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Probleme Agrarpreisreform

29. August 1983
Information Nr. 264/83 über einige von Werktätigen der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der bevorstehenden Agrarpreisreform diskutierte Probleme

Nach dem MfS vorliegenden internen Hinweisen aus fast allen Bezirken der DDR stehen Probleme der bevorstehenden Reform der Agrarpreise seit deren Veröffentlichung im Mittelpunkt zahlreicher Meinungsäußerungen von Werktätigen der sozialistischen Landwirtschaft.1

Durch die Mehrzahl der Werktätigen der sozialistischen Landwirtschaft und von leitenden Kadern der sozialistischen Landwirtschaft werden das Grundanliegen und die Zielstellung der Agrarpreisreform begrüßt, da sie ein wesentliches Mittel zur Erhöhung der Effektivität der landwirtschaftlichen Produktion sei und dazu zwingen würde, den teilweise sorglosen und verschwenderischen Umgang mit den materiellen Fonds radikal zu unterbinden und ein strenges Sparsamkeitsregime durchzusetzen.

Davon abweichende Auffassungen und Meinungsäußerungen seien nach Äußerungen von Beteiligten offensichtlich auf ungenügendes Verantwortungsbewusstsein und daraus resultierende Verhaltensweisen einzelner Funktionäre und Mitarbeiter des Staatsapparates sowie auch von Leitungskadern der Landwirtschaft zurückzuführen.

Nach Auffassung von Fachleuten ist jedoch trotz aller bisherigen Anstrengungen bei der Erläuterung des Grundanliegens der Agrarpreisreform und umfangreicher politisch-ideologischer und organisatorischer Maßnahmen ein großer Teil der Werktätigen der Landwirtschaft noch zu wenig mit Einzelheiten der Agrarpreisreform vertraut. Daraus resultierende Reaktionen seien daher in erster Linie als subjektive Widerspiegelung des konkreten Kenntnisstandes zu den vorgesehenen Regelungen zu diesem Problem zu werten.

Viele Unklarheiten sind vor allem in Genossenschaften/Betrieben mit niedrigem Produktionsniveau zu verzeichnen. Wie in internen Einschätzungen dazu festgestellt wird, wäre aber auch die unterschiedliche Mentalität, Aufnahmebereitschaft und -fähigkeit der Werktätigen der sozialistischen Landwirtschaft in Rechnung zu stellen, für die erst mit dem praktischen Wirksamwerden der Agrarpreisreform das volle Ausmaß zunehmend überschaubarer und damit zugleich verständlicher werde.

Offenkundig sei im bisherigen Klärungsprozess zur Agrarpreisreform auch noch nicht in ausreichendem Umfang darauf eingegangen worden, dass sich die stimulierende Wirkung der Maßnahmen nur dann günstig auf die Einnahmen der Genossenschaften auswirke, wenn entsprechende Leistungen in der Pflanzen- und Tierproduktion erreicht werden, wozu es aber nach Expertenmeinungen besonders für bisher unrentable LPG der Pflanzen- und Tierproduktion in stärkerem Umfang unterstützender Handlungen aller staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte in den betreffenden Territorien bedürfe.

Andernfalls werde der Sinn der Agrarpreisreform im Bewusstsein der Mitglieder/Beschäftigten in diesen Landwirtschaftsbetrieben kaum verständlicher und daher auch wenig oder gar keinen positiven Einfluss auf deren persönliches Engagement zum effektiveren Wirtschaften ausüben. Es könne u. a. auch nur so der Gefahr des Ausweichens auf eine vorwiegend individuelle Produktion weitgehend vorgebeugt werden.

Hinzu kommt, dass in bestimmten sozialistischen Landwirtschaftsbetrieben [es] bei Aussprachen zur Agrarpreisreform darauf hinausgelaufen wäre, in erster Linie Überlegungen darüber anzustellen, wie und in welchem Umfang durch eine Erhöhung der individuellen Produktion den einzelnen Beschäftigten der Landwirtschaft höhere Einkommen gesichert werden können.

Gewisse Befürchtungen, die Reform werde unter Umständen nicht den gewünschten Erfolg haben, konzentrieren sich insbesondere auf solche Fragen und Probleme wie die noch teilweise ungünstige Gestaltung des Verhältnisses von Pflanzen- und Tierproduktion, die »Gefahr« einer noch größeren Differenzierung des bestehenden ökonomischen Niveaus durch die Bildung von Vereinbarungspreisen, die Perspektiven der weiteren Gestaltung der Kooperationsbeziehungen sowie künftige Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der individuellen Tierproduktion.

Eine Anzahl von Leitungskadern von Landwirtschaftsbetrieben und örtlicher Organe behauptet nach wie vor, mit der Agrarpreisreform würden die Landwirtschaftsbetriebe der Pflanzenproduktion ökonomisch bevorteilt. Dabei wird meist auf die in der Vergangenheit oftmals festzustellende Tatsache hingewiesen, dass die Tierproduktion unter ungleich ungünstigeren Produktionsbedingungen (z. B. geringerer Mechanisierungsgrad, hoher Arbeitsstundenaufwand) und damit wesentlich unrentabler wirtschaftete und geringere Einkommen erzielte.

Da in Zukunft die Tierproduktion kaum noch bzw. keine Zulieferungen aus dem Staatlichen Futtermittelfonds erhalten würden, seien diese von stabilen Pflanzenproduzenten und deren möglicherweise subjektiv beeinflusster Liefer- und Leistungsbereitschaft weitestgehend abhängig.

Im Interesse der Verringerung bzw. der Beseitigung vorhandener Differenziertheit im ökonomischen Niveau zwischen Pflanzen- und Tierproduktion wäre es nach intern geäußerten Auffassungen von Fachleuten unbedingt erforderlich, auf die Kooperationsräte verstärkten Einfluss zu nehmen und durch praktische Maßnahmen eine Verbesserung des Verhältnisses von Boden – Pflanzen – Tier – Boden und damit bessere ökonomische Ergebnisse für Pflanzen- und Tierproduzenten zu sichern.

In engem Zusammenhang mit vorgenannten Problemen konzentriert sich das Interesse der Beteiligten in den Aussprachen vor allem auf die Bildung von Vereinbarungspreisen für Futtermittel, für Stalldung, Gülle und Stroh.

Unter Beachtung der Tatsache, dass die neuen Vereinbarungspreise (z. B. zwischen Pflanzen- und Tierproduzenten für Futter zu vereinbarende Preise) im Interesse der Berücksichtigung differenzierter Produktionsbedingungen nicht auf der Grundlage staatlicher Preisfestlegungen gebildet werden, richteten sich viele Fragen auf die Methoden der praktischen Berechnung und Anwendung, der Mengen- und Qualitätsabstimmung, da hierzu bisher keine verallgemeinerungswürdigen Erfahrungen vorlägen. Bei den Aussprachen über Vereinbarungspreise für Futter wurde besonders auf bestehende Differenzen im Niveau bisher bereits zur Anwendung gelangter Vereinbarungspreise hingewiesen. (Derartige Diskussionen traten vor allem bei Tierproduzenten mit niedrigem Produktionsniveau auf.)

Fachlich erfahrene Kader äußern auch die Besorgnis, dass die neuen Vereinbarungspreise, deren Bildung in der Vergangenheit wiederholt Anlass von Zwistigkeiten zwischen den Betrieben bildete, im Rahmen der Umsetzung der Agrarpreisreform erneut wieder zum Mittelpunkt der Auseinandersetzungen werden könnten.

Nach vorliegenden Meinungen könne die Agrarpreisreform auch zu Veränderungen in der Struktur der individuellen Produktion pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse führen.

Entsprechende Diskussionen sind gegenwärtig überwiegend davon gekennzeichnet, wie und auf welche Art die individuelle Produktion den höchsten Gewinn erbringe. So gibt es vor allem Überlegungen dahingehend, mehr Schlachttiere und Ferkel zu produzieren und die Hühnerhaltung wegen sinkender Erlöse einzuschränken, den Kleinanbau von Gemüse zugunsten gewinnbringender Produkte zu erweitern sowie Ehefrauen zu veranlassen, die berufliche Tätigkeit im Interesse einer zu erweiternden individuellen Wirtschaft aufzugeben.

Es wird auch auf die Möglichkeit der Zunahme sogenannter Halbtagsbeschäftigungen hingewiesen, die die Mitgliedschaft in der Genossenschaft gewährleiste, den Anspruch auf Futtermittel der Genossenschaft erhalte und zugleich einen ausreichenden Zeitfonds für eine hohe individuelle Viehhaltung freimache.

Beachtenswert sei auch, dass z. B. die Aufkaufspreise für tierische Produkte in geringerem Umfang als die Ausgaben für Futtermittel steigen würden. Daraus resultiere für die individuellen Tierhalter ein finanzieller Mehraufwand. Landwirtschaftskader befürchten daher, dass letztere auf der Suche nach für sie günstigen Lösungswegen auch verstärkt zu ungesetzlichen (kriminellen) oder anderen, die Volkswirtschaft schädigenden Handlungen bei der Beschaffung von Futtermitteln zurückgreifen könnten (z. B. weitere Zunahme des Futtermitteldiebstahls, Erwerb und der Verfütterung von für die menschliche Ernährung bestimmten Nahrungsmitteln).

Insbesondere sei nicht auszuschließen, dass der Verbrauch von mit staatlichen Finanzmitteln subventionierten Nahrungsgütern für Futterzwecke beträchtliche Ausmaße annehme und es besonders in ländlichen Gebieten zu Versorgungsstörungen kommen könne.

Resultierend aus vorgenannten Meinungen wird wiederholt auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, die gesamte Bevölkerung in stärkerem Umfang als bisher über das gesellschaftliche Anliegen der Agrarpreisreform zu informieren und damit gleichzeitig auftretenden Diskussionen über nachfolgende angebliche Veränderungen der Einzelhandelsverkaufspreise vorzubeugen, da in einer Reihe von Meinungsäußerungen Zweifel geäußert werden, ob mit den steigenden Aufwendungen in der Landwirtschaft die EVP für Grundnahrungsmittel stabil gehalten werden können.

Es wird für erforderlich erachtet, dass insbesondere seitens der staatlichen Organe in den Bezirken und Kreisen bei Aussprachen und Beratungen zu Problemen der Agrarpreisreform alle auftretenden Probleme auf der Grundlage zentraler Entscheidungen einer schnellen Klärung zugeführt werden. Im Interesse einer erfolgreichen Umsetzung der mit der Agrarpreisreform beabsichtigten Ziele komme es vorrangig darauf an, eine politische Stärkung der Kooperationsräte zu erreichen und damit zugleich zur Festigung der Kooperationsbeziehungen zwischen Pflanzen- und Tierproduktion beizutragen.

Im Rahmen der weiteren Tätigkeit der Staatlichen Kommission für die Agrarpreisreform sollten alle weiteren bekanntwerdenden Reaktionen von Werktätigen der Landwirtschaft sorgfältig verfolgt werden.

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    29. August 1983
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