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Hinweise Reaktionen der Grünen nach Verhinderung Aktion 4.11.1983 (1)

7. November 1983
Hinweise auf Reaktionen der Grünen nach der Verhinderung der für den 4. November 1983 vorbereiteten provokativ-demonstrativen Aktion in der Hauptstadt der DDR [K 1/132f]

Bisher bekannt gewordene erste interne Reaktionen führender Vertreter der Grünen der BRD sowie der Alternativen Liste Westberlin zur Verhinderung der o. g. Aktion1 und im Zusammenhang damit zu ihrem künftigen Verhalten gegenüber der DDR verdeutlichen erneut das Vorhandensein erheblicher Unterschiede in den Auffassungen zu ihrem Vorgehen.

Von diesen ersten Reaktionen erscheint Folgendes beachtenswert:

1. In einer zwischen den führenden Vertretern der Grünen Otto Schily2 und Dirk Schneider3 noch in den Abendstunden des 4.11.1983 erfolgten ersten Auswertung der verhinderten Aktion seien sich beide darin einig gewesen, dass an diesem Tag »viel Porzellan zerschlagen« worden sei. Die DDR habe auf das Vorhaben von Vertretern der Grünen und Angehörigen der »staatlich unabhängigen Friedensbewegung«4 der DDR »knallhart und nicht flexibel genug reagiert«. Beide wollen dahingehend wirksam werden, dass der Schaden nicht noch größer werde. Sie seien nicht daran interessiert, zwei Wochen vor der Entscheidung über die Stationierung amerikanischer Erstschlagwaffen in Westeuropa5 einen zusätzlichen Konflikt zwischen den Grünen und der DDR entstehen zu lassen, abgesehen davon, dass dadurch auch neuer Konfliktstoff in die Bundestagsfraktion der Grünen gebracht werde, was nicht zur Verbesserung der Gesprächsatmosphäre in der Fraktion beitrage.

Beide (Schily und Schneider) seien daran interessiert, dass – aufbauend auf dem am 31. Oktober mit Genossen Honecker6 geführten Gespräch7 – der mit der DDR begonnene Dialog fortgesetzt wird.

2. Im gleichen Gespräch hätten Schily und Schneider darin übereingestimmt, dass Lukas Beckmann8 (Bundesgeschäftsführer der Grünen) maßgeblich an der Vorbereitung der Aktion am 4.11.1983 beteiligt war. Ein derartiges Verhalten – zumal Beckmann sich offensichtlich allein als für die »Deutschlandpolitik« zuständig betrachte – könne »nicht länger toleriert« werden. Deshalb müsse in der Fraktionssitzung der Grünen am 8.11.1983 die »Deutschlandpolitik der Grünen« erörtert werden. In ihrem Ergebnis müsste beschlossen werden, trotz der entstandenen Belastungen die »Verhandlungen« mit der DDR fortzusetzen.

3. Nach weiteren internen Angaben planen Schneider und Schily zu verhindern, dass sich Beckmann als »Deutschland-Politiker« profiliert. Nach ihrer Darstellung lasse Beckmann keine andere als seine eigene Meinung gelten und er halte sich nicht an gemeinsam gefasste Beschlüsse. Schily bedauerte, dass durch das Auftreten der Grünen in der DDR vieles in Scherben gegangen sei, was nun wieder mühsam aufgebaut werden müsse. Er selbst wolle im guten Einvernehmen mit der DDR in Kontakt bleiben. Der Kontakt sollte behutsam vorangetrieben werden.

4. Im Verlaufe eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD betonte Schneider, die DDR sollte nicht auf die »grüne Oberfläche«, sondern in die »grüne Tiefe« blicken. (Er habe, wie er hinterher erklärte, versucht, die von Beckmann begangenen Fehler »auszubügeln«.) Nach seiner Auffassung sollte die DDR die Grünen nicht als eine politische Eintagsfliege betrachten. Sie seien für weitere konstruktive Gespräche mit der DDR. Derartige Beziehungen sollten nicht infrage gestellt werden.

5. Uwe Tietz,9 Vertreter der Alternativen Liste Westberlin, erklärte im Gespräch mit Schneider, die Grünen hätten mit der erwähnten Aktion am 4.11.1983 demonstrieren wollen, dass sie von ihrer Grundposition – Friedenskampf als länder- und systemübergreifender Kampf – nicht abgehen würden. Die Grünen hätten bereits in vielen Ländern Friedensaktionen durchgeführt, ohne durch »repressive Maßnahmen« behindert worden zu sein. Dem stimmte Schneider zwar zu, betonte jedoch, die gegenwärtige Lage erlaube es nicht, in der DDR unbedachte Aktionen durchzuführen. Die Argumente des Tietz könnten nicht in jeder beliebigen Zeit und unter Missachtung der Lage realisiert werden. Damit könne alles, was in der Vergangenheit zwischen den Grünen und Vertretern der DDR ausgehandelt worden sei, kaputtgemacht werden. Spontane Aktionen würden sich letzten Endes nur zum Nachteil der Grünen auswirken. Die Grünen müssten auf der Basis eines langfristigen Programms ihre Beziehungen zur DDR gestalten. (Es gelang Schneider nicht, Tietz von seiner Auffassung zu überzeugen.)

6. Bereits wenige Tage vor der geplanten Aktion in der Hauptstadt der DDR hatte Schneider erklärt, dass er vom Sinn dieser Aktion nicht überzeugt sei, er nicht hinter ihr stehe und sich nicht dafür engagieren werde. Er beabsichtige, ein »Institut für Friedensforschung« in der BRD bzw. in Westberlin zu gründen, das gemeinsam mit der DDR betrieben werden sollte. Ihn interessiert die Haltung der DDR zu dieser Überlegung.

Petra Kelly10 bekräftigte intern, dass die Grünen auch weiterhin ihren Standpunkt »offen, auch spontan« vertreten wollten. Sie würden sich »nicht einengen« lassen wollen. Nach ihrer Auffassung werde in der DDR überlegt, wie man den Grünen entgegenkommen könne. Die »blockübergreifende Idee« bezeichnete sie als »einen Schritt voran«.

Beckmann erklärte, die Grünen hätten nur aus taktischen Gründen gesagt, dass sie an weiteren Gesprächen mit der DDR interessiert seien. Vorrangig verfolgten sie das Ziel, ihre eigenen Forderungen realisieren zu lassen.

  1. Zum nächsten Dokument Hinweise Reaktionen der Grünen nach Verhinderung Aktion 4.11.1983 (2)

    7. November 1983
    Hinweise auf Reaktionen feindlich-negativer Kräfte in der DDR nach der Verhinderung der für den 4. November 1983 vorgesehenen provokatorisch-demonstrativen Aktion in der Hauptstadt der DDR, Berlin [K 1/132g]
  2. Zum vorherigen Dokument Ergebnisse der Maßnahmen zur Verhinderung der Aktion

    5. November 1983
    Zusammenfassende Übersicht über Ergebnisse der Maßnahmen zur Verhinderung der für den 4. November 1983 vorbereiteten provokativ-demonstrativen Aktion in der Hauptstadt der DDR [K 1/132e]

  1. Am 4.11.1983 planten Vertreter der Grünen – darunter Lukas Beckmann, Gabriele Potthast, Waltraud Schoppe und Willi Hoss – zusammen mit Mitgliedern von Friedenskreisen aus Ostberlin, u. a. Vertreter der Evangelischen Studentengemeinde Berlin und der Samariter-Gemeinde in Berlin-Friedrichshain, eine öffentliche Aktion vor den Botschaften der USA und der Sowjetunion in Ostberlin. Friedensaktivisten aus den Niederlanden, den USA, Italien, Großbritannien und Österreich signalisierten ebenfalls ihre Teilnahme. In zwei Gruppen sollte jeweils eine Petition und ein gebastelter Globus mit der Aufschrift »So sieht die Erde jetzt noch aus« an die Botschafter beider Großmächte überreicht werden. Der Petitionstext verwies auf die Gefahren der Hochrüstung und mahnte Anstrengungen zur Verhinderung der Stationierung von Nuklearwaffen in Ost und West an. Obwohl sich am 4.11.1983 gegen 13 Uhr tatsächlich einige Aktivisten am Bahnhof Friedrichstraße einfanden, konnte die DDR-Regierung durch massive Sicherheitsvorkehrungen die Aktion verhindern. Gegenüber allen bekannten Mitgliedern der Grünen und der Alternativen Liste wurden Einreisesperren verhängt. In der DDR wurden 82 Personen vorübergehend verhaftet, darunter Bärbel Bohley, Martin Böttger, Gerd Poppe und Wolfgang Templin in Ostberlin sowie Frank Eigenfeld in Halle, Heiko Lietz in Rostock und Dietmar Linke in Neuenhagen. 28 DDR-Bürger erhielten die Auflage, ihre Wohnungen am 4.11.1983 nicht zu verlassen. Bis zum Abend wurden am Grenzübergang Friedrichstraße 49 Personen zurückgewiesen. Vgl. Bahr, Andrea; Gieseke, Jens: Die Staatssicherheit und die Grünen. Zwischen SED-Westpolitik und Ost-West-Kontakten. Berlin 2016, S. 48–56; siehe auch Berichte K 1/132a v. 1.11.1983, K 1/132b v. 2.11.1983, K 1/132c v. 3.11.1983, K 1/132d v. 4.11.1983, K 1/132e v. 5.11.1983, K 1/132g v. 7.11.1983 und K 1/132h v. 8.11.1983.

  2. Otto Schily, Jg. 1932, Rechtsanwalt und Grünen/SPD-Politiker, seit 1963 Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Westberlin, u. a. von RAF-Mitgliedern: 1971 Horst Mahler, 1975–77 Gudrun Ensslin im »Stammheimer Prozess«. 1980 Mitbegründer der Partei Die Grünen, seit 1982 Mitarbeit im Arbeitskreis für Außenpolitik der Grünen und Mitglied der Arbeitsgruppe Berlin- und Deutschlandpolitik der Alternativen Liste in Westberlin, 1983–86 und 1990–2009 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1983/84 Mitglied des dreiköpfigen Sprecherrates der Grünen (Fraktionsvorstand), November 1989 Wechsel zur SPD, 1998–2005 Bundesminister des Innern.

  3. Dirk Schneider, Jg. 1939, Politiker der Grünen, Redakteur der linksradikalen Blätter »Radikal« und »Agit 883«, 1978 Gründungsmitglied und Sprecher der Alternativen Liste (AL) in Westberlin, 1979–81 Vorsitzender der AL-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Kreuzberg, 1983–85 Mitglied des Deutsches Bundestages, hier deutschlandpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, befürwortete eine stärkere Distanzierung von DDR-Oppositionsgruppen und eine Kooperation mit der DDR-Regierung, arbeitete seit 1975 als IM »Ludwig« mit der Staatssicherheit zusammen.

  4. Ende der 1970er-Jahre entstanden in der DDR eine Reihe unabhängiger Gruppen innerhalb der evangelischen Kirche, die sich mit dem Thema Abrüstung, Friedenspädagogik und internationale Entspannung auseinandersetzten. Der 1977 gegründete Friedenskreis der ESG in Ostberlin machte den Anfang. Bis Mitte der 1980er-Jahre kamen landesweit mehr als 50 dauerhafte Friedenskreise hinzu, die sich ab März 1983 mit der Delegiertenversammlung »Konkret für den Frieden« vernetzten. Zu den zahlreichen Aktionen gehörten u. a. die jährlichen Friedensseminare in Königswalde, die Friedensdekade im November, der Berliner Appell von Rainer Eppelmann und Robert Havemann im Januar 1982, zahlreiche Radsternfahrten und Fastenaktionen sowie die Dresdner Initiative für einen Sozialen Friedensdienst. Das Friedensforum in Dresden im Februar 1982 und die Friedenswerkstatt in Ostberlin im Juli 1983 waren Höhepunkte dieser kirchennahen, aus der Gesellschaft hervorgegangenen Protestbewegung, die vor allem durch die zunehmende Militarisierung des DDR-Bildungswesens seit 1978 (Einführung des Wehrkundeunterrichts) und einer neuen Runde des Wettrüstens mit der Stationierung von Mittelstreckenraketen in Mitteleuropa ausgelöst wurde.

  5. Gemeint ist die Reaktion der NATO im Dezember 1979 auf die schrittweise Modernisierung des sowjetischen Raketenarsenals mit mobilen Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20 seit Ende der 70er-Jahre. Zunächst sollte der Versuch unternommen werden, innerhalb von vier Jahren mit der Sowjetunion eine Beschränkung und Kontrolle der eurostrategischen Waffen auszuhandeln. Im Falle eines Scheiterns der Gespräche sollte anschließend das technisch veraltete Mittelstreckenarsenal durch 108 Raketen des Typs Pershing II und 464 bodenständige Marschflugkörper (Cruise Missiles) ersetzt werden. Die Verhandlungen begannen am 17.10.1980 in Genf. Die USA bot einen Verzicht der Stationierung an, falls die UdSSR alle SS-20 und deren Vorläufer verschrotte. Moskau verlangte hingegen die Liquidierung aller westlichen Kernwaffen mittlerer Reichweite in Europa, ganz besonders der flexibel einsetzbaren Cruise Missiles. Nachdem die Gespräche auch nach mehreren Anläufen keine Ergebnisse brachten, leitete die NATO ab Dezember 1983 die atomare Nachrüstung ein. Vgl. Ploetz, Michael: Wie die Sowjetunion den Kalten Krieg verlor. Von der Nachrüstung zum Mauerfall. München 2000, S. 68–78.

  6. Erich Honecker, Jg. 1912, SED-Funktionär, 1958–89 Mitglied des Politbüros, seit 1971 Erster Sekretär, seit 1976 Generalsekretär der SED, 1971–89 Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, 1976–89 Vorsitzender des Staatsrates.

  7. Am 31.10.1983 fand ein Gespräch zwischen Erich Honecker und einer Delegation der Partei Die Grünen mit Petra Kelly, Gert Bastian, Antje Vollmer, Lukas Beckmann, Dirk Schneider, Otto Schily, Gustine Johannsen und Renate Mohr im Gebäude des Staatsrates statt. Sie überreichten ein Bild der Plastik »Schwerter zu Pflugscharen«, besprachen die Aktionsmöglichkeiten unabhängiger Friedensgruppen in der DDR und die Gefahr der Stationierung von Mittelstreckenraketen in Ost und West. Die Delegation übergab bei dieser Gelegenheit einen spontan verfassten »Persönlichen Friedensvertrag«, den Honecker zur Überraschung der Anwesenden bei zwei Punkten unterschrieb. Auslöser des Treffens war eine Protestaktion der Grünen am 12.5.1983 auf dem Alexanderplatz. Sie enthüllten zwei Transparente mit den Aufschriften »Die Grünen – Schwerter zu Pflugscharen« und »Die Grünen – Jetzt anfangen: Abrüstung in Ost und West« und forderten gegenüber der Polizei die persönliche Übergabe einer Erklärung an Erich Honecker. Am Ende durften sie zum Gebäude des Staatsratsvorsitzenden fahren, wo sie dem Leiter der öffentlichen Sprechstunde des Staatsrates die Erklärung überreichten. Der Antwortbrief Honeckers folgte schon einen Tag später. In seinem Schreiben vom 13.5.1983 bedauerte er, sie »aufgrund anderer Verpflichtungen« nicht empfangen zu haben und lud sie zu einem Gespräch nach Ostberlin ein. Honeckers Reaktion zeigte, dass er großes Interesse hatte, die prominenten Figuren Kelly und Bastian in seine Kampagne gegen die westdeutsche Nachrüstung einzubinden. Gegenüber der westlichen Öffentlichkeit konnte er sich damit auch als konzilianter Gesprächspartner inszenieren. Vgl. Bahr, Andrea; Gieseke, Jens: Die Staatssicherheit und die Grünen. Zwischen SED-Westpolitik und Ost-West-Kontakten. Berlin 2016, S. 48–51.

  8. Lukas Beckmann, Jg. 1950, Politiker der Grünen, in den 1970er-Jahren in verschiedenen Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen aktiv, Mitglied von Amnesty International und Teilnehmer der von Joseph Beuys initiierten Freien Internationalen Universität, 1979–84 Bundesgeschäftsführer der Grünen, 1984–87 zusammen mit Jutta Ditfurth und Rainer Trampert Bundesvorstandssprecher der Partei, stand bis 1989 in engem Kontakt mit der DDR-Opposition, 1986 Mit-Initiator der Heinrich-Böll-Stiftung.

  9. Uwe Tietz, Jg. 1947, Aufzugsmonteur, Autovermieter und Politiker, seit Anfang der 1970er-Jahre aktives Mitglied der maoistischen Kommunistischen Partei Deutschlands, 1978 Eintritt in die Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL), 1983–85 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin für die AL.

  10. Petra Kelly, Jg. 1947, Politikerin der Grünen, engagiert in der Friedens- und Antiatombewegung, 1980 Gründungsmitglied der Grünen und Bundesvorstandssprecherin, März 1983 bis 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages, protestierte 1983 auf dem Berliner Alexanderplatz mit einem Plakat »Schwerter zu Pflugscharen«, pflegte enge Kontakte zu DDR-Oppositionellen wie Rainer Eppelmann, Bärbel Bohley sowie Ulrike und Gerd Poppe.