1. Tagung der 6. Synode der Evangelischen Kirche der Union (DDR)
18. Juni 1982
Information Nr. 319/82 über die konstituierende 1. Tagung der 6. Synode der Evangelischen Kirche der Union (EKU) – Bereich DDR – vom 4. bis 6. Juni 1982 in der Hauptstadt Berlin
Vom 4. bis 6.6.1982 fand in der Hauptstadt Berlin, Stephanus-Stiftung, die konstituierende 1. Tagung der 6. Synode der EKU-Bereich DDR1 statt. Daran nahmen 56 der 63 gewählten und berufenen Synodalen teil.
Als ausländische ökumenische Gäste waren auf der konstituierenden Synodaltagung anwesend:
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Superintendent Karzig, Christof2/Berlin (West), Präses der Synode der EKU – Bereich BRD und Berlin (West),
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Oberkirchenrat Dr. Burgsmüller, Alfred3/Berlin (West), Leiter der Kirchenkanzlei der EKU – Bereich BRD und Berlin (West),
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Prof. Dr. Bock, Paul4/USA,
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Prof. Dr. Bock, Eve5/USA, zzt. Prof. im amerikanischen College in Heidelberg/BRD; Nationaler Christenrat in den USA (UCC),
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Pastor Dr. Ansons, Gunars6/USA, Lutherischer Rat in Großbritannien; Evangelische Synode deutscher Sprache im Vereinigten Königreich,
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Prof. Dr. Bayer, Oswald7/BRD, Prof. der Systematischen Theologie und Christlichen Gesellschaftslehre an der Universität Tübingen; Gastreferent auf der Synodaltagung zum theologischen Thema »Gott – Herausforderung der Kirche«.
Prof. Dr. Bock, Paul, Pastor Dr. Ansons und Superintendent Karzig verlasen Grußworte an die Synode.
Auf die wachsende Friedensbewegung in den USA eingehend, erklärte Prof. Dr. Bock u. a. in seinem Grußwort:
»Die United Church of Christ beteiligt sich sehr aktiv an dem Kampf für Frieden, wie sie sich an jedem Kampf für die Beseitigung der Armut beteiligt und für soziale Gerechtigkeit eintritt und jeden Versuch einer friedlichen Lösung internationaler Konflikte und die Stärkung internationaler Institutionen unterstützt.«
Pastor Dr. Ansons ging im Grußwort auf die »Kriegsereignisse im südlichen Atlantik«8 ein und verwies darauf, dass der Lutherische Rat gemeinsam mit dem Britischen Kirchenrat auf einer friedlichen Beilegung des Konflikts besteht. »Wir verlangen eine Schlichtung und Lösung, die den Vereinten Nationen übergeben wird und nicht bestehen will auf der Souveränitätsfrage. Das ist eine veraltete Frage.«
Superintendent Karzig ging in einem Teil seines Grußwortes u. a. auf Fragen »kirchlichen Friedenszeugnisses« ein. Er betonte, im Mittelpunkt kirchlichen Friedenszeugnisses stehe der Abbau von Vorurteilen. Dies sei nur möglich, indem
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»westliche Friedenskräfte nicht als Moskau-hörig verketzert« und andererseits diejenigen, die für den NATO-Doppelbeschluss9 eintreten, nicht als »leichtfertig« bezeichnet werden,
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Feindbilder abgebaut werden,
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konkrete eigene kirchliche »Friedensbeiträge« geleistet werden (Friedensgebet, Friedensforschung, Friedenserziehung usw.).
Im Mittelpunkt der konstituierenden 1. Tagung der 6. Synode standen
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Konstituierung der 6. Synode der EKU – Bereich DDR – (Wahl des Präsidiums der Synode, Wahl der synodalen Mitglieder des Rates der EKU – Bereich DDR –, Wahl des Ältestenrates sowie der ständigen Synodalausschüsse),
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Bericht des Vorsitzenden des Rates der EKU – Bereich DDR –, Kirchenpräsident Natho10/Dessau, und Diskussion zu diesem Bericht,
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innerkirchliche und theologische Fragen (Arbeit am Thema: »Gott – Herausforderung an die Kirche«, Pfarrdienstrecht, Diakonenrecht, Reisekosten usw.).
Im Ergebnis der Konstituierung der 6. Synode wurden u. a. gewählt:
Ins Präsidium der Synode:
als Präses
–Superintendent Karpinski, Herbert11/Berlin (Superintendent Karpinski löst somit den bis zum jetzigen Zeitpunkt als Präses fungierenden Laien Becker, Manfred12/Berlin in dessen Funktion ab.)
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als 1. Beisitzer
Affeld, Dietrich13/Greifswald
Präses der Evangelischen Landeskirche Greifswald
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als 2. Beisitzer
Diplom-Ingenieur Dr. König, Wolfgang14/Erfurt
in den Rat der EKU – Bereich DDR
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als synodale Mitglieder
Präses Becker, Manfred/Berlin
Hartmann, Gisela15/Nordhausen
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als Mitglied evangelisch-reformierten Bekenntnisses
Moderator Grüber, Hartmut18/Hohenbruch
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als Stellvertreter
Pfarrer Dehne, Jürgen19/Magdeburg.
Die Wahl des Vorsitzenden des Rates der EKU – Bereich DDR – erfolgt am 23.6.1982 auf der 1. Sitzung des neu formierten Rates der EKU – Bereich DDR.
(Die Namen der neugewählten Mitglieder des Ältestenrates sowie des Ständigen Finanzausschusses und Ständigen Kollektenausschusses liegen dem MfS vor.)
Der 22-seitige Bericht des Vorsitzenden des Rates der EKU – Bereich DDR –, Kirchenpräsident Natho, enthielt neben überwiegend theologischen und innerkirchlichen Fragen Aussagen zum gegenwärtigen Verhältnis Staat – Kirche in der DDR. Dabei hob Natho betont folgende Schwerpunkte hervor:
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Evangeliumsverkündigung als ursprüngliche und eigentliche Aufgabe der Kirche.
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Zurückweisung der Behauptung westlicher Massenmedien, das »kirchliche Friedensengagement« sei eine »selbstständige und unabhängige Friedensbewegung in der DDR«. »Diese unabhängige und selbstständige Friedensbewegung gibt es nicht, nicht in unseren Kirchen und auch sonst nicht in der DDR.«
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Hervorhebung der gemeinsamen Zielstellung des »kirchlichen Friedensengagements« und staatlicher Friedenspolitik. »Wir wissen, dass wir uns nicht allein auf dieser Erde um den Frieden bemühen. Wir wissen, dass die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik dem politischen Ziel der Friedenserhaltung und Friedenssicherung verpflichtet ist. Ich darf hinzufügen: ich bezweifele nicht, dass sich die Regierung der UdSSR, die Regierungen der sozialistischen Staaten ebenso wie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und viele Staaten dieser Erde diesem Ziel verpflichtet wissen.«
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Stellungnahme zur »Symbolproblematik«:20
»Frieden ist uns nicht nur verheißen in einer von Gott geschaffenen Zukunft (Micha 4), sondern Frieden dürfen wir da erleben, wo wir Christen als unseren … Herrn erfahren …« »Es sollte niemanden wundern, wenn junge Leute, die in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen besonders gefordert und von der Zukunft besonders bedroht sind, ihren Wunsch nach Frieden auch sichtbar zum Ausdruck bringen und dies mit einem Zeichen tun, das ihnen keiner aufgenötigt hat, sondern das sie gern und bereitwillig ergriffen haben als Ausdruck für ihren Glauben, ihre Hoffnung und auch für ihre Liebe zum Leben.
Aber gerade um dieses Zeichen hat es oft bittere und junge Leute verletzende Auseinandersetzungen gegeben. Unsere gliedkirchlichen Synoden, die während dieser Auseinandersetzung tagten, haben dazu eindeutig und klar gesprochen. Es haben sich Gespräche mit verantwortlichen Vertretern unseres Staates ergeben, und ich bin der festen Überzeugung, dass es gelingen wird, den Frieden im Innern, da wo er verletzt wurde, wieder herzustellen und Einmütigkeit zu erzielen, dass es hier nicht um die Schwächung eines um seine Sicherheit besorgten Staates geht, sondern um einen uns alle umfassenden und stärkenden Frieden.«
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Bekräftigung des kirchenpolitischen Kurses vom 6.3.197821 sowie der Formel »Kirche im Sozialismus«,22 die »die Übernahme von Mitverantwortung an einer Verbesserung von Staats- und Gesellschaftsordnung« durch Christen einschließt.
Im Mittelpunkt der Erörterung dieses Berichtes des Vorsitzenden des Rates der EKU – Bereich DDR –, Kirchenpräsident Natho/Dessau, stand eine umfassende Diskussion (34 Diskussionsredner) zur Herausbildung der Vereinigten Evangelischen Kirche (VEK) in der DDR.23 Im Ergebnis dieser Diskussion wurde durch die Synode ein Beschluss angenommen, in dem an der Bereitschaft, »sich in die größere Gemeinschaft einzufügen«, festgehalten wird, wenn eine »deutliche Einbeziehung der Barmer theologischen Erklärung24 und der Leuenberger Konkordie25 in die Grundartikel eine Weiterführung der besonderen rechtlich geordneten Gemeinschaft mit den Gliedkirchen der EKU im Bereich BRD und Berlin (West) und eine eindeutige Gestaltung der neuen Gemeinschaft, die eine Majorisierung von Minderheiten ausschließt«, erfolgt.26
Prof. Fink27/Berlin brachte einen Antrag zur Beschlussfassung an die Synode ein, worin er fordert, dass die Synode sich der »Erklärung der Sektionsdirektoren gegen die NATO-Hochrüstung«28 anschließen sollte. Dieser Antrag wurde durch die Synodalen, Moderator Grüber/Hohenbruch, Direktor Blauert29/Berlin, Präses Affeld/Greifswald, Geophysiker Semper30/Oranienburg, Diplom-Ingenieur Krause31/Berlin, Prof. Kehnscherper32/Greifswald, Rechtsanwalt Schnur33/Binz, Frau Kellerhoff34/Greifswald, unterstützt.
Durch das politisch-negative Wirken der Synodalen Präses Dr. Höppner35/Magdeburg, Präses Becker/Berlin, Kreisjugendwart Delf36/Berlin, Diplom-Physiker Domke37/Berlin wurde dieser Antrag im Berichtsausschuss abgelehnt. Diese Personen vertraten vor allem folgende Meinungen:
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die Erklärung sei zu einseitig gegen die USA gerichtet,
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die Politik der UdSSR sei zu undifferenziert dargestellt,
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die Regierung der DDR nutze die Friedenssehnsucht aus bzw. bedränge die Jugend wegen deren Friedenssehnsucht.
Des Weiteren wandten sich diese Kräfte gegen die im Bericht des Ratsvorsitzenden, Kirchenpräsident Natho, dargelegten realistischen und positiven Aussagen, insbesondere gegen die Zurückweisung der Existenz einer unabhängigen und selbstständigen Friedensbewegung in der DDR. Präses Becker diffamierte die Friedensmanifestationen der Jugend der DDR während der Pfingsttreffen.38 Er wandte sich gegen die während den Demonstrationen mitgeführten Plakate und Transparente. Diese seien »vom Staat vorgeschrieben« und würden nicht allen Interessen entsprechen.
Als Kompromisslösung wurde im Ergebnis dieser Auseinandersetzungen ein Telegramm an die UNO-Vollversammlung verabschiedet und von der Synode einstimmig angenommen. (Es wird in der Anlage beigefügt.)
Als einziger vom MfAA zugelassener Vertreter westlicher Massenmedien nahm der BRD-Journalist Röder, Hans-Jürgen39 (epd) an der Synodaltagung tei1.
Der vom MfAA nicht zugelassene BRD-Korrespondent der »Westfälischen Rundschau«, Nöldechen,40 hielt sich dagegen lediglich zeitweilig vor dem Tagungsgebäude auf und wurde internen Hinweisen zufolge durch die Mitarbeiterin der Pressestelle des Bundes der Evangelisch Kirchen in der DDR, Krause, Martina,41 ständig über Verlauf und Resultate der Synodaltagung unterrichtet.
Zeitweilig erschien auch der Kulturattaché der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Staar,42 auf der Synodaltagung. Er erhielt ebenfalls von der Krause alle Synoden-Materialien ausgehändigt.
Internen Hinweisen zufolge wurde durch den BRD-Journalisten Röder, epd, unter Teilnehmern der Synode die Information verbreitet, dass in Westberlin Flugblätter über Bischof Dr. Forck43 kursieren. In diesen Flugblättern würde eine Westberliner Gruppe die Vergangenheit von Forck als U-Boot-Offizier der faschistischen Marine karikieren.44 Der Synodale Krause/Bauakademie Berlin teilte der Leitung der Synode intern mit, dass er ein solches Flugblatt erhalten hat. Dies sei ihm durch eine Westberliner Organisation unter Ausschluss des Postweges zugegangen. Durch den Ratsvorsitzenden Natho wurde der Vertreter der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, der an der Synode offiziell teilnahm, von diesen Flugblättern informiert. Natho vermutet als Verfasser Personen um Pfarrer Eppelmann45.46
(Eingeleitete erste Ermittlungen ergaben den Hinweis, dass sich in Westberlin eine katholische Einrichtung »Zeichen der Sühne«47 etabliert hat. Es handelt sich um eine Art Ordensniederlassung, die sich mit Wiedergutmachung für NS-Verbrechen beschäftigt.)
Bischof Dr. Forck/Berlin reagierte eingangs sehr emotional auf dieses Flugblatt. Er unterstellte staatlichen Organen, die Herausgeber bzw. Initiatoren dieses Flugblattes zu sein.
Nach der staatlicherseits gegenüber dem Ratsvorsitzenden Natho erfolgten Distanzierung verlor Forck merklich an Aggressivität. Stellte er zu Beginn der Synodaltagung noch seine Aktenmappe mit dem Aufkleber »Schwerter zu Pflugscharen« provokativ zur Schau, verzichtete er demgegenüber bereits am Abend des 1. Beratungstages darauf.
Er hat im weiteren Verlauf der Synodaltagung passiv und nur kurz zu rein innerkirchlichen Fragen Stellung genommen.
Im Plenum wurde keine Polemik zum kirchlichen Friedensengagement im Zusammenhang mit solchen Losungen und Symbolen wie »Frieden schaffen ohne Waffen« und »Schwerter zu Pflugscharen« geführt, und in der Ausschussarbeit ist zu dieser Problematik ebenfalls Zurückhaltung geübt worden.
Die Synode beschloss, eine außerordentliche Tagung der 6. Synode der EKU – Bereich DDR – für den Zeitraum vom 3.6. bis 4.6.1983 einzuberufen.
Alle Materialien der Synodaltagung liegen dem MfS im Original vor und können bei Bedarf angefordert werden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 319/82
6. Synode der Evangelischen Kirche der Union – Bereich DDR – konstituierende Tagung 4. bis 6. Juni 1982
Vorlage 107
Die Synode möge folgendes Telegramm an die UNO-Vollversammlung beschließen und den Gemeinden zur Kenntnis bringen:
Angesichts der besonderen Bedrohung des Friedens und der Gefahr einer Zerstörung der uns anvertrauten Schöpfung begrüßen wir die 2. Sondertagung der UNO-Vollversammlung zu Fragen der Abrüstung48 und begleiten sie mit unserem Gebet. Als Glieder der Kirche Jesu Christi sind wir mit allen verbunden, die sich von dieser Situation bedroht wissen, und suchen im Lichte unseres an das Evangelium gebundenen Friedenszeugnisses nach gemeinsamen Schritten, die uns aus dieser Situation herausführen können. Besonders Jugendliche drängen auf Konkretisierung christlichen Friedensengagements. Mit ihnen wissen wir um viele Schwierigkeiten und Widerstände und hoffen darauf, dass die Sondertagung zu Fragen der Abrüstung uns allen hilfreiche Schritte zeigt, die Vertrauen schaffen und zur Rüstungsbegrenzung und schließlich zu allgemeiner Abrüstung führen.