Andacht zur Unterstützung der Inhaftierten und zur Ausreiseproblematik
5. Februar 1988
Information Nr. 70/88 über einige beachtenswerte Aspekte im Zusammenhang mit einer sogenannten Solidaritätsandacht in der Gethsemanekirche
Am 4. Februar 1988 fand in Fortsetzung täglich stattfindender sogenannter Informations-Gottesdienste in der Hauptstadt der DDR in der Gethsemanekirche, Stadtbezirk Prenzlauer Berg, eine »Solidaritätsandacht« statt, an der ca. 2 000 Personen, darunter eine beträchtliche Anzahl Übersiedlungsersuchende, teilnahmen.
Im Verlaufe dieser eindeutig den Charakter einer politischen Veranstaltung tragenden Zusammenkunft trug Generalsuperintendent Krusche ein Programm der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zur »Antragsteller-Problematik« vor, das folgende vier Punkte beinhaltet:
- 1.
Die Kirche sei keine Agentur für Ausreisewillige.
- 2.
Die Kirche sehe ihren Auftrag im Wirken für Verbesserungen in der DDR und für die Christen, die in der DDR bleiben wollen.
- 3.
Personen, die entschlossene Ausreisewillige seien, wolle man auch weiterhin in beratender Weise unterstützen.
- 4.
In der Generalsuperintendentur werde man ab 8. Februar 1988 zur Beratung Übersiedlungsersuchender eine Beratungsstelle einrichten. Eine spätere Verlegung dieses Büros in das Stadtjugendpfarramt werde erwogen.
(Nach vorliegenden Hinweisen ist diese Erklärung der Kirchenleitung identisch mit der, die Generalsuperintendent Krusche bereits am 4. Februar 1988 gegenüber dem Hauptabteilungsleiter im Staatssekretariat für Kirchenfragen, Genossen Heinrich, vorgetragen hatte.)
Im Anschluss daran verlas der hinlänglich bekannte Lyriker Uwe Kolbe eine an die Staatsführung der DDR gerichtete »Erklärung über die Toleranz«, in der er sich mit den Inhaftierten solidarisiert.1 Darüber hinaus behauptet er in dieser »Erklärung«, während die DDR gegenüber westlichen Ländern in Wirtschafts- und Umweltfragen Toleranz zeige, sei keine Toleranz spürbar, wenn in der DDR Personen für Menschenrechte und gesellschaftliche Veränderungen eintreten. Für diese Personen habe die DDR dann nur »Gefängnismauern«. Versuche des Stadtjugendpfarrers Hülsemann, Kolbe am Verlesen dieser Erklärung zu hindern, blieben erfolglos.
Zur Zurückdrängung von Aktivitäten der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wird vorgeschlagen, seitens des Staatssekretärs für Kirchenfragen im Zusammenwirken mit dem Magistrat von Berlin mit der Kirchenleitung ein Gespräch zu führen.
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Die Kirchenleitung ist aufzufordern, unverzüglich die Einrichtung sogenannter Kontaktbüros, in denen Übersiedlungsersuchende beraten werden – was eine ausschließliche Angelegenheit der staatlichen Organe der DDR ist – einzustellen.
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Der Kirchenleitung ist weiter mitzuteilen, dass die zuständigen Organe der DDR nicht bereit sind, von kirchlichen Einrichtungen Probleme entgegenzunehmen, die mit Übersiedlungsersuchen von Bürgern der DDR im Zusammenhang stehen.
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Die Kirchenleitung ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, den weiteren Missbrauch kirchlicher Einrichtungen und Räume sowie stattfindende Veranstaltungen, die gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR gerichtet sind, sofort zu unterbinden. Es wird erwartet, dass die verantwortlichen kirchlichen Amtsträger mit klaren und unmissverständlichen Positionen einer weiteren Eskalierung des politischen Missbrauchs derartiger Zusammenkünfte mit der notwendigen Verantwortung und Konsequenz entgegentreten.
In gleicher Weise sollte auf kirchenleitende Amtsträger der anderen evangelischen Kirchen in der DDR durch den Staatssekretär für Kirchenfragen sowie durch die Stellvertreter für Inneres der zuständigen Räte der Bezirke Einfluss genommen werden, weitere Handlungen des politischen Missbrauchs in ihren Landeskirchen konsequent zu unterbinden. Derartige Aktivitäten widersprechen der Auffassung der Mehrzahl der auf realistischen Positionen stehenden gläubigen Staatsbürger. Die staatlichen Organe der DDR werden eine Einmischung in ihre Kompetenzen nicht länger hinnehmen.