Stimmung zur III. Parteikonferenz der SED (5)
27. März 1956
III. Parteikonferenz der SED (5. Bericht) [Information Nr. M72/56]
Die Diskussionen zur III. Parteikonferenz1 nehmen weiterhin zu, haben jedoch noch nicht den Umfang wie zum XX. Parteitag.2 Im Vordergrund der überwiegend positiven Diskussionen aller Bevölkerungskreise steht immer noch die Einführung der 40-Stunden-Woche,3 die Erhöhung der Renten4 und die Anwendung der Atomenergie in der DDR.5 Vereinzelt wurden auch schon Diskussionen zu den Ausführungen des Genossen Schirdewan6 über den Genossen Ulbricht bekannt, die begrüßt wurden.7 Neben den Verpflichtungen in den Betrieben kommt besonders in den Stellungnahmen aller Bevölkerungskreise Dankbarkeit gegenüber der Partei zum Ausdruck, dass sie besonders der Verbesserung der Lebenshaltung solche Aufmerksamkeit schenkt. In den Diskussionen, besonders über die Einführung des 7-Stunden-Tages, erkennen die Arbeiter nicht nur an, dass diese Maßnahme abhängig ist von der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Verbesserung der Technik in der Industrie, sondern bringen auch zum Ausdruck, dass sich diese Maßnahmen günstig auf die Verständigung mit den westdeutschen Arbeitern auswirken wird.
Negative Äußerungen treten immer noch vereinzelt in Erscheinung. Ein Teil davon, besonders unter Angestellten der Verwaltung und des Handels ist auf Unklarheiten zurückzuführen, während in dem anderen Teil Zweifel darüber zum Ausdruck kommt, ob das alles verwirklicht wird, was Walter Ulbricht verspricht. In diesen Stellungnahmen kommt der Einfluss der Feindpropaganda zum Ausdruck. Unter Angestellten argumentiert man bereits so, wieder in die Industrie zu gehen, da sie sonst nichts von der Einführung des 7-Stunden-Tages hätten, während die Beschäftigten der Landwirtschaft die Einführung des 7-Stunden-Tages auf diesem Sektor überhaupt bezweifeln. Die Feindpropaganda befasst sich hauptsächlich damit, Zweifel über die Verwirklichung unter die Bevölkerung zu tragen. Feindtätigkeit zeigt sich im Anschmieren von faschistischen Symbolen sowie Beschädigen von Plakaten und Bildern.
Folgende negative und auf Unklarheiten beruhende Äußerungen wurden aus den einzelnen Bevölkerungsschichten bekannt:
Industrie- und Verkehrsbetriebe
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Ein Arbeiter aus dem BKW »John Schehr«,8 [Bezirk] Cottbus, äußerte, »dass es sehr gut ist, wenn nur noch sieben Stunden gearbeitet wird, aber hoffentlich bleibt es nun nicht nur eine leere Versprechung, wie es mit dem sogenannten ›höchsten Wohlstand‹ am Ende des Fünfjahrplanes 1955 gesagt worden ist«.9
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Ein Arbeiter aus dem Wasserwerk Halle erklärte: »Die reißen das große Maul auf mit dem Bau von Atomkraftwerken in der DDR und wir haben noch nicht einmal Käse zu essen. Vielleicht wollen wir mit dem Atomkraftwerk Käse herstellen?«
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Ein Teil der Arbeiter in der Brauerei sowie [in der] Maschinenfabrik Halle erklärt: »Man soll lieber noch zwei Jahre warten und dann in allen Zweigen gleichzeitig die 40-Stunden-Woche einführen. Es gibt in unseren Betrieben noch Facharbeiter, die schlecht bezahlt werden. Man soll zur Ausgleichung den Staatsfunktionären von ihrem Gehalt 25 % abziehen z. B. dem Dr. Nelles,10 der 23 000 DM Monatsgehalt haben soll.«
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Im VEB Volltuch Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, erklärten einige Arbeiter, »dass die Erhöhung der Renten auf 85,00 DM noch viel zu gering ist und das diese Maßnahme nur zur Beruhigung der Rentner dienen soll«.
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Im Brandenburger Traktorenwerk äußerte ein Dreher: »In der Zeitung schreibt man von Lohnerhöhung und in Wirklichkeit werden die Kollegen in den Betrieben zurück bzw. in niedrige Lohnstufen eingestuft.«
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Im Traktorenwerk Schönebeck sagte ein Kranführer, »dass anstelle der Erhöhung der Renten lieber Preissenkungen vorgenommen werden sollten«.
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Einige Technologen im »VEB 7. Oktober« Berlin11 erklärten: »Alles, was man in der Rede gehört hat, gilt nur dann, wenn alle Betriebe ihren Plan erfüllen, sei es der in Aussicht gestellte 7-Stunden-Tag oder die Erhöhung der Reallöhne. – Ob die Abschaffung der Lebensmittelkarten besser ist,12 bleibt abzuwarten. Die Preise werden dann wohl ansteigen, sodass die Lohnerhöhung draufgeht.«
Verwaltungs- und Handelsangestellte
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Beim Rat des Kreises Stadtroda, [Bezirk] Gera, brachten Angestellte zum Ausdruck, »dass sie lieber in der Industrie arbeiten wollten, da sonst für sie der 7-Stunden-Tag ja nicht infrage käme«.
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Beim Magistrat von Groß-Berlin, Org.-Instr.-Abteilung, erklärte ein Mitglied der SED, »dass viele Kollegen die Ausführungen auf der Parteikonferenz gar nicht verfolgen. Sie führen an, dass im Zusammenhang mit dem XX. Parteitag und der III. Parteikonferenz in der Presse so viel Material veröffentlicht wird, dass man gar nicht mehr weiß, was nun am dringendsten zu studieren ist und sie deshalb von vornherein kapitulieren.«
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Charakteristisch für große Teile der Angestellten im Handel ist die Meinung einiger Angestellter der Kreiskonsumgenossenschaft Rudolstadt Gera: »Der 7-Stunden-Tag ist in den Handelsorganen wohl erst in zehn Jahren zu realisieren, denn die Arbeiter und Angestellten im Handel müssen ja jetzt zum überwiegenden Teil zehn Stunden arbeiten, um die anfallenden Arbeiten zu erledigen und dafür erhalten sie nur einen niedrigen Lohn.«
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Im HO-Warenhaus Karl-Marx-Stadt erklärte ein Angestellter: »Hoffentlich versprechen sie nicht wieder so viel wie im ersten Fünfjahrplan, was dann nicht eingehalten wird.«
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In der HO Gröpern,13 Quedlinburg, [Bezirk] Halle, äußerte die Verkaufsstellenleiterin: »Ich bin neugierig, wie sich überhaupt die Maßnahmen staatlicher Handelsbetriebe mit privaten Handelsbetrieben auf der Basis 50 : 50 anlassen und belehren werden.14 Ich jedenfalls kenne mich in der gegenwärtigen Politik nicht mehr aus und komme nicht mehr mit.«
Landwirtschaft
In der Landwirtschaft sind die Stellungnahmen noch gering. Die Diskussionen über den 7-Stunden-Tag gleichen denen der Industrie im positiven Sinne und denen der Angestellten im Handel hinsichtlich der Zweifel über die Einführung des 7-Stunden-Tages. Vereinzelt wurden direkte negative Stellungnahmen bekannt. Im VEG Repten, [Kreis] Calau, [Bezirk] Cottbus, äußerte ein Arbeiter: »Was wird schon auf der III. Parteikonferenz herauskommen, da wird gesessen und gesessen und heraus kommt doch nichts Gescheites. Man will die Großbauern fertigmachen. Sollen sie doch das Futter den Bauern geben, als wie den LPG und VEG, die ludern sowieso alles herunter.« Ein Großbauer aus Lödla, [Kreis] Altenburg, [Bezirk] Leipzig, sagte: »Ja, was soll denn bei dieser Konferenz schon weiter herauskommen. Das ist ja schon alles fertig und übrigens können wir doch nicht machen was wir wollen. Es wird ja doch alles von den Russen bestimmt.«
Handwerker und Gewerbetreibende
Auch unter Gewerbetreibenden wurden Zweifel laut über die Verwirklichung der Einführung des 7-Stunden-Tages und die Erhöhung der Renten. Negativ äußerte sich ein Lebensmittelhändler aus Dresden der erklärte: »Es hört sich alles schön an, aber es sind Phrasen. Schon einmal hat Ulbricht vor Jahren darüber gesprochen, dass ein friedliches Nebeneinanderbestehen zwischen staatlichem, genossenschaftlichem und privatem Handel gewährleistet ist. Wir haben Beschaffungsschwierigkeiten, während bei HO und Konsum alles überlagert ist und so wird es auch in Zukunft sein. Man will uns zu Dienern unserer aufgebauten Existenz machen.«
Kirchliche Kreise
Kirchliche Kreise in Dessau, [Bezirk] Halle, äußerten Bedenken in der Hinsicht, »dass man mit der Einführung der 40-Stunden-Woche wahrscheinlich den Sonntag auf Wochentage verlegen wird, um den Kirchenanhängern die Möglichkeit zu nehmen, die Kirche zu besuchen«.
Feindtätigkeit
In der Nacht zum 25.3.1956 wurden von unbekannten Tätern vor dem Gemeindebüro in Schwerin, [Kreis] Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, eine rote Fahne entwendet und 15 Plakate beschädigt. Am 22.3.1956 haben unbekannte Täter im Kulturraum des VEB Landmaschinenbau Falkensee, [Kreis] Nauen, [Bezirk] Potsdam, ein Stalinbild beschädigt. Am 25.3.1956 wurden auf dem Gehweg [der] Fasanenallee in Bergfelde, [Kreis] Oranienburg, [Bezirk] Potsdam, fünf Hakenkreuze angeschmiert.