Bevölkerungsreaktionen anlässlich des X. Parteitages der SED (2)
12. April 1981
Hinweise zur Reaktion der Bevölkerung der DDR [Bericht O/96b]
Nach vorliegenden Hinweisen aus den Bezirken und der Hauptstadt der DDR wird der X. Parteitag der SED von allen progressiven Bürgern als herausragendes politisches Ereignis gewertet, das für die weitere Entwicklung der DDR von großer Bedeutung ist.
Ersten Meinungsäußerungen zufolge wurde die Eröffnung des Parteitages, insbesondere jedoch die Rede des Genossen Honecker, von zahlreichen Bürgern im Rundfunk bzw. Fernsehen aufmerksam verfolgt.
Mehrfach wurde die sachliche und klare Sprache hervorgehoben, in der der Rechenschaftsbericht gegeben wurde.1
Im Anschluss daran geführte Gespräche machen deutlich, dass vor allem den Ausführungen zur Beibehaltung des Kurses im Kampf um Frieden und Abrüstung voll zugestimmt wird. Im Zusammenhang damit werden der Kurs der Konfrontation, die unverhüllten Kriegsvorbereitungen der aggressiven Kreise des Imperialismus und die Hochrüstungspolitik der NATO abgelehnt. Begrüßt werden besonders die Passagen des Berichtes, in denen das Aktionsprogramm für den Frieden, das Genosse Breschnew auf dem XXVI. Parteitag der KPdSU unterbreitete, unterstützt wird.2 In den dazu geführten Diskussionen wird betont, dass von allen sozialistischen Ländern Anstrengungen notwendig sind, um die Gefahr eines Krieges abzuwenden. In einigen Fällen wurde in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, welche Konsequenzen diese Erkenntnisse für die sozialistischen Länder, speziell auch für die DDR, nach sich ziehen würden.
In vielen Äußerungen zu den Darlegungen über die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten fand insbesondere auch die Feststellung Zustimmung, nicht nur »gesamtdeutsche« Sprüche zu klopfen, sondern auf Frieden und gutnachbarliche Beziehungen gerichtete Taten vorzuweisen.
Weiteren ersten Hinweisen zufolge fanden besonders auch Aussagen im Bericht des Genossen Honecker zur Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik Beachtung.
Besonders die Kreise der Bevölkerung, die vor dem Parteitag mit bestimmten Erwartungshaltungen auf dem Gebiet der Sozialleistungen, Renten, Gehälter u. a. in Erscheinung getreten waren, verfolgten die betreffenden Abschnitte der Rede des Genossen Honecker offensichtlich mit großer Aufmerksamkeit.
Zum Teil wurde eine gewisse Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass sich »ihre Wünsche nicht erfüllt hätten«. In Einzelfällen wurde geäußert, dass aber auch noch im Anschluss an den Parteitag durch zentrale Organe Festlegungen in Richtung ihrer Erwartungen erfolgen könnten und daher abgewartet werden müsse.
Andere Meinungsäußerungen beinhalten, die Ausführungen des Genossen Honecker zu den Arbeits- und Lebensbedingungen in der DDR seien von einem sachlichen und realen Standpunkt aus vorgetragen worden. Dadurch werde auch klarer, dass die Bevölkerung nicht mehr beanspruchen könne als an Arbeitsleistungen erbracht werde.
Wie aus ersten Reaktionen unter Wirtschaftswissenschaftlern bekannt wurde, findet die entwickelte Wirtschaftsstrategie der Partei für die 80er Jahre und das anspruchsvolle 10-Punkte-Programm großes Interesse.3
Aus weiter vorliegenden Einzeläußerungen zum Bericht an den X. Parteitag wird deutlich, dass die DDR eine Reihe ökonomischer Schwierigkeiten habe, sodass an weitere sozialpolitische Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung in den nächsten Jahren nicht gedacht werden könne. Die DDR habe an den von den vorhergehenden Parteitagen beschlossenen Maßnahmen »sowieso noch jahrelang zu kauen«.
Im Zusammenhang mit den Darlegungen zur Preispolitik äußerten sich Bürger verschiedentlich dahingehend, dass sie mit einer klaren Stellungnahme zu vorhandenen Problemen gerechnet hätten, wobei zum Teil betont wurde, dass »wir es nicht nötig hätten, unsere noch vorhandenen Schwächen und Mängel zu ummanteln«.
In Einzelfällen äußerten sich Bürger in dem Sinne, es sei zwar »eine lange Rede gehalten« worden, aber »etwas Neues« beinhalte sie nicht.
Vereinzelt tauchte die Frage auf, warum die Delegationen der Bruderparteien nicht von den Generalsekretären bzw. 1. Sekretären geleitet würden (z. T. mit Hinweis auf die Teilnahme des Genossen Breschnew am Parteitag der KPTsch).
Nach bisherigen Feststellungen verhalten sich gegenwärtig Personen, die in OV bearbeitet werden, unter operativer Personenkontrolle stehen, in der Vergangenheit operativ angefallen sind oder zu operativ interessierenden Personenkreisen gehören, sowohl im Zusammenhang mit dem X. Parteitag der SED als auch der Situation in der VR Polen überwiegend zurückhaltend. Es wurden Äußerungen aus diesen Kreisen bekannt, wonach man den Gesamtverlauf des Parteitages abwarten müsse, um sich ein Urteil über seine Ergebnisse bilden zu können.