Zur Beurteilung der Situation
3. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2251 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über politische Probleme wird nur in geringem Umfang diskutiert. Im Mittelpunkt dieser wenigen Diskussionen steht die Volksbefragung.1 Diese haben sich gegenüber dem Vortage vermindert. Die uns bekannt gewordenen Stimmen sind überwiegend positiv. Darin bringt man zum Ausdruck, dass die Volksbefragung ein Schlag für die Kriegspolitik Adenauers2 war. Teilweise versteht man nicht, dass es noch Menschen gibt, die für den EVG-Vertrag3 stimmten. Ein Arbeiter aus einem Schacht in Oberschlema,4 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Mit der Volksbefragung haben wir der Kriegspolitik Adenauers einen entscheidenden Schlag versetzt. Gleichzeitig haben wir den westdeutschen Patrioten den Rücken gestärkt.«
Ein Arbeiter aus Frankfurt/Oder: »Ich kann es nicht verstehen, dass ein Mensch in der DDR, dem es doch bestimmt nicht schlecht geht, wenn auch manches noch schlecht ist, für den Krieg und für den EVG-Vertrag stimmen kann. Jeder Einzelne müsste doch erkennen, dass der Westen mit seinem EVG-Vertrag nur zu einem Krieg rüstet.« Eine Arbeiterin aus dem VEB Injecta, [Kreis] Klingenthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist unerhört, dass es noch Menschen gibt, die für die EVG gestimmt haben. Man sollte diese Leute beseitigen.«
Eine Werkstattschreiberin aus dem VEB Baumwollspinnerei, [Kreis] Tannenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist mir unerklärlich, dass es in unserem Ort noch so viele Friedensgegner gibt. Ich konnte mich selbst überzeugen, dass auf vielen Wahlzetteln ›17.6.1953‹ stand. Das zeigt uns also, dass diese Kräfte immer noch am Werk sind und im Stillen ihre Zersetzungsarbeit weitertreiben.«
Nur ganz vereinzelt wurden uns negative bzw. feindliche Stimmen bekannt. Ein Dreher aus der Zentralreparaturwerkstatt Bärenstein, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, war nicht zur Volksbefragung, als ihn seine Kollegen fragten, äußerte er: »Jawohl ich war nicht zur Abstimmung, da es mir mein Glaube verbietet, mich an so etwas zu beteiligen.« (Durch Beschluss der Belegschaftsversammlung will man ihn aus der ZRW entfernen.)
Ein Produktionsleiter im IFA-Fahrzeugwerk Waltershausen, [Bezirk] Erfurt: »Es gibt doch noch Leute, die ehrlich sind und sich nicht in ihrer Meinung beeinflussen lassen. Das zeigt das Ergebnis, dass über 7 Prozent EVG gewählt haben.«5
Ein Arbeiter aus den Abus-Werken, [Bezirk] Schwerin: »Habt ihr schon gelesen, wie viel dagegen sind? Jetzt stellen sie schon einige Tage das Ergebnis fest. Es dauert deshalb solange, damit etwas Betrug dabei gemacht werden kann.«
In einigen Betrieben sind Missstimmungen über Lohnfragen aufgetreten. Unter den Eisenbahnern des Bahnhofs Hagenow, [Bezirk] Schwerin, werden negative Diskussionen über die Lohnauszahlung geführt und es wird gefordert, dass die Eisenbahner mehr Geld erhalten. Einige Arbeiter haben bereits gekündigt, weil sie zu wenig verdienen.
In der Kammgarnspinnerei Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, sind die weiblichen Arbeitskräfte mit dem Lohn nicht zufrieden. Deshalb kündigen viele Arbeiterinnen, um neue Arbeit im Schlepperwerk Brandenburg aufzunehmen.
Im VEB Braunkohle Grosskayna, [Bezirk] Halle, sind die Arbeiter unzufrieden, da von der Normenabteilung die Normen oberflächlich festgelegt werden. Dadurch entspricht der Lohn nicht der geleisteten Arbeit.
In der Zuckerfabrik Roitzsch, [Bezirk] Halle, macht sich in letzter Zeit eine stärkere Fluktuation von Arbeitskräften bemerkbar, da angeblich die Verdienstmöglichkeiten zu gering sind.
Produktionsschwierigkeiten entstanden in einigen Betrieben wegen Material- und Arbeitskräftemangel.
Im Nähmaschinenwerk Wittenberge fehlt Automaten- und Stabstahl. In den Rostocker Werften bestehen weiterhin Materialschwierigkeiten.
Im VEB Gubener Wolle, [Bezirk] Cottbus, reichen die Rohstoffe nur noch eine Woche. Durch das Fehlen von Importwolle muss mehr Reißwolle in die Produktion genommen werden, wodurch die Qualität wesentlich vermindert wird.
Durch die schlechte Arbeit des Wagendienstes des Bahnhofs Stralsund konnte das Sauerstoffwerk Stralsund und Bützow zwei Tage lang nicht mit flüssigem Sauerstoff beliefert werden. Dadurch ist die Belieferung der Werften in Verzug geraten.
Einige Kollegen vom Neubau der Saalebrücke in Zschopau, [Bezirk] Halle, äußerten: »Wir bekommen zwar viel Material für den Bau der Saale-Brücke, jedoch kommt das Material, was wir zuletzt brauchen, zuerst an und wir können dadurch mit dem Bau nicht beginnen.« (Lieferbetrieb Stahlbau Leipzig)
Im Schwermaschinenbau »7. Oktober« in Magdeburg bestehen große Schwierigkeiten in der Planerfüllung wegen schleppender Belieferung und Nichterfüllung der Liefertermine vonseiten der Zubringerbetriebe. Bei den nicht erfüllten Aufträgen handelt es sich größtenteils um Exportaufträge für die UdSSR.
Im Zellstoff- und Papierbetrieb Rosenthal, [Bezirk] Gera, besteht ein Arbeitskräftemangel von ca. 30 Personen. Auf der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock, werden immer noch 300 Produktionsarbeiter benötigt. In den Persil-Werken Genthin, [Bezirk] Magdeburg, fehlen Arbeitskräfte, wodurch der Plan bisher nicht erfüllt werden konnte.
In der Werkzeugmaschinenfabrik Zerbst, [Bezirk] Magdeburg, bestehen Produktionsschwierigkeiten, weil die Montagehalle zu klein ist. Außerdem sind dadurch die Arbeitsschutzbedingungen nicht eingehalten.
In der Schmiede des RAW Potsdam fehlt seit drei Monaten ein zweiter Schmiederohling für den Schmiedehammer. Die Arbeiten mit dem jetzigen Schmiederohling sind sehr gefährlich. Beim Ausfall des Schmiedehammers würden Arbeiter gefährdet sein und außerdem die gesamte Produktion der Schmiede stillliegen. Es ist damit zu rechnen, dass die Arbeiter die Arbeit verweigern.
Der VEB Sachsenholz,6 [Bezirk] Cottbus, hat Absatzschwierigkeiten an Bohnerbürsten. Eine Ursache dafür ist, dass der VEB Schwermaschinenbau »Ernst Thälmann« Magdeburg ebenfalls im Zuge der Massenbedarfsgüterherstellung Bohnerbürsten in den Handel bringt.
Im Bezirk Gera ist die Versorgung des Verkehrswesens mit Vergaser-Kraftstoffen unzureichend.
Im VEB Westglas Haselbach, [Bezirk] Suhl, steht kein Geld für die am 7.7.1954 fällige Lohnzahlung zur Verfügung. Ein Sonderkredit von 40 000 DM wurde von der zuständigen Hauptverwaltung in Berlin bisher noch nicht gewährt.
Produktionsstörungen: Im Kraftwerk Erfurt fiel am 1.7.1954 die Turbine 1 durch Schnellschluss aus. Ursache wird noch festgestellt. In der Transformatorenstation in der Brikettfabrik »Clara Zetkin« II in Reppist, [Bezirk] Cottbus, entstand durch Blitzschlag ein Schaden von DM 4 000 und ein Produktionsausfall von ca. 2 000 t Briketts. Im VEB Gummiwerk Heidenau, [Bezirk] Dresden, wird am 3.7.1954 die Produktion eingestellt, da sich der Schornstein neigt.
Durch Fehlen von Projektierungsunterlagen können bei einigen Bauten in Berlin die Produktionspläne nicht erfüllt werden. Zum Beispiel wurde beim Bauvorhaben Sterndamm des VEB Bau-Union Berlin bereits im Keller gemauert, während die Zeichnungen erst einige Tage später eintrafen. Für alle dort zu errichtenden Wohnblöcke fehlen noch sämtliche Unterlagen. Für die Baustelle Seelenbinderstraße sowie für das Objekt Zenner7 fehlen ebenfalls sämtliche Unterlagen. Für die im Stadtbezirk Mitte liegenden Bauvorhaben (Deutsches Theater, Institut für Festkörperforschung, Berliner Verlag) fehlen ebenfalls sämtliche Zeichnungen.
Handel und Versorgung
Die angeordnete Bestandserhebung für Roggen und Weizen (laut Zentralblatt Nr. 25 vom 26.6.1954)8 stößt im Kreis Riesa auf größte Schwierigkeiten. In der Schönherrmühle und dem VEB Mühlenwerken Riesa lagern je 10 000 t VEAB-eigenes Getreide, dessen Verwiegung infolge Platzmangels nicht vorgenommen werden kann. Das Getreide müsste in Säcke abgefüllt und nach dem Silo zur Speicherei gebracht werden, was sehr hohe Kosten verursachen würde. (Außerdem lagern im Speicher 13 000 t käferbefallenes Getreide.)
Am 24.5.1954 gab das Ministerium für Handel und Versorgung die Verordnung heraus, dass alle kakaohaltigen, verderbgefährdeten Erzeugnisse, die bis zum 30.9.1954 nicht abgesetzt werden können, an die Herstellungsbetriebe zurückzuliefern sind.9 Bei dem VEB Süßwarenfabrik »Bodeta« Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, ist zu verzeichnen, dass sie, außer verdärbgefährdeten Erzeugnissen, auch einwandfreie Waren zurückgeliefert bekommt, die sich gar nicht zur Wiederverarbeitung eignen. (Eine Regelung über den Finanzausgleich für die Verkaufsbetriebe wurde noch nicht getroffen.)
Über einen Mangel an Zigaretten berichteten die Bezirke Magdeburg, Potsdam und Schwerin. An Bohnenkaffee fehlt es im Bezirk Potsdam, was sich so auswirkt, dass in den HO-Gaststätten des Kreises Pritzwalk keiner mehr zum Ausschank gelangt. Im Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, ist in den HO-Gaststätten nur noch für vier Tage Bohnenkaffee vorrätig.
Im Bezirk Suhl können in der Brotversorgung infolge Fachkräftemangels ernste Schwierigkeiten eintreten, wenn von den zuständigen Stellen keine Abhilfe geschaffen wird.
Landwirtschaft
Zu den politischen Tagesfragen wird nach wie vor wenig Stellung genommen. Die gering bekannt gewordenen Stimmen zum Ergebnis der Volksbefragung sind positiv. Darin kommt eine Empörung gegen diejenigen zum Ausdruck, die für die EVG gestimmt haben. So sagte zum Beispiel ein Angestellter der Gemeindeverwaltung in Friedensdorf, [Bezirk] Halle: »Das bei uns in so einer kleinen Gemeinde so viel für die EVG stimmen würden, hätte ich nicht gedacht. Ich möchte wissen, was die sich gedacht haben. Wollen sie vielleicht, dass der Rittergutsbesitzer wieder kommt und uns nur antreibt, um genug Geld in seine Tasche zu bekommen? Ich will nicht, dass sich diese Zeit noch einmal wiederholt, deshalb habe ich für den Frieden gestimmt.«10
Ein Neubauer (DBD) Blintendorf, [Bezirk] Gera: »Ich hätte nicht gedacht, dass es noch Leute gibt, die für die EVG stimmen. Diese sind es nicht wert, dass sie in der DDR leben können.«
Über wirtschaftliche Probleme wurden folgende Beispiele bekannt.
Im Kreis Wolmirstedt, [Bezirk] Magdeburg, wurde verschiedentlich von den BHG anstatt Sommerraps, Winterraps und anstatt Zuckerrüben-, Futterrübensamen geliefert. (Das Saatgut wurde an die BHG von der DSG Haldesleben geliefert.)11
Von den MTS und LPG
Im Kreis Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, benötigen einige MTS dringend Reifen Nr. 1 275.12
In der LPG Scharfenberg, [Bezirk] Dresden, fehlt es für die Kükenaufzucht an Maschendraht für die Umzäunung.
Im Kreis Wolgast, [Bezirk] Rostock, fehlen den LPG; ca. 800 Schweine, dadurch sind die Produktionspläne der LPG gefährdet.13
Aufgrund dessen, dass in der Gemeinde Hohleborn, [Bezirk] Suhl, zu wenig gegen die Wildschweinplage getan wird, diskutieren die Bauern, dass die Funktionäre der SED nur aufs Land kommen und Versprechungen machen, die sie aber nicht einhalten.
Im Kreis Großenhain, [Bezirk] Dresden, wird von Bauern über das Bekämpfungsmittel »Geserol« geklagt – es ist in der Kartoffelkäferbekämpfung nicht wirksam genug.
Übrige Bevölkerung
Gegenüber dem Vortage haben sich die Diskussionen zur Volksbefragung verringert. Die uns bekannt gewordenen Stimmen befassen sich mit dem Ergebnis der Volksbefragung. Dabei wird teilweise zum Ausdruck gebracht, dass man nicht geglaubt hätte, dass man für den EVG-Vertrag Stimmen abgeben wird.
Eine Hausfrau aus Zerbst, [Bezirk] Magdeburg: »Es ist unglaublich, dass es noch Menschen gibt die für den EVG-Vertrag gestimmt haben. Haben diese Menschen noch nicht genug vom Krieg.«
In der Gemeinde Falkenhagen, [Bezirk] Potsdam, machten mehrere Einwohner vom demokratischen Recht Gebrauch und nahmen an der Stimmenauszählung teil, darunter auch Rentner. Als bei der Auszählung mehrere Stimmen für die EVG gezählt wurden, weinte eine Rentnerin und die Jugendlichen empörten sich und konnten nicht verstehen, dass überhaupt noch jemand gegen den Frieden stimmen kann.
Über wirtschaftliche Fragen wurden uns folgende Meinungen bekannt.
Unter den Glasbläsern herrscht in der Gemeinde Lauscha, [Bezirk] Suhl, eine gewisse Verärgerung, dass sie bis jetzt noch keine Pappe bekommen haben. Diese wird dringend für die Verpackung ihrer Fertigproduktion gebraucht. Einige Glasbläser gehen bis zu acht Wochen nach dem Westen arbeiten und kommen dann wieder in die DDR zurück.
Ein Rentner aus Frankfurt/Oder: »Für die Rentner wird bei uns noch zu wenig getan. Ich war nun 40 Jahre bei der Reichsbahn tätig und bekomme mit meiner Frau zusammen DM 105 im ganzen Monat. Das ist bei den heutigen Preisen noch zu wenig, unsere Regierung dürfte nicht nur an die Jugend denken, sondern uns auch einige Erleichterungen im Leben geben.«
Aus der Krankenanstalt Wuhlgarten, Berlin, wird mitgeteilt, dass die Löhne der Krankenpfleger (Anfangsgehalt 250 DM) nicht dazu angetan sind, dass sich junge Menschen für diesen Beruf ausbilden lassen. Es bestehen zurzeit circa 50 Fehlstellen, wodurch eine Überbelastung des vorhandenen Pflegepersonals eingetreten ist.
Eine Straßenbeauftragte in Merseburg erhielt von ihrem Bezirksvorstand bei Aushändigung der Lebensmittelkarten die Anweisung, dass bei der diesjährigen Winterkartoffelaktion nur die Leute Einkellerungskartoffeln bekommen, die nicht über 200 qm Kartoffelfläche haben. Diese Aktion hat beträchtliche Unruhe unter die Bevölkerung gebracht. Es waren Beschimpfungen zu hören wie: »Das soll wohl eine Errungenschaft des neuen Kurses sein?«14
Aus dem Bezirk Dresden wird uns bekannt, dass unter der Bevölkerung eine Unzufriedenheit herrscht, dass die Rückkehrer aus Westdeutschland in zu hohem Maße unterstützt werden. Es wurde geäußert, dass man erst nach dem Westen gehen muss, wenn man eine Wohnung benötigt. Die Werktätigen sind der Meinung, dass man diejenigen, welche bisher noch nicht in der DDR gewohnt haben, unterstützen soll und diejenigen, welche aus wirtschaftlichen Gründen nach dem Westen verzogen sind, um sich dort besserzustellen und nun wieder zurückkommen, sollten einer strengeren Differenzierung unterzogen werden.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:15 Karl-Marx-Stadt 28 750, Dresden 212, Schwerin 500, Wismutgebiet 6, Erfurt 140, Halle 5 078, Cottbus 5 000.
NTS:16 Frankfurt 11 000, Dresden 21.
»Deutsche der Bundesrepublik«: Karl-Marx-Stadt 514, Dresden 4, Frankfurt 15 000.
In tschechischer Sprache: Karl-Marx-Stadt 134, Dresden 102.
Freiheitskomitee Bismarck: Frankfurt 10 000.
Versch[iedener] Art: Frankfurt 60 000.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen mit Ballons eingeschleust, sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit
Im VEB Maschinenbau Görlitz, [Bezirk] Dresden, wurde eine kleine rote Fahne mit einem Hakenkreuz beschmiert.
Im VEB Kfz.-Zubehör Meißen, [Bezirk] Dresden, wurde eine Hetzlosung mit einem Hakenkreuz angebracht.
Im Eisenhüttenkombinat Stalin wurden im Hochofengelände Hetzlosungen gegen die Regierung der DDR und die SU angeschmiert.
In Herzberg, Kreis Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, wurde während der Stimmenauszählung zur Volksbefragung eine schwarz-rot-goldene Fahne von der Bürgermeisterei entfernt.
Gefälschte Schreiben:
Die VP-Dienststelle Warnemünde, [Stadt] Rostock, erhielt eine gefälschte Anweisung über »Sonderurlaub« für einen namentlich genannten Genossen.
Der Rat des Kreises Greifswald, [Bezirk] Rostock, erhielt ein gefälschtes Telegramm aus Berlin, wonach der 1. Vorsitzende des Rates des Kreises zu einer Besprechung eingeladen wird.
Der Rat der Stadt Geising, Kreis Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden, erhielt gefälschte Plakate, die einen Sonderverkauf des Konsums im Gasthof ankündigten.
Anlage 1 vom 2. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2251
Auswertung der Westsender und -zeitungen (30.6.–2.7.1954)
Volksbefragung
Die Hetzsendungen und Artikel der Westpresse befassen sich mit dem Abschluss der Volksbefragung und der Auszählung der Stimmen. Hauptgegenstand der Hetze und Verleumdung ist dabei die Zeitspanne zwischen dem Abschluss der Abstimmung und der Bekanntgabe der Ergebnisse. In mehreren Fällen werden die Stimmenauszählung zu den Wahlen am 6.9.1953 in Westdeutschland17 gegenübergestellt und die Verleumdungen ausgesprochen, dass »man darüber verhandelte, wieviel Nein-Stimmen man anführen muss, um das Gesamtergebnis einigermaßen glaubwürdig erscheinen zu lassen«.
Der »Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen«18 verbreitet in den Westzeitungen Meldungen über »erwiesene Fälschungen«. Als Beweis wird angeführt, dass Stimmzettel ohne Kreuz und doppeltangekreuzte als Stimmen für einen Friedensvertrag »entsprechend einer Anweisung des Innenministers« gewertet wurden.
In einer Sendung zum »Tag der Volkspolizei«19 brachte der RIAS die übliche Hetze gegen VP und insbesondere gegen KVP.20 Es wurde erneut von den »Werbern in den Zeltlagern der FDJ« gesprochen und geraten, sich auf keine Diskussionen mit diesen einzulassen. RIAS spricht davon, dass die Jugendlichen in der KVP keine Entwicklungsmöglichkeiten haben und schließt mit der Aufforderung, unter Ausnutzung der »noch zivilen Arbeitsbedingungen« zum 30. oder 15. zu kündigen.
Beibehaltung der »Kontaktstellen«
Vonseiten der FDP wird in einem Interview der Vorschlag unterbreitet, die anlässlich des II. Deutschlandtreffens21 in Westberlin eingerichteten »Kontaktstellen« der Jugendorganisationen weiter beizubehalten und auf Westdeutschland entlang der Zonengrenze auszudehnen (z. B. in Bebra, Helmstedt, Hof, Lübeck). Ziel ist die Beeinflussung der Jugendlichen mit dem Schein der »unpolitischen Diskussion«. Die finanzielle Unterstützung soll von dem Bundes-, Flüchtlings-, Kultus- und gesamtdeutschen Ministerium erreicht werden.
Verleumdung des SfS
»Der Kurier« meldet am 1.7.1954, dass in dem Schlafwagen der Interzonenzüge »Vertrauensleute des SSD« als Schaffner eingesetzt werden sollen.22 Dies soll in angeblichen Verhandlungen des SfS mit der Reichsbahn festgelegt werden.
Meldungen über »Typhus-Gefahr«
Zur Beunruhigung der Bevölkerung berichtet der für die DDR als Hetzschrift bestimmte »Telegraf-Wochenspiegel« über eine »Typhus-Gefahr in der Zone« infolge nichtpasteurisierter Milch. Es wird von einer »wachsenden Zahl der Typhuskranken« in den Bezirken Frankfurt, Cottbus und Neubrandenburg gesprochen.23
Anlage 2 vom 2. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2251
Äußerungen von republikflüchtigen Personen über die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik
In den bekannt gewordenen positiven Stimmen kommt zum Ausdruck, dass sie über die Lebensverhältnisse in Westdeutschland enttäuscht sind und dass sich ihre Erwartungen vom »goldenen Westen« nicht erfüllt haben. Zum Beispiel äußerte eine Hausfrau, die sich in Bezen24 aufhält: »Mein Mann arbeitet auf der Zeche, die Arbeit ist sehr schwer, aber wir mussten froh sein, dass wir überhaupt was fanden. Das Arbeitsamt war überhaupt nicht in der Lage, ihm Arbeit zu vermitteln. Mein Mann ist selbst von Zeche zu Zeche gelaufen, bis er endlich Glück hatte. Das war gar nicht so einfach, denn zurzeit wurden hier auf den Gruben Feierschichten gefahren und Leute entlassen, weil die Kohle sich auf den Halden gestaut hat. Nur gut, dass mein Mann noch jung ist, das war seine einzige Chance. Das Arbeitsproblem ist hier sehr ernst und es stimmt keinesfalls, dass hier die Arbeitslosen gut leben, so wie das oft in der DDR behauptet wird.«
Ein Arbeiter, der sich in Gelsenkirchen aufhält: »Wir wollen wieder zurück, hoffentlich machen sie uns keine Schwierigkeiten. Man muss hier mehr arbeiten als in der DDR und der Verdienst ist nicht besonders gut. Wir bekommen für 2½ Tonnen Kohle nur 3,60 DM. Wenn ich noch ein Jahr hier bleiben würde, da wäre ich fertig mit meiner Lunge und mit dem ganzen Körper. Andere Arbeitsmöglichkeiten gibt es nicht, weil hier alles übervölkert ist. Hier wird gar nicht nach einem Menschenleben gefragt, sie haben ja genug, die sie ausbeuten können. Die Absatzmöglichkeiten sind schlecht, weil die französische Kohle bedeutend billiger als die Ruhrkohle ist. Deshalb verdienen wir auch so wenig und müssen aber schwer schuften.«
Ein Arbeiter, der sich in Wentorf, englische Zone, aufhält: »Es treibt mich manchmal an den Rand der Verzweiflung, dass es nicht mit Arbeit klappen will. Man muss eben warten bis man aus dem Lager herauskommt. Hier kann man nichts unternehmen, da sitzt man auf einem toten Gleis. Es ist nicht alles Gold was glänzt.«
Ein Arbeiter, der sich in einem Lager in der Nähe von Neuss/Rhein befindet: »Ich muss mich wieder auf dem Arbeitsamt melden, vielleicht klappt es diesmal. So langsam bekommt man hier einen Lagerkoller. Mit uns Flüchtlingen machen sie sowieso was sie wollen. Es sollte sich wirklich jeder reiflich überlegen, nach Westdeutschland zu gehen. Ich hatte mir natürlich auch mehr versprochen, aber nun bin ich einmal hier und kann nicht wieder zurück. Es ist keine gute Stimmung im Lager, weil wir so an der Nase herumgeführt werden.«
Ein Arbeiter, der sich in Stuttgart befindet: »Viele würden es in der DDR gar nicht glauben, dass hier Menschen in Erdlöchern hausen oder dass Familien mit ihren Kindern in Bahnunterführungen kampieren. Ein nächtlicher Spaziergang durch die Parkanlagen kann einem das Gruseln beibringen. Sämtliche Bänke sind mit Obdachlosen belegt, die mit Zeitungspapier bedeckt dort schlafen, allerdings sind es meist Männer, denn Frauen verdienen sich ihr Nachtquartier bei den Besatzern. Es ist doch schließlich das Verdienst der so ›humanen‹ und ›christlichen‹ Besatzungsmacht, dass sich die Prostituierten schneller vermehren und zunehmen als das Unkraut im Garten.«
Ein Rentner, der sich in Homburg aufhält: »Ich wurde hier mit meiner Pension abgewiesen, weil ich kein ›politischer Flüchtling‹ bin. Hier sind ganz andere Gesetze und die Ämter arbeiten langsam. Ich bin jetzt schon seit September hier und bekomme nur 61,00 DM und meine Pension beträgt aber 285 DM. Mit 61,00 DM hier zu leben ist unmöglich, denn die Preise sind sehr hoch.«
Ein Rentner, der sich in Westberlin befindet: »Von der Rentenstelle bekam ich Bescheid, dass meine Kriegsrente abgelehnt ist, mit der Begründung, dass die Zeit zu weit zurückliegt und man daher nicht mit Bestimmtheit sagen könne, dass die Leiden eine Folge der Kriegsgefangenschaft sind, trotzdem ich Unterlagen beifügte, dass ich in der DDR Kriegsrente bezogen habe. Diese Entscheidung ist skrupellos gemein. Es ist hier wirklich so wie bei uns immer in der Zeitung stand, dass die Stabsoffiziere und ehemaligen Nazibeamten hohe Ruhegehälter bekommen und die kleinen Kriegsbeschädigten gehen leer aus. Hier wird man zwangsläufig zum Kommunisten erzogen.«
Die bekannt gewordenen negativen Stimmen preisen die Verhältnisse in Westdeutschland und bringen zum Ausdruck, dass sie es nicht bereuen, die DDR verlassen zu haben.
Ein Bauer, der sich in Bielefeld aufhält: »Gott sei Dank haben wir keine Ablieferungspflichten mehr, denn ich glaube, es ist drüben noch derselbe Druck. Man sagte uns hier, dass wir uns hätten nicht gleich abzusetzen brauchen. Darüber können wir nur lächeln, denn wo wäre der Lohn für unsere Arbeit geblieben, wir hätten doch nur für die anderen gearbeitet. Hier arbeiten wir nicht und leben besser als drüben.«
Ein Arbeiter, der sich in Dortmund aufhält: »Der Flug hat nichts gekostet, habe auch Essen, Kino sowie Theater frei gehabt. Als ich in Hannover ankam, bin ich vier Stunden mit dem Omnibus bis Bremervörde gefahren. Nach kurzem Aufenthalt bin ich mit etwas schwieriger Bahnfahrt hier gelandet. Das Arbeitsamt hat mir gleich in meinem Beruf als Maurer Arbeit verschafft, sodass ich mich jetzt bei einem Bauunternehmer befinde. Ich schlafe bei ihm, habe ein wunderbares Zimmer. Es gefällt mir großartig.«
Ein Angestellter, der sich noch in einem Westberliner Flüchtlingslager befindet: »Unterkunft und Verpflegung sind gut, sodass wir keinen Grund zur Klage haben. Wir haben schon tüchtig zugenommen. Ich habe gute Berufsaussichten, auch im Ausland. Mir sind schon großartige Angebote gemacht worden.«
Ein Gewerbetreibender, der sich in Waldenau aufhält: »Wenn man so Vergleiche zieht zwischen hier und dort, muss man sich an den Kopf fassen, das Theater dort so lange mitgemacht zu haben. Mein Entschluss war schwer, aber ich habe jetzt alles überwunden. Meine Schwester hier hat alles getan, um mein Schicksal zu erleichtern. Vom ersten Tag an hatte ich einen Volkswagen und auch genügend Möbel standen mir zur Verfügung. Geschlachtet habe ich in den 14 Tagen schon allerhand, so ohne Marken ist es doch etwas ganz anderes. Mein Schritt ist vier Jahre zu spät erfolgt, meine Schwester hat schon viel früher damit gerechnet.«
Eine Hausfrau, die sich mit ihrem Mann in Kassel aufhält: »Mein Mann fängt morgen als Dreher in einem größeren Werk an. Von elf Bewerbern wurde er mit noch einem Kollegen angenommen. Er kann nach Einarbeitung auf Spitzenlohn wie bei ›Elmo‹25 kommen. Wir haben es noch nicht bereut, nach hier gemacht zu sein.«
Ein Arbeiter, der sich in Bad Reichenhall aufhält: »Man kann hier sehr gut leben und alle Menschen laufen mit zufriedenen Gesichtern herum und sehen nicht so vergrämt wie in der DDR aus. Man lebt hier tatsächlich frei, jeder geht seinen beruflichen Pflichten nach sowie seinen privaten Interessen. Ich bin froh, dass wir hier sind, wenn wir auch wieder von vorn anfangen müssen.«
Ein Student, der sich in Osnabrück aufhält: »Durch meine antikommunistische Denk- und Handlungsweise habe ich im letzten Jahr so viel mitmachen müssen, dass ein längeres Verbleiben in der DDR nicht mehr möglich war. Meine Frau und ich sind nach einer Prüfung hier an der Universität angekommen. Wir müssen noch ein Jahr studieren, um hier als Lehrer, die hier als Beamte gelten, eingesetzt zu werden. Die Lehrer aus der DDR müssen nach einer Eignungsprüfung mindestens ein Jahr studieren. Das Leben hier an der Universität ist gar nicht zu vergleichen mit drüben. Hier sind die Dozenten alle Doktor oder Professor, vor denen man Achtung haben kann. Drüben sind es doch nur linientreue Propagandisten, die nichts weiter wissen als auswendig gelernten Blödsinn einiger Idioten.«
Ein Angestellter, der sich in Wiesloch/Baden befindet: »Wir hören oft die Sender der DDR, aber man muss manchmal den Kopf schütteln, über so viel Blödsinn, was sie da zusammenquatschen. Es ist nämlich gerade das Gegenteil von dem was gesagt wird wahr. Wir waren dumm, dass wir nicht schon viel eher nach hier gemacht sind, aber es ist auch heute noch nicht zu spät, wir schaffen es schon. Es wird auch sehr viel getan für uns Flüchtlinge.«
Ein Bauer, der sich in Crailsheim aufhält: »Hier gibt es kein Soll und solchen Trödel, was nur zur Verarmung der Bauern führt. Wir sind mit vielen alten Bekannten zusammen und haben ein schönes Zimmer, uns gefällt es gut.«