115. Tagung der Konferenz Evangelischer Kirchenleitungen
21. Januar 1988
Information Nr. 37/88 über die 115. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR vom 8. bis 9. Januar 1988 in Berlin
An der 115. Tagung der KKL, die im Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR stattfand, nahmen mit Ausnahme von Bischof Rogge/Görlitz – der sich auf der im gleichen Zeitraum stattfindenden Tagung der Evangelischen Forschungsakademie befand – alle anderen Bischöfe, die Leiter der kirchlichen Verwaltungseinrichtungen sowie alle synodalen KKL-Mitglieder teil.
Es wurden folgende Schwerpunkte behandelt:
Auswertung der Vorgänge im Zusammenhang mit der Zionskirche,1 Stellungnahme der KKL zum Vertrag zwischen der UdSSR und den USA,2 Berichte aus den evangelischen Landeskirchen, Gemeinsames Wort von BEK und »EKD« zur 1 000-Jahr-Feier der Taufe Russlands,3 Seminar »Abgrenzung und Öffnung« des BEK am 16. Januar 1988 in Oranienburg, Berufung in Kommissionen und Ausschüsse des BEK, innerkirchliche und theologische Fragen.
Durch den Leiter des Sekretariates des BEK, Oberkirchenrat Ziegler/Berlin, wurde ein kurzer Bericht zum Ablauf der Ereignisse im Zusammenhang mit der Zionskirche gegeben. (Dabei nahm Ziegler Bezug auf die von ihm erarbeitete Schnellinformation des Bundes vom 4.12.1987, die an die Mitglieder der KKL versandt worden war.) Oberkirchenrat Ziegler betonte, er habe den Eindruck gewonnen, der Staat sei bestrebt gewesen, diese Angelegenheit zu klären, ohne eine Eskalierung zuzulassen.
Bischof Demke/Magdeburg erinnerte in diesem Zusammenhang an die Geburtstagsgratulation anlässlich des 70. Geburtstages von Altbischof Krusche im Dezember 1987, wo der Staatssekretär für Kirchenfragen in Anwesenheit aller Bischöfe der evangelischen Landeskirchen in der DDR im Auftrage des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR unter Bezugnahme auf die Ereignisse in der Umweltbibliothek betont habe, dass der Staat an der Linie des 6. März 19784 festhalte und die staatlichen Maßnahmen nicht gegen die Kirche, sondern gegen den politischen Missbrauch kirchlicher Tätigkeit gerichtet gewesen seien. Durch die anwesenden kirchlichen Amtsträger wären diese Ausführungen von Staatssekretär Gysi mit Beifall aufgenommen worden.
Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin teilte mit, dass die Ermittlungsverfahren gegen die bekannten Personen am 7. Januar 1988 eingestellt wurden. Die Ereignisse hätten deutlich gezeigt, dass es für die Kirche schwer sei, wenn nicht unmöglich, die Gruppen in den Griff zu bekommen. Die bekannten Personen, gegen die Ermittlungsverfahren eingeleitet waren, unterhielten aktive und enge Beziehungen zu westlichen Journalisten und würden z. T. auch von dort gesteuert.
Stolpe kritisierte in seinen weiteren Darlegungen die tendenziöse und z. T. falsche Berichterstattung westlicher Massenmedien, die nur darauf ausgerichtet gewesen sei, die »Situation anzuheizen« und die Initiatoren zu weiteren Aktivitäten zu inspirieren.
Dabei brachte er sein Bedauern zum Ausdruck, dass die Medien der DDR in diesem Zusammenhang nicht offensiv gewirkt hätten; zwei kurze Pressehinweise in der DDR seien absolut unzureichend gewesen. Die Kirchenleitung habe erwartet, dass durch die »Aktuelle Kamera« des Fernsehens der DDR unter Einbeziehung des Staatssekretariats für Kirchenfragen und der Staatsanwaltschaft eine klare Darlegung des Sachverhalts erfolgen würde; die geeignet gewesen wäre, den westlichen Darstellungen entgegenzuwirken.
Nachdem sich keiner der Anwesenden zu den vorgenannten Beiträgen äußerte, wurde den KKL-Mitgliedern das von Bischof Demke erarbeitete Papier »Folgerungen aus den Vorgängen bei der Zionskirchgemeinde« übergeben. (Der Wortlaut wird als Anlage 1 beigefügt.)
Das Papier soll als Diskussionsgrundlage für die Behandlung dieser Problematik während der Klausurtagung der KKL im März 1988 (116. Tagung vom 11. bis 13. März 1988 in Buckow) genutzt werden und enthält Überlegungen zu folgenden Problemkreisen:
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Zusammenhang von Frieden … und Menschenrechten,
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politische Analyse der Situation,
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Umgang mit Unrechts- und Leiderfahrungen,
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Umgang mit westlichen Medien,
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Bedeutung staatlicher Autorität,
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kritische Solidarität/kritische Assistenz im Auftrag der Kirche mit »Benachteiligten«,
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Analyse der Diskussion in den Gruppen.
In diesem Papier stellt Bischof Demke u. a. fest, dass trotz ständiger Diskussion des Zusammenhangs von außenpolitischer Entspannung und innenpolitischer Entwicklung in der Kirche und in den Gruppen unklar geblieben sei, wie »dieser Zusammenhang sachlich zu beschreiben und als Wirkungszusammenhang politisch praktisch zu beurteilen ist«.
Unter Bezugnahme auf Aktivitäten westlicher Massenmedien heißt es weiter, dass die Kirchenleitungen das Gespräch mit den gesellschaftlichen Kräften in unserem Land direkt und nicht über den »Umweg westliche Medien« führen wollen. Dem gegenüber sei jedoch einzuschätzen, dass nach Auffassung einzelner kirchlicher Mitarbeiter und verschiedener kirchlicher Gruppen »westliche Medien bewusst als Mittel für die Gestaltung der Verhältnisse in der DDR eingesetzt werden sollten, um gesellschaftliche Kräfte und staatliche Instanzen zum Gespräch zu nötigen«. Dafür spreche die Erfahrung, dass Druck nicht nur Gegendruck, sondern Nachdruck auch Hörbereitschaft erzeugen könne.
In dem Papier wird weiter ein »Verfall der moralischen Autorität staatlicher Institutionen und Einrichtungen« festgestellt, der sich darin äußere, dass »staatliche Institutionen seit einiger Zeit bei der Wahrnehmung der formalen Autorität (Machtvollmacht) große Unsicherheit zeigen«. Daher sei die Frage zu stellen, wie sich die Kirche angesichts solcher Entwicklung verhalten solle.
Ferner formuliert Demke die Frage, wie kritische Solidarität/Assistenz im Auftrag der Kirche begründet sei und stellt die Forderung nach einer »beobachtenden Analyse« der Diskussionen in den Gruppen.
Im Ergebnis dieser Diskussion während der Klausurtagung im März 1988 in Buckow ist beabsichtigt, eine offizielle Stellungnahme zu den Vorgängen im Zusammenhang mit der Zionskirche zu erarbeiten und die weitere Vorgehensweise gegenüber den Gruppen festzulegen.
Entsprechend der Tagesordnung wurde eine Diskussion zum Vertrag zwischen der UdSSR und den USA über die Beseitigung nuklearer Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite geführt, in deren Ergebnis eine »Erklärung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR« zum Vertragsabschluss über den Abbau atomarer Mittelstreckenwaffen angenommen wurde.
In dieser Erklärung wird u. a. zum Ausdruck gebracht, dass mit dem Vertrag die »Hoffnungen auf Frieden und Abrüstung konkrete Gestalt gewonnen« haben und die »Wende eingeleitet« ist. »Nach Jahren der Aufrüstung habe sich damit gezeigt: ›Verhandeln lohnt sich. Es gibt einen Weg aus dem Teufelskreis der Rüstungsspirale.‹ (Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen 1987).«
Weiterhin wendet sich die Erklärung der Konferenz an die Kirchengemeinden mit der Bitte, »die Zeichen der Hoffnung tätig aufzunehmen«, da von den weiteren Schritten, mit dem atomaren Wettrüsten aufzuhören, die Lösung vieler drängender Gegenwartsprobleme abhänge. Wörtlich heißt es in der Erklärung dazu: »Zahlreiche soziale, politische und militärische Konflikte bestehen weiter und kosten Menschenleben, die Ernährung für einen großen Teil der Weltbevölkerung ist nicht gesichert und die natürliche Umwelt wird weiter zerstört«, darum gelte es auch weiterhin, »für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu beten, zu arbeiten und zu denken«.
Generell wird in der Erklärung die Hoffnung ausgesprochen, »dass das Abkommen von den vertragsschließenden Staaten ratifiziert wird«. Außerdem wird aufgefordert, »Möglichkeiten zwischen den Staaten, insbesondere denen des Warschauer Vertrages und der NATO«, zu finden, »sich über den Charakter ihrer militärischen Doktrinen, Strategien und die wechselseitige Wahrnehmung von Bedrohungen zu verständigen«. (Der Wortlaut der Erklärung wird als Anlage 2 beigefügt.)
Durch das synodale Mitglied der KKL, Dr. Nollau/Dresden wurde in der Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt der Antrag gestellt, diese Erklärung erst zu verabschieden, wenn auch eine offizielle Erklärung durch die KKL zu den Vorgängen im Zusammenhang mit der Zionskirche vorliegt.
Dieser Antrag wurde durch Bischof Leich/Eisenach mit Unterstützung der übrigen KKL-Mitglieder unter Hinweis auf die Möglichkeit der Fortsetzung der Diskussion zu dem von Bischof Demke erarbeiteten Papier auf der Klausurtagung der KKL im März 1988 in Buckow abgewiesen.
Im Rahmen der Berichte aus den Landeskirchen wurde durch Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin eine Meldung der Westberliner Zeitung »TAZ« bestätigt, wonach die letzte Ausgabe der »Umweltblätter« im Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg vervielfältigt worden sei.5
Kirchenpräsident Natho/Dessau informierte die KKL über ausgesprochene Ordnungsstrafen gegen zwei Pfarrer aus dem Bereich der Evangelischen Landeskirche Anhalts im Ergebnis eines Auftritts von Krawczyk. Daraus erwachsen derzeitig Probleme, da die zwei Pfarrer die Zahlung verweigert hätten.
Oberkirchenrat Völz/Görlitz teilte mit, dass ein Auftritt von Krawczyk im Bereich der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes Ende 1987 im Ergebnis der Einflussnahme durch die Kirchenleitung verhindert wurde. Die Görlitzer Kirchenleitung vertrete einheitlich die Auffassung, auch zukünftig im Görlitzer Kirchengebiet keine Auftritte von Krawczyk und Klier zuzulassen.
Oberkirchenpräsident Müller/Schwerin gab einen Bericht über die durch kirchliche Vertreter getroffenen Feststellungen zum Verlauf des 3. Folgetreffens der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Wien.6 Er begrüßte, dass die Verhandlungen bis zur Erarbeitung eines Schlussdokuments fortgeführt werden sollen. Ferner betonte er, durch die kirchlichen Vertreter sei mit besonderer Freude und Genugtuung die Mitteilung der Delegation der UdSSR aufgenommen worden, wonach in der UdSSR eine Änderung der Religionsgesetzgebung vorgesehen sei. Mit dieser Veränderung solle die freie Religionsausübung für Kinder und Jugendliche ermöglicht werden.
Oberkirchenrat Ziegler/Berlin berichtete über eine erfolgte Zusage seitens leitender Vertreter des Staatssekretariats für Kirchenfragen der DDR, Informationsgespräche zu Wehrdienstfragen im Jahre 1988 durchzuführen. Eine terminliche Festlegung durch das Ministerium für Nationale Verteidigung sei bisher nicht erfolgt, sie werde jedoch in Kürze erwartet. (Streng vertraulich wurde bekannt, dass von Mitgliedern des BEK ein Termin Ende Januar/Anfang Februar 1988 angenommen wird.)
Entsprechend der Festlegung auf der 114. Tagung der KKL (6./7. November 1987) wurde erneut der Entwurf eines Gemeinsamen Wortes EKD/BRD – BEK in der DDR zur 1 000-Jahr-Feier der Taufe Russlands 1988 behandelt.
Der durch die Tagung bestätigte Entwurf wurde mit Beendigung des Tagesordnungspunktes wieder eingesammelt, wobei alle KKL-Mitglieder auf die vertrauliche Behandlung des Dokuments bis zu seiner Veröffentlichung verwiesen wurden. Das Dokument soll noch im Januar 1988 durch den Vorsitzenden des Rates der EKD, Bischof Kruse/Westberlin und den Vorsitzenden der KKL, Bischof Leich unterzeichnet werden.
(Internen Hinweisen zufolge sei die Grundtendenz des Entwurfs das Erinnern an die Vergangenheit, Erinnern, um zu versöhnen. Siehe Information des MfS Nr. 435/87 vom 23. November 1987, Seiten 5/6.)7
Zur Durchführung des am 16. Januar 1988 stattgefundenen Seminars »Abgrenzung und Öffnung« mit Absendern von Eingaben an die Herbstsynode des BEK zum Antrag »Absage an Prinzip und Praxis der Abgrenzung« wurde durch die KKL festgelegt, keine Teilnehmer ohne persönliche Einladung zum Seminar zuzulassen. Entsprechend der erfolgten Abstimmung mit dem Präsidium der Synode wurde festgelegt, während des Seminars keine Beschlussgremien zu bilden und keine Abschlussdokumente oder Positionspapiere verabschieden zu lassen. Generell wurde die Teilnahme von Journalisten am Seminar abgelehnt.
Darüber hinaus wurde vereinbart, durch den Bund eine Pressemitteilung zum Seminar herauszugeben. Als Vertreter am Seminar wurden Bischof Forck/Berlin, Bischof Demke/Magdeburg, Konsistorialpräsident Kramer/Magdeburg und Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin benannt.
Im Auftrag des Ausschusses »Kirche und Gesellschaft« informierte Bischof Stier/Schwerin darüber, dass durch Propst Falcke/Erfurt dessen Widerberufung in diesen Ausschuss – die auf der 111. Tagung der KKL (8./9. Mai 1987) erfolgte – »aus persönlichen Gründen« nicht angenommen wurde.
(Propst Falcke hatte die Funktion als Vorsitzender des Ausschusses seit zwei Legislaturperioden – seit 1977 – inne. Der Ausschuss »Kirche und Gesellschaft« ist gemäß seiner Aufgabenstellung das bedeutendste Gremium des BEK zur Erarbeitung strategischer Orientierungen zum Verhältnis Staat – Kirche; er hat außerdem die Aufgabe »die KKL in den Fragen von Kirche und Gesellschaft zu begleiten … sowie Entscheidungen der Leitungsorgane vorzubereiten … und u. a. auch auf die Verbindungen von kirchlichen Leitungsgremien und Gemeinden zu staatlichen Vertretern und Institutionen zu achten«.)
Streng internen Hinweisen zufolge resultiere die Ablehnung Falckes zur Widerberufung in den Ausschuss »Kirche und Gesellschaft« aus Verärgerung und Missfallen darüber, dass sein Auftreten auf der 3. Synode des BEK (September 1987 in Görlitz) nicht die ihm angeblich gebührende Unterstützung kirchenleitender Gremien gefunden habe. Sein Missfallen beziehe sich insbesondere darauf, dass die KKL und das Präsidium der Bundessynode z. T. direkt Ablehnung gegenüber den von ihm aufgezeigten Thesen bzw. seinem Auftreten gezeigt hätten.
Falcke habe sich in einem sehr vertraulichen Gespräch ferner geäußert, er hätte nach seinem Auftreten in Görlitz nicht mit einer solchen Reaktion des Staatsapparates (u. a. Gespräch des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Erfurt mit ihm persönlich) gerechnet; auf die von ihm erhoffte Unterstützung seitens seiner eigenen Landeskirche habe er vergeblich gewartet.
Als Nachfolger für Falcke in die Funktion des Vorsitzenden des Ausschusses »Kirche und Gesellschaft« wurde Konsistorialpräsident Kramer/Magdeburg gewählt.
Durch die Konferenz erfolgte die Berufung von Pfarrer Rudi Pahnke/Berlin als Sekretär der Kommission für kirchliche Jugendarbeit beim BEK in der DDR. Die Berufung von Pahnke erfolgte für den Zeitraum von fünf Jahren ab 1.1.1989.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage 1 zur Information Nr. 37/88
– Abschrift –
Folgerungen aus den Vorgängen bei der Zionskirchgemeinde
- 1.
Der Zusammenhang von Frieden und Menschenrechten
Dieses Thema war bei dem Seminar »Konkret für den Frieden IV« 1986 in Stendal massiv präsent. Es ist auch überall dort zur Stelle, wo in Synodenbeschlüssen oder Berichten an die Synoden die Notwendigkeit der Verknüpfung zwischen außenpolitischer Entspannung und innenpolitischer Entwicklung betont wird. Wie aber dieser Zusammenhang sachlich zu beschreiben und als Wirkungszusammenhang politisch praktisch zu beurteilen ist, bleibt unklar.
- 2.
Politische Analyse der Situation
In den Beratungen von Synoden und Kirchenleitungen findet eine ausdrückliche Auseinandersetzung über die politische Analyse der Situation kaum statt. In Gemeindekreisen und -gruppen nimmt aber die Diskussion politischer Analysen zu. Das ist zu begrüßen, muss aber als Herausforderung auch von den Kirchenleitungen ausdrücklich aufgenommen werden. Manchen Vorwürfen an die Adresse der Kirchenleitungen liegt das Urteil zugrunde, dass sie einer illusionären politischen Beurteilung der Situation folgen und darum ihr Verhalten zu einer gefährlichen Verschleierung dieser Situation beiträgt.
- 3.
Umgang mit Unrechts- und Leiderfahrungen
Während die Kirchenleitungen darum bemüht sind, sich für alle einzusetzen, die von Unrecht betroffen sind und deren Lebensmöglichkeiten beschnitten werden, neigen manche Gruppen dazu, Unrecht- und Leiderfahrungen zu kumulieren und als Mittel, um notwendige Beunruhigung auszulösen, zu benutzen. Ist ein solches Verhalten in der Nachfolge Christi vertretbar und unter welchen Voraussetzungen ist es geboten?
- 4.
Umgang mit westlichen Medien
Die Kirchenleitungen haben sich im Umfeld der Gründung des Bundes dafür entschieden, das Gespräch mit den gesellschaftlichen Kräften in unserem Lande direkt zu führen und nicht auf dem Umweg über westliche Medien. Zunehmend haben die Kirchenleitungen davon abgesehen, die westlichen Medien als Machtverstärker einzusetzen. Zugleich waren sie bemüht, durch diese Medien ein möglichst heutiges Bild vom kirchlichen Leben in unserem Lande auch in die Bundesrepublik hinein zu vermitteln. Einzelne Mitarbeiter und verschiedene kirchliche Gruppen sind jetzt allem Anschein nach der Auffassung, dass westliche Medien bewusst als Mittel für die Gestaltung der Verhältnisse in der DDR eingesetzt werden sollten, um gesellschaftliche Kräfte und staatliche Instanzen zum Gespräch zu nötigen. Dafür spricht die Erfahrung, dass Druck nicht nur Gegendruck, sondern Nachdruck auch Hörbereitschaft erzeugen kann.
- 5.
Die Bedeutung staatlicher Autorität
Die an vielen Stellen zu beobachtende Staatsverdrossenheit stellt den Nährboden für Gedankengut des Anarchismus dar, das bei einigen Gruppen und manchen Mitarbeitern verbreitet ist. Dadurch wird die Frage nach Sinn, Leistungsmöglichkeiten und Grenzen staatlicher Strukturen und Ordnungen in einer Massengesellschaft mit technisch-wissenschaftlicher Zivilisation gar nicht mehr gestellt. Gleichzeitig nimmt der Verfall der moralischen Autorität staatlicher Institutionen und Einrichtungen zu. Auch wenn qualitativ Neues verlautet werden soll, wird es nicht wahrgenommen oder kann es sich nicht glaubwürdig geben. Staatliche Institutionen zeigen seit einiger Zeit bei der Wahrnehmung der formalen Autorität (Machtvollmacht) große Unsicherheit. Wie soll die Kirche sich angesichts solcher Entwicklung verhalten? Soll sie sich damit zufrieden geben, von solcher Entwicklung profitieren? Soll sie stellvertretend wirksam werden in »gesellschaftlicher Diakonie«? Muss sie sich ausdrücklich zu Fragen der staatlichen Autorität und Loyalität äußern?
- 6.
Wie ist kritische Solidarität/Assistenz im Auftrag der Kirche begründet?
Die Beantwortung dieser Frage scheint wichtig, weil nur von dieser Beantwortung her es möglich ist zu entscheiden, ob und wie kritische Solidarität auch mit denen geübt werden muss, die als Benachteiligte oder Ausgegrenzte einen Anspruch auf Solidarisierung geltend machen.
- 7.
Analyse der Diskussion in den Gruppen
Die Kirchenleitungen brauchen eine beobachtende Analyse der Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen den Gruppen, wie sie besonders bei dem regionalen Treffen der Gruppen in Berlin-Brandenburg am 25.10.1987 in Potsdam zutage getreten sind. Die Kirchenleitungen können sich aus diesen Auseinandersetzungen nicht heraushalten. Sie müssen sich aber auch vor der Versuchung schützen, diese Auseinandersetzungen nur für ihre Leitungsinteressen zu nutzen. Deswegen brauchen sie eine beobachtende Analyse.
gez. Demke
Anlage 2 zur Information Nr. 37/88
[Abschrift]
Erklärung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR [vom 9. Januar 1988], abgegeben auf der 115. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen
Zum Beginn des neuen Jahres haben wir Grund genug, Gott zu danken. Im zurückliegenden Jahr 1987 haben Hoffnungen auf Frieden und Abrüstung konkrete Gestalt gewonnen. Die Wende ist mit dem Vertrag zwischen der UdSSR und den USA vom 8. Dezember 1987 über die Beseitigung ihrer landgestützten atomaren Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite eingeleitet. Nach Jahren der Aufrüstung hat sich damit gezeigt: »Verhandeln lohnt sich. Es gibt einen Weg aus dem Teufelskreis der Rüstungsspirale« (Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen, 1987). Abrüstung ist möglich,
- –
wo die eigene Sicherheit nicht in militärischer Überlegenheit gesucht wird,
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wo der politische Wille vorhanden ist, auch die Sicherheit des Gegners ernsthaft mit zu bedenken,
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wo die Bereitschaft zum Kompromiss um des gemeinsamen Zieles willen vorhanden ist.
Es hat sich erwiesen, dass es politisch realistisch ist, Denk- und Verhaltensweisen, die dem Geist, der Logik und der Praxis der Abschreckung durch Massenvernichtungswaffen folgen, schrittweise zu überwinden. Wir hoffen zuversichtlich, dass das Abkommen von den vertragsschließenden Staaten ratifiziert wird.
Die Bereitschaft der Regierungen der UdSSR, der USA und weiterer Staaten, umfangreiche Kontrollmaßnahmen auf ihrem eigenen Territorium zuzulassen, hält die Konferenz der Kirchenleitung für bedeutsam. Jedes System der Kontrolle wird aber nur in dem Maße den Prozess der Abrüstung voranbringen können, wie es zugleich auch zu einem Lernfeld für Vertrauen wird.
Mit Hoffnung begleiten wir die Verhandlungen des 3. KSZE-Folgetreffens in Wien. Seit dem Abschluss der Stockholmer Konferenz 1986 praktizieren die am KSZE-Prozess beteiligten Staaten eine Reihe wichtiger vertrauensbildender Maßnahmen im militärischen Bereich. Sie haben dabei gute Erfahrungen gesammelt.
In diesem Zusammenhang halten wir es für erforderlich, dass Möglichkeiten zwischen den Staaten, insbesondere denen des Warschauer Vertrages und der NATO, gefunden werden, sich über den Charakter ihrer militärischen Doktrinen, Strategien und die wechselseitige Wahrnehmung von Bedrohungen zu verständigen. Es geht darum, auf allen Seiten die Strukturen der Streitkräfte so zu verändern, dass die Fähigkeit zu Angriffen schrittweise und erkennbar abgebaut wird.
Von ihrem Gelingen hängt die Lösung drängender Gegenwartsprobleme ab: Zahlreiche soziale, politische und militärische Konflikte bestehen weiter und kosten Menschenleben! Die Ernährung für einen großen Teil der Weltbevölkerung ist nicht gesichert, und die natürliche Umwelt wird zerstört.
Wir bitten die Gemeinden, die Zeichen der Hoffnung tätig aufzunehmen. Wir wollen Gott um die Kraft bitten, auch weiterhin für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu beten, zu arbeiten und zu denken.