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Zur Beurteilung der Situation

13. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2259 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Allgemein werden unter den Werktätigen nur vereinzelt Diskussionen über politische Tagesfragen geführt. Im Landmaschinenwerk Barth, [Bezirk] Rostock, wurde von einigen Arbeitern über die Drohung Adenauers1 gegenüber Frankreich gesprochen.2 Ein Schlosser sagte dazu: »Adenauer will den Krieg gegen Frankreich führen und das französische Volk will den Frieden in Vietnam herstellen.3 Was für ein großer Unterschied besteht doch zwischen beiden?« Ein anderer Schlosser: »Adenauer handelt nur so, um seinen eigenen und amerikanischen Geldgeber zu vertreten und um noch mehr Profite einzustecken. Deshalb spricht er für den Frieden und bedroht Frankreich.«

Die meisten Diskussionen befassen sich mit wirtschaftlichen und betrieblichen Angelegenheiten, insbesondere mit Lohn- und Normfragen. Einige Arbeiter des VEB Zeiss Jena, Werk Eisfeld, [Bezirk] Suhl, sind über die Normen unzufrieden. Ein Kollege sagte dazu: »Ich bin seit einiger Zeit im Betrieb beschäftigt und verdiene hier weniger als im VEB THEWA.4 Das liegt daran, dass die Normen zu hoch sind. Die wenigsten Kollegen können bei dieser Norm 100 Prozent erreichen.«

Zahlreiche Arbeiter der Bau-Union Erfurt, zzt. im VEB Gelenkwelle Stadtilm tätig, brachten zum Ausdruck, dass sie durch die bestehende Norm zu wenig verdienen würden. Sie wollen sich deshalb eine andere Arbeitsstelle suchen.

In der Abteilung Lackiererei des Treuhandbetriebes Daimon Arnstadt,5 [Bezirk] Erfurt, sind viele Arbeiter darüber unzufrieden, dass sie aufgrund der neuen Festlegung der Normen dieselben nur noch zu 60 bis 80 Prozent erfüllen können.

Im VEB Abus in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, wird unter den Arbeitern viel über Lohnfragen diskutiert, da sie im Verhältnis zu anderen Betrieben weniger verdienen, weil überwiegend Einzelfertigungen durchgeführt werden.

Auf der Baustelle Mestlin, [Bezirk] Schwerin, sind zzt. Arbeiter vom VEB Bau Schwerin und Parchim beschäftigt. Die Arbeiter aus Schwerin erhalten höhere Löhne, obwohl sie die gleiche Arbeit verrichten, wie die Kollegen aus Parchim. Aus diesem Grunde sind einige Bauarbeiter von Parchim unzufrieden.

In einigen volkseigenen Betrieben des Kreises Sonneberg, [Bezirk] Suhl, vorwiegend im VEB Schiefergruben Steinach, wird unter den Arbeitern diskutiert, dass man sich vom »Jahr der großen Initiative« bezüglich der Preissenkungen mehr versprochen hat,6 als bisher eingetreten ist. Die Arbeiter brachten hierüber ihr Missfallen zum Ausdruck.

In den Verkehrsbetrieben Dresden, Werkstatt Mickten wurde über den neuen Wettbewerbsvertrag gesprochen und bemängelt, dass die Qualitätskontrolle durch die Verwaltung geschehen soll. Einige Brigademitglieder führten dazu aus, dass dieser Punkt im vergangenen Jahr ebenfalls im Vertrag enthalten war und nach dem 17.6.1953 abgeschafft werden musste. Sie lehnten deshalb den Vertrag ab, da er in der vorliegenden Form ein Rückschritt sei.

Produktionsschwierigkeiten, die meist wegen Material- und Arbeitskräftemangel entstanden

Im Neuaufschluss in Bluno des BKW »Jonny Schehr«, [Bezirk] Cottbus, fehlen zum Ausbau einer großen Pumpenanlage 45 000 Klinkersteine. Bei den zzt. bestehenden Verhältnissen wird der Jahresplan voraussichtlich nur zu 50 Prozent erfüllt werden.

Auf der Baustelle Trattendorf, [Bezirk] Cottbus, »Großbaustelle der Jugend«7 besteht nach wie vor Arbeitskräftemangel. Im VEB Nähmaschinenfabrik Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, werden dringend ca. 450 Arbeiter benötigt.

Im VEB Backofenfabrik Parchim, [Bezirk] Schwerin, der Massenbedarfsartikel herstellt, werden die benötigten Bleche nur sehr schleppend angeliefert. Im IKA Isolierwerk Zehdenick, [Bezirk] Potsdam, fehlen für die Herstellung von Massenbedarfsgütern (Gartenschläuche) Rohstoffe. Vor allem wird PCU-Pulver benötigt, der von den Buna-Werken hergestellt wird. Dieser Puder ist für die Planproduktion vorhanden, fehlt jedoch für die Massenbedarfsgüterherstellung.

Das Sauerstoffwerk Bützow, [Bezirk] Schwerin, hat Schwierigkeiten beim Abtransport von Sauerstoff, da der Umlauf der Kesselwagen der Reichsbahn zu schleppend vonstatten geht.

Das Werk Golpa, Kreis Gräfenhainichen, [Bezirk] Halle, kann seit Beginn des III. Quartals 1954 das Kohlensoll nicht erfüllen, da der Absatz stockt. Es war eingeplant, dass das Kraftwerk Elbe Vockerode ab III. Quartal täglich 4 600 t Kohle abnimmt, was jedoch zzt. nicht geschieht, da die Turbinen noch nicht fertig sind. Aus diesem Grunde wird es am Monatsende unter den Arbeitern zu Unstimmigkeiten kommen, da sie keine Prämien und Schnapszuteilung erhalten werden.8

Produktionsstörungen

Am 9.7.1954 kam es in den Deutschen Solvey-Werken Westeregeln, [Bezirk] Magdeburg, zu einer Explosion in der Chlorleitung, wodurch die Salzsäureproduktion eingestellt wurde. Produktionsausfall: ca. 300 t Salzsäure (18 000 DM), Ursache: Ein Säureverschluss an der Chlorleitung arbeitete nicht, wodurch sich ein Luftgemisch bildete, was die Explosion hervorrief. Untersuchungen werden noch geführt.

Im VEB Schamottewerk Wetro, Kreis Bautzen, [Bezirk] Dresden, musste aufgrund der starken Regenfälle ein großer Teil der Produktion stillgelegt werden.9 Schaden: ca. 20 000 DM. Von der Belegschaft wird die Meinung vertreten, dass der Schaden nicht so hoch sein würde, wenn das zuständige Ministerium die Mittel für die Grubenentwässerung rechtzeitig bewilligt hätte.

Im VEB Dampfhammerwerk Großenhain, [Bezirk] Dresden, ist infolge Bruchs einer Leiste der 3 000-kg-Lufthammer ausgefallen. Die Reparatur dauert 2 bis 3 Tage.

Handel und Versorgung

Im Kreis Nauen, [Bezirk] Potsdam, kauften sich einige Personen EMW Motorräder, die nach kurzer Zeit Kolbenschäden aufwiesen. Die Besitzer bemühten sich bisher vergebens, die nötigen Ersatzteile zu bekommen.

Über einen Mangel an billigen Zigarettensorten berichten weiterhin die Bezirke Suhl, Erfurt, Dresden und Neubrandenburg.

Im Kreis Kamenz, [Bezirk] Dresden, wird über eine schlechte Belieferung der Bezugscheine für Arbeitsbekleidung geklagt. Es fehlen besonders Arbeitshemden in den Größen 38 bis 39.

In einzelnen Orten des Bezirkes Cottbus mangelt es an Graupen, Haferflocken und Hülsenfrüchten. Vermutlich ist dies darauf zurückzuführen, dass Kleintierhalter diese Lebensmittel verfüttern.

Im Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, werden verschiedene Konsumverkaufsstellen schlecht mit Lebensmitteln beliefert, z. B. benötigt die Verkaufsstelle Jürgenshagen dringend Graupen, Haferflocken, Maizena10 und Reis. Im gesamten Bezirk Neubrandenburg ist die Versorgung mit Nährmitteln unzureichend.

In den Grenzkreisen Heiligenstadt und Worbis, [Bezirk] Erfurt, besteht ein Mangel an Textilien, z. B. fehlt es im Konsum in Aspach,11 [Kreis] Heiligenstadt, an Bettwäsche, Arbeitsbekleidung, Schürzen und Oberbekleidung.

Im Kreis Merseburg, [Bezirk] Halle, mangelt es an Industriewaren, Bettwäsche, Sommerstoff und Konfektion. (Außerdem besteht eine große Nachfrage nach Motorrädern.)

Landwirtschaft

Weiterhin ist zu verzeichnen, dass unter der Landbevölkerung wenig über politische aktuelle Probleme gesprochen wird. Im Mittelpunkt des Interesses stehen wirtschaftliche Fragen, wie z. B. bei den MTS die Ersatzteilbeschaffung. Über diese Schwierigkeiten berichtet die MTS Tessenow, [Bezirk] Schwerin, deren Maschinenpark nicht voll ausgenutzt werden kann, da sie die von der BHG Güstrow schon seit Langem versprochenen Ersatzteile nicht erhält.12

Bei der MTS-Spezialwerkstatt Aschersleben, [Bezirk] Halle, mangelt es vor allem an Ersatzteilen für den IFA-Aktivist und Pionier13 sowie für die LPG-Binder.14

Die MTS Radeberg, [Bezirk] Dresden, sollte im II. Quartal 1954 sieben Traktoren RS 30 geliefert bekommen, was aber nicht eingehalten wurde. Dadurch ist die Einhaltung des Produktionsplanes nicht möglich.15

Über eine schlechte Qualität des Bindegarnes klagen die Bauern der Kreise Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, und Putbus, [Bezirk] Rostock. Dazu äußerte ein Agronom der MTS Zirkow, [Kreis] Putbus: »Durch die schlechte Qualität des Bindegarnes treten schon jetzt bei der Rapsmahd Schwierigkeiten auf.«16

Von den LPG und VEG

Die LPG-Mitglieder von Buchbach und Lichtenhain, [Bezirk] Suhl, beschweren sich, dass noch kein Kollege von der Abteilung Aufbau vom Rat des Kreises Neuhaus seit der Grundsteinlegung der Schweineställe17 erschienen ist.18

In der Gemeinde Klein Kienitz,19 [Bezirk] Potsdam, wurde aus der Wirtschaft eines republikflüchtigen Großbauern eine LPG. Der Rat des Kreises hat die Stallungen und das Wohnhaus der Nachbargemeinde Großmachnow zugesprochen. Darüber sind die Mitglieder empört und der Vorsitzende äußerte dazu: »Ich finde nicht richtig, dass wir das Land übernehmen sollen und dass das Haus und die Stallungen anderen zugesprochen werden. Jetzt kommen 200 Familien aus Westdeutschland und ich hoffe, dass wir auch eine Familie bekommen, denn wir benötigen dringend Arbeitskräfte. Wenn dies der Fall ist, dann wissen wir nicht, wo diese Familie untergebracht werden soll.«20

Einige Kollegen der Werft Brandenburg besuchten ihre Paten-LPG21 in Roskow, um einen Arbeitseinsatz zu besprechen. Bei ihrer Ankunft stellten sie fest, dass fast alle LPG-Mitglieder nicht anwesend waren, da sie eine Dampferfahrt unternahmen. Die Kollegen brachten ihr Erstaunen zum Ausdruck, dass die LPG-Mitglieder werktags so viel Zeit haben, um Ausflüge zu machen, da sie sich schon des Öfteren an die Werft wandten und um Unterstützung für ihre Arbeit baten.

Im VEG Groß Welzin,22 [Bezirk] Schwerin, gestattete der Betriebsleiter einem Großbauern, eine Wiese abzumähen. (Es steht noch nicht fest, ob die Futtergrundlage des Gutes restlos gesichert ist.)

Ein Angestellter vom VEG Zarnekow, [Bezirk] Rostock, erklärte: »Wir können unseren Produktionsplan an Ferkeln nicht erfüllen, da von den vorgesehenen Ferkelställen nur einer fertiggestellt wurde und die Ferkel in den alten Ställen krepieren.«23

In der LPG Glienicke, [Bezirk] Potsdam, standen durch den anhaltenden Regen alle Ställe und Keller unter Wasser, die durch die Feuerwehr leergepumpt wurden. Es besteht aber die Gefahr, dass bei starkem anhaltendem Regen sich das Gleiche wiederholt.

Über die Wildschweinplage klagen viele Bauern im Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl. Sie sind nicht zufrieden mit den zum Einsatz kommenden Jagdkommandos,24 da ihnen zu wenige Gewehre zur Verfügung stehen.

Ganz vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Stimmen bekannt. In der Gemeinde Neu-Kleinow, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde ein Sonderbeauftragter von dem DBD-Vorsitzenden mit folgenden Worten empfangen: »Du Spitzel, du frisst dich hier bloß durch. Mach, dass du nach Hause kommst, sonst gebe ich den Bauern den Auftrag, dass sie dir den Schädel einschlagen.«25

Ein Bauer aus Poggendorf, [Bezirk] Rostock: »Man sollte uns doch wirtschaften lassen wie wir wollen und uns nicht immer mit Anbauplan und Pflichtablieferung kommen, dann wird sich auch die Rentabilität der Landwirtschaftsbetriebe bessern. Wir hier in Poggendorf wollen nichts von den LPG wissen.«26

Übrige Bevölkerung

Ganz selten wurden uns Stimmen zum Ergebnis der Volksbefragung bekannt, diese waren positiv.27 Ein Postangestellter aus Blankenfelde, [Bezirk] Potsdam: »Ich bin mit dem Ergebnis der Wahl zufrieden und bin der Ansicht, dass die westliche Wiederaufrüstung abgestoppt werden muss, wenn Deutschland auf friedlicher Weise wieder vereinigt werden soll. Zeit wäre es ja, endlich Verhandlungen herbeizuführen, wenn beide Seiten den guten Willen haben.«

Eine Hausfrau aus Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg: »Viele Bürger der DDR haben nach der Volksbefragung das Vertrauen zur Kirche verloren, weil gerade die Pastoren, die die Kinder für den Frieden und christlichen Glauben erziehen sollen, nicht gewählt haben. Auch ich habe nicht mehr das Vertrauen zur Kirche, denn die Kirche ist nicht für den Frieden, sondern für den Krieg.«

In Stolpen, [Bezirk] Dresden, traten fünf Personen (vier FDJler und ein Mitglied der CDU) aus der Kirche aus, weil der Pfarrer nicht zur Volksbefragung war.

Vereinzelt wird über den Kirchentag in Leipzig28 diskutiert. Einwohner aus Ammendorf, [Stadt] Halle: »Die UdSSR hat wirklich vorbildlich gehandelt, man muss ihnen hoch anrechnen, dass sie ihren Ausstellungspalast dem Kirchentag zur Verfügung gestellt haben.«

Ein Gewerbetreibender aus Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Die Regierung hat dem Kirchentag jede Unterstützung zuteil werden lassen. Für die Unterbringung und Versorgung hat der Rat der Stadt Leipzig vorbildlich gesorgt. Im Mittelpunkt der Kirchentage standen die Gedanken um den Frieden und die größte Begeisterung löste dazu Prediger Dr. Niemöller29 aus. Aber man kann nicht immer unterscheiden, ob die Worte wirklich frei gesprochen werden können, es sah aber so aus.«

Unter den Handwerkern im Kreis Sonneberg, [Bezirk] Suhl, wird über den Materialmangel diskutiert. Ein Mitglied der Handwerksgenossenschaft: »Bis Dezember 1953 ist der neue Kurs gut angelaufen.30 Seit Januar 1954 ist schon wieder ein Nachlassen zu verzeichnen. So wird z. B. für die zusätzliche Produktion von Massenbedarfsgütern das Material erst im Oktober 1954 geliefert.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro31: Frankfurt/Oder 3 000, Schwerin 4 000, Karl-Marx-Stadt 36, Dresden 5.

»Deutsche der Bundesrepublik«: Potsdam 4 000.

Versch[iedener] Art: Potsdam 13 000.

In tschechischer Sprache: Dresden 16.

NTS32: Neubrandenburg 20.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Diversion: Im Kreis Putbus in Rostock waren in mehreren Säcken mit Pflanzenbestäubungsmitteln33 kleine Tüten, deren Inhalt aus alten verrosteten Schrauben und anderen kleinen Metallstücken bestand. Die Bestäubungsmittel wurden zum Teil aus Rostock, zum Teil aus chemischen Werken direkt geliefert. Durch das Auffinden dieser Tüten konnte der Ausfall von mehreren Bestäubungsgeräten verhindert werden.34

Vermutliche Feindtätigkeit

In der Nacht vom 11. zum 12.7.1954 wurde im Kaliwerk »Glückauf« Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, das Signalhorn der Verladerampe von einer bisher unbekannten Person in Tätigkeit gesetzt. Durch den Einsatz der Reparaturschicht, die die Maschine überprüfte, entstand ein Produktionsausfall von einer Stunde. An der Maschine wurden keine Fehler festgestellt. Die Ermittlungen nach dem Täter werden zusammen mit der Abteilung K35 geführt.

Der Kreisrat von Anklam und der Leiter der MTS von Ueckermünde, [Bezirk] Rostock,36 erhielten gefälschte Schreiben mit der Aufforderung, binnen drei Tagen zur Hautklinik Greifswald zu kommen. Anderenfalls erfolge Zuführung durch die VP. Auf dem Schreiben war die Telefon-Nr. der Dienststelle des SfS Greifswald angegeben.

Am 10. Juli 1954 wurde die FDJ-Sekretärin des Kabelwerkes Adlershof von drei unbekannten Personen in Zeuthen, Kreis Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, niedergeschlagen. Die Täter sollen schwarze Masken getragen haben. Ermittlungen werden geführt.

Nachtrag zur übrigen Bevölkerung: Am 11.7.1954 traten bei ca. 20 Kindern im Pionierzeltlager Prebelow, [Bezirk] Potsdam, Krankheitserscheinungen auf. Durch Ärzte wurde festgestellt, dass es sich um Vergiftungserscheinungen handelt. Es besteht die Vermutung, dass die Zelte mit Schädlingsbekämpfungsmittel eingespritzt waren, die innerhalb von zwei Tagen verflogen sein sollten, was aber durch den anhaltenden Regen nicht geschah, sodass die Kinder irgendwelche Gase eingeatmet haben. Am nächsten Tag befanden sich die Kinder im Krankenhaus bis auf zwei, mit einer Angina, wieder wohlauf.

Einschätzung

Allgemein wird wenig von der Bevölkerung zu aktuellen Fragen Stellung genommnen.

Zu politischen Fragen äußern sich meist fortschrittliche Kräfte zu den verschiedensten Problemen. Der Umfang der Diskussionen ist sehr gering.

Hauptsächlich wird über verschiedenartige wirtschaftliche, betriebliche und örtliche Mängel gesprochen.

Die Versorgung mit billigen Zigarettensorten ist in fast allen Bezirken mangelhaft.

In der Industrie stehen im Vordergrund Lohn- und Normfragen sowie Material und Arbeitskräftemangel. In der Landwirtschaft ist es vor allem der Ersatzteilmangel für Traktoren und landwirtschaftliche Maschinen in den MTS und Reparaturwerkstätten.

Zur Hochwasserkatastrophe wird in den nicht gefährdeten Gebieten nach vorliegenden Meldungen nur vereinzelt Stellung genommnen, wobei teilweise die Ursache auf die Atom- und Wasserstoffbombenversuche der USA37 zurückgeführt wird.

Die Feindtätigkeit ist weiterhin gering.

Anlage 1 vom 13. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2259

Bericht über die Unwetterkatastrophe

Bezirk Karl-Marx-Stadt: (Meldung vom 12.7.1954, 21.45 Uhr)

Der Wasserstand der Flüsse ist größtenteils etwas zurückgegangen, einige Betriebe haben die Arbeit wieder aufgenommen. Die Versorgung der Bevölkerung ist gesichert, Angsteinkäufe sind nicht mehr zu verzeichnen.

Im Kreis Werdau wurde von einigen Hausfrauen die Meinung vertreten, dass aufgrund der Überschwemmungen von Nutzflächen eine schlechte Ernte zu erwarten sei und dass man sich daher im Herbst gut mit Kartoffeln eindecken müsse. Unter den Bauern, deren Felder überschwemmt sind, wird mit Besorgnis davon gesprochen, dass sie wahrscheinlich ihr Soll nicht erfüllen können.

Wismut-Gebiet:38 (Meldung vom 12.7.1954, 23.30 Uhr)

Ein weiteres Ansteigen des Wassers ist nicht zu verzeichnen, bis auf den Wasserstand der Elbe bei Freital, wodurch wahrscheinlich die Pumpenstation der Fabrik 96 ausfallen wird.

In einem großen Teil der Schächte läuft die Arbeit wieder normal, wie z. B. in Lichtenberg und Tschirma, [Bezirk] Gera, sowie in Aue und Johann-Georgenstadt, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt. In den Schächten und Betrieben, wo noch nicht gearbeitet wird, sind die Kumpel zur Beseitigung der Schäden eingesetzt. Dabei kann gesagt werden, dass ihre Haltung vorbildlich ist.

Über die Hilfe und den Einsatz der Sowjetarmee sprechen sich breite Teile der Bevölkerung positiv aus. So erklärte z. B. ein Kumpel aus Crossen: »Alle Achtung vor diesen Menschen. Überall, wo es notwendig war, haben sie geholfen. Sie setzen sich voll und ganz ein. Leider sieht man das bei unseren Menschen noch sehr wenig.«

Die Stimmung kann allgemein als gut bezeichnet werden. In der Versorgung ergeben sich keine Schwierigkeiten.

Bezirk Gera: (Meldung vom 12.7.1954, 19.30 Uhr)

Aufgrund des noch anhaltenden Hochwassers haben verschiedene Betriebe in den Kreisen Greiz, Eisenberg und Gera ihre Arbeit noch nicht oder nur zum Teil aufgenommen. In der Versorgung der Bevölkerung sind keine Schwierigkeiten zu verzeichnen. Größere Schäden konnten durch den Einsatz der Sowjetarmee, der VP sowie der vielen freiwilligen Helfer aus den Kreisen der Bevölkerung verhindert werden. An der Wiederherstellung der Telefon- und Fernschreibverbindungen wird gearbeitet. Zum Beispiel sind in Gera 600 bis 700 Anschlüsse außer Betrieb und in einzelnen Orten ist die Stromversorgung unterbrochen.

Bezirk Dresden: (Meldung vom 12.7.1954, 20.20 Uhr, 13.7.1954, 0.45 Uhr)

Am 12.7.1954, 9.00 Uhr, wurde für die Kreise Pirna, Dresden-Stadt und Land, Meißen und Riesa durch die Bezirkskatastrophenkommission die Alarmstufe IV ausgelöst. Bei den überschwemmten Gebieten ist der Kreis Meißen mit 3 000 ha als Schwerpunkt anzusehen.

Mehrere Betriebe nehmen ihre Arbeit wieder auf, wie z. B. die Kalkwerke Nentmannsdorf.39

Von der HO Lebensmittel wurde mitgeteilt, dass in verschiedenen Verkaufsstellen Masseneinkäufe erfolgt sind.

Bezirk Leipzig: (Meldung vom 12.7.1954, 23.20 Uhr)

Die Stimmung ist im Allgemeinen gut. Es werden Sammlungen durchgeführt für die vom Hochwasser betroffenen Menschen. Durch Unterstützung der Bevölkerung konnte im Kreis Altenburg der größte Teil der Evakuierten in Privatquartieren untergebracht werden.

Allgemein ist in den überschwemmten Gebieten ein Absinken des Wassers zu verzeichnen, außer im Kreis Torgau. Dort hat die Elbe einen Wasserstand von 7,52 m erreicht und es ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen.

Die Versorgung der Bevölkerung ist gesichert. Es kam lediglich durch Verbreitung von Gerüchten in den Kreisen Wurzen und Döbeln zu Angsteinkäufen.

Bezirk Halle: (Meldung vom 12.7.1954, 21.00 Uhr)

Im Gebiet Wittenberg sind Kartoffel- und Kornfelder sowie die Wiesen in den Elbniederungen überflutet. Im Kreis Zeitz ist der Niemegk-Damm in einer Breite von 3 m gebrochen.40

Bezirk Magdeburg: (Meldung vom 12.7.1954, 22.00 Uhr)

In dem Bezirk Magdeburg wurde das Abernten der dicht an den Ufern liegenden Felder und das Räumen der gefährdeten Häuser veranlasst.

Aus dem Grunde fand am 10.7.1954 in der Gemeinde Jerichow, Kreis Genthin, eine Bauernversammlung statt. Sämtliche 25 anwesenden Bauern lehnten es ab, ihr Getreide aus dem gefährdeten Gebiet zu bergen. Sie erklärten: »Wenn es stehen bleibt, haben wir nicht so viel Schaden, wie wenn es abgeerntet wird. Als 1926 und 1941 das Getreide bis zu den Ähren im Wasser stand,41 haben wir noch eine gute Ernte gehabt.«42

Bezirk Cottbus: (Meldung vom 12.7.1954, 17.40 Uhr)

Die Elbe und Elster führen verstärkt Wassermassen, sodass mit einer akuten Hochwassergefahr zu rechnen ist. In Gorsdorf43 ist das Hochwasser der Elster bis an den Ortseingang vorgedrungen. Dadurch wird die Evakuierung der Gemeinde unvermeidlich sein. Gefährdet sind zzt. die Elsterbrücken von Schweinitz, Münchehofe44 und Gorsdorf.

Der durch Hochwasser gefährdete Getreidespeicher in München45 weist einen bedrohlichen Zustand [auf] und muss voraussichtlich in Kürze geräumt werden. Gefahrenorte sind die Kreise Jessen, Spremberg, Hoyerswerda und Guben. In Listerfehrda46 und Elster steht das Wasser der Elbe bis an den Ortsrand, Maßnahmen zur Evakuierung wurden eingeleitet.

Der Schwerpunkt liegt an der Elster in den Orten Schweinitz, Crinitz,47 Klötschenhofen48 und Gorsdorf. Die Hauptzufahrtsstraßen nach Gorsdorf sind weit überspült.

Anlage 2 vom 12. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2259

Auswertung der Westsender und -zeitungen

Industrie

In mehreren Hetzsendungen beschäftigen sich die Westsender weiterhin mit der Energieversorgung in der DDR. Vielfach werden Zahlen über Nichterfüllung der Pläne zitiert und bei dem Versuch der Feststellung der Ursachen werden in verleumderischer Weise immer wieder »Demontagen«, »Verwendung für Produktionszweige, die nicht genannt werden« und »mangelnde Rekonstruktion« angeführt. Zur Beunruhigung der Bevölkerung werden in den gleichen Sendungen auch Meldungen über »Feierschichten infolge Materialmangels« ohne konkrete Beispiele gebracht.

RIAS berichtet in der Sendung »Informationen aus der sowjetischen Besatzungszone« vom 9.7.1954 über eine »Anweisung des Bundesvorstandes des FDGB über Wettbewerbsverpflichtungen und Normenerhöhungen«.49 In der gleichen Sendung wird über eine »Arbeitsniederlegung der Bauarbeiter der Reichsbahn-Bau-Union Waren, [Bezirk] Neubrandenburg, aus Protest gegen 10-prozentige Normenerhöhung« berichtet. Infolge dieses Protestes seien die »Normerhöhungen« rückgängig gemacht worden.

Im Bezug auf die Privatindustrie hetzt der RIAS erneut, dass »Enteignungen … durch Materialknappheit, Steuerschulden u. a. …« bevorstünden. Als Beispiel wird die Holz- und lederverarbeitende Industrie genannt.

Landwirtschaft

Zu dem Prozess gegen die Schädlingsgruppe in Frankfurt/Oder nehmen die Westsender mehrfach Stellung.50 Ziel ist, die Verbrechen der Angeklagten herabzumindern und die Verleumdung der DDR, dass dieser Prozess gebraucht wurde, »um die fehlerhafte Agrarpolitik des Staates zu decken«.51

In einer Sendung zu den Viehhalteplänen in der DDR, in welcher zur Kälberaufzucht Stellung genommen wird, stellt der RIAS fest, dass die vorgesehene Gutschrift an Milch für die aufgezogenen Kälber ungenügend ist, um die werktätigen Bauern gegen die entsprechende Anordnung zu stellen.

Arbeit der Staatsorgane

Der Sender »Freies Berlin« veröffentlicht ein Interview mit einer im Januar dieses Jahres unter die Amnestie der DDR gefallene Person.52 Es wird ausgeführt, dass die amnestierten Personen nach Angaben der VP nach ihrer Entlassung aus den Strafanstalten keinerlei Benachteiligungen ausgesetzt seien. In Wirklichkeit sei das aber ganz anders, indem man diesen Personen keine Arbeit in ihren früheren Berufen gebe, was besonders bei der Intelligenz der Fall sei, und sie auch sonst in ihrer persönlichen Freiheit beschränke, da sie nicht nach Westdeutschland auf Besuch fahren dürften.

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