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Verhalten der Eiskunstlauftrainerin Müller und der Läuferin Seyfert

6. Januar 1968
Einzelinformation Nr. 13/68 über das Verhalten der Trainerin im Eiskunstlauf Jutta Müller und der Eiskunstläuferin Gabriele Seyfert/SC Karl-Marx-Stadt

Dem MfS liegen mehrere übereinstimmende Hinweise vor, in denen besonders aufgrund der starken persönlichen Verbindungen der Trainerin im Eiskunstlauf Jutta Müller1 und deren Tochter, der Eiskunstläuferin Gabriele Seyfert,2 in das kapitalistische Ausland der begründete Verdacht ausgesprochen wird, dass beide gemeinsam etwa zum Zeitpunkt des Frühjahrs 1968 republikflüchtig werden könnten.

Nach diesen Hinweisen beabsichtigen beide Personen – wobei die Trainerin Jutta Müller den treibenden und ausschlaggebenden Teil darstelle – zunächst noch im Rahmen der DDR-Mannschaft die Europameisterschaften3 im Eiskunstlauf, die Olympischen Winterspiele4 sowie eventuell die Weltmeisterschaften5 im Eiskunstlauf zu besuchen, um daran anschließend »den Wohnsitz zu verlegen«.6

Ergänzend zu dem bisher bereits Bekannten über die persönlichen Verbindungen der Müller und der Seyfert in das kapitalistische Ausland und über deren Verhaltensweisen in politischer Hinsicht erachtet es das MfS aufgrund der verstärkten Hinweise verschiedener Quellen erforderlich, auf folgende Umstände aufmerksam zu machen:7

Bereits seit Jahren ist die Trainerin Jutta Müller bei Aufenthalten im kapitalistischen Ausland im Rahmen des Eiskunstlaufsports der DDR stark daran interessiert, persönliche Verbindungen besonders zu solchen männlichen Personen herzustellen, die in finanzieller Hinsicht möglichst großzügig auftreten.8

So bestehen seit etwa Frühjahr 1966 enge persönliche Verbindungen der Müller zu mehreren männlichen Personen aus Thun/Schweiz, die u. a. während der im März 1966 in Davos/Schweiz stattgefundenen Weltmeisterschaften9 im Eiskunstlaufen angeknüpft wurden. Von besonderer Bedeutung ist die [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben] zu dem Geschäftsmann und angeblichen Millionär Wyhler/Thun,10 da beide Personen bis in die Gegenwart bemüht sind, diese Beziehungen aufrechtzuerhalten, zu festigen und zu diesem Zweck weitere Zusammentreffen zu arrangieren.11 1966 und 1967 kam es zu wiederholten Zusammenkünften mit Wyhler im kapitalistischen Ausland, besonders auch während Trainingsaufenthalten der Gabriele Seyfert und ihrer Mutter in Davos.12 Die Ausreisegenehmigungen erhielt Jutta Müller für sich und ihre Tochter offensichtlich – und in internen Gesprächen wurde dies von Jutta Müller auch mehrfach betont – aufgrund ihrer »guten persönlichen Beziehungen« zum Generalsekretariat des DELV.13

Im Sommer 1967 verbrachte Jutta Müller gemeinsam mit ihrer Tochter den Urlaub in Dubrovnik/Jugoslawien in Gesellschaft ihres Bekannten Wyhler.14 Gabriele Seyfert wurde von Wyhler ebenfalls mit Geschenken bedacht und zu Ausflügen mit dessen Pkw und Privatflugzeug mitgenommen. Jutta Müller soll starkes Interesse bekunden, das Verhältnis zu Wyhler weiter zu festigen. Anlässlich des Starts im kapitalistischen Ausland während der Leistungsvergleiche bis Frühjahr 1968 sollen weitere Zusammenkünfte stattfinden.

Weitere enge Beziehungen der Jutta Müller ins kapitalistische Ausland bestehen u. a. zu einem Hoteldirektor [Name] in Davos/Schweiz sowie zum ehemaligen österreichischen Eiskunstläufer und jetzigen Trainer Jonas.15 Mit Jonas hatte Jutta Müller besonders während ihres Aufenthaltes in Österreich im Sommer 1965 zahlreiche Zusammenkünfte. Nach ihrer Rückkehr in die DDR habe sie sich wörtlich geäußert, jetzt hätte sie erst einmal richtig kennengelernt, was leben hieße. Zu späteren Zeitpunkten, u. a. während der Europameisterschaften im Eiskunstlauf 1966 in Bratislava, war es zwischen beiden Personen zu weiteren Begegnungen gekommen.

Aus zahlreichen internen Äußerungen der Jutta Müller sowie ihrem Verhalten ist zu entnehmen, dass sie hinsichtlich der weiteren Perspektive ihrer Tochter Gabriele Seyfert starkes Interesse an einem Auftreten in einer kapitalistischen Eisrevue bekundet.16 Bereits 1966 sympathisierte Jutta Müller mit dem Beispiel der Geschwister Roman17/ČSSR und der Methode des zeitweiligen Auftritts von Leistungssportlern aus sozialistischen Ländern in kapitalistischen Revueunternehmen. Als Zeitpunkt dafür oder für einen »direkten Wohnungswechsel« soll von Müller/Seyfert bereits 1966 der Termin nach den Olympischen Winterspielen 1968 benannt worden sein, wobei derartige Andeutungen auch gegenüber Eiskunstläufern aus anderen sozialistischen Ländern erfolgt seien.18

Dem MfS wurde in diesem Zusammenhang bekannt, dass sich der Direktor der Wiener Eisrevue, Dr. Eigel,19 Ende März 1966 offiziell an Vertreter des Generalsekretariats des DELV gewandt und erklärt hat, er20 sei über ein Vorhaben informiert, nach dem G. Seyfert nach den Olympischen Winterspielen 1968 einem kapitalistischen Revueunternehmen beitreten wolle. Dabei bot Eigel einen Vertrag für G. Seyfert ab 1.7.1968 an, mit dem er sich offensichtlich das Erstrecht bei einem möglichen Vertragsabschluss zu sichern beabsichtigte. Wie dem MfS bekannt wurde, zeigt Dr. Eigel in jüngster Vergangenheit erneut Interesse hinsichtlich der Perspektive der G. Seyfert und verfügt offensichtlich auch über weitere konkrete Informationen in dieser Richtung. Aus zuverlässiger Quelle wurde dem MfS bekannt, dass sich Dr. Eigel geäußert hat, falls in der DDR die endgültige Perspektive für G. Seyfert erst nach den Weltmeisterschaften in Davos festgelegt werden sollte, wäre dieser Zeitpunkt bereits zu spät.

Gabriele Seyfert unterhält etwa seit Frühjahr 1966 eine enge Verbindung zu dem Weltmeister im Eiskunstlaufen der Herren Emmerich Danzer21/Österreich.22 Diese Verbindung gestaltete sich von einer anfänglichen Sportfreundschaft zu einem intimen Verhältnis, das auch gegenwärtig noch besteht. [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]

Seit 1966, in verstärktem Umfang jedoch seit der Eiskunstlaufsaison 1967, mehren sich unter Funktionären und Sportlern des DELV, des SCK und unter der Bevölkerung von Karl-Marx-Stadt Gespräche und Gerüchte über eine beabsichtigte Verlobung bzw. Verheiratung G. Seyferts mit E. Danzer,23 zu welchem Zweck Müller/Seyfert angeblich republikflüchtig werden wollten. In wiederholten Fällen soll G. Seyfert unter dem Siegel der Verschwiegenheit anderen Eiskunstläuferinnen gegenüber auch angedeutet haben, ihre offizielle Verbindung mit E. Danzer stünde kurz bevor.24 Im November 1967 hat Jutta Müller gegenüber Friseusen des Damensalons am Leipziger Platz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, offen von einer bevorstehenden Vermählung Seyfert/Danzer gesprochen und dabei erwähnt, dass Gabi dann »so oder so« ihren Wohnsitz nach Österreich verlege.25

Über E. Danzer ist bekannt, dass er nach der Saison 1967/68 den aktiven Leistungssport aufzugeben beabsichtigt, wobei Danzer geäußert haben soll, bei einer Eisrevue unter Vertrag gehen zu wollen.26

Jutta Müller und Gabriele Seyfert akzeptieren zwar »offiziell« und nach außen hin die ihnen in der DDR gebotene Perspektive (Ablegen des Abiturs unter begünstigenden Bedingungen durch G. Seyfert, danach Einsatz als Trainerin für Eiskunstlauf mit gleichzeitiger Aufnahme eines Studiums an der DHfK), aber wie mehrere Quellen übereinstimmend einschätzen, ließen das bisherige Gesamtverhalten Müller/Seyfert, ihr Lebenswandel, ihre Verbindungen in das kapitalistische Ausland, ihre politische Einstellung und ihre Charaktereigenschaften bezweifeln, dass sie diese Perspektive als günstig erachten.27 Bei beiden Personen sei ein starkes Interesse am kapitalistischen »Stargeschäft« vorhanden, wobei sie offensichtlich davon ausgehen, dass sie in der DDR trotz Anerkennung und Ehrung ihrer Erfolge niemals die »Schau« haben würden, die ihnen unter kapitalistischen Bedingungen z. B. bei einer Eisrevue noch weitere Jahre garantiert sei.

Zum politischen Gesamtverhalten Müller/Seyfert wurde u. a. bekannt, dass beide – besonders Jutta Müller – während ihrer Aufenthalte im kapitalistischen Ausland offene Sympathie für die kapitalistische Lebensweise und eine prowestliche Grundeinstellung bekunden. Unter Missachtung jeglicher politisch-moralischer Aspekte werden von ihnen Einladungen von Westdeutschen und anderen Personen aus kapitalistischen Ländern zu Autopartien, Barbesuchen usw. sowie wertvolle persönliche Präsente angenommen. Mehrfach wurden Zusammentreffen mit westdeutschen und anderen Reportern und Bildberichterstattern gefördert und arrangiert (u. a. der westdeutschen Illustrierten »Stern« und der westdeutschen »Bildzeitung«), darunter auch mit solchen Journalisten, von denen J. Müller wusste, dass sie bereits in Veröffentlichungen in hetzerischer Weise gegen die DDR aufgetreten und von Funktionären des DELV abgewiesen worden waren.

Während der Schaulauftournee in Westeuropa nach den Weltmeisterschaften 1966 trafen Müller/Seyfert mit dem kurz vorher republikflüchtig gewordenen Ralph Borghardt28 zusammen, wobei sie ihn öffentlich mit Umarmungen begrüßten und sich längere Zeit mit ihm unterhielten.

Im Verhalten G. Seyferts wird die Beeinflussung ihrer Mutter J. Müller weiter dahingehend deutlich, nur solche Foren, Aussprachen u. a. Veranstaltungen zu besuchen, die mit materiellen oder ideellen Vorteilen verbunden sind.29

In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass sich Müller/Seyfert vor allem sport-politischen Problemen im Rahmen der DDR-Delegationen möglichst fernhalten. So beziehen sie z. B. bei Auslandsstarts keine Stellung zu den Maßnahmen des DDR-Verbandes um ein gleichberechtigtes Auftreten der DDR-Mannschaft. G. Seyfert z. B. trug während der Europameisterschaften 1967 in Lubljana und den Weltmeisterschaften 1967 in Wien an Stelle des DDR-Mannschaftsanzuges eine einfarbige Jacke, die mit einer Vielzahl bunter Embleme, darunter des Staatsemblems der DDR, besetzt war.30

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass unter Eiskunstlaufsportlern sowie teilweise unter der Bevölkerung in Karl-Marx-Stadt über den unmoralischen Lebenswandel der Jutta Müller, die auch in Karl-Marx-Stadt Verhältnisse zu anderen Männern unterhält, gesprochen wird. In diesem Zusammenhang ist einzuschätzen, dass die Müller und die Seyfert im Falle einer eventuellen Republikflucht keine wesentlichen familiären Bindungen in der DDR haben, da die Ehe der M. mit dem ehemaligen Fußballspieler des SC Wismut Karl-Marx-Stadt und Nationalspieler der DDR, Bringfried Müller,31 vollkommen zerrüttet ist. Obwohl bereits in der Vergangenheit über die Verhaltensweise Müller/Seyfert durch das MfS informiert wurde, erscheint es aufgrund der verstärkten Hinweise auf die Möglichkeiten einer Republikflucht notwendig, eventuell nochmals zu überprüfen und zu entscheiden, welche Maßnahmen eingeleitet werden sollten.32

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    9. Januar 1968
    Einzelinformation Nr. 17/68 über einen Brand im Gebäude der SED-Kreisleitung Berlin-Friedrichshain am 8. Januar 1968

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    5. Januar 1968
    Einzelinformation Nr. 14/68 über die Beschädigung der Frontscheibe des Pkw Mercedes-Benz des polnischen Botschafters in der DDR am 1. Januar 1968 auf der Autobahn Dresden – Berlin