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Situation im VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerk

1. Dezember 1971
Information Nr. 1145/71 über die Situation im Bereich Edelmetall des VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerk

Wie dem MfS bekannt wurde, sind seit dem Jahr 1968 größere Mengen Gold und Platin aus dem Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerk (BMHV) entwendet worden. Die Untersuchungen ergaben, dass diese wertvollen Edelmetalle von Betriebsangehörigen entwendet und zum Teil über Mittelspersonen nach Westberlin und Westdeutschland verbracht wurden.

Vom Ministerium für Staatssicherheit wurde im Zusammenhang mit diesen Vorkommnissen im VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerk Folgendes festgestellt:

Insgesamt wurden aus dem VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerk 79,52 kg Platin und 5,16 kg Gold (Industrieabgabepreis von 1 785 000 M) gestohlen.

Nach einem Ministerratsbeschluss aus dem Jahre 1954, in dem für Platin und Gold bei freiem Verkauf über die Staatliche Münze der DDR andere Preise festgelegt wurden, beträgt der Gesamtwert der ermittelten Fehlmengen 6 191 000 Mark.

Bei den Untersuchungen wurde eine Reihe begünstigender Umstände festgestellt, die mit diesen umfangreichen Diebstählen ermöglicht haben, so u. a. folgende:

Von der zuständigen Bereichsleitung im VEB BMHV wurden seit Jahren in unverantwortlicher Art und Weise grundlegende Mängel und Lücken im Belegwesen, bei Inventuren, bei der Durchsetzung von Ordnung, Sicherheit und Disziplin geduldet.

So gibt es z. B. im Produktionsbereich Edelmetalle weder Materialverbrauchs- noch Verlustnormen, sodass ein sofortiger Soll-Ist-Vergleich bei Verlusten auf dieser Grundlage nicht möglich ist.

Für den notwendigen exakten Nachweis dieser unvertretbar hohen Fehlmengen wurde deshalb eine den spezifischen Bedingungen entsprechende maximale Sollgröße für eine vertretbare Verlusthöhe von 2,5 % des Anteils an der Warenproduktion zugrunde gelegt. Diese 2,5 % sind bei den o. a. Verlustmengen nicht enthalten.

Bei anderen gleichgelagerten Betrieben liegt der vertretbare Verlust an Platin bei etwa 1,5 %.

Von einem Arbeitsgang zum anderen erfolgt keine belegmäßig gesicherte Übergabe bzw. Übernahme des Edelmetalls, sodass mögliche Verluste erst nach Monaten und Jahren als Gesamtsumme erfasst werden.

Die Durchführung der Inventuren war unter ständiger Verletzung gesetzlicher Bestimmungen so organisiert, dass Minusdifferenzen verschleiert werden konnten.

Diese Inventuren wurden ausschließlich von Mitarbeitern des VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerkes selbst durchgeführt.

1966 wurde vom Werkdirektor eine Organisationsanweisung über die Sicherung, den Verkehr und die Lagerung von Edelmetallen erlassen. Diese Anweisung wurde im Bereich Edelmetall kaum beachtet. Den Mitarbeitern des Betriebsschutzes war die Organisationsanweisung überhaupt nicht bekannt.

Die Versäumnisse bei der Sicherung des Edelmetallbereiches im VEB BMHW bestanden vor allem darin, dass

  • die Kontrolle zum Betreten des Produktionsbereiches Edelmetalle nur ungenügend erfolgte;

  • Genehmigungen zum Betreten des Bereiches meist nicht eingehalten wurden und es auch keinen lückenlosen Nachweis über den Besucherverkehr gibt;

  • zwischen 17.00 und 5.00 Uhr die Wache überhaupt nicht besetzt worden war;

  • seit ca. zwei Jahren keine Taschenkontrollen durchgeführt wurden;

  • die Besucher lediglich in ein Buch eingetragen, gesonderte Passierscheine jedoch nicht ausgestellt wurden;

  • in der 2. Schicht die Wache überhaupt nicht besetzt war;

  • Transporte von Edelmetallen mit Handwagen zwischen den Betriebsteilen von zwei Mitarbeitern des Bereiches durchgeführt worden waren;

  • die Fertigerzeugnisse z. T. durch eine Mitarbeiterin des Edelmetallbereiches zum Postamt gebracht und von dort einfach mit Einschreibepäckchen an die Kunden verschickt wurden;

  • eine planmäßige Kaderüberprüfung der Mitarbeiter im Edelmetallbereich ebenfalls nicht durchgeführt wurde;

  • zu bestimmten Räumen der Edelmetallabteilung alle Mitarbeiter, auch Handwerker aus anderen Abteilungen und z. T. betriebsfremde Personen, unkontrolliert Zutritt hatten.

Im Ergebnis dieser Untersuchungen wurden drei verantwortliche Mitarbeiter des Edelmetallbereiches zunächst von ihren Funktionen entbunden.

Durch zusätzliche Untersuchungen einer vom Zentralkomitee der SED eingesetzten Kommission wurden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen auch ernsthafte Versäumnisse des Werkleiters festgestellt, dass er vorläufig von seiner Funktion entbunden werden musste.1

  1. Zum nächsten Dokument Gruppenfahnenflucht nach Westberlin

    3. Dezember 1971
    Information Nr. 1157/71 über eine Gruppenfahnenflucht von zwei Angehörigen der NVA-Grenztruppen am 1. Dezember 1971 nach Westberlin

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    24. November 1971
    Information Nr. 1129/71 über einen Schusswaffengebrauch zwischen Angehörigen der NVA-Grenztruppen mit Todesfolge