Zur Beurteilung der Situation
22. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2267 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über politische Tagesfragen wird nur sehr vereinzelt diskutiert, während allgemeine Interesselosigkeit hierzu vorherrscht. Dafür ist folgendes Beispiel charakteristisch: Eine Arbeiterin aus dem VEB Gummistrickwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Ich will als Parteilose alles daransetzen, um im Betrieb eine gute Arbeit zu leisten und um dadurch viel zu verdienen. Ich bin auch für den Frieden, aber von der Politik, wie sie laufend betrieben wird, will ich nichts wissen und will lieber meine Ruhe haben.«
Im Mittelpunkt der Gespräche steht weiterhin die Hochwasserkatastrophe,1 jedoch hat der Umfang der Diskussionen etwas abgenommen. Darüber wird im Anhang berichtet. Daneben wird über verschiedene betriebliche und wirtschaftliche Fragen gesprochen, worüber die Werktätigen meist nicht einverstanden sind. Über die Preise in der DDR wurde unter einigen Kollegen des VEB Gummistrickwerkes Zeulenroda, [Bezirk] Gera, diskutiert. Dazu folgendes typisches Beispiel: Ein Arbeiter (ehemaliger Umsiedler): »Die Mark hat bei uns gar keinen Wert. Das zeigt sich, wenn meine Frau einkaufen geht. Am Sonnabend hat sie z. B. nur etwas auf Marken geholt und bezahlte 25,00 DM. Im Westen bekommt man dafür einen ganzen Korb voll. Ich habe drei Kinder und brauche laufend neue Sachen. Aber mein Verdienst reicht gerade für das Essen. Mit diesen Verhältnissen bin ich nicht einverstanden.« Ein anderer Arbeiter antwortete: »Den Intelligenzlern schmeißt man eine Menge Geld hin und für den Hilfsarbeiter hat man nichts übrig. Das ist keine soziale Gerechtigkeit. Die Hilfsarbeiter wollen ja auch leben.«
Unzufriedenheit über den Lohn besteht
Im VEB Werkzeugunion Steinbach, [Bezirk] Suhl. Die Arbeiter suchen sich deshalb in Zella-Mehlis Arbeit, da sie dort nach einer höheren Ortsklasse bezahlt werden und mehr Geld erhalten.2
Im VEB Jutewerk Triebes, [Bezirk] Gera, wo ebenfalls die Arbeiter in andere Betriebe überwandern. Eine Kollegin aus der Abteilung Vorbereitung äußerte dazu: »Wenn in nächster Zeit keine Lohnaufbesserung oder Preissenkung durchgeführt wird, bin ich so wie andere gezwungen, mir ebenfalls eine neue Arbeit zu suchen oder nach dem Westen zu gehen. Die Arbeiter in Westdeutschland haben in unserem Fach eine höhere Bezahlung als wir. Außerdem sind die Preise dort wesentlich niedriger.«
Große Unzufriedenheit über die Normen herrscht unter den Facharbeitern des VEB Betonwerk Cossebaude, [Bezirk] Dresden, da die ungelernten Arbeiter mehr verdienen als die Facharbeiter. Die ungelernten Arbeiter erfüllen ihre Normen mit 180 bis 200 Prozent und mehr.3
Die Kollegen der Abteilung Elektrolitabfertigung im VEB Stern-Radio Sonneberg, [Bezirk] Suhl, sollten technisch begründete Arbeitsnormen einführen.4 Die Arbeiter weigerten sich und erklärten, dass sie erst eine Preissenkung abwarten wollen, dann könnte man nochmals darüber reden.
Über die Einführung der Nachtschicht wegen Schwierigkeiten in der Stromversorgung sind die Kollegen des Kaliwerkes Marx/Engels in Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, verärgert. Sie sind mit der Nachtschicht nicht einverstanden.
Drei Maschinenbauspezialisten der Warnow-Werft Warnemünde haben ihr Arbeitsverhältnis gelöst, weil ihnen die Werftleitung vorwarf, die Arbeiten an der »Sowj[etski] Sojus«5 vernachlässigt zu haben. Bei diesen Spezialisten, die die gesamte Maschinenanlage des Schiffes gebaut haben, werden nach ihrem Abgang große Schwierigkeiten im Maschinenbau auftreten, die Werftleitung unternimmt nichts, um sie zu halten.6
Charakteristische negative Diskussionen bei der Reichsbahn über betriebliche Fragen zeigen folgende Beispiele vom Bahnhof Weißenfels, [Bezirk] Gera. Ein Weichenwärter sagte: »Was nützt uns die ganze Dispatcherei, wenn keine Loks da sind. Das ist doch alles Mist. Man sieht doch jeden Tag, dass hier nichts los ist. Der ganze Kram ist nur Geldschneiderei.« Ähnlich äußerte sich ein Aufsichter: »Mir ist doch egal, ob etwas fährt. Ich bin meine acht Stunden da und gehe dann nach Hause. Das ist doch keine Arbeiterei mehr. Mal fehlt die Lok, mal das Zubehör. Da helfen auch keine Dispatcher. Sie sollen nur Loks mitbringen, dann rollt auch der Laden.«
Ein Rangiermeister äußerte sich zum Unfallkampfplan wie folgt: »Der Unfallkampfplan ist ja nur eine Schwarzschmiererei. Mit den Kampfbüchern, wo die Fehler eingetragen werden, bin ich nicht einverstanden. Aber sagt man ein Wort, dann kann es passieren, man wird fortgeschafft.«
Mangelhafte Planerfüllung
Im VEB Mühlenbau Lohmen, [Bezirk] Dresden, wurde der Jahresplan 1954 nur bisher zu 28,5 Prozent erfüllt. Als Ursache wird dazu angegeben:
- –
Größtenteils werden Exportmaschinen hergestellt, wofür ständig neue Vorrichtungen angeschafft werden müssen.
- –
Der Maschinenpark befindet sich in einem schlechten Zustand.
- –
Der Betrieb hat bisher nur sehr wenig Investitionen erhalten.
- –
Der bestätigte Jahresplan ging erst Anfang Juli 1954 ein.
- –
Stockungen in der Materiallieferung.
- –
Abwanderung von Arbeitskräften in das Industriezentrum Pirna, wo die Löhne höher sind.
Der VEB Rheinmetall Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, erfüllt den Produktionsplan seit Monaten nur mit 75 bis 80 Prozent. Im Gegensatz hierzu ist der Lohnfonds um ein Beträchtliches überschritten worden. Zur Begründung wird angegeben: Fluktuation der Arbeitskräfte der mechanischen Abteilungen, mangelndes Verantwortungsbewusstsein der Leitung, schlechte Materialversorgung.
Missstand: Die Warnow-Werft erhält zzt. waggonweise Teile für Schwimmkräne. Diese werden auf dem Hellingvorplatz gelagert, wo sie durch die ungünstige Witterung versanden bzw. verrosten. Wenn diese Teile nicht abgedeckt werden, entstehen erhebliche Kosten für Nacharbeiten.
Produktionsstörung: Am 20.7.[1954] entstand in der Elektron. Schleiferei der Mercedes-Werke in Zella-Mehlis, [Bezirk] Suhl, ein Brand mit nachfolgender heftiger Explosion. Personenschaden: zwei Kollegen wurden verletzt. Sachschaden 3 000 bis 4 000 DM. Nähere Ermittlungen über die Ursache werden noch geführt.
Handel und Versorgung
Schwierigkeiten in der Versorgung mit Frühkartoffeln bestehen noch teilweise in den Bezirken Rostock, Schwerin, Suhl, Wismut7 und mit Gemüse zum Teil noch in Suhl und Schwerin. In Bachfeld und Bad Salzungen wurde festgestellt, dass diese Schwierigkeiten auf den Mangel der unzureichenden Transportmittel zurückzuführen sind.
Die Marmeladefabrik Rostock kann die abgeschlossenen Verträge in der Belieferung der Ostsee-Bäder, Kinderferienlager und des MdI nicht einhalten, weil ihr die notwendigen Pappeimer fehlen. Ursache dieses Mangels ist das Stillliegen der Papierfabriken im Hochwassergebiet.
Im Kreis Gadebusch, [Bezirk] Schwerin, ist eine Stockung in der Fleischversorgung dadurch eingetreten, dass der Schlachthof in Schwerin nicht in der Lage ist, die angeforderten Mengen termingemäß zu liefern.
Die Versorgung mit Haferflocken und Graupen im Bereich der DHZ Weißenfels, [Bezirk] Halle, war in den Monaten Mai, Juni und Juli unzureichend, weil ein hoher Prozentsatz Nährmittel von den Käufern zur Aufzucht von Kleinvieh verwendet wird.
In fast allen Verkaufsstellen der Konsumgenossenschaft Leipzig besteht ein großer Mangel an Verpackungspapier, besonders Pergamentpapier, sodass bereits stellenweise Fleisch und Wurst unverpackt zum Verkauf gelangen.
In den Kreisgebieten Delitzsch und Döbeln, [Bezirk] Leipzig, schickten verschiedene DHZ und Konsumgenossenschaften Schokoladenerzeugnisse an die Herstellerbetriebe als nichtabsetzbare Ware wieder zurück. Diese Erzeugnisse wurden im Mai und Juni hergestellt und im einwandfreien Zustand geliefert.
Landwirtschaft
Zu den politischen Tagesfragen nimmt die Landbevölkerung nach wie vor nur wenig Stellung. Über die Unwetterkatastrophe, die im Mittelpunkt der Diskussionen steht, wird im Anhang berichtet. In der Hauptsache interessiert sich die Landbevölkerung für wirtschaftliche Fragen, wie nachstehende Beispiele es zeigen: Die MTS Wolfshagen, [Bezirk] Schwerin, hat großen Raummangel und muss Wasch-, Ankleide- und Aufenthaltsräume als Büroräume nutzen. Der bereits begonnene Bau eines Verwaltungsgebäudes wurde wieder eingestellt, die Bauarbeiter und Gerüste abgezogen. Der Kreisbaubetrieb begründet diese Maßnahme mit dem Fehlen des notwendigen Bauholzes.
In MTS des Kreises Ribnitz, [Bezirk] Rostock, können die Dreschaggregate nicht eingesetzt werden, weil die vierpoligen Stecker nicht zusammenpassen und das Anbringen der Steckdosen nur langsam vor sich geht.
Das VEG Eibau, [Bezirk] Dresden, muss seine Tiere in beengten Stallungen unterbringen, wodurch die Gefahr von Erkrankungen besteht. Zum Bau eines Schweinestalles wurden bereits im März d. J. 30 000 DM bewilligt, der Bau aber wegen Mangel an Bauholz noch nicht in Angriff genommen.
Der Kreis Delitzsch in Leipzig besitzt eine sowjetische Getreidetrockenmaschine, die in den Hochwassergebieten dringend benötigt wird, aber nicht eingesetzt werden kann, weil vom Rat des Bezirkes kein Vergaserstoff, Öl und Kohle bereitgestellt wurden.
Die werktätigen Bauern aus Lossa, [Bezirk] Leipzig, erhielten von der BHG Thallwitz zur Frühjahrsbestellung einen Waggon Frühkartoffeln, die sich jetzt bei der Ernte als Spätkartoffeln herausstellten.
Im Kreis Kamenz, [Bezirk] Dresden, ist das Saatgut für Zwischenfruchtanbau so knapp, dass teilweise die Bauern die Erbsen pfundweise in den Geschäften kaufen müssen, wie es in Rauschwitz, [Bezirk] Dresden, z. B. der Fall ist.
Die Wildschweinplage macht sich besonders im Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt, und in einigen Kreisen des Bezirkes Suhl bemerkbar. Das im Kreis Worbis eingesetzte Jagdkommando kam zu keinem Abschussergebnis, weil die Wildschweine ständig ihren Standort wechseln.8
Die Mitglieder der LPG Salzungen, [Bezirk] Suhl, beschweren sich darüber, dass sie von ihrem Patenbetrieb,9 VEB Mewa-Lux, überhaupt keine Unterstützung haben.
Die Großbauern aus Knapendorf,10 [Bezirk] Halle, sagten, dass die Ernte trotz des Hochwassers in diesem Jahr gut ausfallen wird. Es bestehen aber Schwierigkeiten in der Einbringung, weil es an Landarbeitern fehlt. Die Mobilisierung der Arbeiter aus den Buna-Werken ist bisher ohne Erfolg geblieben.
Über die im Bezirk Neubrandenburg eingesetzten Erntehelfer aus Sachsen, wie z. B. im Kreisgebiet Malchin, kommen wiederholt Beschwerden aus der Landbevölkerung über das Verhalten dieser Helfer. In Klausdorf wurden die Rübenhacken absichtlich demoliert. In Diskussionen sagten diese Erntehelfer, dass sie nicht freiwillig, sondern durch Zwang hergekommen sind und dass es in den Gefängnissen genauso aussieht wie zu Hitlers Zeiten.
Übrige Bevölkerung
Im Mittelpunkt der Diskussionen steht immer noch die Hochwasserkatastrophe, worüber im Anhang berichtet wird. Über politische Tagesfragen wird nur ganz vereinzelt diskutiert. Über das Verbot der FDJ in Westdeutschland11 äußerte sich ein FDJler aus dem Fernmeldewerk Bad Blankenburg, [Bezirk] Gera: »Das Verbot der FDJ in Westdeutschland ist nach Unterzeichnung des EVG-Vertrages12 der größte Verfassungsbruch, den sich Adenauer13 geleistet hat. An dieser Maßnahme erkenne ich den faschistischen Charakter des Adenauer-Regimes. So ging es 1933 schon einmal los – das Verbot der demokratischen Parteien und Organisationen, dann Wehrmacht und Krieg. Ich kann mir aber schlecht vorstellen, dass die Jugend in Westdeutschland sich dies so ohne Weiteres gefallen lässt.«
Über die Wiederwahl des Bundestagspräsidenten Heuss14 wird im Kreiskrankenhaus Stadtroda, [Bezirk] Gera, diskutiert. Eine parteilose Stationsschwester: »Es wäre besser gewesen, dieser alte Mann wäre abgetreten, dann wäre dem deutschen Volk viel Ärger erspart geblieben, denn Heuss hat doch nichts für uns übrig.« Ein anderer Kollege äußerte sich wie folgt: »Ein Mann wie der Heuss, der den EVG-Vertrag gutheißt, kann nichts für die Arbeiter und Bauern übrighaben. Aber die aufrechte Haltung der KPD, welche Heuss ablehnte, ist zu begrüßen.«
Aus Magdeburg wurden uns einige negative Stimmen zur Wiederwahl des Bundespräsidenten bekannt. Ein Fleischmeister aus Burg: »Da kann man doch sehen, dass der alte Heuss was geleistet hat, sonst hätte man ihn doch nicht wiedergewählt.« Ein Rentner aus Möser: »Die Bonner Regierung zeigt doch, dass sie an Berlin denkt. Das beweist uns die Tagung in Berlin.15 Damit erkennt sie Berlin als Hauptstadt Deutschlands an.«
Aus den Bezirken Halle und Suhl wurden uns Stimmen zum evangelischen Kirchentag in Leipzig bekannt.16 Diese sind positiv und bringen zum Ausdruck, dass dem evangelischen Kirchentag eine sehr großzügige Unterstützung vonseiten der Regierung der DDR zuteil wurde. Andere sprechen darüber, dass dies der bisher größte Kirchentag in Deutschland war. Ein Pfarrer aus Röglitz,17 [Bezirk] Halle: »Die DDR kann für sich verbuchen, dass der Kirchentag in Leipzig der bisher größte Kirchentag in Deutschland gewesen ist. Des Weiteren wurde seit der Spaltung Deutschlands das erste Mal auf kirchlicher Ebene eine Möglichkeit geschaffen, dass der Präsident der Volkskammer der DDR und der Präsident des Bundestages in Verbindung treten könnten. Dies war das wichtigste Ereignis des evangelischen Kirchentages in Leipzig.«
Unter den Mitgliedern der CDU des Kreises Suhl diskutiert man positiv über den Leipziger Kirchentag. Dabei äußert man sich sehr lobend über die großzügige Unterstützung vonseiten unserer Regierung. Man sagt, dass die westdeutschen Gäste bestätigt haben, dass der Kirchentag in Leipzig besser gewesen ist als der vorhergehende in Hamburg.18
Diskussionen, die sich mit den verschiedensten wirtschaftlichen Fragen beschäftigen
Die Gesellschaft für Sport und Technik im Kreis Niesky, [Bezirk] Dresden, wird völlig ungenügend mit Ersatzteilen beliefert. Ein Stützpunktleiter der GST-Motorsport sagte dazu Folgendes: »Ich kann nicht umhin, feststellen zu müssen, dass die Ersatzteilbeschaffung der GST sabotiert wird. Wie ist es möglich, dass privaten Reparaturwerkstätten eine gute Belieferung mit Ersatzteilen aller Art gewährleistet wird und unser Zentralvorstand nicht in der Lage ist, die einfachsten Ersatzteile zu besorgen. Entweder sind die Verantwortlichen des Zentralvorstandes fehl am Platze, oder es sind Kräfte am Werke, die die Versorgung der GST bewusst hintertreiben. Man kann diesen Zustand nicht länger stillschweigend hinnehmen und muss das ZK und die Staatsorgane darauf aufmerksam machen. Wir können als Organisation unseren Aufgaben nicht gerecht werden, wenn die Ersatzteile nicht schnellstens geliefert werden.«
Bei den Gewerbetreibenden in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, bestehen immer noch Schwierigkeiten in der Versorgung mit Pappe. In den Diskussionen kommt zum Ausdruck: »Wir können keine Waren mehr auf Lager legen. Wenn keine Änderung eintritt, sind wir gezwungen, die Republik zu verlassen, da wir das finanziell nicht mehr ertragen können. In Westdeutschland ist Pappe genügend vorhanden.«
Im VdN-Erholungsheim »Elsa Fenske« in Grillenburg, Kreis Freital, [Bezirk] Dresden, traten nach dem Mittagessen bei ca. 30 Personen Vergiftungserscheinungen auf. Die Ursachen konnten bis jetzt noch nicht festgestellt werden. Untersuchungen eingeleitet.19
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:20 Halle 15 000 (Stimmzettel21), Dresden und Erfurt einige.
NTS:22 Groß-Berlin 1 500, Suhl 6 130, Halle 110, Cottbus 50, Gera und Dresden einige.
FDP-Ostbüro: Gera und Erfurt einige.
Verschiedener Art: Karl-Marx-Stadt einige.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit
Am Zaun des VEB EKM Greiz23 Gera wurde von bisher unbekannten Tätern ein Hitlerkopf aus Metall befestigt.
Einige Personen im Kreis Sonneberg, [Bezirk] Suhl, welche sich am 17. Juni 1953 beteiligten, kommen des Öfteren zusammen, wobei besonders für den RIAS agitiert wird.
Diversion
Im VEB Textil- und Gummiwerk Neugersdorf, Kreis Löbau, [Bezirk] Dresden, Abteilung Gummierung wurde in der Streichpaste eine Metallscheibe gefunden, was in der vergangenen Zeit bereits einige Male vorgekommen war.
In der Salpetermühle des Sprengstoffwerkes Gnaschwitz, Kreis Bautzen, [Bezirk] Dresden, befand sich ein Stück Eisen, wodurch die Welle verbogen und zwei Zähne aus dem Zahnrad ausgebrochen wurden. Der Schaden beträgt ca. 1 800 DM, Dauer der Reparatur acht Tage.
Gefälschte Schreiben
Im Bezirk Neubrandenburg treten weiterhin gefälschte Schreiben auf, worin die Empfänger aufgefordert werden, zu Untersuchungen in die Poliklinik zu kommen.
Der Parkwächter aus Loitz, Kreis Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, erhielt ein gefälschtes Schreiben. Der Inhalt des Schreibens wird als »Geheimer Auftrag der HVDVP« bezeichnet und der Empfänger soll zwei namentlich genannte Personen überwachen. Bei Erfüllung des Auftrages soll er sich am 1.8.1954 10,00 DM im Berlin abholen.
Im Bezirk Friedrichshain, Groß-Berlin, wurden im S-Bahnhof Stalinallee vier gefälschte Kartoffelkarten gefunden. Nach Angaben der Kartenstelle sollen bereits im Bezirk Lichtenberg zwölf gefälschte Karten angefallen sein.
Vermutliche Feindtätigkeit
Im Keller des Kindergartens der EMW Eisenach,24 [Bezirk] Erfurt, brannte am 20.7.1954, gegen 23.00 Uhr eine Bohle. Es wird Brandstiftung vermutet. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.
Am 21.7.1954, gegen 14.00 Uhr wurde in Hasselfelde, [Bezirk] Magdeburg, ein amerikanischer Pkw (Kennzeichen nicht bekannt) mit drei bis vier amerikanischen Offizieren gesichtet, der in Richtung Nordhausen weiterfuhr.
Am 21.7.[1954], gegen 13.00 Uhr wurde über dem Stadtgebiet Wernigerode in Höhe von ca. 300 bis 400 m ein zweimotoriges Flugzeug (Typ Douglas/B5 III) gesichtet, welches in Richtung Elbingerrode-Grenze weiterflog.25
Anlage 1 vom 22. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2267
Zu den Volkskammerwahlen im Oktober 195426
Über die [im] Herbst stattfindenden Volkskammerwahlen wird bis jetzt nur ganz vereinzelt diskutiert. Teilweise zieht man Vergleiche mit der Volksbefragung.27 Diese Vergleiche werden meist von Personen gezogen, die der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber negativ eingestellt sind. Ein Mühlenbesitzer aus dem Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden: »Bei uns im Ort haben nur 60 Prozent für den Frieden gestimmt. Bei den kommenden Volkskammerwahlen wird aber noch eine größere Abfuhr erteilt.« Ein Drogeriebesitzer aus Meißen, [Bezirk] Dresden: »Die am 17. Oktober [1954] stattfindende Volkskammerwahl wird der Sargdeckel der SED, d. h. vorausgesetzt, dass die Wahl wirklich eine freie Wahl wie im Westen ist. So denken 75 Prozent der Menschen, die ich kenne.«
Aus den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl wurde uns bekannt, dass man noch vor der Volkskammerwahl eine Preissenkung erwartet. Dabei wird die Meinung vertreten, dass man nur dann mit einem guten Ergebnis rechnen kann, wenn eine Verbesserung der Lebenslage eintritt. Ein Arbeiter aus Gera: »Jetzt nach dem guten Ausgang der Volksbefragung meint man wohl, dass man die Wahl für die Volkskammer ohne Bedenken durchführen könne. Aber da müsste wohl noch eine weitere Verbesserung der Lebenslage der großen Masse eintreten, sonst wird es wohl etwas anders ausfallen, als man sich bis jetzt denkt.«
Die Angestellten der VEB Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, erwarten noch vor der Volkskammerwahl eine entscheidende Preissenkung und vertreten die Meinung, »nur dies könne das Ergebnis der Volkskammerwahl verbessern«. Eine parteilose Hausfrau aus Seligenthal, [Kreis] Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Wenn man die Menschen weiter so verärgert mit dem Brennholz, braucht man sich nicht zu wundern, wenn sich dies auch negativ auf die Volkswahlen auswirkt. Ich komme täglich unter die Menschen und muss feststellen, dass dies das brennenste Problem ist.«
Von den bürgerlichen Parteien, wie LDPD und CDU, werden die Einheitslisten zur Volkskammerwahl abgelehnt und man fordert, dass die Möglichkeit geschaffen wird, für eine bestimmte Partei zu wählen. Ein Elektriker aus Blankenburg, [Bezirk] Magdeburg (Mitglied der NDPD): »Unsere Regierung wird darauf pochen, dass wieder Einheitslisten aufgestellt werden, denn die Herren wissen genau, wenn die Parteien ohne Organisationen aufgestellt werden, dann hat ihr Stündchen geschlagen, weil fast alle keine SED wählen. Nur eine Wahl nach dem Muster des Westens ist eine echte demokratische Wahl.« Ein Steuerberater aus Ilsenburg, [Bezirk] Magdeburg: »Es ist doch Quatsch, das Wort Wahlen zu gebrauchen, es wird nicht anders vor sich gehen als vor vier Jahren.28 So etwas kann man doch nicht mit Wahlen bezeichnen. Aber unter diesem System sagt man Wahlen dazu.«
Ein Mitglied der NDPD aus Treuenbrietzen, [Bezirk] Potsdam: »Die Arbeiterschaft ist nicht in der Lage, unseren Staat zu leiten, ich kann nicht verstehen, dass zu der bevorstehenden Wahl im Oktober gemeinsame Listen aller Parteien aufgestellt werden. Ich bin der Meinung, dass bei einer ›freien Wahl‹ die NDPD die meisten Stimmen haben würde.«
Ein parteiloser Arbeiter aus Hallungen, [Bezirk] Erfurt: »Die fragen doch jetzt schon wieder mit ihrer Propaganda an. Es wird nicht lange dauern, dann hängen die Transparente wieder über allen Straßen: ›Wählt SED‹. Diesmal muss es aber heißen: ›SED – Nee‹.« Ein werktätiger Bauer aus Bernsberg,29 [Bezirk] Magdeburg: »Bei den Wahlen am 17.10.1954 wird die SED einen großen Verlust erleiden, da die LDP und NDPD sehr gut arbeiten.«
Anlage 2 vom 21. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2267
Zur Lage in der Landwirtschaft
Durch die LPG auf dem Lande hat sich die gesamte Arbeit verbessert und erleichtert. Die Bauern haben endlich einmal Zeit, um ins Theater zu gehen, da sie als Mitglieder der LPG nur acht Std. arbeiten. Hierzu einige Beispiele.
Ein Bauer aus Gorschmitz, [Bezirk] Leipzig: »Bei uns sind alle in die LPG eingetreten. Zwei Güter wurden zusammengelegt und wir arbeiten alle nur acht Std. am Tag. Jeder bekommt zwei Morgen Land und so können wir uns noch Vieh halten. Wir bekommen täglich drei Liter Milch und DM 5,00 pro Tag ausgezahlt und DM 3,00 am Jahresende, also zusammen täglich DM 8,00.«
Ein Bauer aus Pegau, [Bezirk] Leipzig: »So gut ist es uns noch bei keiner Regierung gegangen. Wir haben alles zum Leben, haben unsere Arbeit, können unseren Sport machen und ins Theater gehen. Wir arbeiten in der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft nur acht Std. Wir haben jetzt immer laufend westdeutsche Gäste bei uns zur Besichtigung, und die staunen nur so über unsere Wirtschaft.«
Ein Landarbeiter aus Culitzsch: »Bei uns bekommen auch die Landarbeiter Ferien, aber auch bezahlt. Fast jeder Arbeiter verreist in den Ferien nach Thüringen oder an die See. Es ist alles kostenlos, nur das Taschengeld darf nicht fehlen.«
In negativen Äußerungen bringt man zum Ausdruck, dass es in diesem Jahr eine sehr schlechte Ernte sein wird, dass Futtermittelknappheit besteht und man keine Rücksicht auf Witterungseinwirkungen, Krankheiten der Tiere und auf zu wenig Arbeitskräfte bei der Sollerfüllung nimmt. Ein Bauer aus Wiesenhagen äußerte: »In diesem Jahr gibt bei uns eine sehr schlechte Ernte, wie wir sie wohl noch nie gesehen haben, was daraus werden wird, ist noch eine Frage der Zeit. Heu gibt es in diesem Jahr fast gar keins. Die großen Wirtschaften sind alle LPG und die bekommen so viel Kleie wie sie wollen. Man sieht sie sehr oft mit großen Fuhren, dazu sagt man ›Deutsche an einen Tisch‹. Unser Abgabesoll ist wieder höher geworden, es sieht trostlos aus.«
Ein Arbeiter aus Stavenhagen äußerte sich: »Die Leute müssen aber auch tüchtig ran und immer sollen sie noch mehr leisten. Es ist bald nicht mehr schön, wenn man so denkt, wie die Leute früher gearbeitet haben und wie sie heute schuften müssen. Es ist doch wie Tag und Nacht. Unter einem Besitzer war es doch besser, da konnten sich die Leute doch was leisten, aber nicht heute. Die Herren, die große Reden schwingen, die sagen bloß, ihr müsst noch mehr arbeiten, damit wir besser leben können. Ach, es war früher doch besser als heute in diesem Reich.«
Ein Arbeiter aus Teterow äußerte: »Wir sind mit 25 Mann gekündigt. Nicht schön für mich, aber was soll man machen. Hoffentlich finde ich inzwischen eine andere Stellung in einem Privat- oder Behördenbetrieb, wo ich eine Dauerstellung habe und nicht auf einen VE Betrieb angewiesen bin.«
Ein Arbeiter aus Hohengörste30 äußerte sich: »Auf den Feldern sieht es bei uns trostlos aus, das könnt Ihr euch gar nicht denken. Der Roggen blüht schon und ist noch so kurz. Es wird noch schlechter als im vorigen Jahr. Hier jetzt noch Bauer sein, macht keinen Spaß. Hier ist es ja bald, als ob man in die Wüste Sahara vertrieben ist.«
Anlage 3 vom 22. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2267
Produktionsschwierigkeiten wegen Material- und Arbeitskräftemangel und Absatzschwierigkeiten
Im VEB Zwirnerei und Nähfaden Hohenfichte,31 Kreis Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlen Rohstoffe, weshalb zeitweilig die Produktion stillgelegt werden muss. Facharbeiter werden für Hofarbeiten eingesetzt.
Der VEB Büromöbelfabrik Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, hat Holzmangel, da laut Ministerratsbeschluss ab 1.7.1954 nur noch Holz verarbeitet werden darf, was mindestens 90 Tage gelagert wurde.32 Weiterhin haben sie einen Engpass an Schrauben.
Im RAW Cottbus fehlt es besonders an Schrauben und Blechen, da die Zubringerbetriebe von der Hochwasserkatastrophe betroffen wurden und ihren Verpflichtungen nicht voll nachkommen.
Der VEB Förderwagenbau Vetschau, [Bezirk] Cottbus, hat Schwierigkeiten in der Zulieferung von Drehgestellen. Außerdem besteht ein Mangel an Transportarbeitern, wogegen Facharbeiter zuviel vorhanden sind.
In der Baumwollspinnerei Hohenfichte, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlen 150 Arbeitskräfte.
In den Vereinigten Grobgarnwerken in Kirchau, [Bezirk] Dresden, lagern zzt. 2 500 Ballen mit 500 Scheuertüchern, die nicht abgesetzt werden können.
Aufgrund der Absatzschwierigkeiten im VEB Märkische Ölwerke Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, kann die Abteilung Raffinerie nur zeitweilig produzieren.
Anlage 4 vom 22. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2267
Bericht über die Hochwasserkatastrophe
Die Hochwasserkatastrophe steht im Mittelpunkt der Diskussionen unter der gesamten Bevölkerung. Die Beispiele der Solidaritätsaktionen haben großen Umfang. Meist werden Geldsammlungen unter den Arbeitern, Angestellten und unter der Landbevölkerung durchgeführt. Große Teile der Werktätigen verpflichteten sich, Prozente ihres Lohnes bzw. Gehaltes den Hochwassergeschädigten zur Verfügung zu stellen. In geringerem Maße werden Produktionsverpflichtungen übernommen. Von der Landbevölkerung wurden Beispiele bekannt, wo Getreide, Futtermittel usw. gespendet wurden.
In dem VEB Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, wurden bisher DM 10 370 gesammelt. Im Wismut-Objekt Gera wurden bereits über DM 8 000 gesammelt. Im Schacht 147 in Johanngeorgenstadt ergab die Sammlung für die Hochwassergeschädigten bisher DM 5 750. Allein das sowjetische Kollektiv spendete DM 470. In der mechanischen Werkstatt des Schachtes Schmirchau, [Bezirk] Gera, wurde gleichzeitig beschlossen, dass von jeder Brigade je ein Mann zum Ernteeinsatz nach Trünzig jeweils einen Tag abgestellt wird. In der Gemeinde Etzdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurden für die Hochwassergeschädigten 75 kg Roggen, 30 kg Weizen, 275 kg Milch, 600 kg Kleeheu, 20 Eier und DM 560 gespendet.
Negative Stimmen zur Spendensammlung für die Hochwassergeschädigten wurden nur vereinzelt bekannt. Diese Stimmen stammen teilweise von ehemaligen Umsiedlern. Ein Schichtführer aus dem VEB Jenapharm, [Bezirk] Gera: »Ich muss erst mal meine Frau fragen, ob sie schon einen Stundenlohn gespendet hat. Zweimal können wir nicht geben. Uns hat auch niemand geholfen, als wir alles verloren haben.« Ein Hilfsarbeiter aus dem VEB Jenapharm, wohnhaft in Rudolstadt: »Ich muss meinen Bruder in Gera unterstützen, den haben sie geholt, weil er nicht zur Volksbefragung war. Er gehörte einer Sekte an.« Ein Einwohner aus Gießmannsdorf, [Bezirk] Cottbus: »Die, die die Spenden bekommen sollen, erhalten sie ja doch nicht. Diese Spenden bekommen ja doch nur die Parteibonzen. Ich gebe nichts.«
Diskussionen über die Ursachen der Unwetterkatastrophe
Diese Diskussionen sind etwas geringer geworden. Ein großer Teil der Bevölkerung steht nach wie vor auf dem Standpunkt, dass die Atom- und Wasserstoffbomenversuche der USA die großen Regenfälle ausgelöst haben.33 Einzelne Personen bringen die Regenfälle mit der Sonnenfinsternis in Verbindung.34 Andere Menschen verneinen vorstehende Ursachen mit der Begründung, dass es schon immer Hochwasser gegeben hätte. Feindliche Elemente benutzen die Hochwasserkatastrophe zur Hetze gegen die SU und unsere Partei.
Ein Angestellter beim Rat des Kreises Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Amerikaner haben mit ihren Wasserstoffbombenversuchen die ganze atmosphärische Strömung durcheinandergebracht und wir sind die Opfer. Leider sind in Amerika die Arbeiter noch nicht so weit, um den Leuten, welche diese Versuche anordnen, gehörig auf die Finger zu klopfen.«
Ein Kranführer aus dem EKS,35 [Bezirk] Frankfurt: »Das kann man uns doch nicht erklären, dass die Wasserstoffbombe solche Auswirkungen noch hier in Europa haben kann. Die Sonnenfinsternis hat sicher auch etwas damit zu tun.«
Ein Dreher aus dem VEB IFA-Schlepperwerk Nordhausen, [Bezirk] Erfurt: »Was die sich immer aufregen in unseren Zeitungen über die Schaulustigen, welche mit Omnibussen nach Passau fuhren.36 Glaubt ihr, dass unsere Bonzen nicht auch im EMW hinfahren?«
Von verschiedenen Personen aus Hagenow, [Bezirk] Schwerin, wird über die Hochwasserkatastrophe folgendermaßen diskutiert: »Die Katastrophe ist nur dadurch entstanden, weil die Russen die ganzen Wälder abgeholzt haben. Da wir nun keine bzw. nur dünne Wälder haben, entsteht viel Regen.«
Anlage 5 vom 21. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2267
Westberlin
Am 18.7.1954 wurde durch Heuss37 die Ernst-Reuter-Siedlung eingeweiht.38 Anwesend waren ca. 2 000 Menschen. Über die Häuser dieser Siedlung unterhielten sich einige Personen und sagten unter anderem: Dies sind potemkinsche Dörfer und können das Elend hier auch nicht verdecken. – Die Mieten sind so hoch gehalten, dass sie ein Arbeiter nicht bezahlen kann. So kostet eine Zwei-Zimmerwohnung, mit Warmwasser und Heizung ca. 85,00 bis 90,00 Mark.
SPD-Parteitag in Berlin39
Zum SPD-Parteitag in Berlin brachten Mitglieder der SPD Folgendes zum Ausdruck: Ein Funktionär sagte: »Viel Neues wird dabei nicht rauskommen und man muss so lavieren, dass man als Partei immer etwas mitzureden hat, sonst wird man an die Wand gedrückt und wir sind ja keine reine Arbeiterpartei mehr. Durch uns werden ja auch die Interessen des Mittelstandes vertreten und wir müssen eine Volkspartei werden.40 Die Zeit geht weiter, und wer nicht mitgeht, kommt unter die Räder.«
Eine Frau, Mitglied der SPD, brachte zum Ausdruck: Sie hätte kein Interesse an der großen Politik, das begreift nur der, der alle Tage damit zu tun hat. Ihr genügt es, dass sie durch die Partei zu Kinderheimen und auch zu alten Leuten Verbindung habe und dadurch auch etwas Soziales leiste und auch hin und wieder einmal ein paar Mark verdiene.
Der Inhaber eines Obstgeschäftes sagt, es ist heute nicht so leicht in der Partei und man muss ziemlich wendig sein, um mitzukommen. Die Partei aber vertrete seine Interessen und er sei schon altes Mitglied und die »da oben« würden schon richtig handeln. Solle er aber etwa der SED beitreten, dann würde sein Laden einmal ein HO-Geschäft und er könne arbeiten gehen.
Über den Kampf um den Frieden befragt, erklärten SPD-Anhänger, dass sei doch klar, dass die SPD für den Frieden ist, nur bestimmen in einem besetzten Land nicht die Bewohner, sondern die Besatzungsmächte und Berlin nehme eine Sonderstellung ein, weil es eine Insel ist. Alle waren sich aber darüber einig, dass die SPD bei einer »freien Wahl« in der »Zone« die stärkste Partei sein werde. Heute würde zwar noch Vieles falsch gemacht, aber das sei eine Folge der Besatzung und man müsse versuchen, durch manche Zugeständnisse das Beste für die Arbeiter rauszuholen.
In den Betrieben würden sich die Mitglieder kaum über den Parteitag unterhalten, oder sie bringen zum Ausdruck, dass die Führung ja doch macht, was sie will. Das hätten sie »fein eingefädelt«, für Referenten eine Stunde Redezeit und für Diskussionsredner nur 10 Minuten.
Am 20.7.1954 fand im Schöneberger Rathaus eine Betriebsfunktionärskonferenz statt. Thema: »Aktivisten, Brigadiere, Helden der Arbeit und demokratischer Sozialismus« – Referent: Wehnert,41 einberufen durch den Landesverband der SPD.
Wehnert sagte u. a., dass die Menschen in der Ostzone, wenn sie auch durch den neuen Kurs materiell bessergestellt sind,42 aber trotzdem ihren Kampf für Freiheit und Demokratie weiterführen und sich von niemand daran hindern lassen. Bei seinen Ausführungen sprach Wehnert von einer Sprengbombe, und wie man sie am Besten zur Anwendung bringen kann. – Der Berichtende weist darauf hin, dass aus seinen Worten zu entnehmen war, dass er damit einen »Tag X«43 meint.
In der Diskussion brachte ein Betriebsfunktionär zum Ausdruck, dass er mit den Ausführungen Wehnerts nicht einverstanden sei, in der Frage der Rentner in der DDR, diesen würde es bedeutend besser gehen als den Rentnern in Westdeutschland. Ein anderer Diskussionsredner aus dem demokratischen Sektor forderte, dass die Stadtrundfahrten durch den Ostsektor verstärkt durchgeführt werden sollen, da dies eine gute Propaganda sei.
Im Filmtheater Berlin, Kurfürstendamm 193 führte die Sozialistische Jugend am 18.7.[1954] eine Versammlung durch.44 Zu den Anwesenden sprachen drei jugendliche Bundestagsabgeordnete. Sie gingen in ihren Referaten darauf ein, dass die Politik der Amerikaner in Westdeutschland der Entwicklung Deutschlands hinderlich ist. Sie sprachen sich für die Freundschaft mit allen Völkern aus, die gemeinsam für den Frieden und nicht für die EVG eintreten. Sie forderten die Schaffung der Einheit Deutschlands auf demokratischer Grundlage und sprach sich besonders ein Redner für die Freundschaft mit der Sowjetunion aus. Sie legten das Bekenntnis ab, gegen EVG und für den Frieden im Bundestag einzutreten.