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Stadtjugendsonntag der Sophienkirche in Berlin

26. Oktober 1981
Information Nr. 528/81 über den sogenannten Stadtjugendsonntag der Evangelischen Kirche am 11. Oktober 1981 in der Hauptstadt der DDR, Berlin

Am 11. Oktober 1981, in der Zeit von 14.00 bis 18.30 Uhr, wurde auf dem Gelände der Sophienkirche in der Hauptstadt der DDR, Berlin, Große Hamburger Straße, der sogenannte Stadtjugendsonntag durchgeführt.

Daran nahmen ca. 1 500 Jugendliche im Alter von 16 bis 22 Jahren aus den Gemeinden der Landeskirche Berlin-Brandenburg (Hauptstadt Berlin, Bezirke Frankfurt/O., Potsdam, Neubrandenburg) teil.

Organisator dieser Veranstaltung war das evangelische Stadtjugendpfarramt Berlin.

Für die inhaltliche Gestaltung des »Stadtjugendsonntages«, der unter dem Thema »Hoffnungslos!« stand, zeichneten der Stadtjugendpfarrer Passauer1 und der Stadtjugendwart [Name] verantwortlich.

Das Programm lief im Wechsel von Spielszenen und Liedern ab. Unter dem Leitmotiv »Hoffnungslos!« wurde der Versuch unternommen aufzuzeigen, wie angeblich junge Christen in der DDR ihr Leben gestalten können. Es wurde ein verzerrtes, trostloses Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der DDR widergespiegelt und dazu aufgerufen, durch den Glauben an Gott diese »Hoffnungslosigkeit« zu überwinden (z. B. im Liedtext sichtbar: »Hängt man uns auch um den Hals die Schlinge, dennoch tanzen wir …«).

Offene provokatorische Aussagen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR wurden vermieden.

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Generalsuperintendent Grünbaum,2 Berlin, ohne Namensnennung vier Gäste aus Hamburg/BRD. Diese äußerten sich im weiteren Verlauf u. a. dahingehend, auf die Wiedervereinigung Deutschlands zu hoffen und die Bürger der DDR zu bedauern, weil diese es schwieriger hätten, etwas »für den Frieden zu tun«, als die Bürger in der BRD. (Die Äußerungen dieser Personen wurden von anwesenden DDR-Bürgern mit Beifall aufgenommen.)

Als Gäste traten weiter drei namentlich nicht bekannte polnische Jugendliche mit einem rein religiösen Lied auf. Der Moderator des Programmes kommentierte diesen Auftritt wie folgt: »Wir hoffen, dass die Oder-Neiße-Grenze immer eine Friedensgrenze bleibt und es keinen Krieg zwischen uns Nachbarn gibt. Wir hoffen für alle, die in Polen für ein besseres Leben kämpfen.« (Es wurde zu Lebensmittelspenden für die Bevölkerung in der VR Polen aufgerufen.)3

Eine »Fürbitte« war den inhaftierten Personen Teßmann und Hübener gewidmet,4 gegen die im August 1981 durch das MfS Ermittlungsverfahren gemäß § 106 StGB – staatsfeindliche Hetze5 – eingeleitet worden waren, weil sie versuchten, Hetzmaterialien aus der VR Polen in die DDR einzuschleusen.

Der Text der »Fürbitte« wurde auf Handzetteln unter den Gästen des »Stadtjugendsonntages« verteilt (siehe Anlage). Gleichermaßen auch ca. 150 Ormig-Abzüge6 der »Verordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR über die Aufstellung von Baueinheiten im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung«7. Der Aufruf zum »Sozialen Friedensdienst«8 lag in einem Exemplar zur Einsichtnahme aus.

Wie bei ähnlichen Veranstaltungen in der Vergangenheit wurden Plaketten und Poster mit dem Text »Frieden schaffen ohne Waffen« zum Verkauf angeboten.

In der Sakristei der Sophienkirche wurde die Ausstellung »Informationsstraße Schalom« zur Geschichte des jüdischen Volkes gezeigt. Die Ausstellung trug einen progressiven Charakter, insbesondere durch die Darstellung der Verbrechen der Faschisten gegenüber jüdischen Bürgern und dem jüdischen Widerstandskampf.

Während der gesamten Veranstaltung war die Buchhandlung des Jungmännerwerkes in der Sophienstraße geöffnet.

Allen Teilnehmern des »Stadtjugendsonntages« war die Möglichkeit eingeräumt, Einzelgespräche mit kirchlichen Seelsorgern im Gemeindehaus und in einer Privatwohnung in der Sophienstraße 2 durchzuführen.

Vorliegenden Informationen zufolge fanden sowohl die jugendgemäße Gestaltung des Programms des »Stadtjugendsonntages« mit dem Auftreten der Musikformation »Solaris« der Offenbarungsgemeinde Berlin-Friedrichshain, als auch die darüber hinausgehenden Angebote der Veranstaltung die Zustimmung der anwesenden Gäste.

Die Mehrzahl der Teilnehmer war ordentlich und sauber gekleidet; sogenannte Tramper wurden nur in geringer Anzahl festgestellt.

Während des An- und Abmarsches gab es keine Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.

Anlage zur Information Nr. 528/81

Fürbitte

– Zum innerkirchlichen Dienstgebrauch –

Seit dem 7. August 1981, befinden sich unsere Brüder in Jesus Christus Klaus Teßmann und Eckart Hübener in Untersuchungshaft in Berlin. Sie befanden sich auf der Rückkehr von einer Urlaubsreise nach der VR Polen.

Klaus Teßmann ist 30 Jahre alt, Vater von zwei Kindern und Facharbeiter für Datenverarbeitung in Berlin.

Eckart Hübener ist 28 Jahre alt, beendete am Evangelischen Sprachenkonvikt Berlin sein Theologiestudium und soll am 1. September 1981 seinen Dienst als Vikar in Schwerin beginnen.

Sie sind beide aktive Gemeindemitglieder der Evangelischen Studentengemeinde Berlin und engagierten sich besonders in der Friedensarbeit.

Wir rufen zur Fürbitte für unsere Brüder und ihre Angehörigen. Wir beten dafür, dass Klaus Teßmann und Eckart Hübener bald wieder unter uns sind.

Wir beten für ihre körperliche und geistliche Stärke.

Vater unser …

  1. Zum nächsten Dokument Pläne der Landeskirchen zur Durchführung der Friedensdekade 1981

    27. Oktober 1981
    Information Nr. 541/81 über Pläne und Absichten der Evangelischen Kirchen in der DDR im Zusammenhang mit der Durchführung einer sogenannten Friedensdekade vom 8. bis 18. November 1981

  2. Zum vorherigen Dokument Treffen Richard von Weizsäckers mit Manfred Stolpe in Potsdam

    26. Oktober 1981
    Information Nr. 527/81 über den Aufenthalt des Regierenden Bürgermeisters von Westberlin, Freiherr von Weizsäcker, Richard, am 11. Oktober 1981 in Potsdam