Stimmung unter Rückkehrern (2)
26. Juni 1953
Stimmungsberichte von zurückgekehrten Personen aus Westdeutschland und Westberlin [Meldung Nr. 27/53]
[Titelzusatz:] laut Ministerratsbeschluss vom 11.6.19531
Durch unbeeinflusste, zwanglose Unterhaltungen mit 34 Personen, die aufgrund des Ministerratsbeschlusses v. 11.6.1953 in die DDR zurückkehrten, ergibt sich folgende Situation:
Der Ministerratsbeschluss verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Flüchtlingslagern Westberlins und Westdeutschlands. Zurückgekehrte Personen bringen ihre Freude über diese Maßnahmen der Regierung zum Ausdruck und verpflichten sich, aktiv beim Aufbau in der DDR zu helfen.
Der Angestellte [Name 1] sagt: »Aufgrund des Beschlusses vom 11.6.1953 habe ich erkannt, dass es die Regierung der DDR ehrlich meint. Aus diesem Grund kam ich in die DDR.« Der Arbeiter [Name 2]: »Ich begrüße den Ministerratsbeschluss, da mir dadurch die Möglichkeit zur Rückkehr gegeben wurde.« Der [Name 3] sagt: »Nur dieser Beschluss rettete mich vor meinem Tod.«2
Die Stimmung in den Flüchtlingslagern Westdeutschlands und Westberlins ist schlecht. So äußerte sich die Hausfrau [Name 4], dass viele der Flüchtlinge sagen, das Elend in den Lagern wäre nicht mehr auszuhalten, denn hier muss man unter den unmenschlichsten Bedingungen hausen. Der Arbeiter [Name 5]: »Die Menschen in den Lagern sind wochen- und monatelang ohne Arbeit und haben lediglich die Möglichkeit in die Fremdenlegion zu gehen.« Der Jugendliche [Name 6]: »Da die Stimmung eine sehr gedrückte war, wurde eine leichtsinnige Stimmung erzeugt. Dazu benutzte man Frauen und Alkohol.«
Trotz der schlechten Stimmung in den Flüchtlingslagern und der Tatsache, dass mindestens 80 % der Flüchtlinge gern zurückkehren würden, besteht bei einem großen Teil Zweifel an der Ehrlichkeit der Durchführung der Regierungsbeschlüsse. So sagt z. B. der Fotograf [Name 7]: »Ein Teil der Flüchtlinge will erst abwarten, wie es den Rückkehrern in der DDR ergeht, ob diese so behandelt werden, wie es in dem Ministerratsbeschluss festgelegt worden ist.« Die Gärtnerin [Name 8]: »Viele Flüchtlinge in Westdeutschland glauben nicht an die Einhaltung des Ministerratsbeschlusses der DDR.«
Agitation von reaktionären Kräften und der Bonner Regierung setzte besonders nach dem Ministerratsbeschluss v. 11.6.1953 ein. So sagt z. B. der Baumeister [Name 9], der am 17.6.1953 zurückkehrte, dass weder von Westdeutschland noch Westberlin, außer dem RIAS und der Presse, gegen die Rückkehr in die DDR agitiert wird. Der Fleischer [Name 10]: »Einige unbekannte Personen kamen ins Lager und diskutierten mit mehreren Personen. Sie sollten nicht in die DDR zurückkehren, da sie sonst von den Russen verhaftet werden und nach Sibirien kommen.« Der Landwirt [Name 11]: »Zurückgekehrte Personen sollen zu Aussagen gepresst werden und sich nur vorübergehend in bestimmten Gebieten aufhalten dürfen. Von Zollbeamten werden Rückkehrer darauf hingewiesen, wenn sie in die DDR zurückkehren, haben sie ihr Asylrecht in Westdeutschland für immer verloren.«
Maßnahmen zur Verhinderung der Rückkehr in die DDR werden von der Bonner Regierung eingeleitet. So sagt der Arbeiter [Name 12]: »Bei Verlassen der Lager wird gegen Flüchtlinge Fahndung erlassen. Anschließend werden sie ins Gefängnis eingeliefert oder ins Lager gebracht. Flüchtlinge, die versuchen illegal die Grenze zur DDR zu überschreiten, werden vom Amerikaner verurteilt, vom Engländer z. T. verurteilt.« Der Angestellte [Name 13]: »Es ist zu verzeichnen, dass eine ziemlich starke Kontrolle vonseiten der Stummpolizei3 einsetzt, um Personen die in die DDR wollen, festzuhalten.« Der Jugendliche [Name 14]: »Man versucht die Flüchtlinge so schnell wie möglich nach Westdeutschland zu transportieren und sie dazu zu bewegen, einen Schein zu unterschreiben, dass sie nicht mehr in die DDR zurückkehren. Weiterhin darf das Lager nicht mit Gepäck verlassen werden. Seit dem 19.6.1953 wurde das Lager von Stummpolizei umstellt, damit keiner die Möglichkeit hatte, das Lager zu verlassen. Personen, die sich offen für die Rückkehr aussprechen, werden als Spitzel der Ostzone bezeichnet und es wird gedroht mit Auslieferung an die Staatsorgane.«
Wie aus dem vorhandenen Material zu ersehen ist, werden die Maßnahmen des Ministerratsbeschlusses zum überwiegenden Teil durchgeführt. Nur vereinzelt treten Beschwerden zurückgekehrter Personen auf. So sagt z. B.: der Fotograf [Name 7]: »Die Maßnahmen des Ministerratsbeschlusses wurden bei mir zur vollen Zufriedenheit durchgeführt. Ein Kredit in Höhe von 3 000 DM wurde mir ohne Schwierigkeiten gewährt.« Der Jugendliche [Name 6] bedankt sich für die vorbildliche Aufnahme bei seiner Rückkehr und erklärt, dass er an drei Lagerinsassen schreiben will, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Der Landwirt [Name 11]: »In Duderstadt haben sich 14 Familien geäußert, dass sie geschlossen in die DDR zurückkehren wollen. Obwohl ich mich selbst ordnungsgemäß meldete, wurde ich durch die Grenzpolizei festgenommen und durch die Grenzbereitschaft Nordhausen 48 Stunden inhaftiert. Die Rückgabe meines Hofes wird beim Rat des Kreises vorbereitet.« Der Fleischer [Name 10]: »Zu bemerken wäre, dass man bei der Entlassung versprochen hat, jeden in seinem Beruf einzusetzen, was aber bis heute noch nicht der Fall ist.« Dadurch ist [Name 10] sehr verärgert.
Aus den Befragungen der 34 zurückgekehrten Republikflüchtigen ergibt sich folgende Entwicklung der Lage:
Der Beschluss der Regierung über die Rückkehr Republikflüchtiger wurde ganz allgemein mit großer Freude aufgenommen, obwohl ein gewisser Zweifel an der Einhaltung der in der Regierungsverordnung gemachten Versprechungen vorhanden war und noch ist. Trotzdem zwangen die unmöglichsten Lebensbedingungen in Westdeutschland einige Republikflüchtige den Anfang zu machen und zurückzukehren. Andere, bei denen der Zweifel noch stark und bei denen die Befürchtung besteht, dass sie mit Versprechungen herübergelockt werden sollen, um dann hier festgenommen und zur Bestrafung gebracht zu werden, verhielten sich noch abwartend. Es besteht Grund zu der Annahme, dass, falls von den Erstrückkehrern günstiger Briefbescheid an die dort verbliebenen Bekannten gelangt, die Welle der Rückkehrer immer breiter werden wird. Es muss daher besonders Wert darauf gelegt werden, dass die Behandlung der Rückkehrer wirklich getreu den Anweisungen der Regierung, unbürokratisch und schnell Hilfe zu leisten, erfolgt. Unter den von uns angesprochenen 34 Personen gibt es nur zwei, welche in gewisser Hinsicht Unzufriedenheit äußerten. Siehe die Beispiele [Name 11] und [Name 10].
Wenn zu Anfang, d. h. kurz nach Veröffentlichung des Ministerratsbeschlusses, vonseiten der westdeutschen Organe des Staates größere Agitationen gegen die Rückkehrer nicht geführt wurden, muss festgestellt werden, dass sich außer Presse und RIAS in immer steigenderem Maße auch Agitationen von staatlichen Stellen bemerkbar machten, Einschüchterungen an der Grenze, Nichtausstellung von Pässen usw. Drohungen vonseiten der Behörden und Lagerverwaltungen in Bezug auf das Schicksal der Rückkehrer in die DDR bis zu Fahndungsmaßnahmen gegen Rückkehrwillige, die das Lager verlassen haben. Bei Erfolg einer solchen Fahndung werden die Betreffenden der jeweiligen amerikanischen, englischen und französischen Dienststelle übergeben, welche sie unter Umständen längere Zeit in Haft behalten.
Es muss also alles getan werden, dass der Beschluss des Ministerrates wirklich buchstabengetreu erfüllt wird, dann ist mit einem sich immer mehr verstärkenden Strom von Rückkehrern zu rechnen.
Zur besseren Übersicht werden Kurzauszüge aus den Unterhaltungen mit acht Personen angefügt.
Anlage: 3 Blatt Inf., Berichte Ia4