Blockierung der GÜST Mahlow durch Umweltschützer
3. November 1988
Information Nr. 478/88 über die provokatorisch-demonstrative Blockierung der Grenzübergangsstelle Mahlow durch Mitglieder der Umweltschutzorganisation »Robin Wood« am 1. November 1988
Aus dem MfS vorliegenden internen Hinweisen war bekannt, dass Mitglieder der Umweltschutzorganisation »Robin Wood« gemeinsam mit Kräften des politischen Untergrundes aus der Hauptstadt der DDR, Berlin, für den 1. November 1988, in der Zeit zwischen 9.00 und 11.00 Uhr eine Blockade der Grenzübergangsstelle Mahlow beabsichtigen, um Westberliner Nutzkraftfahrzeuge an der Weiterfahrt zur Mülldeponie Schöneiche zu hindern.
(Diese Aktion, mit der gegen den Müllexport des Westberliner Senats und eine angebliche Umweltverschmutzung in der DDR protestiert werden sollte, steht offenkundig im engen Zusammenhang mit dem Beginn des Versuchsbetriebes der Sonderabfallstoffverbrennungsanlage Schöneiche/Potsdam. Streng internen Hinweisen zufolge soll es sich beim Organisator dieser Aktion um den im Zusammenhang mit den Vorgängen in der »Umweltbibliothek« im November 1987 hinlänglich bekannten ehemaligen Bürger der DDR, Bert Schlegel, handeln.)
Am 1. November 1988, gegen 11.20 Uhr erschienen zwei Kamerateams (sechs Personen) des ZDF mit zwei Pkw im Vorfeld der Grenzübergangsstelle Mahlow – die Grenzübergangsstelle ist zugelassen für Abfalltransporte aus Westberlin in die DDR und Baustofftransporte aus der DDR nach Westberlin – und begannen ca. 50 Meter vom Verlauf der Staatsgrenze der DDR entfernt mit Filmaufnahmen. Unmittelbar danach befuhr ein KOM die Zufahrtsstraße in Richtung Grenzübergangsstelle. Ca. 50 Meter vor der Staatsgrenze der DDR wurde der KOM quer zur Fahrbahn abgeparkt und somit der gesamte Fahrzeugverkehr blockiert.
Durch ca. 30 Personen (Jugendliche bzw. Jungerwachsene) wurden aus dem KOM sieben Fässer mit der Aufschrift »GIFT« entladen, die sie quer zur Fahrbahn aufstellten. Des Weiteren legten sie eine Stahlkette (Ankerkette) aus.
Die Personen führten drei Transparente (ca. 1,5 m × 10 m bzw. 6 × 2 m und 3 × 1,5 m) mit, auf denen folgende Texte enthalten waren:
- –
»Protest in Ost und West, damit kein Müll zurück muss – Umweltbibliothek«.
- –
»Reiseverbot für Giftmüll, nicht für Menschen«,
- –
»Dioxin in alle Welt – Eine zweite Arche Noah gibt es nicht« – Unterschrift: »Robin Wood«.
Aus dieser Gruppierung heraus betraten gegen 11.35 Uhr drei Personen kurzzeitig das der Grenzübergangsstelle vorgelagerte Hoheitsgebiet der DDR bis zu einer Tiefe von ca. 2 Metern und rollten die genannten Fässer bis unmittelbar an die Staatsgrenze heran.
Der Aufforderung der Grenzsicherungskräfte der DDR zum Verlassen des DDR-Gebietes leisteten sie Folge.
Nach Beräumung der Fässer durch Angehörige der Westberliner Polizei bildeten die Jugendlichen/Jungerwachsenen ca. 50 Meter von der Staatsgrenze zur DDR entfernt auf der Fahrbahn eine Sitzkette. Visuellen Beobachtungen zufolge wurden durch die Westberliner Polizei von dieser Gruppierung ca. 15 Personen vorläufig festgenommen. Gegen 12.28 Uhr beendeten die Personen ihre provokatorisch-demonstrativen Handlungen und verließen gegen 13.15 Uhr mit dem KOM den Ereignisort in Richtung Hinterland.
Während der Blockierung der Fahrbahn auf Westberliner Gebiet war in der Zeit von 11.28 Uhr bis 12.28 Uhr keine Abfertigung des grenzüberschreitenden Verkehrs möglich.
In diesem Zeitraum befanden sich 31 Lkw zur Ausreise nach Westberlin im Grenzstreckenabschnitt der Grenzübergangsstelle. Einreisen waren im Zeitraum der Blockierung nicht erfolgt.
Nach Wiederaufnahme der Grenzabfertigung erschienen 20 Nkw zur Einreise aus Westberlin in die DDR. Die Fahrzeugführer äußerten sich ablehnend über diese Aktion auf Westberliner Gebiet und bezeichneten die Demonstranten u. a. als »Elende Penner«, »Mistvolk« und »Chaoten«. Gleichzeitig wurde in diesem Zusammenhang bekannt, dass den Kfz-Führern auf Westberliner Seite Hetzblätter übergeben worden waren (Text siehe Anlage 1).
Im Ergebnis weiter eingeleiteter Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung provokatorisch-demonstrativer Aktivitäten in der Öffentlichkeit, die im Zusammenhang mit der Aktion der Umweltschutzorganisation »Robin Wood« an der Grenzübergangsstelle Mahlow stehen könnten, wurden am 1. November 1988 durch die Deutsche Volkspolizei gegen 11.10 Uhr auf der Straße zwischen Schönefeld und Mahlow, Kreis Königs Wusterhausen, insgesamt sieben Personen mit Fahrrädern, darunter zwei BRD-Bürger sowie gegen 14.40 Uhr nahe der Gemeinde Gallun, Kreis Königs Wusterhausen, insgesamt fünf Personen, darunter ebenfalls zwei BRD-Bürger festgestellt, vorläufig festgenommen und zugeführt. Die letztgenannten fünf Personen warfen bei Annäherung des Funkstreifenwagens der DVP fünf mitgeführte Transparente über einen Zaun und versuchten zu flüchten. Ein weiteres Plakat wurde in einer Fahrradgepäcktasche festgestellt.
Die vorläufig festgenommenen vier BRD-Bürger (51, freischaffender Reisejournalist; 37, arbeitslos; 30, Student; 27, Referendarin für Rechtswissenschaft) waren am 1. November 1988 gegen 7.45 Uhr bzw. 8.45 Uhr – jeweils zu zweit – auf Visa zum Tagesaufenthalt in die Hauptstadt der DDR, Berlin, eingereist und hatten sich rechtswidrig in das Territorium des Bezirkes Potsdam begeben.
Bei den zugeführten DDR-Bürgern handelt es sich um acht Bürger aus der Hauptstadt der DDR, Berlin, im Alter von 19 bis 35 Jahren (zwei Facharbeiter, zwei Hauswirtschaftspfleger, ein technischer Mitarbeiter, ein Pauschalarbeiter, eine Haushaltshilfe und eine Person ohne Arbeitsrechtsverhältnis).
Auf den zwischen 42/78 cm mal 30/52 cm großem Plakat/Transparenten waren mit verschiedenfarbiger Schrift folgende Losungen geschrieben:
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»Schöneiche weiche! Keine SMVA«,
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»Mach keinen Müll – Mann! Red kein Blech«,
- –
»Robin Wood: Müllvermeidung statt Müllverbrennung!«,
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»Kein Westmüll für Westdevisen! Keine Sondermüllverbrennung«,
- –
»Müllverbrennung in Schöneiche. Die Sache stinkt! Geld stinkt doch«,
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»BRD – DDR | Bloß Dreck | Rüber Dankend | Damit Retour«.
Einige der zugeführten DDR-Bürger hatten sich in der zurückliegenden Zeit an provokatorisch-demonstrativen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Umwelt-Bibliothek der Zionskirchgemeinde Berlin im November 1987 bzw. der Westberliner IWF-Tagung am 29.9.1988 vor dem Pergamon-Museum beteiligt.
Die geführten Untersuchungen haben ergeben:
Aussagen eines zugeführten BRD-Bürgers zufolge gehören er sowie die ebenfalls zugeführten weiteren drei BRD-Bürger der Umweltschutzorganisation »Robin Wood« an bzw. stehen dieser Organisation nahe. Gemeinsam mit Sympathisanten aus der DDR wollten sie eine »Protestaktion«, die sich gegen die Sondermüllverbrennungsanlage in Schöneiche richtet, durchführen. Zeitgleich sollte auf Westberliner Seite ebenfalls eine »Protestaktion« der Organisation »Robin Wood« stattfinden. Durch diese Organisation sei eine »Pressemappe« mit Angaben zur Zielstellung der Aktion an die Westberliner Presse übergeben worden. Wie der BRD-Bürger weiter aussagt, sei mit dem Westberliner Büro von »Robin Wood« vereinbart worden, dass für den Fall des Ausbleibens einer Nachricht aus der DDR nicht näher bezeichnete Maßnahmen zu ihrer Freilassung organisiert werden.
Zur Zielstellung der »Provokation« sagte er aus, dass ihrer Meinung nach die Regierung der DDR und der Westberliner Senat zu leichtfertig mit den Problemen der Entsorgung des anfallenden Mülls umgehen und die Beseitigung des Sondermülls angeblich nicht wieder gutzumachende Schäden an der Umwelt anrichten würde. Hier könne nur noch die »öffentliche Meinung« Abhilfe schaffen.
Die anderen zugeführten Personen verweigerten dazu die Aussage.
Die BRD-Bürger sagten aus, am Vormittag des 1. November 1988 gemeinsam von Westberlin aus in die Hauptstadt der DDR eingereist zu sein. Die von ihnen bei der Zuführung mitgeführten Fahrräder hätten sie am S-Bahnhof Altglienicke erhalten. Aussagen eines zugeführten DDR-Bürgers zufolge seien diese beiden Fahrräder von der sogenannten Umweltbibliothek zur Verfügung gestellt worden.
Zu weiteren Hintergründen der Provokation, insbesondere der Herstellung der sichergestellten Transparente/Plakat, zu weiteren beteiligten Personen, dem Zusammenwirken der DDR-Bürger mit Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland verweigerten die zugeführten Personen ebenfalls die Aussage. Sie gaben vor, nur »zufällig« mit den anderen Personen zusammengetroffen zu sein und sich am Zuführungsort aufgehalten zu haben bzw. eine Radtour unternehmen zu wollen.
(In westlichen Massenmedien wurde im breiten Umfang über die Blockierung der Grenzübergangsstelle Mahlow auf Westberliner Gebiet berichtet. Dabei wurde u. a. auch auf
Aktivitäten »der Freunde aus Westberlin und der DDR – das sind die ›Umweltbibliothek‹, der ›Friedenskreis Friedrichsfelde‹, eine Gruppe ›Pankower Erlöser‹ und die ›Initiative Frieden und Menschenrechte«‹ – verwiesen, die »zusammen mit Freunden von ›Robin Wood‹ mit dem Fahrrad unterwegs sind an der Strecke, die die Lkw’s befahren, und demonstrieren.«)
Im Ergebnis der geführten Untersuchungen wurden gegen die vier BRD-Bürger Ordnungsstrafen in Höhe von 500 DM ausgesprochen und sie über die Grenzübergangsstelle Friedrichstraße nach Westberlin ausgewiesen.
Die zugeführten acht DDR-Bürger wurden nach Ausspruch von Ordnungsstrafen zwischen 300 und 500 Mark entlassen. (Die Entlassungen erfolgten am 1.11.1988 zwischen 20.25 und 22.25 Uhr.)
Zu den zugeführten vier BRD-Bürgern werden Reisesperrmaßnahmen eingeleitet.
In Abhängigkeit von weiter vorliegenden Erkenntnissen und der Identifizierung der Personen, die auf Westberliner Gebiet die Zu- und Abfahrt der Grenzübergangsstelle Mahlow blockierten, wird in differenzierter Form die Einleitung von Reisesperrmaßnahmen geprüft.
Es wird vorgeschlagen, seitens des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR in geeigneter Form gegenüber dem Westberliner Senat gegen die auf Westberliner Seite verursachte Behinderung und Störung des grenzüberschreitenden Verkehrs an der Grenzübergangsstelle Mahlow, wodurch 31 Nutzkraftfahrzeuge eine Stunde lang an der ordnungsgemäßen Ausreise nach Westberlin gehindert wurden, Protest zu erheben. Gleichzeitig sollte die Erwartung ausgesprochen werden, dass der Senat von Westberlin geeignete Maßnahmen trifft, damit der zwischen beiden Seiten vereinbarte Verkehr von Abfall- und Baustofftransporten über diese Grenzübergangsstelle reibungslos erfolgen kann.
Mielke [Unterschrift]
Anlage zur Information 478/88
Text eines Hetzblattes:
Hallo, Hallo Brummi’s.
Wir machen diese Blockade als Unterstützung der DDR-Gruppen, die jetzt auf der anderen Seite der Mauer gegen die Inbetriebnahme der Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche protestieren.
Den DDR-Leuten wird aus kurzsichtigen Geldinteressen mit schlechten Deponien das Grundwasser verseucht, und sie haben keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren.
Die Aktion richtet sich gegen die unverantwortlichen Politiker und Geldsäcke in Ost und West, die ohne Rücksicht auf die Umwelt und die Menschen die Hilflosigkeit der DDR-Bevölkerung ausnutzen.
Durch diese Müllpolitik wird die Industrie verleitet, immer mehr Müll zu produzieren, und unserer Umwelt wird jede Chance genommen zu überleben.
Wir fordern deshalb:
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Keine Inbetriebnahme der Sondermüllverbrennungsanlage in Schöneiche/DDR, bevor nicht optimale Rauchgasreinigung nach modernstem Stand der Technik eingebaut wurde,
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Sicherstellung des ordnungsgemäßen Betriebes der Anlage durch Umlage der vollen Kosten der Giftmüllverbrennung,
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Untersuchung und Sanierung der ohne ordentliche Basisarbeiten betriebenen DDR-Mülldeponien in Schöneiche, Verkezin und Deetz,
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Offenbarung aller Untersuchungsergebnisse, Messprotokolle und Betriebsdaten durch die DDR
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und schließlich Strategien zur Vermeidung und Verwertung von Haus- und Sondermüll am Ort seiner Entstehung.
Wir bitten Euch deshalb um Eure Solidarität mit der DDR-Bevölkerung, denn auch Eure Luft und Euer Trinkwasser werden durch diese Politik immer giftiger.
»Robin Wood«