Ergebnisse der Maßnahmen zur Verhinderung der Aktion
5. November 1983
Zusammenfassende Übersicht über Ergebnisse der Maßnahmen zur Verhinderung der für den 4. November 1983 vorbereiteten provokativ-demonstrativen Aktion in der Hauptstadt der DDR [K 1/132e]
Die von führenden Vertretern der Grünen der BRD und der Alternativen Liste Westberlin gemeinsam mit Initiatoren und Organisatoren der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung in der DDR für den 4.11.1983 vorbereitete provokativ-demonstrative Aktion1 wurde im Ergebnis der vom MfS im Zusammenwirken mit der DVP durchgeführten Maßnahmen verhindert.
Es kam dadurch nicht zu den mit der beabsichtigten Übergabe von Petitionen organisierten Personenzusammenrottungen vor den Botschaften der UdSSR und der USA in der Hauptstadt der DDR.
In diesem Zusammenhang ist auch beachtenswert, dass eine Reihe von Personen nach der Ankündigung der Aktion durch die gegnerischen Funkmedien am 3.11.1983 und daraufhin von ihnen in Rechnung gestellter Maßnahmen der Sicherheitsorgane der DDR von der ursprünglich beabsichtigten Teilnahme Abstand nahm.
Am 4. November 1983 kam es gegen 13.30 Uhr im Bereich der Brücke des S-Bahnhofes Friedrichstraße, Höhe Buchhandlung, kurzfristig zu einer Ansammlung von ca. 25 bis 30 Personen (wurden überwiegend identifiziert). Bedingt durch das differenzierte Vorgehen der Sicherungskräfte und das Auftreten des anwesenden Stadtjugendpfarrers Passauer,2 der die Anwesenden aufforderte, den Bereich zu verlassen und keine Konfrontation mit den Sicherungskräften zu suchen, löste sich diese Personenkonzentration auf. (Passauer wies sich mit einem Dienstauftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Berlin-Brandenburg als Sicherheitsverantwortlicher der Kirche aus.)
Aus dem Handlungsraum wurden insgesamt 17 Personen zugeführt, von denen 13 Personen nach erfolgter Befragung und Belehrung am gleichen Tage entlassen wurden. Vier nach Halle zurückgeführte Personen werden dort im Verlaufe des 5. November 1983 Befragungen und Belehrungen unterzogen.
Im Handlungsraum wurden in auffälliger Präsenz Aufnahmegruppen der ARD, des ZDF und des Westdeutschen Rundfunks festgestellt.
Als von wesentlicher Bedeutung für die Verhinderung der geplanten Aktion hat sich erwiesen, dass der Teilnahme an der Aktion dringend verdächtige Personen aus der BRD, anderen nichtsozialistischen Ländern und Westberlin die Einreise in die Hauptstadt der DDR verwehrt wurde.
Am 4.11.1983, in der Zeit von 7.00 Uhr bis 18.30 Uhr, wurden an den Grenzübergangsstellen Bahnhof Friedrichstraße und Heinrich-Heine-Straße insgesamt 49 Personen zurückgewiesen (in der Mehrzahl aus der BRD stammend, aber auch – abgesehen von Einzelpersonen aus den USA, Kanada, Frankreich und Südafrika – eine Reihe von Personen aus den Niederlanden). Unter den Zurückgewiesenen befanden sich der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Lukas Beckmann,3 und die hinlänglich bekannte Gabriele Potthast.4 Bei der Zurückweisung kam es zu keinen besonderen Vorkommnissen.
Die Vertreter der Grünen Waltraud Schoppe5 (MdB) und Milan Horáček6 (ehemaliger ČSSR-Bürger) wurden im Stadtgebiet festgestellt und ausgewiesen. (Die Schoppe befand sich gegen 13.00 Uhr kurzzeitig an dem für die Aktion vorgesehenen Ort. Zu den Aufforderungen, den Handlungsraum zu verlassen, nahm sie eine ablehnende Haltung ein; den nachdrücklich erhobenen Forderungen leistete sie dann jedoch Folge.)
Mit dem Ziel der vorbeugenden Verhinderung der Teilnahme an der vorbereiteten Aktion wurden in der Hauptstadt der DDR gegenüber einer Reihe von Personen – vorwiegend Angehörige verschiedenster sogenannter Friedenskreise, der sogenannten Initiative »Frauen für den Frieden«7 und solche Personen, die sich in der Vergangenheit an provokativ-demonstrativen öffentlichkeitswirksamen Handlungen beteiligten – differenzierte Maßnahmen eingeleitet:
78 Personen wurden zugeführt und befragt, 28 Personen wurden beauflagt, ihre Wohnung nicht zu verlassen (sie wurden unter Kontrolle gestellt).
Zum Kreis der zugeführten Personen gehörte u. a. Pfarrer Eppelmann.8
Mit dem gleichen Ziel wurden in Bezirken der DDR acht Personen zugeführt, 22 Personen an der Reise nach Berlin gehindert (davon allein 13 aus dem Bezirk Cottbus), 31 Personen beauflagt, den Wohnort nicht zu verlassen und sich feindlich-negativer Aktivitäten zu enthalten, /davon allein 15 aus dem Bezirk Frankfurt/O.).
Unter den zugeführten Personen befanden sich Eigenfeld, Frank,9 Halle, Lietz, Heiko,10 »Kessiner Friedenskreis« Rostock,11 Linke, Dietmar,12 Pfarrer in Neuenhagen.
Zu den an der Reise nach Berlin gehinderten und unter Kontrolle gehaltenen Personen gehört Eigenfeld, Katrin13 (Halle, kürzlich aus der Haft entlassen).
Bei den Zuführungen und Beauflagungen kam es zu keinen beachtenswerten Vorkommnissen. Diese vorbeugenden Maßnahmen konnten in den Abendstunden des 4. November 1983 aufgehoben werden.
Über Meinungsäußerungen von Personen, die sich am Nachmittag des 4. November 1983 im Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg aufhielten (u. a. Konsistorialpräsident Stolpe,14 Superintendent Krätschell,15 Propst Winter,16 Pfarrer Pahnke17 und Passauer18) wurde Folgendes bekannt:
Passauer und Pahnke schätzten zu ihrer Aufgabe, am Bahnhof Friedrichstraße eingetroffene Personen über das Verbot der Demonstration zu informieren und auf eventuelle strafrechtliche Konsequenzen bei Nichtbefolgung dieser Anweisung zu verweisen, ein, dass die Anwesenden sachlich reagiert hätten. Zu tätlichen Auseinandersetzungen sei es nicht gekommen.
Im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Presseerklärung, deren Notwendigkeit Stolpe damit begründete, dass »einige Betroffene durch die Tagesschau die entsprechende Reaktion erfahren und erkennen, dass die Kirchenleitung in dieser besonderen Situation zu den Betroffenen steht«, wurde von Winter hervorgehoben, man müsse unbedingt vermeiden, »der Westpresse unnötigen Zündstoff zu liefern«.
Weiteren Hinweisen zufolge kam der Evangelische Pressedienst (epd) in Westberlin in den Besitz der »Erklärung der Pressestelle des Konsistoriums der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Berlin-Brandenburg«, die folgenden Wortlaut hat:
»1. Der Bischof hat mit Bedauern zur Kenntnis genommen, dass auch ihm heute ein Besuch bei den Botschaftern der UdSSR und USA nicht gewährt wurde.
2. Der Bischof hat die dringende Bitte an die Regierung der DDR ausgesprochen, noch heute alle der Polizei zugeführten Personen wieder freizulassen und die verhängten Hausarreste aufzuheben.
3. Der Bischof wird in den nächsten Tagen öffentlich Gelegenheit nehmen, das dringende Sachanliegen der gesamten Kirche und aller um den Frieden besorgten Menschen zur Geltung zu bringen: Die Großmächte möchten in der Verhandlung von Genf19 im Interesse der Menschheit zu einer Vereinbarung kommen.«
(Zwischenzeitlich erfolgte im »Tagesspiegel« vom 5.11.198320 eine sinngemäße Veröffentlichung.)