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Stimmung zur III. Parteikonferenz der SED (12)

25. April 1956
III. Parteikonferenz der SED (12. Bericht) [Information Nr. M91/56]

In der Zeit vom 17.4.1956 bis 25.4.1956 haben in einigen Bezirken, so in Halle, Gera, Dresden, Cottbus, die Diskussionen über die III. Parteikonferenz bereits unter allen Bevölkerungsschichten merklich nachgelassen.1 Die Mehrzahl der Diskussionen zu allen nachfolgend aufgeführten Fragen war wiederum positiv. Nach wie vor stehen jedoch immer noch die Stellungnahmen zur Verkürzung der Arbeitszeit2 und damit im Zusammenhang zur Steigerung der Arbeitsproduktivität im Vordergrund. Aus mehreren Bezirken liegen auch im stärkeren Maße wieder Stellungnahmen zur Entwicklung der Landwirtschaft3 und des Mittelstandes4 sowie zur breiteren Entfaltung der Demokratie5 vor. Zur Frage der Rentenerhöhung6 sowie zum Bau des Atomkraftwerkes7 und von Flugzeugen8 wurden nur einzelne Stellungnahmen bekannt. Direkte feindliche Stellungnahmen wurden nicht festgestellt, jedoch im besonders starkem Maße wiederum Unklarheiten unter allen Bevölkerungsschichten zu den einzelnen Fragen.

Unter den verschiedenen Bevölkerungsschichten wurden zu den einzelnen Fragen folgende Argumente bekannt:

Zur Einführung des 7-Stunden-Tages

Diskussionen über die Einführung des 7-Stunden-Tages wurden vorwiegend nur unter Beschäftigten der Industrie sowie vereinzelt auch aus der Landwirtschaft bekannt. Während sich die Mehrzahl der Arbeiter im Klaren darüber ist, dass die Einführung des 7-Stunden-Tages von ihnen und ihren Leistungen abhängt, wurden wiederum eine Anzahl Stellungnahmen bekannt, die auf Unklarheiten und ungenügendes Vertrauen zur Arbeiter- und Bauern-Macht zurückzuführen sind. In diesen Stellungnahmen werden Zweifel geäußert, indem ableitend von betrieblichen Schwierigkeiten davon gesprochen wird, dass die Voraussetzungen dazu nicht vorhanden sind. Andere Stellungnahmen befassen sich damit, dass die Einführung des 7-Stunden-Tages nicht erfolgen würde, wenn er nicht »schon in Westdeutschland verwirklicht« wäre, oder wie in der Landwirtschaft damit, dass dadurch die Gegensätze zwischen Stadt und Land noch verschärft würden. Charakteristisch dafür sind folgende Beispiele:

  • In den Jenaer Großbetrieben Zeiss und Schott Jena, [Bezirk] Gera, diskutieren Arbeiter: »Man sollte doch lieber erst die Voraussetzungen schaffen und dann erst davon reden, dass wir den 7-Stunden-Tag einführen wollen.«

  • Im VEB Eisenwerk Erla, Kreis Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärte der technische Leiter: »Die Arbeiter müssen noch des Öfteren Überstunden machen, deshalb ist an den 7-Stunden-Tag gar nicht zu denken. Ich begründe dies damit, dass im Werk sehr alte Maschinen stehen, die oft ausfallen, wodurch die gesamte Produktion ins Stocken kommt.« (Ähnliche Diskussionen liegen auch noch aus anderen Betrieben dieser Bezirke sowie aus den Bezirken Suhl, Potsdam, Rostock und Halle vor.)

  • Im Schacht 18/53 Johanngeorgenstadt, [Kreis] Wismut, erklärte ein Bergarbeiter: »Den 7-Stunden-Tag, den haben sie schon lange im Westen eingeführt. Und bei uns würde man den nie einführen, wenn man es nicht im Westen schon gemacht hätte.« (Ähnliche Stellungnahmen wurden auch aus dem Bezirk Gera bekannt.)

  • In der LPG »Ernst Thälmann« Obhausen, [Bezirk] Halle, erklärte ein Mitglied zur Einführung des 7-Stunden-Tages: »Diese kommt für die Landwirtschaft doch nicht infrage, denn in der Ernte bleibt für mich doch der 12- bis 14-Stunden-Tag bestehen. Damit wird nun wieder ein Riss zwischen dem Industrie- und [dem] Landarbeiter geschaffen, denn der Landarbeiter ist ja dem Industriearbeiter gegenüber immer im Nachteil.«

Zur Steigerung der Arbeitsproduktivität

Diskussionen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität wurden im Zusammenhang mit der Einführung des 7-Stunden-Tages aus den Bezirken Suhl, Gera und der Wismut bekannt. Obwohl auch zu dieser Frage die Mehrzahl der Beschäftigten sich mit Vorschlägen zur weiteren Steigerung befasst, werden auch dazu zweifelnde Stimmen laut, die davon sprechen, dass das nichts mit der Einführung des 7-Stunden-Tages zu tun habe und nur auf »Knochen der Arbeiter« erfolgen soll. Dazu folgende Stellungnahmen als Beispiel:

  • Im VEB Werkzeug-Ring Suhl erklärte ein Mitglied der Parteileitung, »Was hat der 7-Stunden-Tag überhaupt mit der Arbeitsproduktivität zu tun? Meine Meinung ist, dass die Regierung den 7-Stunden-Tag einführt, wenn sie will.«

  • Im Schacht 186 Aue, Wismut, erklärte ein Radiometrist: »Für den 7-Stunden-Tag, da müssen wir auch mehr arbeiten, damit die eine Stunde wieder herauskommt, d. h. noch mehr arbeiten, und wenn man nach Hause kommt, über dem Abendbrot einschläft. Die Arbeitsproduktivität soll erhöht werden, damit wir besser leben können, das ist alles Quatsch. Wer so etwas beschließt, der hat noch nie gearbeitet.« (Ähnliche Stellungnahmen wurden auch von Angestellten der Kreiskonsumgenossenschaft Lobenstein, [Bezirk] Gera, bekannt.)

Zur Entwicklung der Landwirtschaft

Über die vorgeschlagene Entwicklung in der Landwirtschaft diskutieren hauptsächlich Mittelbauern. So wurden aus diesen Kreisen wiederum Stellungnahmen in den Bezirken Suhl, Leipzig, Rostock, Potsdam und Gera bekannt. In diesen Stellungnahmen werden immer wieder Befürchtungen geäußert, in die LPG gezwungen zu werden, wobei die gegenwärtig durchgeführte Erhöhung der SVK-Beiträge als eine solche Maßnahme angesehen wird.9 Charakteristisch für diese Meinungen sind folgende Stellungnahmen:

  • In Nobitz, [Kreis] Altenburg, [Bezirk] Leipzig, erklärte ein Einzelbauer: »Die Politik geht jetzt dahin, dass man uns zwingt, der LPG beizutreten. Wir Einzelbauern bekommen von der MTS nichts mehr gemacht und uns bleibt nichts anderes übrig, als in die LPG einzutreten. Lange dauert es nicht mehr, und es gibt nur noch LPG

  • In Rosa, [Kreis] Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, erklärte ein Mittelbauer in diesem Zusammenhang: »Ich glaube, die SED hat sich zu viel vorgenommen, wenn sie die gesteckten Ziele erreichen will. Sie darf nicht so arbeiten, wie sie dies im Moment tut, d. h., dass sie die SVK-Beiträge bei den Bauern und Handwerkern erhöht, dadurch werden diese Schichten immer wieder verärgert und arbeiten nicht tatkräftig am Aufbau mit.«

  • In Hainchen,10 [Kreis] Eisenberg, [Bezirk] Gera, erklärte ein Mittelbauer: »Wenn ich wegen Arbeitskräften nicht mehr weiterkann, dann haue ich nach dem Westen ab. In die LPG gehe ich nicht.«

Zur Entwicklung des Mittelstandes

Obwohl aus Kreisen des Mittelstandes in der Mehrzahl positiv zu den Vorschlägen der III. Parteikonferenz über den Entwicklungsweg des Mittelstandes bekannt werden [sic!], gibt es auch zahlreiche zweifelnde Stellungnahmen dazu. So wurden in der Berichtszeit aus den Bezirken Gera, Halle, Berlin, Magdeburg und Potsdam eine Reihe Stellungnahmen bekannt, in denen zum Ausdruck kommt, dass diese Kreise befürchten, in die HPG11 gezwungen zu werden und zum anderen bezweifeln, ob die gemachten Vorschläge auch verwirklicht werden. Dazu folgende Meinungen als charakteristische Beispiele:

  • In Handwerkskreisen der Stadt Dessau, [Bezirk] Halle, ist man im Zusammenhang mit der Gründung der Handwerksgenossenschaften der Meinung, »dass in der nächsten Zeit mit einer neuen Steuerauflage gerechnet werden muss. Bis jetzt wäre es ihnen in steuerlicher Hinsicht gut gegangen, nun aber beginnt wieder das alte Lied.«

  • Im Kreis Rudolstadt, [Bezirk] Gera, vertreten die Handwerkerkreise folgende Meinung: »Wir werden als Handwerker mit unter die Werktätigen gerechnet, aber wie behandelt man uns in Wirklichkeit. Es gibt eben nur einen Weg und das sind die HPG. Wir wurden jetzt aus der SVK herausgenommen und müssen mehr zahlen, kommen aber auf der anderen Seite nicht in den Genuss der Vergünstigungen wie ein Angehöriger eines VEB

  • In Berlin äußerte ein Einzelhändler: »Die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Es wird wohl so bleiben, wir bekommen zum Verkauf die Ladenhüter etc. und HO und Konsum verkaufen das andere.« (Ähnliche Äußerungen brachten Einzelhändler und Handwerker in Magdeburg und Potsdam zum Ausdruck.)

Zur breiteren Entfaltung der Demokratie

Zu den Ausführungen Otto Grotewohls12 und dem Beschluss der III. Parteikonferenz der SED zur breiteren Entfaltung der Demokratie wurden aus den Bezirken Halle, Gera und Potsdam einige Stellungnahmen von Handwerkern, Angehörigen der Intelligenz und Studenten bekannt. In diesen Diskussionen kommen insbesondere Zweifel an der Durchführung dieser Vorschläge zum Ausdruck. Zum anderen werden auch einige bisherige Methoden der »Überzeugung« verworfen und besonders von Angehörigen der Intelligenz geäußert, dass diese Methoden viel mit zur Republikflucht beitragen.

  • So erklärte ein Angehöriger der Intelligenz in der Margarinefabrik Milka Wittenberg, [Bezirk] Halle: »Wenn bei uns jemand mal einen falschen Zungenschlag getan hatte, dann wurde er gleich als ein Feind der Arbeiterklasse hingestellt, und das in einer Form, die diese Leute republikflüchtig werden ließ.« Man solle mit den Angehörigen der Intelligenz, die politisch noch nicht so aufgeklärt sind, geduldige Aussprachen führen und sie nicht gleich als Feinde der Arbeiterklasse hinstellen.

  • Im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, vertraten Handwerker die Meinung, »dass man zwar von oben die Gesetze richtig erlässt, jedoch ihre Durchführung in der Praxis anders aussieht«. Außerdem sind diese Kreise der Meinung, »dass ja die Urteile bei den großen Prozessen schon vorher von oben bestimmt würden«.

  • In Jena, [Bezirk] Gera, vertreten Studenten die Meinung, »dass die demokratische Gesetzlichkeit in der DDR nicht eingehalten würde«. Als Beispiel führten die Mediziner an, »dass man in der DDR die Abschaffung der Lebensmittelkarten bereits schon einmal versprochen habe und diese Versprechungen nicht eingehalten hat. Jetzt werden an die Abschaffung der Lebensmittelkarten bestimmte Bedingungen geknüpft.«13

  • In Plaue, [Kreis] Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, äußerte ein Handwerker: »Nach der III. Parteikonferenz hat man geglaubt, dass in der Justiz eine größere Gerechtigkeit folgen würde. Aber dem ist nicht so. So wurde der Tischlermeister [Name] aus Plaue verhaftet, weil er seinem Lehrling eine Ohrfeige gab. Als Frau [Name] ihren Mann in der U-Haft besuchte, durfte er ihr nicht einmal die Anklageschrift zeigen. Das widerspricht meiner Meinung [nach] den Worten des Ministerpräsidenten.« (Ähnlich äußerten sich noch andere Handwerksmeister dieses Ortes.)

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    28. April 1956
    1. Mai 1956 [1. Bericht] [Information Nr. M92/56]

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    25. April 1956
    Hetze gegen den Genossen Walter Ulbricht und andere (3. Bericht) [Information Nr. M90/56]