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Kontakte von SPD-Politikern zu evangelischen Kirchen in der DDR

28. April 1988
Information Nr. 218/88 über zunehmende Kontakte führender Funktionäre der SPD zu kirchenleitenden Gremien und Amtsträgern sowie zu reaktionären kirchlichen Kräften in der DDR

Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen forcieren vor allem in jüngster Zeit bestimmte führende Funktionäre der SPD ihre Kontaktbestrebungen zu kirchenleitenden Gremien und Amtsträgern sowie zu reaktionären kirchlichen Kräften der evangelischen Kirchen in der DDR.

So wurden seit Dezember 1987 u. a. insgesamt sechs bedeutsame derartige Treffen, überwiegend in der Hauptstadt der DDR, Berlin, festgestellt, an denen die Mitglieder des Arbeitskreises I für Berlin- und Deutschlandpolitik der SPD, Dr. Jürgen Schmude (Präses der Synode der »Evangelischen Kirche in Deutschland«/BRD), Horst Sielaff und Hans Büchler beteiligt waren:

  • 4. und 8. Dezember 1987: Treffen von Schmude und Sielaff mit Konsistorialpräsident Stolpe, Pfarrer Eppelmann und weiteren kirchlichen Personen,

  • 10. Dezember 1987: Teilnahme von Schmude an der jährlichen Zusammenkunft von Vertretern der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD)/BRD und des Bundes Evangelischer Kirchen (BEK) in der DDR,

  • 23. Januar 1988: »Begegnungstreffen« von kirchenleitenden Amtsträgern des BEK und der EKD mit Teilnahme von Schmude, Bischof Forck und Konsistorialpräsident Stolpe,

  • 11. April 1988: Treffen von Schmude und Sielaff mit Pfarrer Eppelmann und weiteren feindlich-negativen DDR-Bürgern,

  • 21. April 1988: Begegnung von Sielaff und Büchler mit Bischof Forck und Konsistorialpräsident Stolpe.

Darüber hinaus kam es im genannten Zeitraum zu Treffen der Mitglieder der Bundestagsfraktion der SPD, Dietrich Stobbe, im Januar 1988 mit Kirchenpräsident Natho und von Freimut Duve im April 1988 mit Pfarrer Eppelmann.

(Über Inhalt, Verlauf und Ergebnisse derartiger Zusammenkünfte wurde in den Informationen des MfS Nr. 69/88 vom 6. Februar 1988, Nr. 190/88 vom 15. April 1988 und Nr. 203/88 vom 20. April 1988 berichtet.)

Weitere Zusammenkünfte auf territorialer Ebene gab es u. a. auch durch Landtagsabgeordnete der SPD mit kirchlichen Amtsträgern der evangelischen Kirchen der DDR.

Augenscheinlich ist die Konzentration und Forcierung derartiger Kontaktbestrebungen – vergleichsweise auch bezogen auf den Zeitraum seit dem 1. Januar 1987 – auf die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, mit Bischof Forck und Konsistorialpräsident Stolpe an der Spitze, und auf den wegen seiner politisch-negativen Aktivitäten hinlänglich bekannten Pfarrer Eppelmann mit den um ihn gruppierten feindlich-negativen Kräften.

Nach dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen vertrete die Mehrheit der SPD-Führungskräfte die Auffassung, dass die DDR-Führung längerfristig nicht umhinkomme, sich mit einer »inneren Opposition« abzufinden. Diesen Prozess wolle man unterstützen, indem die SPD – ausgehend von den im gemeinsamen Dokument SEDSPD erarbeiteten Positionen – ständig das Problem der Dialogfähigkeit der SED nach innen und außen stelle. Dazu gehöre für die SPD auch die Bekundung ihrer prinzipiellen Solidarität mit denjenigen, die nach mehr »Freiheit« drängen. Das seien vor allem kirchliche Kreise und solche Personengruppen, die in der DDR für Veränderungen eintreten. Im vorgenannten Sinne ist auch die jüngste Äußerung des SPD-Bundestagsabgeordneten Büchler zu werten, der die SPD zu einer »deutschlandpolitischen Offensive« aufforderte.

(Über Auffassungen führender SPD-Funktionäre zur weiteren Entwicklung der Beziehungen zur SED bzw. zur DDR und ihrer Stellung zur sog. inneren Opposition in der DDR wurde durch das MfS aktuell in der Information Nr. 181/881 vom 15. April 1988 berichtet.)

Beachtenswert hinsichtlich der aufgezeigten Aktivitäten führender Funktionäre der SPD ist auch das im September 1987 zustande gekommene Treffen von Pfarrer Eppelmann mit dem zu diesem Zweck in die Hauptstadt der DDR, Berlin, eingereisten Referenten für evangelische Kirchen im Referat für Kirchenfragen des SPD-Parteivorstandes, Reitz. Im Mittelpunkt dieses Treffens standen »deutschlandpolitische« Fragen und die Beratung von Möglichkeiten der Intensivierung des künftigen Zusammenwirkens. Reitz bekräftigte dabei den Wunsch der SPD nach politischen Gesprächen, während Eppelmann darauf orientierte, dass die SPD mit ihrer Politik auch Einfluss auf die Existenz der »staatlich unabhängigen Friedensbewegung« in der DDR habe und man aus diesem Grunde auch auf dieser Ebene im Dialog bleiben müsse.

Inhalt der Begegnungen vorgenannter SPD-Politiker mit kirchlichen Amtsträgern und anderen Personen waren, nach vorliegenden Hinweisen, intensive Informationsaustausche und die Bewertung der aktuellen politischen Lage, u. a. im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Zionskirchengemeinde im November 1987 bzw. anlässlich der Kampfdemonstration in der Hauptstadt der DDR, Berlin, am 17. Januar 1988.

Im Mittelpunkt stand ferner die Diskussion zum gemeinsamen Dokument SEDSPD »Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit«,2 insbesondere zu den sich daraus ergebenden Möglichkeiten für den Ausbau und die Gestaltung stabiler Beziehungen zueinander.

Durch SPD-Politiker mit kirchlichen Bindungen, darunter insbesondere Schmude, werden Auffassungen vertreten, wonach die Pflege und Entwicklung einer »grenzüberschreitenden Kirche« ein wesentliches Element für den Fortbestand »einer Nation in zwei Staaten« sei. Für das strategische Ziel eines »einheitlichen Daches für die Kirche in Deutschland« gelte es, dass die Kirche in der DDR sich behaupten müsse.

In diesem Sinne dürften die beiderseitigen Kontakte nicht auf kirchlichen Leitungsebenen bestehen bleiben, sondern in die Gemeinden getragen werden. Die Trennung der deutschen Kirchen eröffne völlig neue Möglichkeiten für eine »grenzüberschreitende Kirche«; über diese »neuen Möglichkeiten für Zusammenarbeit und Zusammenhalt müsse die Nation neu erfahren werden«. Die »deutsche Identität« sei ein geistiges Vermächtnis, welches mit einer »grenzüberschreitenden Kirche« der heutigen Zeit angepasst werden wolle. Kernpunkt sei dabei ein sich ständig ausweitender Besucherverkehr in beiden Richtungen, in denen Gemeinsamkeiten gepflegt und entwickelt werden. Auf dieser Basis sei auf lange Sicht ein Abbau von Feindbildern möglich. Es gelte künftig auch Bemühungen zu unternehmen, die Zusammenarbeit von Kirchengemeinden in der BRD und in der DDR in den Komplex der Städtepartnerschaften aufzunehmen.

Vorliegende Erkenntnisse lassen insgesamt den Schluss zu, dass, ausgehend von beiderseitigem Interesse, mit einer weiteren qualitativen Entwicklung der Kontakte und Beziehungen zwischen führenden Funktionären der SPD und kirchlichen Gremien und Amtsträgern sowie reaktionären kirchlichen Kräften zu rechnen ist.

Um mögliche Verweigerungen der Einreise in die DDR zu umgehen (wegen Missbrauch der Einreise in die DDR im Zeitraum des »Olof-Palme-Marsches« im September 1987 wurden u. a. dem Mitglied der Bundestagsfraktion der SPD, Gert Weisskirchen, bisher weitere Einreisen durch zentrale Entscheidung in die DDR nicht gestattet), ist von dem politisch rechte Positionen einnehmenden SPD-Bundestagsabgeordneten Stobbe innerhalb der SPD-Fraktion im Bundestag der BRD die Frage aufgeworfen worden, künftig der DDR vorgesehene Besuche von SPD-Politikern nicht mehr zu avisieren.

Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!

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    2. Mai 1988
    Information Nr. 219/88 über die Lesereise des BRD-Schriftstellers Günter Grass in der Zeit vom 18. bis 24. April 1988 in der DDR

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    27. April 1988
    Information Nr. 217/88 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 18. April 1988 bis 24. April 1988