Hinweise Reaktionen der Grünen nach Verhinderung Aktion 4.11.1983 (2)
7. November 1983
Hinweise auf Reaktionen feindlich-negativer Kräfte in der DDR nach der Verhinderung der für den 4. November 1983 vorgesehenen provokatorisch-demonstrativen Aktion in der Hauptstadt der DDR, Berlin [K 1/132g]
Nach ersten vorliegenden internen Hinweisen sind folgende Reaktionen feindlich-negativer Kräfte in der DDR, insbesondere solcher aus dem Gebiet der Hauptstadt Berlin, bezogen auf die Maßnahmen zur Verhinderung der für den 4. November 1983 vorgesehenen provokatorisch-demonstrativen Aktion1 kennzeichnend:
1. Unmittelbares Inverbindungtreten bzw. Zusammenfinden nach Abschluss der eingeleiteten Maßnahmen, um Erkenntnisse auszutauschen
Die geführten Befragungen durch die Untersuchungsorgane werden allgemein als »ruhig« und »sachlich« bewertet. Es wurden Überlegungen angestellt, dass von solchen zugeführten Personen, zu denen man glaubt, dass eine Rechtsverletzung vorliegt, eventuell Eingaben verfasst und diese den zuständigen staatlichen Stellen übergeben werden sollten. Über die Maßnahmen der staatlichen Organe, einschließlich der Befragungen ist beabsichtigt, sogenannte Gedächtnisprotokolle zu fertigen. Damit wolle man einen umfassenden Überblick zu der Aktion erhalten, um »gegebenenfalls auf sachkundige Informationen zurückgreifen zu können«.
2. Differenzierte Einschätzung kirchenleitender Kräfte im Zusammenhang mit den Ereignissen am 4. November 1983
Bischof Forck2 und Generalsuperintendent Krusche3 wurde u. a. eine »saubere Haltung« bescheinigt. Enttäuschung äußerte man über das Auftreten von Konsistorialpräsident Stolpe.4
3. Bewertung der Grünen
Allgemein konnte eine relativ einheitliche Auffassung darüber festgestellt werden, dass die Grünen durch ihr Auftreten in der BRD und Westberlin und das Publizieren des für den 4. November 1983 geplanten »Unternehmens« die eingetretene Reaktion der Sicherheitsorgane »herausgefordert haben«.
Lukas Beckmann5 sei für eine spektakuläre Massenaktion gewesen und habe »dafür jetzt die Quittung erhalten«. Bei künftigen Verhandlungen mit den Grünen wolle man beachten, welche Forderungen und Handlungsvarianten von diesen vorgetragen würden, wer dahinter stehe und wie deren Realisierungsmöglichkeit einzuschätzen sei. Positiv bewertet wurde die aktive Beteiligung der Grünen an der Gesamtvorbereitung der Aktion.
4. Beratungen, wie man sich auf das Vorgehen der Sicherheitsorgane besser einstellen könne
Im Mittelpunkt stand die Frage, wie man künftig einer zu erwartenden Zuführung durch die Schutz- und Sicherheitsorgane entgehen könne. Angestrebt wird, unverzüglich mit dem Aufbau eines »Alarmsystems« zu beginnen. In diesem Zusammenhang beabsichtige man, alle am 3. und 4. November 1983 zugeführten Personen zu befragen und in dieses System einzubeziehen.
5. Absichtserklärungen, sich, künftig weiterhin an feindlich-negativen Aktionen zu beteiligen
Überwiegend wurde die Auffassung vertreten, dass die Maßnahmen der Sicherheitsorgane kein Grund wären, um von »derartigen Unternehmungen« künftig Abstand zu nehmen. Im Falle der Raketenstationierung in der BRD wird allerdings eine »massivere Konfrontation« mit den Sicherheitsorganen befürchtet.
Zu beachten ist eine Zusammenkunft von ca. 70 Personen des »Pankower Friedenskreises«6 am 4. November 1983 (20.00 Uhr), an der Bischof Forck teilnahm.
Nach einer Information von Bischof Forck über die Ereignisse um den 4.11.1983 aus seiner Sicht – u. a. erklärte er, dass er die sofortige Aufhebung der staatlichen Maßnahmen bei den zuständigen staatlichen Stellen verlangt habe – berichteten Angehörige des »Friedenskreises« über ihre Zuführungen und ihre Behandlung. Besonderen Wert legten diese Personen in ihren Berichten darauf, dass sie Gelegenheit erhielten, ihre politischen Ansichten darzulegen, angeblich keine Namen weiterer Personen genannt und den Sicherheitsorganen gegenüber vorgetäuscht hätten, dass sie selbst nicht an der Aktion vom 4.11.1983 teilnehmen wollten. (Bischof Forck fertigte während dieser Schilderungen Notizen.)
Folgende ausgewählte Einzelmeinungen erscheinen bedeutsam:
Der wegen seiner Haltung hinlänglich bekannte Gerd Poppe7 (Berlin) orientierte streng internen Hinweisen zufolge darauf, dass die von den staatlichen Maßnahmen am 4.11.1983 Betroffenen sich in individuellen Eingaben an den Generalsekretär des ZK der SED, Gen. Erich Honecker, über das Vorgehen der Sicherheitsorgane beschweren sollten.
Dabei solle weniger gegen die Zuführungen protestiert, sondern vielmehr der angebliche Schaden dieser Maßnahmen für die internationale Friedensbewegung herausgestellt werden. Bei der Abfassung dieser Eingaben sollte die Eröffnung der »Friedensdekade«8 der Evangelischen Kirchen abgewartet werden, damit man sich dem Ton, d. h. der Schärfe des Auftretens der Kirchenleitung, anpassen könne. Poppe rechnet mit ca. 100 derartigen Eingaben.
Annedore Havemann9 sagte unter Hinweis auf ihre Zuführung ihre Teilnahme an einer privaten Lesung des Schriftstellers Adolf Endler10 am 4.11.1983 ab. Sie äußerte sich dahingehend, mit ihrem Rechtsanwalt beraten zu wollen, in welcher Form sie sich wirkungsvoll über das Vorgehen der Sicherheitsorgane beschweren könne.
Der hinlänglich bekannte Lutz Rathenow11 bekundete in Gesprächen mit am 4.11.1983 zugeführten Personen sein besonderes Interesse, ob diese zu der von ihm zusammengestellten »Friedens-Anthologie«,12 die Anfang 1984 im Oberbaumverlag Westberlin veröffentlicht werden soll, befragt worden seien.
Im Rahmen der Eröffnung der »Friedensdekade« der evangelischen Kirchen in der DDR am 6.11.1983 wurden die Maßnahmen vom 4.11.1983 verschiedentlich öffentlich erwähnt, wobei einige bekannte feindlich-negative Kräfte z. T. provozierend auftraten. Schwerpunkt bildete der Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Berlin-Brandenburg.
Bischof Forck gab während seiner Predigt am 6.11.1983 in der Marienkirche, Berlin, einen Abriss über die geführten Gespräche der Leitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Berlin-Brandenburg mit den Grünen und erläuterte die beabsichtigte Zielstellung gemeinsamer Friedensaktivitäten. Er verwies darauf, dass die Aktion am 4.11.1983 und auch sein Vorhaben, persönlich Schreiben bei den Botschaften der UdSSR und den USA in der DDR abzugeben, staatlicherseits untersagt worden seien. Wörtlich führte Forck weiter aus: »Ich halte das für einen Fehler, dass die Regierung so entschieden hat. Ich bin bemüht und will in der nächsten Woche, in dieser Woche noch, mit dem Staatssekretär (für Kirchenfragen) darüber verhandeln, dass auf jeden Fall … eine Übergabe möglich ist. Dann werden nicht mehr Demonstrationen zu erwarten sein.«
Pastorin Sengespeick13 teilte während eines »Gottesdienstes für Kriegsmüde« am 6.11.1983 in der Auferstehungskirche in Berlin-Friedrichshain vor ca. 100 meist jugendlichen Personen mit, dass sie am 4.11.1983 stundenlang verhört worden sei, dies aber »mit der Kraft der Schwachen« (Losung der »Friedensdekade 1983«) überstanden habe.
Pfarrer Hildebrandt14 (Sophiengemeinde Berlin-Mitte) richtete im Zusammenhang und unter Verweis auf den 4.11.1983 offene Angriffe gegen den sozialistischen Staat. So bezeichnete er das Handeln der staatlichen Organe als »Reaktion, die der eines wütenden und ohnmächtigen Tieres gleichkommt« und versicherte den »Festgenommenen« die volle Solidarität der Kirche.
Nach streng vertraulich vorliegenden Hinweisen regte der Feind der DDR, Jürgen Fuchs15 (Westberlin), in einem Gespräch mit Bettina Rathenow16 (Ehefrau von Lutz Rathenow) an, dass sich die am 4.11.1983 zugeführten »Schriftsteller« an den Schriftstellerverband und den PEN-Club der DDR wenden sollten. Diese Organisationen hätten eine »Fürsorgepflicht« für ihre Mitglieder. Die »andere Seite« (vermutlich der BRD-Schriftstellerverband) wäre bereits informiert und würde auch etwas unternehmen.