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Weiterer Verlauf der 4. Tagung der Synode der BEK in Züssow

30. September 1976
Information Nr. 679/76 über den weiteren Verlauf der 4. Tagung der 2. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 24. September bis 28. September 1976 in Züssow, Kreis Greifswald

In Ergänzung der Information Nr. 674/76 vom 27. September 1976 wurde über den weiteren Verlauf der Synode bekannt:

Der 4. Beratungstag der Synode (27. September 1976) wurde mit der Behandlung des Haushaltsgesetzes eröffnet. Es wurde u. a. festgestellt, dass der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR große finanzielle Schwierigkeiten habe und die Umlagen unbedingt erhöht werden müssten.

Anschließend gab der ehemalige Anstaltsleiter der Diakonie-Anstalten Züssow, Superintendent in Ruhe Liesenhof, vor der Synode Erläuterungen zur Entstehung und Entwicklung der Züssower Anstalten. Er hob dabei besonders hervor, dass diese Einrichtung nach 1945 mithilfe und Unterstützung der sowjetischen Militäradministration errichtet wurde. Liesenhof erhielt starken, anhaltenden Beifall.

Das von dem Schweizer Theologieprofessor Dr. Hans Ruh gehaltene Grußwort beinhaltete eine komplizierte philosophische Abhandlung und eine Rückbetrachtung. »In Bezug auf eine Stellungnahme zu aktuellen Problemen hier auf dem Boden der DDR« gebe es für ihn echte Schwierigkeiten, weil er alles aus der Sicht der westlichen Industriegesellschaft sehe. Soweit er Strukturprobleme überblicken könne, müsste deren Lösung sowohl der Kirche als auch den Menschen dienen.

Den Tagungsteilnehmern wurde zum Abschluss des 4. Beratungstages eine Pressemitteilung zum Verlauf der Tagung zur Kenntnisnahme vor Veröffentlichung in kirchlichen Schriften ausgehändigt. Die 1. Fassung wurde jedoch ohne Angabe von Gründen unmittelbar nach der Verteilung wieder eingesammelt. In der dann ausgehändigten 2. Fassung ist eine Formulierung weggelassen, wonach in der unter Ausschluss der Öffentlichkeit am 26. September 1976 geführten Diskussion von »Spannungen in unserer Gesellschaft« gesprochen worden sei.

Der Ratsvorsitzende der »EKD«, Bischof Class, unternahm am 27. September 1976 eine Fahrt nach Stralsund, bei der er von Prof. Ruh, Schweiz, Pfarrer Walter, Bischöfliches Ordinariat Berlin, und Oberkirchenrat Gummel, Greifswald, begleitet wurde. Class äußerte sich in internen Gesprächen lobend über die Pflege der Kulturwerte in der DDR, insbesondere nach dem Besuch des Stadtarchivs, in dem sich auch von der Kirche zur Verfügung gestellte Gegenstände befinden; er sei vom Kirchenneubau, von Kirchenrenovierungen und der Werft sehr beeindruckt. Er bemerkte, er sehe das kirchliche Leben in der DDR sehr real, wenn seiner Person »auch ein schlechter Ruf vorausgeht«.

Am Vormittag des letzten Beratungstages der Synode des Bundes (28. September 1976) fand das mehrfach verschobene Pressegespräch von Vertretern der Synode mit Pressevertretern statt.

Von kirchlicher Seite nahmen teil:

  • Bischof Schönherr, Berlin,

  • Bischof Krusche, Magdeburg,

  • Präses Schröder, Parchim,

  • Pfarrer Cieslak, Dresden,

  • Vizepräses Wahrmann, Wismar,

  • Pfarrer Kramer, Magdeburg [und]

  • Leiter des Sekretariats des Bundes Stolpe, Berlin.

Vonseiten der Westpresse waren erschienen:

  • Sager, ZDF,

  • Röder, EPD,

  • Schabrahm, EPD,

  • Horstmeier, SFB.

Horstmeier stellte die Frage, wie jetzt das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der DDR beurteilt werde und wie das Verhältnis zwischen Gemeinden und Kirchenleitungen im Bund sei. Bischof Schönherr antwortete, die Synode sei ein Teil des Bemühens der Kirche, ihren Weg im Sozialismus zu finden, und zwar den Weg der Kirche im Sozialismus, wie es bei der Synode in Eisenach 1971 formuliert wurde. Dabei gebe es Abenteurer, was die Kirche aber nicht hindern könne, ihren Weg zu gehen. Es sei der Wunsch der Kirche in der DDR, den »Weg mit dem Staat wie bisher zu gehen«. Er verwies auf das positive Angebot des Staates zur Errichtung von Kirchen in Neubaugebieten. »Die Aufarbeitung von Zeitz«, so sagte Schönherr, »möge helfen, die Normalisierung weiterzubringen.«

Bischof Krusche führte aus, es gebe Unbehagen in den Gemeinden darüber, dass das Handeln der Kirchenleitungen nicht immer eindeutig genug sei oder »falsche Rücksicht genommen wird, um Erschwernisse für die Kirchen zu vermeiden«. Dem könne man nicht zustimmen, und von einer »tiefen Vertrauenskrise« könne keine Rede sein.

Auf die Frage von Sager, ZDF, wo es nach den letzten Ereignissen »die größten Hoffnungen und die größten Probleme« gebe, antwortete Bischof Schönherr, staatlicherseits sei ein »gewisses neues Verhältnis zur Existenz der Kirche« gefunden worden, was sich u. a. im Baugeschehen zeige. Eine große Schwierigkeit für die Kirche ergebe sich aus dem Erziehungsziel des Staates, kommunistische Menschen heranzubilden.

Sager stellte weiter die Frage, ob junge Menschen Schwierigkeiten hätten. Darauf antwortete Bischof Schönherr, die offizielle Arbeit der Kirchen mit jungen Menschen erfolge ohne staatliche Beeinflussung. Es wäre falsch zu sagen, dass der christliche junge Mensch keine Chance habe.

Die Frage von Röder, EPD, nach näheren Informationen über die geschlossene Sitzung der Synode wurde von Präses Schröder, Parchim, mit dem Hinweis auf das zu erwartende Abschlussdokument des Berichtsausschusses beantwortet.

Sager richtete an Bischof Krusche die Frage, wie die Berichterstattung der Presse der BRD in der letzten Zeit beurteilt werde. Krusche entgegnete, er sei »erschrocken, was darin aus Zeitz1 gemacht worden wäre«. Er – Sager – solle die Chance wahrnehmen, sich in der DDR selbst umzusehen. Die Westpresse müsse nicht schweigen, jedoch sachliche Darstellungen geben und Polemik gegen die DDR vermeiden. Oberkirchenrat Stolpe, Berlin, ergänzte dazu, die Kirche im Sozialismus verlange Eindeutigkeit des Standortes. »Da lässt sich die Kirche der DDR nichts unterschieben. Sie ist weder ein Trojanisches Pferd noch ein Organ der Konterrevolution.« Das eine werde nicht verlangt und das andere sollte nicht versucht werden.

Schabrahm, EPD, stellte die Frage, warum der »Brief an die Gemeinden«2 nicht in kirchlichen Druckzeitschriften erschienen sei. Bischof Krusche erwiderte darauf, in der DDR gäbe es »keine Zensur, aber Maßnahmen, in deren Ergebnis bestimmte Themen nicht behandelt werden können«. Die Kirche habe nicht das Recht, die Publizistik einer Gesellschaft zu bestimmen.

Im Anschluss an die Pressekonferenz wurde die Tagung im Plenum fortgesetzt. Es wurden u. a. Vorlagen des Themenausschusses, des Haushaltsausschusses und des Berichtsausschusses eingebracht.

Zur Vorlage, die sich mit Fragen der Zusammenlegung der Synoden der Evangelischen Kirche der Union,3 der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen in der DDR und des Bundes befasste, wurde im Ergebnis der Diskussion festgestellt, dass die Realisierung dieses Vorhabens gegenwärtig nicht möglich sei. Besonders Oberkirchenrat Mitzenheim, Eisenach, sprach sich gegen eine Zusammenlegung aus.

Zur Vorlage zum Problem Kirchengemeinschaft gab es eine längere Diskussion rein theologischen Inhalts.

Vor Abschluss der Synode wurde bekanntgegeben, dass die nächste Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 13. Mai bis 17. Mai 1977 in Görlitz stattfinden soll.

Auch während der letzten beiden Beratungstage der Synode versuchten in Züssow anwesende Journalisten aus der BRD und Westberlin, Teilnehmer der Synode durch geschickte Fragestellung zu gegen den Staat gerichteten Äußerungen zu veranlassen. Das betraf auch Fragestellungen zum Nichterscheinen von theologischen Zeitungen in der DDR mit dem »Wort an die Gemeinden«4 der Konferenz der Kirchenleitungen.

Bischof Fränkel, Görlitz, lehnte nach internen Hinweisen das Ersuchen von Westjournalisten nach einem Interview ab. Ihm waren u. a. folgende Fragen gestellt worden:

  • »Inwieweit hat sich das Verhältnis Staat – Kirche seit dem 18. August 19765 verschlechtert?«

  • »Könnte sich die Kirche in der DDR zu einer politischen Gegenkraft entwickeln?«

Wie weiter intern bekannt wurde, hat der Leiter der Pressestelle beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, Borgmann, Berlin, im Auftrag des Westjournalisten Röder, EPD, telefonisch dessen Bericht zur Einschätzung der Synode an Reinhard Henkys, EPD Westberlin, übermittelt. Darin heißt es u. a.:

»Die Verärgerung in der DDR ist groß. Staat und Kirche ärgern sich übereinander und gemeinsam über Erscheinungen und Veröffentlichungen der bundesdeutschen Presse. Ärger verschaffen dem Staat und der Parteiführung sowie den Kirchenleitungen zudem jeweils massive Kritik aus den eigenen Reihen. Die SED strahlte im ersten Halbjahr 1976 noch Sicherheit und Zufriedenheit aus. Dazu wurden der IX. Parteitag,6 die Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien in Europa7 sowie der erfolgreiche Verlauf der DDR-Teilnahme an den Olympischen Spielen8 erwähnt. In diesen Jubel platzten dann plötzlich einige Grenzprovokationen9 hinein. Dazu kam kurze Zeit später die öffentliche Selbstverbrennung des Pfarrers Brüsewitz10 hinzu, die heftige Kritik am Staat auslöste. Diese Zwischenfälle brachten Unsicherheit in das Verhalten der Regierung der DDR, die bis zum heutigen Tage fortbesteht. Diesen Ärger der DDR-Regierung haben die Kirchen deutlich genug zu spüren bekommen, und sie mussten als Sündenbock herhalten.«

Als Beispiel führte er dafür das Veröffentlichungsverbot für das »Wort an die Gemeinden«11 der Konferenz der Kirchenleitungen in den Kirchenzeitungen an, die erste Entscheidung zur Nichteinreisegenehmigung für Bischof Class12 und die Reaktion zum Brief von Biermann an seine Mutter über eine kirchliche Veranstaltung.13

Internen Hinweisen zufolge äußerten sich einige Teilnehmer der Synode in vertraulichen Gesprächen über den Verlauf dieser Beratung.

So habe der Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Oberkirchenrat Stolpe, mit Hinweis auf die Synode zum Ausdruck gebracht, es sei gegenwärtig sehr problematisch, bei den staatlichen Organen bestimmte Fragen vorzutragen. Er habe den Eindruck, dass bis zu den Wahlen14 in keiner Weise Zugeständnisse gemacht würden. Mit allen Problemen, die Grundsatzentscheidungen erfordern, kämen sie nicht von der Stelle. Man müsse alle Probleme mit Fingerspitzengefühl behandeln, und es sei abzuwarten, wie sich die innenpolitische Situation nach den Wahlen entwickeln wird.

Der Beschluss des Plenums, zu bestimmten Tagesordnungspunkten geschlossene Sitzungen durchzuführen (mündlicher Bericht von Pfarrer Kramer, Magdeburg), habe eine Reihe vertraulicher Diskussionen ausgelöst. So habe Bischof Schönherr, Berlin, sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass auch die staatlichen Vertreter bei der Diskussion im Plenum aufgrund der Geschäftsordnung nicht anwesend sein konnten.15 Diese Maßnahme sei aber notwendig gewesen, um die Westjournalisten auszuschalten, damit nicht noch weitere Artikel zur Angelegenheit Brüsewitz erscheinen. Ähnlich sprachen sich die Synodalen Müller, Eisenach, Langhoff, Brandenburg, und Waitz, Magdeburg, aus.

Bischof Fränkel äußerte, er habe gegen den Antrag des Synodalen Opitz, Bad Salzungen, gestimmt, die Öffentlichkeit während der Diskussion zum Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen auszuschließen. Die Konferenz habe viel Kritik einstecken müssen. Es sei jetzt eine solche Situation zu verzeichnen, dass sich die Mitglieder der Konferenz kaum noch zu Wort melden, um dem Vorwurf der Manipulierung der Synode zu entgehen.

In einem vertraulichen Gespräch äußerte Bischof Rathke, Schwerin, u. a., in der Angelegenheit Brüsewitz sei vieles falsch gemacht worden. Sobald man im Nachhinein anfange zu korrigieren, würden immer weitere Fehler gemacht. Allerdings hätte die Sache B. auch zu einer einheitlichen Meinung in der Konferenz der Kirchenleitungen geführt, was in den letzten Jahren äußerst kompliziert gewesen sei, weil innerhalb der Konferenz der Kirchenleitungen die Meinungen oftmals diametral auseinandergingen. Rathke sprach weiter davon, die Kirche müsse mit den Marxisten über einen längeren Zeitraum zusammenleben, deshalb müssten bestimmte Fragen mit Konsequenz angesprochen werden. Man müsse sich darüber einigen, ob das intern oder offiziell passieren solle.

Bischof Schönherr, Berlin, hat die Absicht, am 15. Oktober 1976 aufgrund einer Einladung des »Protestantischen Kirchenrates der USA« mit seiner Ehefrau nach den USA zu reisen.16 Er wird begleitet vom Leiter der Evangelischen Brüdergemeinde Herrnhut, Gill, und von Oberkirchenrat Schulz aus Schwerin. Schönherr hat im Zusammenhang mit dieser Reise in einem vertraulichen Gespräch zum Ausdruck gebracht, dass er nicht die Absicht hat, Gremien der UNO aufzusuchen, sondern ausschließlich Kontakte der Kirche wahrnehmen will.

Wie weiter vertraulich bekannt wurde, weilte Bischof Schönherr in Begleitung von Propst Winter, Berlin, am 24. September 1976 in Prenzlau bei dem dortigen Superintendenten zu einer Aussprache über das Auftreten von Wolf Biermann in der Prenzlauer Kirche.17 Schönherr wolle diesen »skandalösen Fall« in der nächsten Sitzung der Kirchenleitung der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg auswerten, um zu verhindern, dass sich solche Vorkommnisse wiederholen.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

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