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Stimmung zu Prämienfragen (6)

17. September 1956
Information Nr. 209/56 – Betrifft: Stimmung zu Prämienfragen (6. Bericht)

In der Zeit vom 9.8.1956 bis 13.9.1956 wurden wiederum in einer Reihe von Industrie- und Verkehrsbetrieben unzufriedene Diskussionen über das Prämiensystem bekannt. Im Besonderen wurden die Diskussionen zu folgenden Fragen geführt:

  • 1.)

    Auszahlung von Quartalsprämien

  • 2.)

    Treueprämien1

  • 3.)

    Sonderprämien

1.) Auszahlung von Quartalsprämien

Wie schon mehrfach berichtet, löst die Auszahlung von Quartalsprämien unter den Produktionsarbeitern in den verschiedensten Industriebetrieben große Unzufriedenheit aus. Die Unzufriedenheit richtet sich besonders dagegen, dass Wirtschaftsfunktionäre und Angestellte in den Genuss von hohen Prämien kommen, wogegen die Produktionsarbeiter nur mit geringen Mitteln bedacht werden. Die Unzufriedenheiten werden auch von einem Teil von Genossen zum Ausdruck gebracht, welche die politische Argumentation ablehnen.

Hierzu muss bemerkt werden, dass die Arbeiter nicht konsequent gegen eine Prämierung sind, sie können nur nicht verstehen, weshalb die Prämien so hoch sind und ein so großer Unterschied zwischen den Arbeitern und den Angestellten gemacht wird.

In der Elbewerft Boizenburg, [Kreis] Hagenow, [Bezirk] Schwerin, ist zu verzeichnen, dass in fast allen Gewerken eine negative Stimmung zur Auszahlung der KVO-Prämien an leitende Funktionäre des Betriebes vorhanden ist. Arbeiter des Betriebes vertreten die Meinung, dass es leitende Angestellte im Betrieb gibt, die nicht so gearbeitet haben, wie es hätte sein müssen und dass deshalb die Prämien auch differenziert werden müssen. So brachten ein Schichtmeister, ein Brigadier und ein Arbeiter folgende Meinung zum Ausdruck: »Wenn man die Prämien richtig differenziert hätte, wäre alles halb so schlimm. Bei der Produktionsumstellung hatten wir Wartezeiten und weniger Lohn, das Gehalt der Angestellten blieb gleich. Wir werden nach Leistung bezahlt, bei den Funktionären war die Prämie im Durchschnitt 150 % vom Monatslohn.« Im Gewerk Schiffbau desselben Betriebes diskutierten die Beschäftigten in der Form, dass sie sagten: »Am Todestag Ernst Thälmanns werden die Prämien ausgezahlt, jedoch hat Ernst Thälmann für solche Unterschiede nicht gekämpft.«2

Im VEB Dachsteinwerk Kodersdorf,3 [Kreis] Niesky, [Bezirk] Dresden, brachten die parteilosen Arbeiter zum Ausdruck, »dass die Prämienzahlung gut und schön ist, aber die Höhe der Auszahlung nicht richtig gehandhabt wird«. Die Arbeiter sind der Meinung, dass die Betriebsleitung etwas mehr bekommen soll, dies dürfte jedoch nicht mehr als 50 % eines Gehaltes sein. So würde etwas mehr Prämiengeld für die Arbeiter übrig bleiben.

Ein Arbeiter von dem Landmaschinenbetrieb VEB Kyffhäuserhütte Artern erklärte: »Die Werte, die wir Arbeiter schaffen, dafür erhalten jedes viertel Jahr die Meister und die wissenschaftlich-technische Intelligenz die Prämien. Der Arbeiter an der Werkbank, der gute Leistungen vollbracht hat, bekommt 20,00 DM oder es wird eine Kollektivprämie ausgezahlt und der Arbeiter erhält 2,00 bis 5,00 DM.« Von vier bestellten Reparaturschlossern erschien an einem Sonntag nur einer, sodass die vorgesehenen Arbeiten nicht durchgeführt werden konnten. Die anderen Schlosser blieben mit der Begründung weg, »dass die arbeiten sollen, die auch die hohen Prämien erhalten«.

Im VEB Simson-Werk Suhl wurde festgestellt, dass selbst die Funktionäre unserer Partei und der Gewerkschaft sich nicht mehr von den Arbeitern distanzieren, die gegen die Prämien auftreten. Sie haben nicht mehr die überzeugenden Argumente, um den Diskussionen standzuhalten. So sagte ein Mitglied der BGL: »Quartalsprämien werden immer größer, die Wettbewerbsprämien werden infolge größerer Beteiligung immer kleiner. Mit dieser Ungerechtigkeit muss Schluss gemacht werden.« Ein Parteileitungsmitglied des Simson-Werkes Suhl erklärte: »Ich lasse mir nichts mehr vormachen. Unsere Kollegen regen sich mit Recht über die immer größer werdenden Quartalsprämien der Wirtschaftsfunktionäre auf. Der gesellschaftliche Einsatz dieser Funktionäre wächst nicht mit ihrem Einkommen. Von den Arbeitern aber verlangt man immer mehr.«

Im VEB Zwirnereimaschinenbau Karl-Marx-Stadt wird sehr negativ diskutiert, da 86 Angehörige der technischen Intelligenz 106 000 DM KVO-Prämien und an 180 Produktionsarbeiter nur 4 260 DM Prämien gezahlt würden.

Im VEB Feuerungsbau Greiz-Dölau, [Bezirk] Gera, äußerte ein Mitglied der SED Folgendes: »Geht mir weg mit den Prämien. Ich habe mir als Genosse etwas anderes unter einem Arbeiter- und Bauernstaat vorgestellt. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn, aber was hier gemacht wird, nimmt einem ja die Arbeitsfreudigkeit.« Vom gleichen Betrieb liegt folgendes Verhältnis der Prämienzahlung vor: 1 200 Arbeiter im Jahr – 22 000 DM; 120 Angestellte im Quartal – 73 000 DM

Im VEB Schaltgerüstbau Spremberg, [Kreis] Zossen, [Bezirk] Potsdam, wurden in den letzten Tagen an die Angestellten Prämien im Gesamtwert von 43 000 DM ausgezahlt. Den Arbeitern dagegen wurde von der Betriebsleitung erklärt, sie müssten erst in einen Wettbewerb treten, um eine Prämie zu bekommen. Darüber waren die Arbeiter sehr verbittert.

Ein Arbeiter aus dem VEB Stahlbau Niesky, [Bezirk] Dresden, sagte: »Wenn wir mal 400 DM im Monat verdienen, kann man damit rechnen, dass am nächsten Tag der TAN-Arbeiter mit der Stoppuhr erscheint.4 Wenn die Angestellten jedes viertel Jahr über 1 000 DM auf Kosten unserer Knochen verdientes Geld nach Hause schleppen, dann sagt niemand etwas.« Der Leiter der Abteilung Arbeit sagt zu diesen Diskussionen: »Ich bin nicht dafür, dass unsere Regierung das Gesetz so belässt, denn meiner Ansicht nach ist das zu viel Geld, was wir da bekommen. Ich werde einen entsprechenden Vorschlag an das ZK einreichen. Schlecht ist nur, dass durch diese Diskussion, alles was wir politisch aufgebaut haben, vernichtet wird.«

Ein Pharmakologe aus dem VEB Arzneimittelwerk Radebeul,5 [Bezirk] Dresden, welcher vor einiger Zeit aus Westdeutschland zugezogen ist, brachte Folgendes zum Ausdruck: »Meiner Meinung nach macht die Regierung der DDR einen großen Fehler in der Prämienverteilung. Man sollte der Intelligenz nicht so hohe Prämien geben. Die Regierung dürfe sich dadurch nicht die Arbeiter und Bauern zum Feinde machen. Zzt. ist es aber offensichtlich, dass der Intelligenz große Summen Gelder an den Hals geschmissen werden und der Arbeiter bekommt nur Pfennige.«

Der Technische Leiter vom VEB »Fritz Heckert«-Werk in Karl-Marx-Stadt vertritt den Standpunkt, »dass die bisherige Art der Prämienverteilung überaltert sei und nur unnötige Missstimmung unter die Arbeiter bringt«. Er ist der Meinung, dass die Prämien monatlich unter Berücksichtigung der Planerfüllung verteilt werden sollen. Dadurch gebe es einen besseren Kampf um die Planerfüllung und einen besseren Arbeitsablauf.

Im VEB ABUS Aschersleben, [Bezirk] Halle, wird unter den verantwortlichen Funktionären darüber diskutiert, dass die Prämienverordnung von 1952 nicht mehr den ökonomischen Bedingungen entspricht.6 Z. B. kam eine Prämie von 8 300 DM zur Ausschüttung, wovon laut Prämienverordnung 8 000 DM an Angestellte und nur 300 DM an die Arbeiter ausgezahlt wurden. Dabei gab es Fälle, wo ein Angestellter 800 DM erhielt. Die 20%ige Anteilklausel verbietet, einen guten einfachen Arbeiter zu prämieren.

Im VEB Kaliwerk »Thomas Müntzer« in Worbis, Bezirk Erfurt, herrscht unter den Beschäftigten ebenfalls eine schlechte Stimmung über die Prämie von 50 000 DM, welche bisher noch nicht überwiesen wurde, obwohl ihnen die Wanderfahne zugesprochen wurde.7 So kam es, dass am 6.8.1956 im Laufe der Frühschicht an vier Hunten8 Losungen angeschrieben waren: 1.) Wo bleibt die Prämie von 50 000 DM; 2.) Die Intelligenz frisst die Prämie; 3.) Streikt in der Nachtschicht. Die folgende Nachtschicht verlief ruhig, jedoch hatte es den Anschein, dass die Arbeiter auf ein Signal warteten. Vonseiten der Werkleitung und der BGL war geplant, die oben erwähnte Prämie zu 80 % an die Intelligenz und Verwaltung und zu 20 % an die Produktionsarbeiter zu zahlen.

Im VEB Maschinenbau Nordhausen, Bezirk Erfurt, wird von den Arbeitern diskutiert: »Wir in unserer Abteilung haben nur ein paar lumpige Hundert Mark, an einzelne werden Tausende verteilt. Wir müssen uns schinden und quälen, damit die anderen Tausende einstecken können.« Sie wollen das III. Quartal nicht erfüllen.

Ein Genosse aus dem VEB Gaswerk Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, brachte zum Ausdruck, dass »in diesem Betrieb wieder die alten Nazis dominieren. Dies würde sich bestimmt bei den nächsten AGL-Wahlen bemerkbar machen. Die Arbeiter wollen keine gesellschaftliche Arbeit mehr leisten, da sie ja nur in den Dreck getreten werden. Wieder bekommen die Nazis die Quartalsprämien bis zu 800 DM und der Produktionsarbeiter, der nur 400 DM verdient, erhält nichts.«

Am 7.9.1956 wurden im VEB Stahlbau Niesky, [Bezirk] Dresden, die Listen veröffentlicht, wo die Kollegen angeführt sind, die Prämien erhalten. Dabei sind nur Angestellte und keine Produktionsarbeiter angeführt. Von den Arbeitern wurde sofort diskutiert: »Man sollte ab sofort keine Beiträge für Gewerkschaft mehr bezahlen oder in den Sitzstreik treten.« Ein Arbeiter aus der E-Schweißerei brachte zum Ausdruck: »Man müsste aus Protest gleich in den Sitzstreik treten, jedoch würden die Anführer gleich eingesperrt.«

Diese Beispiele könnten noch um ein Wesentliches erweitert werden, da im überwiegenden Teil der Betriebe der DDR darüber diskutiert wird.

2.) Treueprämien

Unstimmigkeiten gibt es sowohl über die Zahlung der Treueprämien als auch über die Streichung derselben.

In der Volkswerft »Ernst Thälmann« in Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, werden zurzeit individuelle Aussprachen mit Teilkonstrukteuren und Meistern über die gesetzliche Streichung der Kulturverordnungs- und Treueprämien geführt. Es handelt sich um ca. 60 Beschäftigte, die davon betroffen [sein] werden. Die Streichung dieser Prämien wird laut Gesetzblatt 18/56 durchgeführt.9 Die Aussprachen sollen dazu beitragen, die Beschäftigten von der Rechtmäßigkeit der Streichung zu überzeugen. Diese sind aber mit der Streichung nicht einverstanden und es werden sogar unzufriedene Diskussionen von solchen Konstrukteuren bekannt, die ihre Prämien weiter bekommen.

Unter den Meistern im Sachsenwerk Niedersedlitz, [Bezirk] Dresden, ist man über die Art der Streichung der Treueprämien verärgert. Ohne Aussprache, nur mit einem kurzen Hinweis im Gehaltsbeutel, wurde die Treueprämie bei ca. 20 Meistern gestrichen, welche diese schon seit Monaten erhalten.

Im VEB Transformatorenwerk- und Röntgenwerk Dresden sind seit einiger Zeit negative Diskussionen unter den Arbeitern über die Treueprämien. Ein Angehöriger der technischen Intelligenz erhält nach zwei Jahren Betriebsangehörigkeit 5 % seines Gehaltes monatlich zusätzlich. Im Betrieb gibt es eine große Zahl Arbeiter, die bereits länger als 10 bis 15 Jahre im Betrieb beschäftigt sind. Sie sind an dieser Prämie nicht beteiligt. Die Arbeiter finden es ungerecht, dass sie schwer arbeiten müssen und nicht in den Genuss der Prämie kommen.

3.) Sonderprämien

Die Diskussionen zu Sonderprämien werden in der Form geführt, dass die Zuweisung derselben zu lange Zeit in Anspruch nimmt. Der VEB Turbine Dresden10 hatte für die SU Getriebe gefertigt, dafür hat die HV vor 14 Tagen die Anweisung erteilt, dass die Arbeiter eine Prämie von 4 000 DM erhalten. Bis heute ist noch keine Überweisung da, um das Geld von der Bank abzuheben. Die Arbeiter äußern daraufhin: »Ja, wenn es für die Intelligenz wäre, da käme so etwas nicht vor. Es ist ja nur für die Arbeiter und die können ja warten. Genau so wie bei der Jahresprämie. Die Intelligenz hat bis zu 2 000 DM pro Kopf erhalten und für uns ist die Prämie noch nicht freigegeben.«

Die Baustelle Bayrischer Platz in Dresden des VEB Kraftwerk- und Industriebau hatte ihren Plan erfüllt. Die dortige Betonfabrik jedoch nicht, da sie als Betonfabrik noch einen eigenen Plan hat und danach arbeitet. Für die Baustelle Bayrischer Platz wurde aufgrund der Erfüllung die Prämie gezahlt. Jetzt haben drei Poliere der Betonfabrik dem Oberbauleiter erklärt, »wenn aus der Prämie nichts wird, dann spielt sich nichts mehr ab, d. h. die Poliere wollen dann aus dem Betrieb ausscheiden. Es würde ein Sonderantrag gestellt, würde der abgelehnt, müsste der Betrieb damit rechnen, dass in der Betonfabrik drei Poliere fehlen.«

Im VEB EVO Großröhrsdorf, [Kreis] Bischofswerda, [Bezirk] Dresden, herrscht unter den Beschäftigten der Kohlenbrigade eine sehr schlechte Stimmung. Dies kommt daher, dass schon voriges Jahr vom Brigadier der Betriebsleitung ein Antrag eingereicht wurde auf Prämie für die gesamte Brigade. Die Prämie sollte für dauernde Stoßeinsätze und Überstunden gezahlt werden. Die Prämie dürfe nicht unter 500 DM sein, da es sich um 14 Beschäftigte handelt. Bisher wurde eine solche Anerkennung von der Betriebsleitung immer zurückgewiesen, da man nicht wüsste, aus welchem Fonds diese Prämie gezahlt werden könnte. Außerdem sagen die verantwortlichen Funktionäre: »Ihr bekommt ja schließlich eure Überstunden vergütet mit den entsprechenden Prozenten. Wenn es euch in Großröhrsdorf nicht passt, wird der Betrieb zugemacht.« Als eine Folge dieser Haltung der Betriebsleitung wird die Verweigerung des Ausladens von Kohle am Sonntag, den 5. bzw. 12.8.1956 bezeichnet, als die Arbeiter nach achtstündiger Arbeitszeit die zwei vollen Wagen stehen ließen und erst am nächsten Morgen weiter abgeladen haben. Sie begründeten es damit, »dass ja ihre Arbeit sowieso nicht anerkannt würde«. Dem Betrieb entstand dadurch ein Schaden von 446 DM, die als Standgeld bei der Reichsbahn gezahlt werden müssten.

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