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Aktionswoche der Friedensbewegung

14. Oktober 1983
Information Nr. 338/83 über geplante Handlungen gegnerischer und feindlich-negativer Kräfte im Zeitraum der Aktionswoche der Friedensbewegung der BRD und Westberlins

Nach dem MfS vorliegenden internen und offiziellen Informationen haben gegnerische Kräfte in Westberlin in der Nähe der Staatsgrenze zur DDR unter Ausnutzung der Aktionswoche der Friedensbewegung der BRD und Westberlins (15. bis 22. Oktober 1983) die Durchführung öffentlichkeitswirksamer, gegen die DDR gerichteter Aktionen vorbereitet.1

Von den bisher bekannt gewordenen Vorhaben sind insbesondere folgende beachtenswert:

Für den 15. Oktober 1983, gegen 15.00 Uhr, ist im Raum Potsdamer Platz, Brandenburger Tor und Reichstagsgebäude die Bildung einer »Menschenkette entlang der Mauer« vorgesehen.

Damit soll der Forderung nach »Abbau von Grenzen, Mauern und Feindbildern« Nachdruck verliehen werden. Gegen 16.30 Uhr ist von den genannten Handlungsräumen aus das Auflassen von Luftballons in Richtung Hauptstadt der DDR vorgesehen, an denen sogenannte persönliche Botschaften oder »persönliche-Friedensverträge«2 – bestimmt für DDR-Bürger – befestigt würden.

Außerdem würden zum gleichen Zeitpunkt »Blockadeaktionen« an Grenzübergangsstellen zur Hauptstadt der DDR, Berlin, Auftritte von Amateurmusikgruppen unter dem Motto »Posaunenchöre blasen gegen die Mauer« sowie »Mal- und Spielaktionen von Kindern an der Mauer« stattfinden.

Am 17. Oktober 1983 soll in Westberlin und in der BRD eine Unterschriftensammlung unter einem Appell beginnen, der an die Abgeordneten des Bundestages gerichtet ist und diese auffordert, sich gegen die Stationierung neuer amerikanischer Raketen in der BRD zu entscheiden. Die Initiatoren beabsichtigen, auch in der DDR eine diesbezügliche Unterschriftensammlung unter einen ähnlich lautenden Appell zu initiieren.

Bei den Organisatoren der genannten Aktivitäten handelt es sich insbesondere um Mitglieder des »Arbeitskreises atomwaffenfreies Europa«3 (hinlänglich bekannt wegen Aktivitäten zur Spaltung und Zersetzung der Friedensbewegung in der BRD und Westberlins), des Westberliner Landesverbandes der »Grünen« sowie der »Alternativen Liste« Westberlin. Sie beabsichtigen, in Westberlin ansässige Mitglieder der ehemaligen feindlich-negativen Gruppierung aus Jena einzubeziehen.4

Internen Hinweisen zufolge äußerten dem MfS hinreichend bekannte feindlich-negative Kräfte, insbesondere aus dem Umgangskreis von Pfarrer Eppelmann5 und Bärbel Bohley6 (Initiatoren der sogenannten Fraueninitiative)7 die Absicht, im Zeitraum der in der BRD und in Westberlin stattfindenden Aktionswoche in der Hauptstadt der DDR, Berlin, analoge öffentlichkeitswirksame Aktionen durchführen zu wollen, um damit die Existenz einer sogenannten blockübergreifenden Friedensbewegung zu demonstrieren.

Bisherigen Feststellungen zufolge sollen, initiiert von den Führungskräften der sogenannten Fraueninitiative, am 17. Oktober 1983 ca. 30 bis 50 schwarz gekleidete Frauen auf dem Hauptpostamt Alexanderplatz persönlich verfasste Einschreibbriefe an das Wehrbezirkskommando Berlin aufgeben, in denen sie ihre ablehnende Haltung zum Wehrdienstgesetz der DDR8 bekunden wollen.9

(Der 17.10.1983 wurde im Rahmen der »Aktionswoche für den Frieden« in der BRD und in Westberlin zum »Widerstandstag der Frauen« erklärt.)

Nach bisher noch nicht bestätigten internen Hinweisen ist für den 22. Oktober 1983 eine provokativ-demonstrative Aktion im Bereich der Botschaft der UdSSR bzw. der USA in der Hauptstadt der DDR vorgesehen.10

Nach bisherigen Erkenntnissen und Erfahrungen über das Reagieren dem MfS bekannter feindlich-negativer Kräfte in der DDR und ihrer Hauptstadt bei ihnen geeignet erscheinenden Anlässen sind weitere Aktivitäten dieser Kräfte nicht auszuschließen.

Durch das MfS wurden weitere Maßnahmen zur Aufklärung dieser Pläne und Aktivitäten eingeleitet. Im Zusammenwirken mit dem MdI und gesellschaftlichen Kräften erfolgen geeignete und differenzierte Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung aller diesbezüglichen Handlungen und Aktivitäten.

  1. Zum nächsten Dokument Feindlich-negative Kräfte

    [ohne Datum]
    Hinweise auf geplante Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte in der DDR im Zeitraum der Aktionswoche der Friedensbewegung der BRD und Westberlins (15. bis 22. Oktober 1983) [K 1/130]
  2. Zum vorherigen Dokument Einnahmen, Mindestumtausch, 3.10.–10.10.1983

    12. Oktober 1983
    Information Nr. 337/83 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 3. Oktober 1983 bis 10. Oktober 1983

  1. Im Oktober 1983 organisierte die westdeutsche Friedensbewegung eine Aktionswoche mit Menschenketten, Sitzblockaden und Friedenscamps, um im Vorfeld der Abstimmung des Bundestages über den NATO-Doppelbeschluss gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen zu demonstrieren. Der NATO-Doppelbeschluss wurde im Dezember 1979 gefasst, nachdem die Sowjetunion ihre Mittelstreckenraketen in Europa durch moderne SS-20-Rakten ersetzt hatte. Gegenstand des Beschlusses waren Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Abrüstung der Mittelstreckenraketen. Für den Fall, dass diese Verhandlungen bis Ende 1983 ergebnislos blieben, sollten die USA ihrerseits Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik stationieren. Trotz Massenprotesten stimmte der Bundestag nach zweitägiger Debatte am 22.11.1983 der Stationierung US-amerikanischer Raketen zu.

  2. Im Herbst 1983 hatten Friedenskreise aus Sachsen und Mecklenburg die Idee, zwischen Privatpersonen in Ost und West »persönliche Friedensverträge« abzuschließen. Was zwischen Staaten (noch) nicht möglich war, sollte zwischen Privatpersonen einfach mal ausprobiert werden: blockübergreifende Friedens- und Nichtangriffsabmachungen. Mit dieser Initiative sollte nicht nur das Freund-Feind-Denken überwunden, sondern intensivere Ost-West-Kontakte aufgebaut werden. Eine wichtige Klausel in den Verträgen betraf dabei die Entmilitarisierung des Alltages, etwa ein Kinderzimmer als »entmilitarisierte Zone«. Erste persönliche Friedensverträge gab es zwischen dem Umweltaktivisten Wolfgang Rüddenklau und dem Dortmunder Stadtrat der Grünen, Hans Hücking. Während des Besuches der Grünen-Bundestagsfraktion bei Erich Honecker am 31.10.1983 übergab Dirk Schneider ebenfalls einen »Persönlichen Friedensvertrag«, den der SED-Chef zur Verblüffung der Anwesend sogar bei zwei Punkten unterschrieb. Vgl. dazu http://www.jugendopposition.de/145409 (letzter Abruf: 31.8.2020).

  3. Der im April 1981 unter anderem von Rudolf Bahro, Jürgen Graalfs und Rudolf Steinke gegründete »Arbeitskreis atomwaffenfreies Europa« in Westberlin engagierte sich als Teil einer internationalen Bewegung für eine vollständige atomare Abrüstung in Europa. Die 20 Aktivisten kooperierten besonders eng mit der Russell-Peace-Foundation und wurden von Vertretern der SPD, der Grünen, der Sozialistischen Jugend Deutschlands und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unterstützt. Der im Oktober 1981 vom Arbeitskreis organisierte Friedenskongress zum Thema »Alternativen europäischer Friedenspolitik« war eine wichtige Vorbereitung für die von der »European Nuclear Disarmament«-Kampagne initiierte Abrüstungskonferenz im Mai 1983 in Westberlin. Die SED-Führung nannte den Arbeitskreis einen antisozialistischen »Spalter« der Friedensbewegung und ließ ihn von der Staatssicherheit umfassend überwachen. Vgl. Knabe, Hubertus: Die unterwanderte Republik. Stasi im Westen. Berlin 1999; Auerbach, Thomas: Der Frieden ist unteilbar: Die blockübergreifende Friedensbewegung im Visier der Stasi-Hauptabteilung XX/5 (1981 bis 1987). In: Deutschland Archiv 30(1997)3, S. 369–377.

  4. Gemeint sind hier Mitglieder der »Friedensgemeinschaft Jena«, einer der seinerzeit lebendigsten Oppositionsgruppen in der DDR, deren Mitglieder sich aktiv in der unabhängigen Friedensarbeit engagierten und sich kritisch mit der politischen Zurückhaltung der evangelischen Amtskirche auseinandersetzten, außerdem agierten sie auch außerhalb kirchlicher Schutzräume. Der Gründung waren vielfältige Aktionen von Jugendlichen vorausgegangen, z. B. Proteste gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns (1976), Kritik an der Nähe der thüringischen Kirche zum SED-Staat, Friedensdemonstrationen oder Schweigemärsche (1982) in Andenken an den 1981 in MfS-Untersuchungshaft umgekommenen Matthias Domaschk. Nachdem zwölf junge Leute im Januar und Februar 1983 vorübergehend durch die Staatssicherheit verhaftet worden waren und aus Protest gegen die fehlende Solidarität der Thüringer Kirchenleitung fanden sich Jugendliche und Studenten im März 1983 zur »Friedensgemeinschaft Jena« zusammen. Unterstützt wurde die Jenaer Friedensgemeinschaft vom Braunsdorfer Jugendpfarrer Walter Schilling (vgl. Pietzsch, Henning: Jugend zwischen Kirche und Staat. Geschichte der kirchlichen Jugendarbeit in Jena 1970–1989. Köln 2005.) Um die Jenaer Oppositionsszene nachhaltig zu schwächen, genehmigten die Behörden in 1983 in kurzer Zeit zahlreiche Anträge auf ständige Ausreise von Aktivisten, die teils schon seit Jahren von den staatlichen Stellen und der Staatssicherheit drangsaliert worden waren. Die Staatssicherheit schreckte auch vor gewaltsamer Ausweisung – wie im Fall Roland Jahns – nicht zurück.

  5. Rainer Eppelmann, Jg. 1943, evangelischer Theologe, 1966 Verweigerung des Eides als Bausoldat, Verurteilung zu acht Monaten Haft, 1975–89 Pfarrer der Samariter-Gemeinde in Berlin-Friedrichshain, 1979–86 Organisator von Blues-Messen (Gottesdienst mit Konzert) im Rahmen seiner kirchlichen Jugendarbeit, die einen Ausgangspunkt oppositioneller Aktivitäten bildeten, 1982 zusammen mit Robert Havemann Verfasser des »Berliner Appells« (»Frieden schaffen ohne Waffen«) zur Entmilitarisierung beider deutscher Staaten, daraufhin Inhaftierung durch das MfS vom 9. bis 11.2.1982.

  6. Bärbel Bohley, Jg. 1945, Malerin, Mitbegründerin der Oppositionsgruppe »Frauen für den Frieden« (1982) und der Initiative Frieden und Menschenrechte (1985/86), Januar 1988 Verhaftung nach Protestaktionen während der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration und Abschiebung nach England, August 1988 Rückkehr in die DDR, September 1989 Mitbegründerin des »Neuen Forums«.

  7. Mit »Fraueninitiative« gemeint ist hier die Gruppe »Frauen für den Frieden«, die im Oktober 1982 in Ostberlin entstand, um sich gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft in der DDR zu wenden. Hintergrund war das DDR-Wehrdienstgesetz von 1982, das im Fall der Mobilmachung auch Frauen im Militärdienst vorsah. Bärbel Bohley, Katja Havemann, Almut Ilsen, Irena Kukutz, Ulrike Poppe, Bettina Rathenow und Karin Teichert verfassten daraufhin ein Protestschreiben an Erich Honecker, das von 150 Frauen unterschrieben wurde. Später gründeten sich in weiteren Städten Frauengruppen, die sich zu einem DDR-weiten Netzwerk zusammenschlossen. Seit 1984 fanden jährliche DDR-weite Frauentreffen statt, u. a. 1988 in Karl-Marx-Stadt zum Thema »Frauen und Autoritätsstrukturen«.

  8. Seit dem Wehrpflichtgesetz aus dem Jahr 1962 war es möglich, diensttaugliche Frauen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren im Verteidigungsfall in die allgemeine Wehrpflicht einzubeziehen. Mit dem Wehrdienstgesetz der DDR v. 25.3.1982 wurde die Möglichkeit zur Einberufung von Frauen für den Fall einer Mobilmachung erweitert. Vgl. Gesetz über den Wehrdienst in der DDR v. 25.3.1982; GBl. I 1982, S. 221.

  9. Tatsächlich führten die »Frauen für den Frieden« die sogenannte »Aktion in Schwarz« am 17.10.1983 durch. Die in der Mehrzahl schwarz gekleideten etwa 30 bis 50 Frauen protestierten im Hauptpostamt am Alexanderplatz und gaben Briefe an das Wehrbezirkskommando Berlin auf, in denen sie mitteilten, sich der Erfassung für jegliche Art von Wehrdienst zu verweigern. Sicherheitskräfte nahmen zahlreiche beteiligte Frauen fest und führten anschließend Verhöre durch. Eine exemplarische Eingabe von Ulrike Poppe findet sich in der Ausstellung Frauenwiderstand in der DDR – Tafel 7, online abrufbar unter: https://www.havemann-gesellschaft.de (letzter Abruf: 13.3.2020).

  10. Bereits am 1.9.1983, dem Weltfriedenstag, hatten Mitglieder der ostdeutschen Friedensbewegung mit einer Menschenkette zwischen den Botschaften der USA und der Sowjetunion demonstriert. Die Aktion wurde unmittelbar von der Volkspolizei aufgelöst. Bildaufnahmen der Aktion sowie der Auflösung sind online abrufbar unter: https://www.stasi-mediathek.de (letzter Abruf: 31.8.2020).