IX. Synode der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen
30. November 1983
Information Nr. 409/83 über die 8. Tagung der IX. Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 23. bis 27. November 1983 in Halle
Die Herbsttagung der IX. Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen fand vom 23. bis 27. November 1983 im Evangelischen Diakoniewerk Halle statt.
Von den 103 Synodalen dieser Landeskirche nahmen 88 an der Synode teil.
Zeitweilig anwesend waren die BRD-Korrespondenten Röder1 (epd), Jennerjahn2 (dpa) und Baum3 (Frankfurter Rundschau).
Mitarbeiter diplomatischer Vertretungen nichtsozialistischer Staaten in der DDR wurden nicht festgestellt.
Als ausländische ökumenische Gäste wurden auf der Synodaltagung begrüßt:
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Rechtsanwalt Schröder, Hansjörg,4 Bruchköbel (BRD), Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (BRD),
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Maschineninspektor Hennig, Hans,5 Dinslaken (BRD), Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland (BRD),
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Prof. Dr. Zahn,6 (BRD), Vertreter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (BRD),
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Prof. Dr. Szabo,7 (Ungarische VR), Vertreter der Reformierten Kirche in der Ungarischen VR.
Rechtsanwalt Schröder verwies in seinem Grußwort auf die »gemeinsame« besondere Verantwortung der Christen in Ost und West für die Erhaltung des Friedens. Er betonte, dass die Kirche für alle offenbleiben müsse, jeder aber die freie Entscheidung haben sollte, »ob er auf die Straße geht oder nicht«.8
Die von den anderen ausländischen ökumenischen Gästen gehaltenen Grußworte an die Synode beinhalteten keine politisch-bedeutsamen Aussagen.
Im Mittelpunkt der Synodaltagung standen folgende inhaltliche Schwerpunkte:
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Bericht der Kirchenleitung (Referenten: Dr. König9 (Erfurt), Propst Bronisch10 (Naumburg), Propst Bäumer,11 (Magdeburg)),
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»Kirchliche Friedensverantwortung«,
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innerkirchliche und theologische Probleme (Bericht des Diakonischen Werkes, Finanzfragen, Haushaltsplan etc.)
Der Verlauf und die Diskussion auf der Synode waren durch ein zielgerichtetes Auftreten politisch-negativer Kräfte gekennzeichnet, denen es gelang, durch längerfristige Vorbereitung auf der Tagung Vorlagen mit offenen Angriffen gegen die Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR sowie mit negativen Inhalten gegen Teilbereiche der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung mit Stimmenmehrheit durchzubringen.
Demgegenüber war das Auftreten Bischof Dr. Demkes12 auf der Synode sachlich und in politischen Fragen realistisch, insbesondere zu Problemen des Friedens, wobei sein Bemühen hervorzuheben ist, stärker theologische Aspekte kirchlicher Arbeit in die Diskussion einzubringen.
Bischof Dr. Demke wurde in seinem Auftreten insbesondere durch Pfarrer Schorlemmer,13 Wittenberg, (der in der Vergangenheit ständig mit politisch-negativen Haltungen in Erscheinung trat) unterstützt.
Besonders auffällig ist die Widersprüchlichkeit im Auftreten von Propst Falcke14 (Erfurt) einzuschätzen, der überwiegend mit politisch-negativen, in einem Fall aber auch mit realistischen Aussagen auftrat. Seine politische Haltung auf der Synode wurde von Synodalen intern z. T. als konzeptionslos bezeichnet.
Im Folgenden werden politisch besonders beachtenswerte Probleme aus dem Verlauf der Synode hervorgehoben.
Im Bericht der Kirchenleitung wurden neben der Behandlung innerkirchlicher und theologischer Fragen u. a. solche politisch bedeutsamen Aussagen getroffen wie:
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Es bestünden Widersprüche zwischen Ansichten in der kirchlichen Basis und kirchenleitenden Kräften zum Verhältnis Staat – Kirche.
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Eigenes Friedensengagement junger Christen in unserer Gesellschaft sei, wie z. B. die »Friedensmanifestation« in Halle15 gezeigt habe, nicht erwünscht.
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Äußeres christliches Bekenntnis führe nach wie vor zu Behinderungen an Schulen und Universitäten.
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Die Kirche betrachte offene Jugendarbeit als notwendigen Teil ihrer Arbeit. Diese Arbeit werde jedoch mit starken »staatlichen Vorbehalten« konfrontiert, wie an den Beispielen Rochau16 und Eigenfeld17 (beide Halle) verdeutlicht werde.
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Unbefriedigend sei die Situation bezüglich der Möglichkeiten der Ableistung eines waffenlosen Reservistenwehrdienstes.18
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Die vormilitärische Ausbildung19 führe bei vielen jungen Christen zu Konflikten und Nachteilen im gesellschaftlichen Leben.
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Die Kirchenleitung beabsichtige, die Fragen der Umweltverantwortung im kommenden Jahr als Schwerpunktthema zu behandeln.
Internen Hinweisen zufolge wurde der Bericht der Kirchenleitung durch Oberkirchenrat Schultze,20 Propst Hinz,21 Konsistorialpräsident Kramer22 (alle Magdeburg) und Propst Bronisch (Naumburg) erarbeitet. (Für die Ausarbeitung der Abschnitte Staat – Kirche und Lutherjahr war Oberkirchenrat Schultze verantwortlich.)
Nach der Verlesung des Berichtes der Kirchenleitung wurde allen Synodalen die Rundverfügung 34/83 – sie beinhaltet die von Konsistorialpräsident Kramer formulierte Stellungnahme zu den feindlich-negativen Kräften Rochau, Lothar und Eigenfeld, Katrin – übergeben. (Die Verfügung wird in der Anlage 1 im Wortlaut beigefügt.)
In der Diskussion zum Bericht traten der Synodale Fahlberg23 (Halle) und die Pröpste Hinz und Bäumer24 (Magdeburg) sowie Falcke (Erfurt) politisch-negativ auf, wobei insbesondere Fahlberg mit Angriffen gegen die sozialistische Wehrerziehung, gegen die Volksbildung sowie gegen die Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR in Erscheinung trat.
Im Anschluss an diese Diskussionsrunde wurde in einer internen Kirchenleitungssitzung eine Wertung dieser Debatte vorgenommen und – maßgeblich beeinflusst durch Bischof Demke – festgestellt, dass die Aussagen des Synodalen Fahlberg »sehr betrüblich und belastend« für den Synodenverlauf seien. Es wurde festgelegt, dass Bischof Demke in der weiteren Diskussion zum Verhältnis Staat – Kirche Stellung nimmt.
Mit Wiederöffnung der Diskussion ergriff Bischof Demke das Wort. Er forderte die Synodalen auf, das Thema der Friedensverantwortung mit »nüchternen Überlegungen« zu behandeln und Emotionen dabei weitestgehend auszuschalten. Die Synode habe angesichts der Bedrohung des Friedens die Aufgabe, Illusionen entgegenzuwirken, die Resignation erzeugen.
Demke sprach sich gegen das System der Abschreckung und der Anwendung von Massenvernichtungswaffen als Mittel der Kriegsführung aus, da dies mit dem christlichen Glauben unvereinbar wäre. Der Wandel der Massenvernichtungswaffen zu Kriegsführungsmitteln gehe von der NATO aus. Er unterstrich, dass jeder Schritt, der zur Sicherung des Friedens in unserem und jedem anderen Staat beiträgt, Vorrang habe und daher der Wehrdienst mit der Waffe nur als »Grenzmöglichkeit« akzeptiert werden könne.
Demke empfahl ein Zusammenwirken der Kirchen zur Schaffung eines Klimas, das weitere Verhandlungen gegen Krieg und Rüstung ermöglicht und dafür zu sorgen, dass es zu keiner verbalen Eskalation kommt. Demke führte dazu aus, die DDR-Presse habe bei der Berichterstattung über die jüngsten Ereignisse im BRD-Bundestag25 angebrachte Zurückhaltung in diesem Sinne geübt. Es sei beeindruckend, mit welchem Ernst der Staatsratsvorsitzende auf der 7. Tagung des ZK der SED die Friedensproblematik behandelt habe.26
Demke legte des Weiteren auftragsgemäß folgende Auffassungen der Kirchenleitung dar: In Fragen der Berufsausbildung und der Stellung von EOS-Schülern seien Verfassungsgrundsätze noch nicht in die Praxis umgesetzt; bei Beachtung des Prinzips der Trennung von Staat und Kirche komme es speziell im Bereich der Volksbildung darauf an, dass ein zentraler Informationsfluss erfolge; bei sichtbaren Schwierigkeiten sei eine »Klärung vor Ort« effektiver als das Abwarten auf grundsätzliche Entscheidungen; es sollte dennoch die Hoffnung auf ein Grundsatzgespräch zu diesen Fragen mit dem Staat nicht aufgegeben werden. Demke betonte, der Begriff »Sozialer Friedensdienst«27 (SoFd) sei abzulehnen, da er missverständlich wäre und zur Diffamierung der sonstigen sozialen Dienste und des Armeedienstes führe; daher sei die Forderung nach einem »alternativen Dienst« zu stellen. Es werde festgehalten »am Nachdenken über einen zivilen Dienst« als Beitrag zu Sicherheit und Frieden; allerdings wäre »jetzt die ungünstigste Stunde« dafür.
In der Folgezeit konzentrierte sich die Synode sowohl im Plenum als auch in Synodalsonderausschuss »Friedensfrage« auf die Behandlung der Friedensproblematik auf der Grundlage der ca. 90 an die Synode eingegangenen Eingaben mit ca. 1 000 Unterschriften.28
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der Verlauf der Synode im dieser Richtung längerfristig von als feindlich-negativ bekannten Synodenmitgliedern um Präses Höppner29 gesteuert war, offensichtlich auch mit dem Ziel, vor der Synode zu demonstrieren, dass der »Druck« aus den Gemeinden an die Kirchenleitung, sich in politischen Grundfragen stärker zu engagieren, zunehme.
So wurde bereits im März 1983 durch Präses Höppner in einem Brief an die Synodalen der Kirchenprovinz Sachsen und weitere 100 Personen (vor allem Mitglieder der Arbeitskreise »Frieden«) die Diskussion zur »Friedensverantwortung« herausgefordert. (Als Problemkreise hatte Höppner u. a. vorgegeben: Dürfen Christen sich an der Vorbereitung von Verteidigung mit atomaren Waffen beteiligen, wenn doch sicher ist, dass die Verteidigung unwiederbringlich zerstört, was sie schützen soll? Dürfen Christen sich an der Drohung mit Waffen beteiligen, die eben die Katastrophe wahrscheinlich machen, die sie verhindern sollen? Können Christen und Kirchen angesichts des unvorstellbaren Grauens eines möglichen Krieges Waffengewalt als Mittel der Friedenssicherung und zum Schutz des Nächsten noch rechtfertigen?)30
Höppner erklärte vor der Synode wörtlich, dass die »von ihm bestellten Eingaben« solche Schwerpunktprobleme beinhalteten, wie die Ablehnung der Musterung von Frauen31 (Michaelisgemeinde Magdeburg – 30 Unterschriften), Forderung nach Lockerungen der Verordnung über Familienzusammenführung,32 Gottesdienstbesuche für Bausoldaten,33 Behandlung von Umweltfragen entsprechend der Orientierungen des Kirchentages in Eisleben.)34
Auf die personelle Zusammensetzung des Synodalsonderausschusses »Friedensfrage« nahm Präses Höppner in seinem Sinne Einfluss (Mitglieder waren u. a. Propst Falcke, Propst Hinz, Pfarrer Schorlemmer, Oberkirchenrat Schultze und Synodale Runge,35 Halle-Neustadt).
Im Sonderausschuss wurde die Diskussion von Höppner auf die Fragen gelenkt: »Welche Schritte sind jetzt aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten sinnvoll und nötig? Sind wir bereit und in der Lage, die Belastungen auf uns zu nehmen, die solche Schritte möglicherwiese mit sich bringen?« Höppner forderte in diesem Zusammenhang auf, »Hilfen für alternatives Denken, einen Katalog kleiner Schritte, der Orientierungshilfe in Entscheidungssituationen« zu erarbeiten.
Mit der Erarbeitung und Verabschiedung der Dokumente des Sonderausschusses »Friedensfrage« »Wort an die Gemeinden« (Anlage 2), »Brief an die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen zur Weiterleitung an den Staat« (Anlage 3), »Antwort auf die Eingaben zur Friedensfrage an die Synode der Kirchenprovinz Sachsen« wurden unter Berufung auf Beschlüsse der Bundessynode 1983, der ÖRK-Tagung 1983 in Vancouver36 sowie internationale Rechtsnormen Vorbehalte gegen Maßnahmen zur Landesverteidigung der sozialistischen Staaten geäußert. Daran schließen sich Aussagen an, die auffordern, verfassungsmäßige Grundsätze zu verlassen.
In diesen Beschlüssen wendet sich die Synode massiv gegen die Verteidigungsmaßnahmen der DDR im Zusammenhang mit der Stationierung von US-Raketen in Westeuropa. Sie enthalten weiter Forderungen nach Respektierung der Gewissensentscheidung von Wehrdienstverweigerern, Ablehnung des Fahneneides im Fall der Mitwirkung am Einsatz von Massenvernichtungsmitteln und nach Einführung eines »sozialen Friedensdienstes« u. a.
Des Weiteren verabschiedete die Synode eine Vorlage des Berichtsausschusses, die beinhaltet, dass im Jahre 1984 die Umweltproblematik den inhaltlichen Schwerpunkt der Arbeit der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen darstellen wird. Die Synode beauftragte in diesem Zusammenhang das Evangelische Forschungsheim Wittenberg37 (Leiter: Pfarrer Dr. Gensichen38), dementsprechendes Material zu sammeln und richtungsweisende Orientierungen für die Arbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen zur Verfügung zu stellen. Außerdem wird in diesem Beschluss der Synode erklärt, dass kirchlicherseits »ein Grundsatzgespräch mit dem Ministerium für Volksbildung unerlässlich und längst überfällig« sei und mit »Sorge die Handhabung der Rechtspolitik, die sichtbar wird am Strafprozess gegen Rochau« sowie eine »gewisse Rechtsunsicherheit bei polizeilichen Maßnahmen gegenüber Menschen, die einen Antrag auf Wohnsitzänderung ins Ausland stellen«, beobachtet werde. (Der Beschluss liegt im Wortlaut vor.)
Die Diskussion dieser Dokumente im Plenum sowie im Sonderausschuss »Friedensfrage« ließ erkennen, dass nicht alle Synodale hinter diesen Positionen standen. Einzelne Anträge auf eine Entschärfung der Aussagen stießen aber auf Ablehnung.
Insgesamt kam es zu langwierigen Debatten, insbesondere zu Fragen des Wehrdienstes in der DDR sowie zu den Gegenmaßnahmen auf die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa.
Während Bischof Demke und Prof. Dr. Holtz39 (Halle) in realistischer Weise zu diesen Fragen Positionen bezogen, sprachen sich Präses Höppner, Propst Hinz und Propst Falcke dagegen aus und forderten eine klare Aussage der Synode gegen den Wehrdienst und die Raketenstationierung in der DDR.
Bischof Demke unterstrich nochmals seine Haltung zur Notwendigkeit der Friedensstabilisierung über die Ausschöpfung von Verträgen und die Bindung der Staaten untereinander durch Wirtschaft und Kultur.
Er wurde darin von Pfarrer Schorlemmer/Wittenberg – der bereits in der Diskussion zum Bericht der Kirchenleitung z. T. eine realistische Position zu Friedensfragen bezogen hatte – unterstützt. Schorlemmer betonte, er müsse den Aussagen der 7. Tagung sowie der Erklärung von Juri Andropow40 zustimmen, die »im ersten Teil zwar schlimm« sei, man müsse aber unbedingt den Zusammenhang zum zweiten Teil beachten.41 Schorlemmer verurteilte das Auftreten und die Äußerungen der CDU/CSU-Koalition während der BRD-Bundestagsdebatte42 und stellte die »tolle Rede« von Brandt43 dem gegenüber. Für ihn wäre schlimm, dass die USA-Politik darauf hinausläuft, Europa durch einen Ersteinsatz von Nuklearwaffen auslöschen zu wollen, um die alleinige Weltmacht zu werden. Dazu dienten die Pershing-II-Waffen ja eindeutig. Gleichzeitig betonte Schorlemmer, dass der Antikommunismus ein entscheidender Punkt sei, der abgebaut werden müsse, um die Friedensverantwortung fortsetzen zu können.
Schorlemmer äußerte Enttäuschung über das Verhalten der USA in Genf und kritisierte die unentschlossene Haltung der Evangelischen Kirche in der BRD in dieser Frage.
Hingegen habe ihn die Haltung und Gesprächsbereitschaft der Regierung der DDR »stark beeindruckt und freudig bewegt«. Dies zeige, dass wir in einem Land leben, in dem jedes Mittel der Verständigung genutzt werde. Die Regierung der DDR stehe in der Raketenfrage unter Zwang. Obwohl wir Abrüstung brauchen würden, erklärte Schorlemmer ferner, könne die DDR mit Blick auf die Bündnisverpflichtungen44 und andere Rücksichten pazifistische Verhaltensweisen im großen Stil nicht zulassen.
Superintendent Jaeger45 (Nordhausen) bezeichnete die Maßnahmen der UdSSR als »logische Konsequenz« ihrer bisherigen Haltung. (Er vertrat in einem individuellen Gespräch die Auffassung, dass es zur Verantwortung eines Synodalen gehöre, sich vor der Synode mit den Friedensvorschlägen der UdSSR zu beschäftigen.)
Propst Falcke nahm in seinem Diskussionsbeitrag im Plenum der Synode im Gegensatz zu den Pröpsten Hinz, Bäumer und Oberkirchenrat Bischoff46 eine realistischere Position ein. Falcke unterstützte die Forderung nach einem »Nein« bezüglich des Rüstungswettlaufs und brachte zum Ausdruck, es bestünden Voraussetzungen, dass auch nach der Entscheidung zur »Nachrüstung« in der BRD die Friedensbewegung »nicht zusammenbreche«.
Propst Falcke (der bei der Kundgebung der Friedensbewegung in Bonn am 22.10.1983 zu den Rednern gehörte)47 sprach in diesem Zusammenhang von tiefer Hoffnungslosigkeit vieler Menschen nach dem Stationierungsbeschluss in der Bundesrepublik und der »östlichen Ankündigung«.
(Intern vertrat Propst Falcke die Auffassung, dass die Kirche bereits 1979 vor der Stationierung und vor dem NATO-Doppelbeschluss ein klares »Nein« hierzu gesagt habe und jetzt ein klares »Nein« zum Rüstungswettlauf gesagt werden müsse.)
Am 26.11.1983 erschienen zur Plenarsitzung im Tagungsobjekt der Synode die Mitglieder des sogenannten Frauenfriedenskreises Halle,48 Bohley, Heidelinde49 (Halle), Eigenfeld, Katrin (Halle) und Hentze, Zryne50 (Halle) in Trauerkleidung, um den Inhalt ihrer Eingabe an die Synode zur Friedensproblematik zu bekräftigen. In ihrer Begleitung befanden sich die hinreichend bekannten Bohley, Bärbel51 (Berlin) und Günther, Christel-Dorothea52 (Halle) sowie ca. zehn weitere Mitglieder dieser »Fraueninitiative«.
Ihr Auftreten hatte keinen Einfluss auf den Tagungsverlauf.53
In diesem Zusammenhang wurde streng vertraulich bekannt, dass unter den Mitgliedern des »Frauenfriedenskreises« Halle Unstimmigkeiten aufgetreten sind. Die Günther, Christel-Dorothea sprach sich intern gegen die Eingabe an die Synode und das Tragen von schwarzer Kleidung am 26.11.1983 aus. Beide Aktivitäten seien das Ergebnis eines Alleinganges der Bohley, Heidelinde und der Hentze, Zryne und wären Ausdruck der Spaltung der Gruppe.
Internen Hinweisen zufolge wurde in einem Gespräch zwischen Bischof Demke und Präses Höppner festgelegt, am 25.2.1984 ein »Friedenswochenende« in Halle durchzuführen. Im Rahmen dieses angekündigten »Friedenswochenendes« soll die Diskussion zu solchen Problemen wie Friedensgebete, Friedensdekade, Friedenswerkstätten, persönlichen Friedenserklärungen etc. weitergeführt werden.
Es wird vorgeschlagen, die in Auswertung der »Friedensdekade 1983« beabsichtigten Gespräche der Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke für Inneres mit den entsprechenden kirchenleitenden Kräften zu nutzen, um zugleich auch auf der Ebene der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen eine Auswertung ihrer 8. Tagung der IX. Synode vorzunehmen. Darin sollten auch die auf der Herbstsynode in Halle vorgetragenen Angriffe gegen die sozialistische Staatsmacht entschieden zurückgewiesen und die kirchenleitenden Kräfte aufgefordert werden, darauf Einfluss zu nehmen, dass sich derartige Angriffe nicht wiederholen.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage 1 zur Information Nr. 409/83
Rundverfügung Nr. 34/83
Evangelisches Konsistorium | der Kirchenprovinz Sachsen | Am Dom 2 | 3010 Magdeburg, den 24. November 1983
An die | Superintendenten | der Kirchenprovinz Sachsen
Liebe Brüder
Nach meinen Schreiben vom 29. Juni54 und 19. September 198355 über Inhaftierung und Verurteilung von Diakon Lothar Rochau muss ich Ihnen heute mitteilen, dass das Oberste Gericht der DDR die Berufung von Bruder Rochau mit Beschluss vom 31. Oktober 1983 verworfen hat; damit ist das Urteil rechtskräftig.56
Außerdem muss ich erwähnen, dass Frau Katrin Eigenfeld in Halle am 31. August 1983 verhaftet worden war. Sie ist, freilich nicht kirchlich angestellt, wie Bruder Rochau in der offenen Arbeit in Halle tätig gewesen. Dass das Ermittlungsverfahren gegen sie eingestellt und dass sie am 1. November aus der Haft entlassen wurde, konnte unsere Hoffnung unterstützen, auch das Urteil für Lothar Rochau werde gemildert werden können. Wir bedauern, dass dies nicht erfolgt ist.
Allem Anschein nach wurde eine »Lösung« nur so für möglich gehalten, dass Lothar Rochau angesichts des Strafmaßes und des Inhalts der Verhandlung, von der wir nichts wissen, einen Antrag auf Wohnsitzverlegung in die Bundesrepublik und Entlassung aus der Staatsbürgerschaft für sich und seine Familie stellt. Das ist nun geschehen.57
Ich bin – mit anderen in Kirchenleitung und Konsistorium – betroffen über die Entwicklung. Gewiss hat es in den vergangenen Jahren um die Art des Dienstes von Lothar Rochau in Halle Gespräche und Auseinandersetzungen gegeben.58
Wir hatten uns aber gewünscht, diese Dinge im freien Gespräch direkt mit Bruder Rochau weiter klären zu können.
Die offene Arbeit ist eindeutig eine wesentliche Aufgabe der Kirche. Dafür gilt unverändert, was unsere Kirchenleitung in ihrem Bericht 198259 und was namens der Konferenz der Kirchenleitungen Landesbischof Dr. Leich im September 1983 ausgeführt haben.60
Die Diskussion um das »Bleiben in der DDR« muss in der Kirche gewiss geführt werden. Aber gerade die persönliche Entscheidung von Bruder Rochau am Ende der Entwicklung dürfte sich weder als Anlass noch als Beispiel dafür eignen. Ich weiß, dass Bruder Rochau darunter leidet, dass er sich oft nicht hat verständlich machen können und dass er für sich jetzt keinerlei Zukunft mehr in unserer Gesellschaft sieht.
Darum wollen wir ihn mit unseren Gebeten und Gedanken begleiten und aufmerken, wo Menschen an diese Grenze kommen, um ihnen beizustehen.
Eine Rechtspolitik, die zu solchem Ergebnis führt, wird Gegenstand von Gesprächen der Kirchenleitung mit Verantwortlichen in der Gesellschaft sein müssen.
Ich bin mir dessen bewusst, dass eine ganze Reihe von Fragen weiter bedacht werden müssen, aber das kann nicht Inhalt dieses Briefes sein.
Dazu gehörten z. B. die Fragen nach der Gestalt des christlichen Zeugnisses und Existierens in der Gesellschaft ebenso wie die nach den Aufgaben der Kirche in unserer Zeit.
Mit freundlichen Gruß | gez. (Kramer)
Anlage 2 zur Information Nr. 409/83
Wort an die Gemeinden
Drucksache 7.2./83
Wir leben im Advent und hören das Wort: Unser Herr kommt als Gerechter und als Helfer. Und gerade in diesen Wochen zerbrechen uns viele Hoffnungen. Darum schreiben wir euch. In Westeuropa werden neue Raketen stationiert. In Genf wird nicht mehr miteinander gesprochen. Neue Raketen sollen auch in unserem Land aufgestellt werden.
Weiterhin verzehrt die Rüstung das Brot der Armen. Aber es geschieht, was doch keiner will oder wollen kann. Dabei waren wir uns mit unseren politischen Verantwortlichen darin einig, dass weitere Raketen uns nicht sicherer machen. Daran halten wir fest und sagen nein zur Stationierung neuer Raketen bei uns. Es bleibt unsere Aufgabe, alle Verhandlungen zu unterstützen. Denn Rüstung ist keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Wir erleben, dass viele von denen, die sich besonders für den Frieden eingesetzt haben, die Hoffnung sinken lassen. Ohne Hoffnung können wir nicht leben. Darum fragen wir mit euch: Was gibt unserer Hoffnung verlässlichen Grund?
Jesus war, ist und bleibt Gottes Ja zum Leben. Gott will nicht, dass wir seiner Welt Tod und Zerstörung bringen. Gott will für unsere Welt das Leben. Daran wollen wir uns halten.
Die Sehnsucht nach Frieden hat vielfältige zeichenhafte Handlungen ausgelöst. Für Jedes erkennbare Zeichen des Friedens unter uns sind wir dankbar.
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In der Friedensdekade61 waren wir im Gebet miteinander verbunden.
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Die große Zahl der Eingaben zum Frieden aus den Gemeinden zeigt, wie viele der Resignation widerstehen.
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Viele haben neu angefangen, auf den zu hören, der wahrhaft Frieden stiften kann, und sie versuchen Frieden zu leben.
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Junge und Alte erschrecken über die Rechtfertigungen militärischer Gewalt heute, der Dienst mit der Waffe ist keine Selbstverständlichkeit mehr.
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Die sozialen Folgen der Rüstung in aller Welt werden nicht mehr einfach hingenommen.
In all Eurem Erschrecken und in aller Gefahr überseht solche Zeichen des Friedens nicht. Die Friedensbemühungen und Einübung in friedlichen Verhaltensweisen müssen wir verstärken. Dem ausweglosen Freund-Feind-Denken müssen wir widersprechen. Der Versuchung, die als Feinde anzusehen, die in Zwängen leben und uns in Zwänge bringen, müssen wir widerstehen.
Euch Eltern bitten wir: Ermutigt Eure Kinder und lasst sie, wo sie bedrängt werden, nicht allein.
Euch Jugendliche bitten wir, bedenkt rechtzeitig die Entscheidungen, die auf Euch zukommen, und welchen Weg Ihr als Christen gehen könnt.
Die Frauen, die in militärische Sicherungsmaßnahmen einbezogen werden sollen, ermutigen wir, sich auf die Freiwilligkeit zu berufen.
Wir bleiben auf der Suche nach einer zivilen Alternative zum Wehrdienst, die in unserem Lande Sicherheit und Frieden fördert.
Euch älteste und kirchliche Mitarbeiter bitten wir, informiert Euch und Eure Gemeinden über die Beratungen und Entscheidungen unserer Synode.
Wir bitten Euch alle: Sucht die Gemeinschaft mit allen, die auf der Suche nach Frieden anders entscheiden als Ihr.
Wir haben für den Frieden gebetet und wollen es weiter tun. Unser Herr kommt uns entgegen und bleibt bei uns, auch wenn wir schwach werden.
Der Friede unseres Herrn Jesus Christus sei mit uns allen.
Die Synodalen der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen
Anlage 3 zur Information Nr. 409/83
Vorlage des Sonderausschusses »Friedensfrage«
Drucksache 7.1./83
Die Synode wolle beschließen:
An die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik | 1040 Berlin | Auguststraße 8c
Die IX. Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen hat auf ihrer 8. Tagung vom 23.11.1983 bis 27.11.1983 in Halle mit Erschrecken und Enttäuschung die Raketenstationierungsbeschlüsse westeuropäischer Parlamente zur Kenntnis genommen.
Die zwischen der Regierung der UdSSR und der DDR vereinbarte Reaktion, die Vorbereitung auf die Stationierung operativ-taktischer Raketen großer Reichweite zu beschleunigen, bedrückt uns sehr.
Die gemeinsame Sorge um den Frieden hat in den zurückliegenden Monaten zu einer größeren Gesprächsoffenheit in unserem Lande geführt. Wir erkennen das,
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in den sichtbaren Bemühungen unserer Regierung um die Erhaltung des Friedens in Europa;
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in der Gesprächsbereitschaft unserer Regierungsvertreter mit westlichen Politikern;
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in ermutigenden Zeichen, wie Christen in unseren Medien öffentlich Stimme gegeben wird (z. B. Brief der Kirchengemeinde Dresden-Loschwitz);62
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in der erklärten Bereitschaft, auch mit Pazifisten zusammenzuarbeiten (Erich Honecker63 im Stern-Interview, ND vom 4.11.1983);64
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in der Bereitschaft unserer Regierung, das Territorium der DDR für eine kernwaffenfreie Zone in Mitteleuropa zur Verfügung zu stellen.65
Die Synode bittet die Konferenz, in Gesprächen mit der Regierung der DDR an diese Erfahrungen der letzten Monate anzuknüpfen und die nachfolgenden Aussagen vorzutragen. (Wir bitten darum, in diesem Gespräch auch die beiden Anlagen zu diesen Fragen zu überreichen.) Der Synode der Evangelischen Kirchen in unserem Lande der Kirchenprovinz Sachsen liegen zahlreiche Eingaben vor, die einen solchen Schritt der Evangelischen Kirchen in unserem Land jetzt für dringend notwendig halten. Die Konferenz der Kirchenleitungen ist auch durch den Beschluss der Bundessynode vom 19.9.198366 jetzt zu einer Reaktion herausgefordert. In diesem Beschluss, dem wir zustimmen, heißt es:
»Wir kommen dem Aufruf der VI. Vollversammlung des ÖRK nach und erklären, dass sowohl die Herstellung und Stationierung als auch der Einsatz von Atomwaffen ein Verbrechen gegen die Menschheit darstellen, und dass solch ein Versehen aus ethischer und theologischer Sicht verurteilt werden muss.«67
1. Der Staatsratsvorsitzende hat mehrfach erklärt, dass mehr Rüstung nicht mehr Sicherheit bedeutet, und dass es keinen Stationierungsautomatismus geben darf.
Wir halten es für verhängnisvoll, dass diese Einsicht jetzt offenbar aufgegeben wird und der Frieden durch noch mehr Waffen gesichert werden soll. Wir bitten die Verantwortlichen dringend darum, die Erkenntnis, dass mehr Waffen nicht mehr Sicherheit bringen, auch künftig konsequent in konkrete Politik umzusetzen. Wir halten es deshalb für dringend erforderlich,
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dass alles versucht wird, auf die beabsichtigte Stationierung von neuen Raketen auf dem Boden der DDR zu verzichten und die Vorbereitungen dazu einzustellen.
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dass die Abrüstungsverhandlungen nicht abgebrochen, sondern gerade jetzt auf allen Ebenen weitergeführt werden.
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dass in Aufnahme des politischen Konzepts der Sicherheitspartnerschaft eine gemeinsame Kommission von der Regierung der DDR und der BRD gebildet wird, die Fragen der militärischen Sicherheit und Abrüstung bearbeitet.
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die Kontakte zwischen beiden deutschen Staaten auf allen Ebenen fortzuführen und nach Möglichkeit zu verstärken.
2. Wir bejahen, dass unser Staat die Aufgabe hat, für die Sicherheit unseres Lebens zu sorgen, und wir wollen an der Stärkung der DDR weiter mitarbeiten. Uns erschreckt aber, dass schon durch die bestehende Rüstung unser Land ökonomisch, ökologisch und moralisch belastet wird. Auch und gerade in dieser Situation der Rüstungseskalation wollen wir als Kirche deutlich machen, dass wir bereit sind,
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dazuzuhelfen, Spannungen in unserem Land abzubauen, weil sie friedensgefährdende Belastungen darstellen.
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mit Kirchen der Welt im Gespräch zu bleiben, dass sie das ihre tun, um Unrecht, Not und Gewalt zu verringern.
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uns an neuen, bisher noch kaum erprobten ökonomisch weniger aufwendigen Formen der Sicherung unseres Landes zu beteiligen (unter anderem »Sozialer Friedensdienst«).
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neue Lasten, die durch ökologische Anpassung der Produktion entstehen, mitzutragen.
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im Lande und nach außen solche Einschränkungen verständlich zu machen, die den Friedenswillen der DDR auch im Blick auf die dritte Welt deutlich erkennen lassen.
3. Darüber hinaus sollte die Konferenz der Kirchenleitungen Gespräche zu folgenden Problemen suchen:
3.1. Wir sehen uns in der derzeitigen Situation in Mitteleuropa genötigt, den Gemeindemitgliedern zu sagen, dass wir militärische Rüstung nicht mehr als ein sinnvolles Instrument zum Schutz des Friedens betrachten und somit auch die Beteiligung am Wehrdienst infrage stellen müssen. Wir erwarten, dass die Gewissensentscheidung von Wehrdienstverweigerern (auch Reservisten) respektiert werden.
3.2. Da der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln nach unserer Einsicht gegen Grundsätze des Völkerrechts, der Menschenrechte und des Kriegsrechts verstößt und in einem solchen Fall die Berufung auf »Gesetz, Befehl oder Anweisung« nicht entschuldigen (Strafgesetzbuch § 95),68 glauben wir, dass der Fahneneid für den Fall der Mitwirkung am Einsatz von Massenvernichtungsmitteln nicht binden kann.
Daher wäre zu fragen, welche juristische Konsequenz dies für unsere Wehrgesetzgebung hat. (Vgl. Erklärung »Frieden und Gerechtigkeit« der VI. Vollversammlung von Vancouver, Ziffer 25.)69
3.3. Wir lehnen ebenso wie viele Frauen, die uns beunruhigt geschrieben haben, jede Art der Erfassung von Frauen zum militärischen Dienst ab, auch wenn sie gegenwärtig auf der Grundlage der Freiwilligkeit erfolgt. Einen Einsatz von Frauen im militärischen Dienst halten wir nicht für möglich. Ebenso lehnen wir ab, dass Mädchen im Sportunterricht und bei vormilitärischen Übungen zum Schießen genötigt werden.
3.4. Das Militärische darf nicht das gesellschaftliche Leben vom Kriegsspielzeug für Kinder bis zu Übungen der Zivilverteidigung ausnahmslos durchdringen. Darin erkennen wir keine Erziehung zum Frieden.
3.5. Wir bitten die Konferenz der Kirchenleitungen, insbesondere in Gesprächen mit der Regierung dafür einzutreten, dass die Hoffnung, die sich im Friedensengagement unserer Gemeinden Ausdruck verschafft, nicht zum Erliegen gebracht wird.
Halle, den 26. November 1983