Zur Beurteilung der Situation
1. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2098 zur Beurteilung der Situation
Stimmung der Bevölkerung in der DDR
Den vorliegenden Berichten zufolge, hat sich in der Stimmung der Bevölkerung der DDR keine wesentliche Veränderung ergeben.
Feindtätigkeit
In der Zeit vom 31.1. bis 1.2.1954 wurden in der Berliner S-Bahn in 17 Fällen Hetzschriften festgestellt (insgesamt ca. 8 000 Flugblätter). Ihr Inhalt richtet sich gegen die Viererkonferenz1 und den sowjetischen Außenminister.
Am 31.1.1954 wurden in Berlin, Unter den Linden, ca. 500 Flugblätter gefunden (NTS).2 Vereinzelte Flugblätter wurden im Kreis Seelow, [Bezirk] Frankfurt/Oder, (der »Widerstandsbewegung der Sowjetzone«) und im Kreis Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, (SPD-Ost)3 festgestellt.
Laut Mitteilung befinden sich ab 26.1.1954 in Berlin alle Gruppen des BDJ,4 der KgU,5 DP und SPD in Alarmbereitschaft. Es ist mit verstärkter gegnerischer Flugblatttätigkeit zu rechnen.
Am 29.1.1954, 3.00 Uhr, wurde der Betriebsschutz des Sprengstofflagers Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg, von einer unbekannten Person zweimal mit den Worten: »Haut ab, in vier Minuten sind wir da, dann seid ihr erledigt« angerufen.
Ergänzung zu dem Brand im VEB Schuhkombinat Großharthau, [Bezirk] Dresden: Gesamtschaden: 600 000 DM, davon für 350 000 DM Fertigprodukte. Die Produktion läuft wieder. Bei Löscharbeiten verunglückte ein Volkspolizei-Angehöriger tödlich.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 31.1.1954 gegen 21.00 Uhr wurden von einem Hausmeister im chemischen Labor des chemischen Institutes in Jena, [Bezirk] Gera, Rauchschwaden festgestellt. Nach Öffnen des Labors wurden mithilfe der Feuerwehr die Dämpfe (kein offenes Feuer) gelöscht. Der Gesamtschaden wird auf ca. 10 000 DM geschätzt (es wurden wichtige Instrumente dadurch vernichtet).
Die Stimmung der Bevölkerung im demokratischen Sektor von Groß-Berlin
Aus dem vorliegenden Material ist ersichtlich, dass ein Teil der Bevölkerung des demokratischen Sektors sich gegen die Ablehnung des amerikanischen Außenministers bezüglich der Teilnahme deutscher Vertreter wendet.6 Eine Hausfrau aus Berlin-Karlshorst: »Vier Nationen sitzen und beraten, aber wir, die wir zur Diskussion stehen, sitzen draußen. Jeder Angeklagte vor Gericht sitzt dabei, wenn es um seinen Kopf geht. Aber hier, wo es um Sein oder Nichtsein geht, stehen oder sitzen wir draußen, ist das Recht?«
Ein VP-Angehöriger aus Berlin: »Es ist immer dasselbe, wer nicht mitmacht, das ist der Außenminister der USA Dulles.«7
Durch die Rede des englischen Außenministers Eden8 tritt wieder stärker das Argument »freie Wahlen« auf.9 Ein Elektroschweißer des Reichsbahnausbesserungswerkes Berlin: »Wenn es zur Wahl kommen sollte und Adenauer10 und Pieck11 als Präsidenten aufgestellt werden, so werden alle Kollegen im Werk den Adenauer wählen.«
Im Betrieb Siemens-Plania wurden von der Betriebsgruppe der SED Aufklärungsblätter betreffs »freier Wahlen« herausgegeben. Nach dem Lesen der Stelle: »Erste Voraussetzung gesamtdeutsche provisorische Regierung« sagte ein Kollege: »Wenn beide Seiten von vornherein Bedingungen stellen, dann kann man sich denken, dass kaum etwas Vernünftiges herauskommt.«
Ein Gast des HO-Café in der Reinhardtstraße 17: »So geht es noch bis März und dann wird die Regierung in Bonn die Staatsgewalt in der DDR übernehmen. In Berlin gilt dann als Währungsgrundlage die Westmark.«
Über den Verlauf der Konferenz gibt es eine Reihe zweifelnder Stimmen, die von einem Scheitern der Konferenz bzw. einer ergebnislosen Konferenz sprechen. Ein Teil davon gibt den Genossen Molotow12 die Schuld.13 Ein Angestellter aus Berlin-Karlshorst: »Wir versprechen uns nicht viel davon. Molotow hat sicher eine gebundene Marschroute vom Kreml mitbekommen und wird kaum davon abgehen.«
Großes Unverständnis herrscht noch über die von Molotow gemachten Vorschläge bezüglich China.14 Ein Arbeiter aus Berlin: »Was haben wir damit zu tun, wir haben eigene Sorgen, und die Sorgen Chinas interessieren uns nicht.«
Es kommt immer wieder vor, dass man die Unterschriften verweigert.15 Eine Familie aus Berlin-Hessenwinkel, Waldstraße: »Wir haben schon so viel Unterschriften für die Viererkonferenz gegeben. Ich habe schon sechsmal im Rathaus Köpenick unterschrieben. Es ist dann kein Wunder, dass es 7 Millionen Unterschriften gegeben hat, wo in Wirklichkeit nur 1 Million unterschrieben hat.«
Vonseiten der Kirche wird wiederholt gepredigt, dass die Menschen nichts zur Herstellung der Einheit Deutschlands und zur Erhaltung des Friedens tun können. Es wird aufgefordert zu Gott zu beten, der allein dazu imstande wäre. Pfarrer in der Predigt in der Gethsemanekirche16 Berlin, Stargarder-Straße: »Jeder Christenmensch soll nach seinem Glauben urteilen und nicht nach Zeitung und Rundfunk. Gott allein bestimmt den Ausgang der Konferenz.«17
Viele Westberliner kaufen im demokratischen Sektor Zeitungen, weil die Vorschläge Molotows in den Westzeitungen nicht abgedruckt werden.
Kohlenmangel in Berlin: In vielen Berliner Objekten herrscht großer Kohlenmangel. Die 5. und 12. Grundschule von Berlin-Lichtenberg mussten wegen Kohlenmangel heute den Unterricht ausfallen lassen. Etliche VP-Dienststellen, die Haftanstalt Barnimstraße,18 die VP-Inspektion Prenzlauer Berg, das VP-Krankenhaus, das VP-Ledigenheim Johannisthal, leiden unter Kohlenmangel. Insbesondere leiden auch die Gaststätten und HO-Hotels an Kohlenmangel. Die HO-Hotels Adria und Berliner Hof hatten nur bis heute Mittag Kohle.19
Ankunft der westlichen Außenminister: Um 14.40 [Uhr] passierte die amerikanische Delegation, um 14.50 [Uhr] die englische Delegation und kurz vor 15.00 Uhr die französische Delegation das Brandenburger Tor. Auf der westlichen Seite des Brandenburger Tors waren viele Reporter, Film- und Rundfunkleute vertreten. Von beiden Seiten waren ca. 800 bis 1 000 Menschen anwesend. Besondere Vorkommnisse oder Zwischenfälle sind nicht zu verzeichnen.20
Nach den uns bekannt gewordenen Meinungsäußerungen wird die Außenministerkonferenz von einem Teil Arbeiter und Hausfrauen mit Spannung verfolgt und man hofft auf einen günstigen Verlauf der Konferenz und die Lösung der Deutschlandfrage. So sagt z. B. ein Arbeiter aus Berlin-Friedenau: »Ich bin immer sehr gespannt auf die Ergebnisse der vier Mächte. Hoffentlich kommen diese zu einer Einigung, damit wir der Einheit unseres Vaterlandes einen Schritt näherkommen. Ich halte eine annehmbare günstige Lösung der schwierigen Probleme nicht für ausgeschlossen.«
Eine Hausfrau aus Berlin-Zehlendorf: »Wir hoffen alle, dass sich allmählich die Wiedervereinigung Deutschlands anbahnt. Wir haben im Zweiten Weltkrieg genug erlebt und nichts wird von uns sehnlicher erwartet, als in Ruhe und Sicherheit zu leben.«
Ein arbeitsloser Arbeiter aus Westberlin: »Ich bin der Meinung, dass sich die Deutschen selbst an einen Tisch setzen sollen, um über ihr Schicksal zu beraten. Die SU ist der alleinige Freund des deutschen Volkes und sie wird die Forderungen des deutschen Volkes aufrichtig vertreten. Ich fordere die Hinzuziehung von Vertretern aus Ost und West zu den Verhandlungen.«
Aus einem anderen Teil Stimmen verschiedener Bevölkerungsschichten (Angestellter, Handwerker, Hausfrauen) geht eine zweifelnde Meinung über den Verlauf der Konferenz hervor, welche zum Teil eine feindliche Einstellung gegen die SU und DDR beinhalten. [sic!] Ein Bankangestellter aus Westberlin: »Wenn die SU Wert auf ein friedliches Deutschland legt, dann sollte sie ihre Zustimmung zu ›freien Wahlen‹ und eine gewisse Garantie für die Unverletzbarkeit Deutschlands geben. Es wäre dann eine Selbstverständlichkeit, dass der EVG-Vertrag überflüssig und die Remilitarisierung Westdeutschlands eingestellt wird.«21
Ein Klempnermeister aus Westberlin: »Die Hinzuziehung deutscher Vertreter ist überflüssig und wirkt hemmend auf die Ergebnisse der Konferenz. Eine Einigung halte ich für sehr schwierig, aber doch für möglich. Man sollte die Ostgebiete zurückgeben, da dadurch der Gedanke einer Remilitarisierung und des Revanchekrieges immer mehr um sich greift. Die Regierung der DDR lehne ich ab, da sie nicht aus ›freien Wahlen‹ hervorgegangen ist.«
Eine Hausfrau aus Westberlin: »Molotow will scheinbar an den Friedensvertrag mit Deutschland nicht heran, er schweift immer wieder ab. Aber der Amerikaner wird ihn so schnell nicht wieder loslassen. In Wirklichkeit denkt der Russe gar nicht an Frieden, sondern nur daran, wie er China mit in die UNO kriegen kann, um Deutschland und Frankreich einzusacken.«
Von Personen, die uns feindlich gegenüberstehen, geht eine offene Hetze gegen die SU und DDR hervor. Ein Angestellter des sogenannten Bundeshauses22 in Westberlin bringt zum Ausdruck, dass dies eine sehr ernste Konferenz wird, eine Konferenz, die die Entscheidung Krieg oder Frieden bringt. »Wenn der Russe nicht will, muss er eben durch Krieg dazu gezwungen werden, die Ostgebiete wieder herauszugeben. Deutschland soll sich dem Staat anschließen, den es für richtig hält, und das kann nur Amerika sein.«
Ein politischer Flüchtling, jetzt im Untersuchungsausschuss der CDU tätig,23 brachte zum Ausdruck, dass der erste Tagesordnungspunkt schnell erledigt werden müsste,24 »Uns liegt ja der Punkt zwei, Deutschland, am Herzen und da wird mit aller Gewalt gekämpft. Amerika weiß, dass nur eine starke deutsche Wehrmacht dem Russen die Stirn bieten kann, um die westliche Demokratie zu retten.«
Ein Angestellter, dessen Sohn im RIAS eine bekannte Persönlichkeit ist: »Nur ein starker EVG-Vertrag kann den Russen zur Vernunft bringen. Wenn es ernst wird, werden sie schon nachgeben, denn vor einer starken deutschen Wehrmacht haben sie Angst. Frankreich traut man erst dann, wenn der EVG-Vertrag unterzeichnet ist.«
Eine Senatsangestellte25 sprach bei einer Kinoveranstaltung folgende einleitende Worte: »Wir dürfen nicht vergessen, dass es in Deutschland nur 18 Millionen in der Ostzone gibt, die bei dieser jetzigen Kälte nicht nur hungern, sondern auch frieren. Für uns gibt es nur eins, die europäische Gemeinschaft, alles andere über die Außenministerkonferenz interessiert uns nicht.«
Stimmen aus Westdeutschland
Aus den uns bekannt gewordenen Stimmen geht hervor, dass ein Teil mit Spannung auf die Berliner Außenministerkonferenz blickt und dabei hofft, dass man Schritte unternimmt, die, wenn auch nicht die Einheit Deutschlands, so doch Erleichterungen mit sich bringen.
Ein Angestellter aus Hamburg-Harburg: »Ich bin gespannt, was die Berliner Konferenz uns bringt. Ich bin der Meinung, dass die Fronten wohl etwas auftauen und einige kleine Teilerfolge erzielt werden. Im Interesse aller Menschen wäre dies schon zu begrüßen.«
Ein Angestellter aus Hamburg-Wilhelmsburg: »Bei Euch in der Ostzone sind Fortschritte im Wiederaufbau zu verzeichnen. Wir alle hier haben den Wunsch der baldigen Wiedervereinigung zwischen Ost und West. Hoffentlich wird die jetzige Konferenz in Berlin ein Stück dazu beitragen.«
Ein Jugendlicher aus Köln: »Am 23.1.1954 war in Köln eine Friedenskundgebung über das Thema: ›Die Viererkonferenz in Berlin und die Zukunft Deutschlands‹. Ich war erstaunt, dass so viel Menschen an dieser Kundgebung teilgenommen haben, der Saal war bis zum letzten Platz besetzt.«
Ein anderer Teil sieht dagegen der Konferenz mit Zweifel entgegen und ist der Meinung, dass die Großmächte an keiner Einigung interessiert sind. Teilweise macht sich hierbei die westliche Propaganda gegen die SU und DDR bemerkbar.
Ein Arbeiter aus Lüdenscheid: »Ich habe wenig Hoffnung auf einen Erfolg dieser Konferenz. Die Großen Vier sind sich nur in dem Punkt einig, wie sie Deutschland niederdrücken können.«
Ein Arbeiter aus Hamburg: »Ich habe keine Hoffnung auf Erfolg bei dieser Konferenz. Man kennt doch die Herren aus dem ›Roten Paradies‹. Eins steht fest, so wie jetzt kann es in der Ostzone nicht bleiben, darüber ist sich jeder klar.«
Anlage vom 1. Februar 1954 zum Informationsdienst Nr. 2098
Stimmung zur Viermächtekonferenz
Betriebe
Unter den Werktätigen in den Betrieben tritt zurzeit in Erscheinung, dass ein großer Teil gegen die Stellungnahme des Außenministers Dulles, der sich gegen die Teilnahme deutscher Vertreter aussprach, protestiert. So werden z. B. im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld, [Bezirk] Halle, Unterschriften gesammelt, um gegen die Stellungnahme Dulles zu protestieren.26 Es bedarf keiner großen Diskussion, da der größte Teil den Standpunkt vertritt, dass zur Behandlung der Deutschlandfrage unbedingt Vertreter aus Deutschland zugegen sein müssen. Auch im Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« in Schwarza, [Bezirk] Gera, wurden die Unterschriften bereitwillig gegeben.
Mit Entrüstung wurde in einer Kurzversammlung des VEB technische Eisenwaren Raguhn, [Bezirk] Halle, über die ablehnende Haltung des USA-Außenministers Dulles Stellung genommen und eine Protestresolution verfasst, die nach Berlin abgesandt wurde. Das Gleiche wird aus den Betrieben Schiffswerft Fürstenberg/Oder, Elbewerft Boizenburg, [Bezirk] Schwerin, und dem VEB Möve-Werk Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt, berichtet.
In der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, protestierten die Kumpel in zehn Kurzversammlungen gegen die ablehnende Haltung des amerikanischen Außenministers.
Im VEB Kombinat Gölzau,27 [Bezirk] Halle, bringen die Kumpel zum Ausdruck, dass es zu begrüßen sei, dass Molotow nicht nur die Interessen Deutschlands, sondern die der ganzen friedliebenden Welt konsequent vertritt.
In der Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle, ist festzustellen, dass ein großer Teil nichts von der Konferenz erwartet. Für die Teilnahme einer deutschen Delegation spricht sich jedoch der größte Teil positiv aus. So kann man nicht verstehen, dass dies von den westlichen Außenministern abgelehnt wird.
Eine ähnliche Meinung kommt in einer Reihe von Einzelstimmen zum Ausdruck, worin u. a. Vertrauen zur sowjetischen Diplomatie und den Vorschlägen des Genossen Molotow geäußert werden. So sagte der Angestellte [Name 1] von der Volkswerft Stralsund: »Es muss doch möglich sein, Molotows Vorschlag, Deutsche mit hinzuzuziehen zu realisieren. Ich glaube fest daran, dass der sowjetische Außenminister dieses doch noch auf der Konferenz durchdrücken wird.«
Der Oberbuchhalter des VEB Schleiz,28 [Bezirk] Gera, [Name 2] (NDPD): »Mich interessieren immer wieder die konkreten Vorschläge Molotows und dass er so offen uns Deutsche auf dieser Konferenz vertritt. Das hätte ich mir von diesem Mann nicht träumen lassen. Man muss hier immer wieder die Hinterhältigkeit Dulles verurteilen, indem er jetzt schon wieder versucht Kontra zu geben.«
Der Arbeiter [Name 3] auf dem VEB Ankerwerk Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Ich habe die Vorschläge von Molotow besonders verfolgt. Er hat den westlichen Außenministern den Weg zur Erhaltung des Weltfriedens und Herstellung der Einheit Deutschlands aufgezeigt. Wir müssen alle mithelfen, dass die Westmächte auf dieser Konferenz gezwungen werden nachzugeben.«
Ein Betriebsschutz-Angehöriger vom VEB LOWA Niesky: »Die ablehnende Haltung der westlichen Außenminister beweist, dass sie nur die Interessen der Kapitalisten und Monopolherren ihrer Länder vertreten. Die Forderung der friedliebenden Menschen aber ignorieren sie.«
Nur im geringen Maße wurden gegenteilige oder feindliche Meinungsäußerungen bekannt. In der Tischlerei der Elbewerft Boizenburg, [Bezirk] Schwerin, wird verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, dass man »freie Wahlen« durchführen müsste.
Der Arbeiter [Name 4] aus dem Celluloid-Werk Eilenburg,29 [Bezirk] Leipzig: »Hoffentlich versaut Molotow nicht die Belange Deutschlands. Jeden Tag bringt er einen neuen Punkt für die Tagesordnung. Bisher vertritt die SU nur ihre ureigensten Interessen, an uns liegt ihnen scheinbar nichts. Von Freundschaft ist nicht viel zu verspüren.«
Der Nieter [Name 5] (parteilos) von der Neptun-Werft Rostock, sagte: »Molotow redet nur um den heißen Brei herum. Molotow hat Angst vor einer geheimen Wahl. Wir haben auf der Konferenz nichts zu suchen und was soll China auf der Konferenz.«
Der Kumpel [Name 6] vom [Wismut-]Schacht 206 Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt:30 »Molotow soll sich um seine ›Iwans‹ und nicht um Deutschland kümmern. Sie sehen doch, wie wir um unsere Freiheit kämpfen.«
Landwirtschaft
Unter der Landbevölkerung ist jetzt die Diskussion über die ablehnende Stellung der westlichen Außenminister zum Vorschlag des Genossen Molotow, Teilnahme der Vertreter der DDR und der Bundesrepublik bei der Behandlung der Deutschlandfrage, angelaufen. Die Belegschaft der MTS Neckanitz, [Bezirk] Dresden, übersandte dem FDGB eine Protestresolution, in der das Verhalten des amerikanischen Außenministers verurteilt wird und die Teilnahme deutscher Vertreter gefordert wird.
Über den weiteren Konferenzverlauf äußerten sich eine Reihe hoffnungsvoller Stimmen. Kollege [Name 7] von der MTS Perleberg, [Bezirk] Schwerin: »Wenn die Konferenz erst im demokratischen Sektor tagt, wird die Forderung zur Teilnahme deutscher Vertreter schärfer gestellt.«
Zum Vorschlag des Genossen Molotow äußerten sich eine Reihe negativer und feindlicher Stimmen. Der Schmied [Vorname Name 8] von der MTS Thoßfell, [Kreis] Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Molotow brachte in seiner Rede wieder den alten Käse, dass die SU im letzten Krieg am meisten gelitten hat, aber das wollen wir nicht mehr hören.«
Der Statistiker [Vorname Name 9] von der MTS Krackow, [Kreis] Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg: »Molotow hat sich viel mit dem deutschen Militarismus in seiner Erklärung beschäftigt, aber der VP gibt man heute alle Waffen.«31
Jungbauer [Vorname Name 10] sagte in der Gastwirtschaft Beelitz, [Bezirk] Magdeburg: »Wir trinken auf das Nichtgelingen der Viererkonferenz. Zurzeit des 17.6.[1953] haben wir zwei Tage gefeiert und wenn die Viererkonferenz schief geht, feiern wir acht Tage.«
Die Vorschläge Edens,32 »freie Wahlen«, werden ebenfalls stark diskutiert. In der Gemeinde Markleben,33 Weißenfels, [Bezirk] Halle, ist man der Meinung, dass die DDR bei »freien Wahlen« durchfalle, weil die DDR nur 18 Millionen Menschen hat und Westdeutschland 45 Millionen.
Die Mehrzahl der vorliegenden Stimmen befasste sich jedoch nicht mit der letzten Rede Molotows.34 Diskutiert wurde die Frage der Teilnahme Chinas, die Oder-Neiße-Grenze usw.
Bevölkerung
Ein großer Teil der Bevölkerung spricht sich gegen die Ablehnung der Teilnahme deutscher Vertreter an der Berliner Konferenz durch den amerikanischen Außenminister Dulles aus und steht hinter den Vorschlägen des sowjetischen Außenministers Molotow. In einer Versammlung der Sozialversicherungskasse Bernau, [Bezirk] Frankfurt/Oder, verurteilte die 71 Mann starke Belegschaft die Haltung von Dulles in der Frage der Teilnahme deutscher Vertreter. Eine Protestresolution mit der Forderung auf Teilnahme deutscher Vertreter wurde 100-prozentig unterschrieben.
Die Angestellte [Vorname Name 11] aus Lauscha, [Bezirk] Suhl: »Bei der Erklärung Molotows ist festzustellen, dass die SU sich immer für Deutschland einsetzt. Ich fordere, dass auf dieser Konferenz Vertreter aus Ost und West ebenfalls zugelassen werden.«
Einwohner [Name 12] (parteilos) aus Spremberg, [Bezirk] Cottbus: »Ich verfolge täglich im Rundfunk und in der Presse den Ablauf der Sitzungen. Ich verstehe nicht, dass die Westmächte die Einheit Deutschlands so verdrehen und hinausschieben. Ich schließe mich den Vorschlägen unserer Regierung und der SU an, denn nur so können wir die Einheit Deutschlands herstellen.«
Angestellter [Name 13] Kreisrat Pößneck, [Bezirk] Gera, – LDP:35 »Die Ablehnung seitens der Westmächte, Deutsche bei der Behandlung des Deutschlandproblems zuzulassen, ist äußerst schlecht. Sie sollten mich mal einladen, ich würde schon unsere Meinung sagen.«
Eine Hausfrau aus Berlin W 9:36 »Die Konferenz geht nun schon einige Tage. Man kennt die sowjetischen Vorschläge und auch die nicht ganz zustimmenden Antworten der anderen Minister. Sie wollen manches umgehen, aber es wird ihnen nicht auf die Dauer gelingen und sie müssen klein beigeben. Viele Westberliner bleiben stehen, wenn Molotow vorbeifährt.«
Von einem Teil der Bevölkerung werden in Diskussionen und Versammlungen, wo gegen das Auftreten Dulles auf der Berliner Konferenz zur Frage auf Teilnahme deutscher Vertreter an der Konferenz Stellung genommen wird, negative Stimmen bekannt. Der Angestellte [Vorname Name 14] – Magistrat von Groß-Berlin – enthielt sich bei einer Versammlung der zentralen Segelflugschule Ballenstedt bei der Abstimmung über die Protestresolution, die gegen das provokatorische Auftreten Dulles gerichtet war, der Stimme.
Stimmen aus Westberlin
Ein ehemaliger Bürgermeister, der republikflüchtig wurde und sich zzt. im Fichtebunker in Westberlin befindet,37 äußerte: »Hoffentlich bringt es Molotow fertig, eine Einigung auf der Grundlage wie es in der DDR ist zu schaffen. Adenauer sieht nur die westlichen Aktionen als richtig an, eine Entwicklung, die zum Kriege führt. Wenn der EVG-Vertrag angenommen wird, muss der Westen sofort die Wehrmacht aufstellen, was das bedeutet, ist jedem Menschen klar. Ich bin froh, dass Frankreich sich mit aller Gewalt dagegen sträubt.«
Ein anderer Republikflüchtiger, der sich zzt. im Fichtebunker aufhält, bringt zum Ausdruck, dass Molotow sein ganzes Vertrauen besitzt. Jetzt sieht er ein, dass es schlecht gewesen ist, sich abzusetzen. Überall will er von nun an sich für die DDR einsetzen. Unter keinen Umständen dürfe der EVG-Vertrag zustande kommen, denn dann gibt es Krieg. Molotow möchte doch die Franzosen davon überzeugen, dass sich der Vertrag nur gegen die SU richtet, dies muss unter allen Umständen verhindert werden. Hier soll sich Molotow stark durchsetzen.
Ein Bankangestellter aus Westberlin: »Wenn die SU Wert auf ein friedliches Deutschland legt, dann sollte sie ihre Zustimmung zu ›freien Wahlen‹ und gewisse Garantien für die Unverletzbarkeit Deutschlands geben. Es wäre dann eine Selbstverständlichkeit, dass der EVG-Vertrag überflüssig und die Remilitarisierung Westdeutschlands eingestellt wird.«
Ein Klempnermeister aus Westberlin: »Die Hinzuziehung deutscher Vertreter ist überflüssig und wirkt hemmend auf die Ergebnisse der Konferenz. Eine Einigung halte ich für sehr schwierig, aber doch für möglich. Man sollte die Ostgebiete zurückgeben, da dadurch der Gedanke einer Remilitarisierung und des Revanchekrieges immer mehr um sich greift. Die Regierung der DDR lehne ich ab, da sie nicht aus ›freien Wahlen‹ hervorgegangen ist.«
Eine Hausfrau aus Westberlin: »Molotow will scheinbar an den Friedensvertrag mit Deutschland nicht heran, er schweift immer wieder ab. Aber der Amerikaner wird ihn so schnell nicht wieder loslassen. In Wirklichkeit denkt der Russe gar nicht an Frieden, sondern nur daran, wie er China mit in die UNO kriegen kann, um Deutschland und Frankreich einzusacken.«