Sitzung der KKL am 9./10.7.1977 in Berlin
25. Juli 1977
Information Nr. 484/77 über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen der DDR am 9./10.7.1977 in Berlin
Nach vorliegenden internen Hinweisen fand am 9./10.7.1977 in Berlin eine interne Sitzung der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen1 statt, an der bis auf Kirchenpräsident Natho, Dessau, der sich im Urlaub befindet, alle evangelischen Bischöfe der DDR teilnahmen.
Neben rein innerkirchlichen Angelegenheiten wurden folgende Probleme behandelt, die bemerkenswert erscheinen:
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Bischof Schönherr, Berlin, ging auf den Schriftwechsel des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR2 mit Genossen Honecker ein. (Der Bund hatte u. a. darum gebeten, in das Arbeitsgesetzbuch einen Passus über bezahlte Freistellung von Laien-Synodalen zur Teilnahme an Synoden aufzunehmen.)3
Im Antwortschreiben des Genossen Honecker war die Zusicherung gemacht worden, eine Passage im Gesetzbuch der Arbeit entsprechend zu ändern. (Siehe Information des MfS Nr. 170/77 vom 16.3.1977.) Schönherr empfahl in diesem Zusammenhang, ein weiteres Schreiben an Genosse Honecker zu richten, in dem der Dank für die schnelle und positive Beantwortung ausgesprochen wird. Für den Entwurf dieses Schreibens, der bis September vorgelegt werden soll, wurde eine Redaktionskommission gebildet, bestehend aus Oberkonsistorialrat Stolpe, Berlin, Pfarrer Kramer, Magdeburg, Mitglied des Vorstandes der Konferenz der Kirchenleitungen, Kolzenburg, Jurist bei der Inneren Mission, Berlin, Oberkirchenrat Mitzenheim, Eisenach, und Konsistorialpräsident Krause, Magdeburg.
Pfarrer Kramer, Magdeburg, äußerte in einem internen Gespräch zu den eigentlichen »Hintergründen« dieses Schreibens: Genosse Honecker sei auf einen Passus des Schreibens des Bundes – und zwar auf die »eigen-arbeitsrechtlichen« Regelungen der Kirche – nicht eingegangen. In dem abzufassenden Schreiben solle der Dank des Bundes ausgesprochen und »sehr verklausuliert« die Forderung nach »eigen-arbeitsrechtlichen Regelungen« erhoben werden. Die Kirche beschäftige ca. 50 000 Büroangestellte, Friedhofsarbeiter, Heizer usw., über deren Verwendung, Entlohnung und arbeitsrechtlichen Status die Kirche selbst entscheiden wolle, ohne Berücksichtigung der Vorschriften des Arbeitsgesetzbuches und ohne Einmischung und Kontrolle staatlicher Organe oder des FDGB. Aufgrund der »Kompliziertheit« einer entsprechenden Abfassung sei letztlich auch eine Redaktionskommission eingesetzt worden.
Bischof Schönherr informierte in der internen Sitzung weiter über einen ihm übersandten Beschluss des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)4 vom 7.7.1977, der Bezug nimmt auf das »Brüsewitz-Zentrum«5 in Bad Oeynhausen/BRD. In diesem Beschluss komme zum Ausdruck, der Rat der EKD sei gegen dieses »Brüsewitz-Zentrum« und sehe in dessen Aktivitäten eine Behinderung der kirchlichen Arbeit in der DDR. Der Rat der EKD stelle sich hinter die Bischöfe Schönherr und Krusche und weise die von westlichen Massenmedien gegen sie geführten Angriffe zurück. (In der BRD-Presse werfe man beiden Bischöfen DDR-Hörigkeit vor und bezeichne sie als »Ausführungsorgan der Staatssicherheit in der DDR«.) Der Rat der EKD sei der Meinung, dass beide Bischöfe die Interessen der Kirchen in der DDR gut vertreten würden.
Bischof Fränkel, Görlitz, berichtete darüber, dass bei den kirchenleitenden Organen eine ständig steigende Anzahl von »Anträgen zur Übersiedlung in die BRD« eingingen. Er halte ein Gespräch zu diesem Problem mit staatlichen Organen für unbedingt erforderlich. Die Konferenz stimmte dem zu. Es wurde festgelegt, dass Bischof Schönherr und Oberkonsistorialrat Stolpe entsprechende Sondierungsgespräche führen.
In einem weiteren Tagesordnungspunkt gab Dr. Demke, Mitarbeiter des Sekretariats des Bundes, eine Einschätzung über die Veranstaltung des Nationalrates der Nationalen Front und des Staatssekretariats für Kirchenfragen mit kirchlichen Amtsträgern und Theologen anlässlich des 60. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution am 5.7.1977 in Potsdam. (Siehe Information des MfS Nr. 432/77 vom 29.6.1977)
Er stellte u. a. fest, die Konferenz der Kirchenleitungen habe hinsichtlich der Vorbereitung und Delegierung keine Entscheidungsfreude gezeigt. Die Beiträge der Theologen seien so gestaltet gewesen, dass es zu keiner »kontroversen Sachdiskussion« gekommen sei. Über die Teilnahme und die Presseberichte sei lange diskutiert worden und die Festlegungen dazu seien nicht zufriedenstellend ausgefallen. Generell würde die Konferenz der Kirchenleitungen ihren »Spielraum« gegenüber den Gemeinden und gegenüber dem Staat unterschätzen und ihn nie voll ausschöpfen. Sie sei nur von der Sorge bestimmt, die Gemeinschaft der Gliedkirchen könnte auseinanderbrechen und verzichte deshalb auf jede kontroverse Diskussion. Das Sekretariat des Bundes sei jedoch der Auffassung, dass der »Spielraum« der Kirchen gegenüber dem Staat »sehr viel größer sei als man denke«.
Für künftige Beratungen über derartige Teilnahmen werde deshalb vorgeschlagen:
- 1.
Zunächst sollten Gründe und Gegengründe für die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung erwogen werden.
- 2.
Der Vorstand der Konferenz der Kirchenleitungen sollte nicht nur seinen Bericht, sondern auch eine Entscheidungsbeschreibung vorlegen und genau definieren, weshalb er dafür oder dagegen sei.
- 3.
Die Konferenz der Kirchenleitungen sollte bereits eine Vorentscheidung treffen, auch wenn die Entscheidung selbst bei den Gliedkirchen liegen sollte.
- 4.
Man sollte vor einer »kontroversen Diskussion« keine Scheu haben.
- 5.
Das Sekretariat solle der Konferenz der Kirchenleitungen eine »Liste von Entscheidungsfaktoren« vorlegen, d. h. eine »Agenda«, in der generell festgelegt wird, aus welchen Gründen eine Teilnahme an staatlichen Veranstaltungen möglich wäre und aus welchen nicht.
Oberkirchenrätin Lewek, Berlin, teilte der Sitzung mit, der Ausschuss Kirche und Gesellschaft6 werde zur Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen im September »Gesichtspunkte zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution« vorlegen.
Die Konferenz der Kirchenleitungen beschloss, den Gliedkirchen den Entwurf »Empfehlung der Konferenz zur Befürwortung kirchlicher Dienstreisen aus dem Ausland und in das Ausland« mit der Bitte um Stellungnahme bis zum 1.11.1977 zu übersenden. (Diese »Empfehlungen« werden als Anlage beigefügt.)
Diese Information darf wegen Quellengefährdung nicht öffentlich ausgewertet werden.
Anlage zur Information Nr. 484/77
Entwurf: Empfehlung der Konferenz zur Befürwortung kirchlicher Dienstreisen aus dem Ausland und in das Ausland
Bisherige Unklarheiten über das Verfahren bei der Beantragung dienstlicher Aus- und Einreisen machen folgende Regelungen nötig:
- 1.
Auslandsreisen von Mitarbeitern und Gliedern der Kirche können als kirchliche Dienstreisen nur anerkannt und behandelt werden, wenn eine Genehmigung durch das zuständige kirchliche Organ vorliegt.
- 2.
Dieser Genehmigungspflicht unterliegen alle Mitarbeiter und Glieder der Kirche, unabhängig von ihrem Dienst- oder Angestelltenverhältnis. – Die für kirchliche Mitarbeiter geltenden Bestimmungen über die Erteilung von Urlaub bleiben unberührt.
- 3.
Zuständiges kirchliches Organ für Dienstreisen in das Ausland, die im Auftrage des Bundes durchgeführt werden, ist der Vorstand der Konferenz. Er entscheidet nach Beratung durch den Geschäftsführenden Ausschuss der Ökumenischen Kommission (GADÖK) im Einvernehmen mit denjenigen Gliedkirchen, in denen die Dienstreisenden tätig sind.
- 4.
In zwingenden Eilfällen entscheidet der Vorsitzende der Konferenz nach Beratung durch den Sekretär der Ökumenischen Kommission. Das Einverständnis der beteiligten Gliedkirchen ist telefonisch zu erfragen. Der Vorstand der Konferenz und der GADÖK werde nachträglich informiert.
- 5.
In bestimmt festzulegenden Einzelfällen wird der Vorstand seine Vollmacht an andere kirchliche Stellen (Leitungen gesamtkirchlicher Werke) delegieren. Auch sie handeln im Einvernehmen mit denjenigen Gliedkirchen, in denen die Dienstreisenden tätig sind.
- 6.
Bei der Genehmigung wird festgestellt, welcher Nutzen für die Kirchen im Bereich des Bundes oder für die zu besuchenden ausländischen Kirchen erwartet werden kann und welche kirchliche Stelle die Finanzierung der jeweiligen Dienstreise übernimmt.
- 7.
Die in 3. bis 6. getroffenen Festlegungen gelten entsprechend auch für dienstliche Einreisen aus dem Ausland in die DDR.
- 8.
Die Konferenz empfiehlt den Gliedkirchen und gliedkirchlichen Zusammenschlüssen, für ihre Bereiche entsprechende Festlegungen zu treffen.
Für kirchliche Dienstreisen im Auftrag des Bundes tritt diese Regelung am 1.9.1977 in Kraft.