren Städten der BRD hat Cohrs beim Publikum jedoch keine Resonanz gefunden und konnte sich als Komiker nicht profilieren.
Sein Engagement am »Theater des Westens«, Westberlin (»Die tolle Rosita«), hat zwar die Popularität seiner Person wachhalten können, ändert aber nichts an der Tatsache, dass Cohrs bisher keine gesicherte Perspektive aufweisen kann.
Die »Frankfurter Rundschau« schrieb am 26.7.1977 unter der Überschrift »Über die Einsichten eines Clowns«: »… Nicht Moral will er für sich reklamieren, aber diese Fremdartigkeit macht ihm zu schaffen. In Ost-Berlin hat er gewusst, was bei seinem Publikum ankam … Die Einsichten eines Clowns münden in die Frage nach seiner Identität, und ein Zug von Verzagtheit kriecht in sein blasses Gesicht …«32
Cohrs erklärte selbst laut »Zeit-Magazin« vom 30.9.1977: »Hier muss ich eben ackern, wenn ich mir den Wohlstand erhalten will.« Außerdem meinte er, er arbeite als Volkskomiker für alle Parteien, »für die SPD, die CDU und auch für die FDP«, wenn sie es von ihm verlangen würden. »Hier muss man neutral arbeiten, und ich will meine Ruhe haben.«33
Medek, Tilo (Ausreise aus der DDR am 15.7.1977), noch keine eigene Wohnung, fand nach seiner Ausreise aus der DDR zunächst bei Freunden in Köln auf beengtem Raum Unterkunft.
Danach lebte er (laut »Welt« vom 30.8.1977) unter »bedrückenden Umständen« in Maastricht, Holland.34 Nach widersprüchlichen Meldungen soll er sich gegenwärtig wieder in der BRD – wo er sich endgültig ansiedeln will – aufhalten, und zwar im Siegerland. Seine finanziellen Verhältnisse seien so schlecht, dass Musiker aus Düsseldorf ein Spendenkonto für den »notleidenden Komponisten« eingerichtet hätten.
In einigen mit Medek geführten und in westlichen Massenmedien veröffentlichten Interviews erklärte er u. a., es sei schwer, in der BRD hochzukommen und Geld zu machen. Eigentlich seien die DDR-Künstler verwöhnt. Auftragswesen und materielle Sicherheit der Künstler in der DDR förderten Mittelmaß und Stagnation, wie die DDR überhaupt ein »Riesensanatorium für mittelmäßig begabte Menschen« sei.