Reaktionen kirchenleitender Kreise auf einen ND-Artikel zu Brüsewitz
5. September 1976
Information Nr. 610/76 über Reaktionen in evangelischen kirchenleitenden Kreisen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Artikels zu Pfarrer Brüsewitz in »Neues Deutschland« vom 1. September 1976
In Ergänzung der Informationen Nr. 579/76 vom 19. August 1976, 583/76 vom 23. August 1976 und 603/76 vom 27. August 1976 wurden dem MfS intern weitere Einzelheiten zur Reaktion in Kirchenkreisen im Zusammenhang mit der Selbstverbrennung des Pfarrers Brüsewitz bekannt.
Besonders hervorzuheben ist, dass es gegenwärtig unter Pfarrern, Kirchenangestellten und leitenden Kirchenpersönlichkeiten der Evangelischen Kirchenprovinz Sachsen/Magdeburg zunehmend Reaktionen und Auseinandersetzungen über die Motive der Handlung von Brüsewitz und über den Inhalt des Artikels in »Neues Deutschland« vom 1. September 1976 gibt.1
Die Kirchenleitung der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen hat am 2. September 1976 in einer geschlossenen Sitzung beschlossen, als Antwort auf den Artikel in »Neues Deutschland«2 und in »Neue Zeit«3 eine Erklärung abzugeben. Diese Erklärung soll am 5. September 1976 als Kanzelabkündigung innerhalb der Kirchenprovinz Sachsen verlesen werden. Weiterhin sollen die Bischöfe in der DDR, die Redaktionen von »Neues Deutschland« und »Neue Zeit« diese Erklärung erhalten. Oberkirchenrat Meinhof, Magdeburg, hat noch während der Kirchenleitungssitzung in Magdeburg dem Vertreter des BRD-Fernsehens in der DDR, Loewe, von der bevorstehenden Erklärung Mitteilung gemacht.
Hauptinitiatoren der Erklärung sind die Oberkirchenräte der Kirchenleitung in Magdeburg, Schultze und Berger. (Die Erklärung der Kirchenleitung der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen ist als Anlage beigefügt.)
Die Haltung dieser Kirchenleitung zeichnete sich bereits im Verlauf einer Sitzung ab, die einen Tag nach der Beisetzung des Brüsewitz turnusmäßig stattfand und in der von Mitgliedern der Kirchenleitung zum Teil aggressive Forderungen in der Richtung erhoben wurden, die Kirchenleitung solle den Fall Brüsewitz dazu benutzen, gegen den Staat aufzutreten, um bestimmte Zugeständnisse des Staates im Bereich der Volksbildung zu erzwingen. Außerdem wurde die Forderung erhoben, einen Ausschuss der Kirchenleitung der Evangelischen Kirchenprovinz Sachsen/Magdeburg zu bilden, der sich mit dem Fall Brüsewitz in allen Einzelheiten befassen solle. Dieser Forderung wurde zugestimmt.
Dem Ausschuss wurde die Aufgabe gestellt, eine Erklärung, die an alle Pfarrer der evangelischen Kirche im Gebiet der DDR zu richten sei, zu erarbeiten. Eine zweite von diesem Ausschuss zu erarbeitende Erklärung solle dem Staatssekretär für Kirchenfragen zugeleitet werden.
Wie dem MfS weiter bekannt wurde, hat der von der Kirchenleitung Magdeburg gebildete Ausschuss mehrfach getagt. Es ist vorgesehen, dass die beiden zu erarbeitenden Erklärungen der Kirchenleitung am 9. September und 10. September 1976 vorgelegt werden. Es ist anzunehmen, dass die Erklärungen negative Aussagen gegenüber dem Staat enthalten werden, zumal sich im Ausschuss die Meinung durchgesetzt habe, der Staat betreibe »eine Politik der kleinen Nadelstiche gegenüber den christlichen Bürgern«.
In den Erklärungen sollen deshalb »Erschwernisse der Christen in der DDR« nachhaltig zum Ausdruck gebracht werden. In diesem Sinne wolle der Ausschuss alle bisherigen Ausarbeitungen und Veröffentlichungen zu diesem Problem (z. B. in Hirtenworten, Synodenberichten) sichten und z. T. dem Staat nochmals in Erinnerung bringen, um mit allem Nachdruck auf diese »Erschwernisse« hinzuweisen. Es solle in diesem Zusammenhang gleichzeitig zu einer Art Rechtfertigung der Politik der Kirchenleitung kommen, da nach Meinung von Kirchenleitungs- und Ausschussmitgliedern z. T. ein Misstrauensverhältnis zwischen Kirchenleitung, Konsistorium und Pfarrerschaft bestehe und zum Verhältnis Kirche – Staat keine übereinstimmenden und abgestimmten Meinungen durch Pfarrer und kirchenleitenden Persönlichkeiten – auch in der Öffentlichkeit – zum Ausdruck gebracht werden. Mit dem Wort an die Gemeinden und an den Staatssekretär solle versucht werden, dies richtigzustellen.
Weiter wurde festgestellt, dass Oberkirchenrat Dr. Schultze in Kirchenkreisen stark angegriffen wird. (Schultze hatte am 24. August 1976 dem ZDF in der Sendung »Kennzeichen D« ein Interview gegeben, in dem er sich u. a. von der Tat des Brüsewitz distanzierte und Widersprüche innerhalb der Kirchenleitung zu erkennen gab.)4 Von Mitgliedern der Kirchenleitung Magdeburg wurde betont, es sei zweckmäßig, öffentliche Erklärungen aus der Pfarrerschaft vorher mit der Kirchenleitung abzustimmen, wobei Schultze vorgeworfen wird, ohne Zustimmung der Kirchenleitung gehandelt zu haben. Da sich Schultze nicht im Sinne der ersten Stellungnahme der Kirchenleitung geäußert habe, könne daraus auf ein Missverständnis zwischen Pfarrerschaft und Kirchenleitung geschlossen werden. Von Mitgliedern der Kirchenleitung wurde Schultze unterstellt, »zu positiv« gesprochen und damit der Kirche einen schlechten Dienst erwiesen zu haben.5
Kirchenrat Berger habe betont: »Schultze kommt dadurch immer mehr in den Beschuss von Würdenträgern. Es wird noch zu einer Art Kesseltreiben gegen Schultze kommen.« Berger habe hervorgehoben, der Artikel im ND habe vielen Leuten »Wasser auf die Mühle« gegeben; man müsse ihn als eine »Schweinerei« einschätzen, und die Kirchenleitung müsse die Forderung erheben, dass er dementiert wird. Jetzt müsste die Kirche das machen, was eigentlich vermieden werden sollte, nämlich massiv auftreten. Wenn dies in der DDR nicht möglich sei, dann müsse es »über den Westen« geschehen. Es wäre für die Kirchenleitung Magdeburg leichter, wenn sich der Bund, insbesondere Bischof Schönherr, zum Vorkommnis geäußert hätte.
Bischof Krusche kam am 1. September 1976 von seinem dienstlichen Auslandsaufenthalt zurück und betonte, zunächst sollten sich die Bischöfe in der DDR eine einheitliche Meinung bilden. Zu diesem Zweck sollen die evangelischen Bischöfe der DDR am 5. September 1976 in Potsdam zu einer internen Beratung über den Fall Brüsewitz zusammenkommen. Die Teilnahme erfolgt auf freiwilliger Basis, wobei die Zusammenkunft gleichzeitig vorbereitenden Gesprächen für die Konferenz der Kirchenleitung, die am 10./11. September 1976 in Berlin stattfinden soll, dient.
Weiter wurde intern bekannt, dass am 1. September 1976 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, der »Rat der Evangelischen Kirche der Union der DDR«6 (EKU-DDR) zu einer Sitzung zusammenkam. An der Sitzung haben ca. 25 Personen teilgenommen, unter ihnen fünf leitende Geistliche aus der BRD und Westberlin:
Bischof Scharf (Westberlin), Präses Immer (Düsseldorf), Präses Thimme (Bielefeld), Oberkonsistorialrat Knaut (Kirchenkanzlei der EKU-WB), Propst Dittmann (Westberlin) und Henkys vom EPD in Westberlin. (Die Einreise der drei Erstgenannten erfolgte vor dem Wirksamwerden spezieller Maßnahmen zur Entscheidung der Einreise leitender klerikaler Personen der evangelischen Kirche in der BRD und Westberlin.)
Aus der DDR waren die Bischöfe Krusche (Magdeburg), Fränkel (Görlitz), Gienke (Greifswald) und Kirchenpräsident Natho sowie weitere leitende Kirchenführer der Landeskirchen Magdeburg und Berlin-Brandenburg anwesend.
Oberkonsistorialrat Schultze/Magdeburg gab zu Beginn der Sitzung einen Bericht über die Selbstverbrennung des Brüsewitz. Der Bericht, der in einer sachlichen Form vorgetragen wurde, enthielt im Wesentlichen die in der ersten Erklärung der Kirchenleitung Magdeburg wiedergegebenen Fakten. Es wurde besonders hervorgehoben, Staatssekretär Seigewasser habe im Gespräch mit Propst Bäumer eine Distanzierung der Kirchenleitung von der Tat und der Person Brüsewitz verlangt.
Schultze ging weiter auf die Presseveröffentlichungen zu Brüsewitz ein und betonte, sie würden für die Kirchenleitung eine Härte bedeuten.
An Schultze wurden im Anschluss Anfragen gestellt, die sich auf Einzelheiten der Tat und der Person des Brüsewitz beschränkten. Daraufhin wurden den Mitgliedern vorbereitete schriftliche Unterlagen zur Einsichtnahme ausgehändigt. Es handelt sich dabei um
- –
eine Schnellinformation des Sekretariates des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR an die Mitglieder der Konferenz der Kirchenleitung, an die Mitglieder der Synode des Bundes und an die Gliedkirchen,7
- –
den Lebenslauf von Brüsewitz, vorgetragen bei der Beisetzung,8
- –
den Brief des Brüsewitz an den Pfarrkonvent des Kirchenkreises Zeitz vom 18. August 1976,
- –
die Ansprache des Propst Bäumer bei der Trauerfeier,9
- –
das Wort der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen an die Gemeinde vom 21. August 1976,10
- –
den Brief des Generalsekretärs Potter an die Kirchenleitung in Magdeburg,
- –
das Kommuniqué über die Sitzung des Rates der EKD vom 28. August 1976.11
(Die Schnellinformation ist als Anlage beigefügt. Die übrigen Materialien sind bekannt und können bei Bedarf übergeben werden.)
Bischof Fränkel (Görlitz) stellte an Schultze die provokatorische Frage, »ob er denn vom Staatssekretär, Genossen Seigewasser, die Psycho-Diagnose von Pfarrer Brüsewitz verlangt« habe. Schultze verneinte das.
Bischof Krusche (Magdeburg) verhielt sich während dieser Sitzung sehr zurückhaltend.
An die Mitglieder des Rates der EKD, die daran teilnahmen, Bischof Scharf und Immer, wurden Fragen zur Veröffentlichung der Erklärung der EKD über den Fall Brüsewitz gestellt.
Einige Teilnehmer äußerten in diesem Zusammenhang starke Bedenken, die von beiden Mitgliedern der EKD zustimmend bekundet wurden. Den Mitgliedern des Rates der EKD wurde vor allem der Vorwurf der Nichtkonsultation gemacht.
Über diese Sitzung wurde kein Beschluss gefasst, weil diese Besprechung in Vorbereitung der Konferenz der Kirchenleitung, die am 10./11. September 1976 stattfindet, gedacht war.
Diese Information ist wegen Quellengefährdung streng vertraulich zu behandeln und ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage 1 zur Information 610/76
Wortlaut der Erklärung der Kirchenleitung der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen (Magdeburg)
An die Redaktion des »ND« und der »Neuen Zeit«
14 Tage nach den tragischen Ereignissen, eine Woche nach dem Tod des Pastors Brüsewitz ist deutlich, auf welche Weise die Selbstverbrennung unseres Bruders Brüsewitz in den Zeitungen, der Presse und des Fernsehens aufgenommen worden ist. In der Bundesrepublik Deutschland steht, soweit uns bekannt geworden ist, eine Berichterstattung, die sich gegen die DDR richtet, und der Versuch, aus Pastor Brüsewitz einen politischen Märtyrer zu machen. In den Zeitungen der DDR ist Pfarrer Brüsewitz von Anfang an als ein nicht zurechnungsfähiger Mensch dargestellt worden. Wir haben dazu von Anfang an in einem Wort vom 21. August 1976 Stellung genommen. Die Kommentare im »ND« und in der »Neuen Zeit« vom 31. August 1976 zwingen uns zu einer Erwiderung. Die dort gegebene Darstellung der Person und des Lebenslaufes besteht aus Fakten, Gerüchten und freien Erfindungen. Im Rahmen dieser Gegendarstellung können wir nur auf einige Dinge beispielsweise eingehen.
Der 1929 in Wischwill/Litauen geborene Pfarrer Brüsewitz kam nach kurzer sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945 als 16-Jähriger in Burgstädt (Sachsen im jetzigen Bezirk Karl-Marx-Stadt) an. Dort erlernte er vom 5. November 1945 bis 5. November 1947 in einem ordentlichen Lehrverhältnis das Schuhmacherhandwerk. In einer Zeit, in der Umzüge zwischen den verschiedenen Besatzungszonen üblich waren, zog die Familie mit dem noch minderjährigen Sohn nach Osnabrück. Im Juli 1951 legte er die Meisterprüfung im Schusterhandwerk ab. Nach einer gescheiterten Ehe, die in der BRD geschieden wurde, übersiedelte er in die DDR. Seit Januar 1955 arbeitete er zuerst in Weißenfels und dann nach einem besuchsweisen Aufenthalt in der BRD vom 1. November 1955 als selbstständiger Handwerksmeister in Markkleeberg bei Leipzig. Dort heiratete er 1955 und zog 1956 mit seiner Familie nach Weißensee im Bezirk Erfurt, wo er in seinem Beruf tätig blieb, bis er sich 1964 zu einer kirchlichen Ausbildung entschloss. Nach dem Abschluss dieser Ausbildung und einer ordentlichen Prüfung wurde er 1970 als Pfarrer unserer Kirche eingestellt.
Die im »ND« gegebene abwertende Darstellung des Bildungsweges eines in den Wirren der Nachkriegszeit Aufgewachsenen vom Handwerker zum Gemeindepfarrer ist uns unverständlich. Das Bild, das die Kommentare vom pfarramtlichen Dienst von Pfarrer Brüsewitz zeigen, ist eine bösartige Karikatur. Über seine eigentliche Tätigkeit als Pfarrer wird so gut wie nichts berichtet. Stattdessen werden dem Leser nur einzelne verzerrte Vorkommnisse vorgesetzt. So wird behauptet, Brüsewitz soll bei einem Fußballspiel weniger angehabt haben als eine Unterhose (»ND«) bzw. in Unterhose gespielt haben (»Neue Zeit«). Wahrheit ist, dass er dabei zwar ohne Jacke, aber sonst normal angezogen gewesen ist. Andere der missverständlichen Meldungen resultieren daraus, dass Pfarrer Brüsewitz um die Pfarrländereien der Kirche [zu bestellen], zusätzlich zu seinen sonstigen Aufgaben landwirtschaftlich tätig war. Er war daher in der Lage, Tiere an andere zu verschenken. In einer Zeit, da ihm weder Maschinen noch Hilfskräfte zur Verfügung standen, hat er in der Tat mit seinem Trabant sein Feld geeggt. Unwahr ist die Behauptung, er habe mit seinem Trabant ein Feld gepflügt. Fest steht, dass er nach dem Erwerb eines Pferdes bei einer Fahrt in die Stadt an seinem Fuhrwerk die Losung angebracht hatte: Ohne Regen, ohne Gott geht die ganze Welt bankrott. Wenn er mit ungewöhnlichen Aktionen gelegentlich aufgefallen ist, kann damit doch nicht das Ganze seines Dienstes beschrieben sein. Im Trauergottesdienst wurde gesagt, mit seinem ganzen Eifer habe er sich in der Gemeinde seines Pfarrsprengels eingesetzt. Geschickt und selbst zupackend [habe er] seine Bauten instand gesetzt, mit ständig neuen Einfällen Kinder und Jugendliche angesteckt, mit größter persönlicher Opferbereitschaft denen nachgehend, die er in der Not wusste, hat er zusammen mit seiner Familie Dienst getan.
In den genannten Kommentaren wird der Versuch unternommen, Pfarrer Brüsewitz als Geisteskranken abzustempeln. Schon einmal in einer Meldung des ADN vom 21. August 1976 war Ähnliches behauptet worden. Man hatte sich dabei auf Äußerungen von Mitgliedern der Kirchenleitung und des Kirchenkreises Zeitz berufen. Dem war die Kirchenleitung in dem Wort an die Gemeinden vom 21. August 1976 mit dem Hinweis entgegengetreten, dass diese Äußerungen sinnentstellt wiedergegeben worden seien (Vergleich »Neue Zeit« vom 21. August 1976). Und trotzdem erweckt der Kommentar den Eindruck, als habe auch OKR Dr. Schultze Pfarrer Brüsewitz für krank erklärt. Dr. Schultze hat vielmehr in einem dort herangezogenen Interview des ZDF ausdrücklich festgestellt, »dass Pfarrer Brüsewitz ganz sicher kein Mensch mit Wahnvorstellungen gewesen sei und dass er sich seine wichtigen Aktionen genau überlegt habe«.
Wir bestreiten nicht, dass von mancher Seite die Frage gestellt worden ist, ob diese Aktionen normal seien. Die Kirchenleitung hat nach sorgfältiger Prüfung Pfarrer Brüsewitz nicht für anormal halten können. Vertreter der Kirchenleitung haben sich wiederholt mit ihm über seine Vorfälle unterhalten. Aufgrund der schwierigen Situation für Pfarrer Brüsewitz im Kreis Zeitz, die seit längerer Zeit entstanden war, und die zunehmende Kritik, die auch häufiger vonseiten der Gemeindeglieder geäußert war, hatte schließlich die Kirchenleitung Pfarrer Brüsewitz empfohlen, sich um eine neue Pfarrstelle zu bewerben. Mit einer disziplinarischen Maßnahme haben diese Empfehlungen nichts zu tun. Die Kirchenleitung muss sich ausdrücklich dagegen verwahren, dass durch den Aufbau der Kommentare und die Herausnahme von halben und ganzen Texten, die aus dem Zusammenhang herausgerissen werden, der Eindruck erweckt werden soll, die Kirchenleitung habe sich von Pfarrer Brüsewitz losgesagt. Was bei dem Trauergottesdienst am 26. August 1976 gesagt worden war, gilt. Wir distanzieren uns von dem Menschen und Bruder Brüsewitz nicht. Wir entziehen uns auch nicht der Anfrage, die Pfarrer Brüsewitz mit seinem Handeln an uns stellen wollte.
Die Kirchenleitung weiß um konkrete Nöte junger Menschen und hat dieses vor staatlichen Stellen immer wieder ausgesprochen. Mit ihrem Wort an die Gemeinden vom 9. März 1975 zu Fragen auf dem Bildungssektor wollte sie helfen, solche Schwierigkeiten zu überwinden. Wir können es auch nicht unwidersprochen hinnehmen, dass im »Neuen Deutschland« vom 31. August 1976 von der Bösartigkeit westdeutscher Kirchenfürsten gesprochen wird. Leitende Persönlichkeiten der evangelischen Kirche und Mitarbeiter des Evangelischen Pressedienstes sind ausdrücklich einem politischen Missbrauch der Vorgänge in Zeitz entgegengetreten. Die Art und Weise, mit der das Wort der Kirchenleitung an die Kirchengemeinden von der »Neuen Zeit« benutzt wird, anstehende dringende Fragen zu bagatellisieren, hilft nicht weiter.
Einschub: Vor diesem Satz nach dem Wort entgegenzutreten kommt noch folgender Satz: Gegen die beiden Kommentare im »Neuen Deutschland« und der »Neuen Zeit« protestieren wir. Beschämend stellen wir fest, wie die Würde eines Menschen und das Ansehen seines Todes verletzt wird. (Sollte ein Zitat des § 137 bzw. 138 aus dem StGB darstellen.)
Solche Praktiken stören alle Bemühungen bei der Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Kirche und Staat. Wir erwarten, dass unsere Stellungnahme ungekürzt in Ihren beiden Zeitungen veröffentlicht wird.12
Anlage 2 zur Information Nr. 610/76
Abschrift
Schnellinformation des Sekretariats [des BEK]
Bund der evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik/ Sekretariat 2502–1117/76/ 104 Berlin, den 30. August 1976/ Auguststraße 80/ Tel.: 282 5186/Vo-J/ An die Mitglieder der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen, Mitglieder der Synode des Bundes, Ephoren in den Gliedkirchen
Liebe Schwestern! Liebe Brüder!
Die öffentliche Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz am 18. August 1976 auf dem Marktplatz in Zeitz hat uns alle bewegt. Pfarrer Brüsewitz ist am 22. August seinen schweren Verletzungen erlegen und wurde am 26. August in seiner Heimatgemeinde Droßdorf-Rippicha beigesetzt. Die Trauerfeier hielt der amtierende Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Propst Bäumer. An der Beisetzung nahmen rund 400 Personen, darunter etwa 200 Pfarrer sowohl aus dem Kirchenkreis Zeitz und der Kirchenprovinz Sachsen als auch aus anderen Landeskirchen teil. Der Kirchenbund war durch den Präses der Synode, Landessuperintendent Schröder, den Leiter des Sekretariats, Oberkonsistorialrat Stolpe, und den mit der Verbindung zur Kirchenprovinz Sachsen beauftragten Referenten, Oberkonsistorialrat Dr. von Rabenau vertreten.
Der demonstrative Freitod von Pfarrer Brüsewitz hat eine Reihe von Fragen aufkommen lassen, die uns noch weiter bewegen werden. Da die Ereignisse in der Öffentlichkeit z. T. nur spärlich, z. T. verzerrt wiedergegeben wurden, senden wir Ihnen hiermit zur Information in dieser Sache:
- –
Lebenslauf des Pfarrers Brüsewitz, vorgetragen bei der Beerdigung,
- –
Brief des Pfarrers Brüsewitz an den Pfarrkonvent des Kirchenkreises Zeitz vom 18. August,
- –
Ansprache Propst Bäumer,
- –
Wort der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen an die Gemeinden vom 21. August 1976,
- –
Brief des Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen Dr. Philip Potter an die Kirchenleitung der Kirchenprovinz vom 24. August 1976.
Sofern Sie beabsichtigen, die Ereignisse z. B. in Ihren Konventen zu besprechen, steht Ihnen auf Abruf ein Referent des Sekretariats als Gesprächspartner zur Verfügung.
Stolpe, Leiter des Sekretariats/ Borgmann, Presse und Information