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11. Bericht zum Verlauf der Passierscheinerteilung

2. Januar 1964
11. Bericht Nr. 1/64 über den Verlauf der Maßnahmen zur Passierscheinerteilung und über die Einreise Westberliner Bürger in das demokratische Berlin

Am 31.12.[1963] wurden mit nach Westberlin genommen: 156 435 Antragsformulare1. Davon wurden am 31.12.[1963] ausgegeben: 46 226 Antragsformulare. Unbeschrieben zurückgebracht wurden: 110 209 Antragsformulare. Insgesamt wurden vom 18.12. bis 31.12.[1963] ausgegeben: 870 461 Antragsformulare.

[Tabelle 1: Gestellte Anträge]

[Zeitraum]

[Anzahl Anträge]

auf denen erfasst sind [Personen]

[auf denen erfasst sind: Kfz]

Am 31.12.[1963] wurden Anträge gestellt und genehmigt

43 072

73 475

8 498

Insgesamt wurden vom 18. bis 31.12.[1963] Anträge gestellt und genehmigt

620 559

1 188 688

140 889

Das bedeutet, dass 249 902 Antragsformulare

  • sich noch in Westberlin befinden,

  • nach Aushändigung an Westberliner Bürger verloren gingen,

  • verschrieben oder vernichtet wurden oder für ungültig erklärt werden mussten.

[Tabelle 2: Ausgegebene Passierscheine]

[Zeitraum]

[Anzahl]

Bis zum 31.12.[1963] wurden insgesamt Passierscheine ausgegeben

567 031

Seit dem 18.12.[1963] genehmigte Passierscheine (einschl. 1 752 inzwischen verfallener Passierscheine) wurden noch nicht abgeholt

10 456

Am 2.1.1964 sind neu genehmigte Passierscheine auszugeben

43 072

Insgesamt

620 559

Nach den bisher ausgegebenen Passierscheinen ist in den folgenden Tagen mit folgender Einreise Westberliner Bürger zu rechnen:

  • 2.1. = 54 542 Personen mit 5 394 Kfz,

  • 3.1. = 63 317 Personen mit 6 351 Kfz,

  • 4.1. = 205 684 Personen mit 24 336 Kfz,

  • 5.1. = 204 052 Personen mit 25 544 Kfz.

Über Silvester/Neujahr 1963/64 reisten mit Passierscheinen insgesamt 174 367 Westberliner Bürger mit 16 581 Kfz in das demokratische Berlin ein, davon am 31.12.1963: 78 067 Westberliner Bürger mit 5 869 Kfz; am 1.1.1964: 96 300 Westberliner Bürger mit 10 712 Kfz.

Von den am 31.12.1963 eingereisten Westberlinern legten 8 271 gleichzeitig ihre Passierscheine für den 1.1.1964 vor, während 1 533 Westberliner, offensichtlich in Unkenntnis über die Regelung für 31.12.1963/1.1.1964, nur ihre Passierscheine für den 31.12.1963 vorwiesen, obwohl sie ebenfalls den 1.1.1964 im demokratischen Berlin verbringen wollten.

Die Abfertigung an den KPP erfolgte an beiden Tagen sowohl bei der Ein- als auch bei der Ausreise reibungslos und ohne wesentliche Wartezeiten. Lediglich in den Schwerpunktzeiten der Ausreise – die für den 31.12.1963 in der Zeit nach 24.00 Uhr lag – entstanden für Pkw zeitweise Wartezeiten von 10 bis 15 Minuten.

In zahlreichen Fällen wünschten Westberliner Bürger mündlich und schriftlich den Sicherungskräften an den KPP ein gutes neues Jahr und bedankten sich für die höfliche Abfertigung.

Von den Sicherungskräften wurden fünf DDR-Bürger vorläufig festgenommen, die versucht hatten, unter Ausnutzung der Ausreisen Westberliner Bürger illegal nach Westberlin zu gelangen. In zwei weiteren Fällen wurde Westberliner Bürgern wegen begründeten Verdachts der Schleusung bzw. der versuchten Schleusung die Ausreise nicht gestattet. Entsprechende Untersuchungen werden vom MfS noch geführt. Andere Provokationen oder Vorkommnisse wurden nicht festgestellt. Als Mangel trat lediglich wieder in Erscheinung, dass die Schaffner auf den Verkehrsmitteln der BVG nicht immer über genügend Kleingeld verfügten.

Zur Tätigkeit der Passierscheinstellen am 31.12.1963: Wie bereits an den Vortagen wurden auch am 31.12.1963 die meisten Passierscheinstellen vorfristig geöffnet und pünktlich 15.00 Uhr geschlossen.

Es herrschte im Allgemeinen kein so großer Andrang mehr als an den Vortagen, sodass die Westberliner Bürger laufend abgefertigt und Wartezeiten im Wesentlichen vermieden werden konnten. Selbst zum Zeitpunkt der Eröffnung gab es nur an einigen Passierscheinstellen Schlangenbildungen, die jedoch nach kurzer Zeit beseitigt waren.

Da der Besucherstrom in einigen Passierscheinstellen (u. a. Neukölln, Reinickendorf und Wilmersdorf) schon im Laufe des Vormittags bedeutend zurückging, waren nicht alle Postangestellten der DDR2 voll ausgelastet. Sie führten ihre Aufgaben dafür mit umso größerer Sorgfalt durch. Die Abholung von Anträgen bzw. Passierscheinen durch Vertreter Westberliner Großbetriebe ging ebenfalls wieder etwas zurück. Sogenannte Sammelabholer waren vor allem Vertreter der BEWAG, BVG, Müllabfuhr, Reichsbahn und Post.

In Kreuzberg ging die Abholung der für die ersten Januartage genehmigten und ausgestellten Passierscheine etwas zügiger voran, nachdem in Absprache mit dem Leiter der DDR-Einsatzgruppe die Westberliner Bevölkerung über den Polizeifunk zum Abholen der Passierscheine aufgefordert worden war.

Aufgrund des geringeren Andrangs in den Passierscheinstellen waren am 31.12. auch die eingesetzten Westberliner Kräfte teilweise nicht voll ausgelastet. In Steglitz war die Zahl der eingesetzten Westberliner Postangestellten verringert worden und im Laufe des Vormittags wurde auch ein Teil der eingesetzten Westberliner Sicherungskräfte abgezogen, ohne dass dadurch die Abfertigung beeinträchtigt wurde.

Am 31.12.[1963] gab es weitere Hinweise, dass sich unter den eingesetzten Westberliner Postangestellten Angehörige der Westberliner Polizei befinden. In Wilmersdorf wurden bewaffnete »Postangestellte« festgestellt und in Kreuzberg konnte einer dieser sogenannten Postangestellten als Angehöriger der Westberliner Polizei erkannt werden.

Die Beförderung der Einsatzgruppen und Kuriere verlief ohne besondere Vorkommnisse. Lediglich bei der in Schöneberg eingesetzten Gruppe versuchte das Westberliner Begleitpersonal, sie zu einer Änderung der Fahrtroute über den Kurfürstendamm zu überreden, was jedoch abgelehnt wurde. Eine vorher durchgeführte Kurierfahrt war aber bereits in Abänderung der Fahrtroute über den Kurfürstendamm erfolgt.

Weitere Störversuche gab es in Steglitz, wo ein Westberliner Polizist die Verteilung von Kontrollmarken willkürlich vornahm. In Kreuzberg wurden Gerüchte lanciert, wonach die Passierscheinstelle auch nach dem 5.1.1964 geöffnet sei bzw. am 31.12.[1963] schon gegen 13.00 Uhr geschlossen werden würde. Ähnliche Gerüchte (die Ausgabestellen seien nach dem 5.1.1964 weiterhin geöffnet) wurden auch in Schöneberg und Zehlendorf verbreitet.

Nach wie vor gab es auch noch Versuche Westberliner Bürger, den DDR-Angestellten kleine Geschenke zu überreichen. Dies hielt sich aber in den bisher bekannten Grenzen und ging teilweise aufgrund des unbestechlichen Verhaltens zurück (z. B. in Tempelhof).

Andere wesentliche Behinderungs- und Einmischungsversuche in den organisatorischen Ablauf seitens der eingesetzten Westberliner Kräfte wurden am 31.12.[1963] nicht festgestellt.

Pressevertreter hielten sich am 31.12.[1963] nicht in den Passierscheinstellen auf. In Wilmersdorf erschien der Bezirksbürgermeister zu einem kurzen Besuch. Stattdessen wurde am 31.12.1963, begünstigt durch den geringen Andrang, vor allem von den Westberliner Polizeiangehörigen verstärkt versucht, Kontakte mit den DDR-Angestellten anzuknüpfen und sogenannte menschliche Gespräche zu führen. Außerdem begannen schon in den Vormittagsstunden die Westberliner Polizeiangehörigen in einigen Passierscheinstellen mit Trinkereien, zu deren Teilnahme, zumindest aber zum Anstoßen auf das neue Jahr, sie die DDR-Angestellten zu überreden versuchten (u. a. in Kreuzberg, Tempelhof, Tiergarten und Schöneberg). Teilweise wurden dazu alkoholische Getränke verwandt, die als Geschenke für die DDR-Angestellten abgegeben, von diesen jedoch zurückgewiesen worden waren. In allen Fällen verhielten sich die Postangestellten der DDR korrekt und lehnten eine Teilnahme an den Trinkereien ab. In der guten Arbeit und Einsatzbereitschaft der Postangestellten der DDR gab es keine Veränderungen. Die Mitarbeiter der Einsatzgruppen hielten sich weiter an die festgelegten Verhaltensrichtlinien.

Die Stimmung der Westberliner Bevölkerung zur Passierscheinaktion und ihre Haltung gegenüber den DDR-Angestellten ist nach wie vor überwiegend positiv. Auch in den Passierscheinstellen – ähnlich wie an den KPP – wurde das Abholen bzw. Einreichen von Anträgen und das Abholen der Passierscheine oftmals mit der Übermittlung von Neujahrswünschen an die DDR-Angestellten und den Dank für die schnelle Abfertigung verbunden.

In Tempelhof wurde in mehreren Gesprächen die in der dortigen Ausgabestelle sichtbar gewordene gegenseitige Hilfe der DDR-Angestellten lobend hervorgehoben.

Wiederholt wurde, oft unter Hinweis auf »optimistische« westliche Presseberichte, die Frage gestellt, ob die Passierscheinaktion fortgesetzt werde. (In diesem Zusammenhang wird auf zahlreiche auch im demokratischen Berlin kursierende Gerüchte hingewiesen, wonach die Aktion verlängert werde und Dauerpassierscheine ausgegeben werden würden.) Wiederholt tauchte auch die Frage nach der Erteilung von Passierscheinen auf, wenn man keine Verwandten im demokratischen Berlin habe, um sich die Sehenswürdigkeiten ansehen zu können.

Ferner geht aus zahlreichen bekannt gewordenen Äußerungen hervor, dass viele Westberliner Bürger über den Handel mit Passierscheinanträgen und darüber empört sind, dass vonseiten des Senats bisher nichts zur Unterbindung dieser Spekulationsgeschäfte unternommen wurde. Aus Neukölln wurde berichtet, dass dort ein regelrechter Schieberring zum Handel mit Passierscheinanträgen existiere.

Außerdem wurde in einer Reihe von Gesprächen festgestellt, dass verschiedene ehemalige Grenzgänger3 den Besucherverkehr benutzen, um ihren in Westberlin wohnenden Verwandten Vollmachten mitzugeben, damit diese von den sogenannten Westkonten der ehemaligen Grenzgänger Beträge abheben und ihnen dafür bestimmte Waren schicken können.

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    3. Januar 1964
    12. Bericht Nr. 4/64 über den Verlauf der Maßnahmen zur Passierscheinerteilung und über die Einreise Westberliner Bürger in das demokratische Berlin