Abschlussbericht zum Verlauf des Passierscheinabkommens
13. Januar 1965
Abschlussbericht Nr. 26/65 über den bisherigen Verlauf des Passierscheinabkommens
Für die ersten beiden Besuchszeiträume des 2. Passierscheinabkommens1 haben insgesamt 1 708 808 Westberliner Bürger Passierscheine zum Besuch ihrer Verwandten in der Hauptstadt der DDR erhalten. In die Hauptstadt der DDR eingereist sind in beiden Besuchsperioden 1 396 333 Westberliner (81,7 % der erwarteten Besucher). 312 475 Westberliner Bürger (18,3 %) nutzten die ausgegebenen Passierscheine nicht aus.
In den einzelnen Besuchszeiträumen zeigt sich dabei folgendes Verhältnis:
Für die 1. Besuchsperiode (30.10.–12.11.1964)
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erhielten 609 190 Westberliner Passierscheine
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davon reisten 571 145 (= 93,7 %) Besucher in die Hauptstadt der DDR ein;
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38 045 Westberliner nutzten ihre Passierscheine nicht aus.
Für die 2. Besuchsperiode (19.12.1964–3.1.1965)
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erhielten 1 099 618 Westberliner Passierscheine
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davon haben 825 188 (= 75 %) Personen die Hauptstadt der DDR besucht;
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274 430 (= 25 %) Westberliner nutzten ihre Passierscheine nicht aus.
Von den Westberliner Bürgern, die für die 2. Besuchsperiode einen zweimaligen Besuch beantragt hatten, sind 24,5 % nur einmal in die Hauptstadt der DDR eingereist. Besonders charakteristisch für die Nichtausnutzung der genehmigten Besuchsmöglichkeiten waren in der 2. Besuchsperiode die Tage, an denen bei der Antragstellung das Limit von 100 000 Besuchern überschritten wurde.
Zum Beispiel:
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19.12.1964: von 103 325 Westberlinern reisten 75 306 = 72,8 % ein; 28 019 nutzten die Passierscheine nicht aus.
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26.12.1964: von 113 502 Westberlinern reisten 93 079 = 82,0 % ein; 20 423 nutzten die Passierscheine nicht aus.
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2.1.1965: von 126 925 Westberlinern reisten 92 115 = 72,1 % ein; 34 810 nutzten die Passierscheine nicht aus.
Negative Auswirkungen der paritätischen Besetzung der Passierscheinstellen
Die paritätische Besetzung der Passierscheinstellen mit Postangestellten aus Westberlin und der DDR2 brachte eine Reihe negativer Erscheinungen mit sich, die sich störend auf die ordnungsgemäße Abwicklung der Tätigkeit in den Passierscheinstellen auswirkten.
Der in den ersten Tagen aufgetretene unkontinuierliche Durchlauf der Antragsteller kam in vielen Passierscheinstellen dadurch zustande, dass die Westberliner Postangestellten über eine nicht genügende Qualifikation verfügten, um ihre im Protokollanhang festgelegten Aufgaben in kürzester Zeit und mit der erforderlichen Qualität zu lösen.
Z. B. ließ in der Passierscheinstelle Wilmersdorf der Angestellte der Westberliner Post [Name 1] Anträge mit falschen Personalausweisnummern und falsch eingetragenen Besuchstagen durch die Vorkontrolle. Sein Verhalten entschuldigte er damit, dass er nicht konkret über diese Fragen Bescheid wisse, weil er das Passierscheinprotokoll nicht kenne, sondern nur anhand des Merkblattes des Westberliner Senats informiert worden sei. Unzureichende Kenntnisse über die Protokollanlage hatten auch der Leiter und die Westberliner Postangestellten in der Passierscheinstelle Charlottenburg, die sich deshalb oft mit Rückfragen an die Postangestellten der DDR wenden mussten und dadurch den Arbeitsfluss hemmten.
Bedingt durch die unzureichende Kenntnis der Protokollfestlegungen leisteten die Angehörigen der Westberliner Post in den Passierscheinstellen bei der Vorkontrolle teilweise eine äußerst mangelhafte Arbeit, wodurch unnötige Stockungen in der Annahmetätigkeit und Verärgerungen bei den Antragstellern auftraten.
In den Passierscheinstellen Neukölln, Kreuzberg, Schöneberg, Reinickendorf und Charlottenburg mussten von Postangestellten der DDR wiederholt falsch ausgeschriebene Passierscheinanträge, u. a. auch auf Besuche bei nicht im Protokoll vorgesehenen Verwandten wie Cousin, Vetter usw. zurückgewiesen werden, die von den Westkräften bei der Vorkontrolle nicht beanstandet worden waren.3 Allein in der Passierscheinstelle Kreuzberg/Urbanstraße ließ der Westpostangestellte [Name 2] am 9.10.1964 bis 16 Uhr 116 fehlerhafte Anträge durch seine Vorkontrolle. In den Passierscheinstellen Kreuzberg/Lobeckstraße und Zehlendorf überließen die Westkräfte die Auskunftstätigkeit gegenüber Antragstellern über die Antragsberechtigung und das richtige Ausfüllen der Anträge grundsätzlich den Postangestellten der DDR. In Einzelfällen, u. a. auf der Passierscheinstelle Charlottenburg, wurden von Westpostangestellten im Antrag angegebene Verwandtschaftsbezeichnungen (Vetter usw.), die nicht dem Protokoll entsprachen, eigenmächtig umgeändert. Wiederholt war z. B. auf Anträge der Besuch von Cousinen in den Besuch von Nichten abgeändert worden.4 In der Passierscheinstelle Kreuzberg/Lobeckstraße gab am 5.10.1964 der Angestellte der Westberliner Post [Name 3, Vorname] einer Westberliner Bürgerin, die auf ihrem Antrag als Verwandtschaftsgrad Cousine angegeben hatte, den direkten Rat, sie solle doch noch einmal rausgehen und überlegen, ob es nicht doch eine Nichte wäre. Den Protokollabmachungen widersprechende Beeinflussungen und Beihilfen zur Fälschung gab es während der gesamten Periode der Passierscheinantragsannahme auch in anderen Passierscheinstellen.
In fast allen Passierscheinstellen wurden auch zahlreiche Anträge unbeanstandet durch die Vorkontrolle der Westberliner Postangestellten gelassen
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in denen die Besuchszeiträume nicht berücksichtigt bzw. zwei Feiertage im 2. Besuchszeitraum als Besuchstage angegeben worden waren (besonders häufig in der Passierscheinstelle Wilmersdorf),
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die lückenhaft ausgefüllt worden waren und deshalb Nachtragungen erforderlich machten (besonders in den Passierscheinstellen Tiergarten, Schöneberg, Neukölln),
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die in anderen Passierscheinstellen ausgegeben worden waren (besonders in Charlottenburg und Wilmersdorf).
In der Mehrzahl der Passierscheinstellen unternahmen die westlichen Einsatzkräfte in der Zeit der Orientierung der Antragsteller auf weniger belastete Besuchstage (etwa vom 8. bis 15.10.1964) auch keinerlei Anstrengungen, um die Antragsteller richtig zu informieren. In der Passierscheinstelle Reinickendorf/Scharnweberstraße z. B. ließ der stellvertretende Leiter der Westberliner Einsatzkräfte [Name 4] am 9.10.1964 während seines zeitweiligen Schalterdienstes alle Anträge für bereits überlastete Besuchstage ohne Diskussion durch die Vorkontrolle und verwies diese Antragsteller sofort an die DDR-Postangestellten. Auch nach einer entsprechenden Beschwerde beim Leiter der Westberliner Einsatzkräfte [Name 5] änderte [Name 4] seine Arbeitsweise nur für kurze Zeit.
Allgemein war auch zu verzeichnen, dass ein großer Teil der Passierscheinabholer nicht im Besitz der von den Westberliner Postangestellten auszugebenden Zollerklärungen war, sondern diese erst beim Abholen ihrer Passierscheine von den DDR-Postangestellten forderte. Bei einer Überprüfung in der Passierscheinstelle Tempelhof stellte sich z. B. heraus, dass über 50 % der Passierscheinabholer bei der Antragstellung von den Westberliner Einsatzkräften keine Zoll- und Warenerklärungen der DDR ausgehändigt erhalten hatten.
In einer Reihe von Fällen kam es in den Passierscheinstellen auch zu offensichtlichen Störmaßnahmen und Provokationen seitens der Westberliner Einsatzkräfte. In der Passierscheinstelle Reinickendorf/Scharnweberstraße versuchte ein Angehöriger der Westberliner Post am 5.10.1964 in den Ablagekasten mit den bereits angenommenen Anträgen zu greifen, um für einen Westberliner Besucher auf dessen Antrag das Kraftfahrzeug nachzutragen. In der Passierscheinstelle Wedding/Gotenburger Straße versuchten am gleichen Tage zwei Westberliner Postangestellte ebenfalls in den Besitz von bereits abgegebenen Anträgen zu kommen, um die Verwandtschaftsgrade nachträglich von Cousine auf Nichte zu ändern. In der Passierscheinstelle Charlottenburg unternahmen der Leiter der Westkräfte [Name 6] und sein Stellvertreter [Name 7] den Versuch, sich Einblick in die Unterlagen zu verschaffen. [Name 6] griff wiederholt in die Ablagekästen, um die Nummern der abgelegten Anträge festzustellen. In mehreren Passierscheinstellen, so z. B. in Reinickendorf/Thurgauer Straße am 16.10.1964 und in Charlottenburg am 16.10. und 26.10.1964, versuchten Angehörige der Westberliner Post sich unmittelbar in den Arbeitsablauf der DDR-Postangestellten einzuschalten und Passierscheine mit herauszusuchen, um auf diese Weise die Endkontrolle mit auszuüben. In der Passierscheinstelle Spandau störten die West-Postangestellten [Name 8] und [Name 9] die Abfertigung von Betriebsvertretern, indem sie ihnen weniger Anträge aushändigten, als in ihren schriftlichen Vollmachten angegeben waren. In den Passierscheinstellen Tempelhof und Wedding änderten die Westkräfte die Beschriftung der ihnen übergebenen Karten mit genauem Ortsverzeichnis der Hauptstadt der DDR in provokatorischer Weise, indem sie die Bezeichnung DDR durch »SBZ« ersetzten.
Eine weitere Provokation ereignete sich am 27.10.1964 ab 15.00 Uhr auf dem Gelände der Passierscheinstelle Wedding, wo das vom Bonner »Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen« unterhaltene »Büro für gesamtdeutsche Hilfe«,5 Bonn, Koblenzer Straße 6, Merkblätter mit »Hinweisen für Geschenksendungen in die Sowjetzone und nach dem Sowjetsektor von Berlin« austeilte.
Störend auf den ordnungsgemäßen Ablauf der Arbeit in den Passierscheinstellen wirkten sich auch Desinformierungen der Westberliner Bürger durch die eingesetzten Westkräfte aus. In der Passierscheinstelle Tempelhof desinformierten die Westkräfte am 22.10.1964 die Westberliner Antragsteller mit der Behauptung, dass auch für Ehepartner und Kinder Vollmachten vorzulegen seien. In der Passierscheinstelle Wilmersdorf erklärte der Angehörige der Westberliner Post [Name 10] am 23.10.1964 den Passierscheinabholern, dass sie sich nicht an den auf ihren Passierschein angegebenen Grenzübergang zu halten brauchten, sondern jeden beliebigen KPP benutzen könnten. Eine Desinformation bedeutete auch die am 23.10.1964 in der Passierscheinstelle Charlottenburg von den Westberliner Einsatzkräften verbreitete Behauptung, dass alle bis 29.10.1964 nicht abgeholten Passierscheine später in der Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten mit ausgegeben würden.
In einigen Passierscheinstellen kam es auch zur Belästigung und Verärgerung der Westberliner Bevölkerung durch Westberliner Einsatzkräfte. In der Passierscheinstelle Neukölln/Morusstraße z. B. gaben Westberliner Postangestellte am 1.10.1964 Westberliner Antragstellern auf entsprechende Fragen verletzende Antworte wie: »Wenn Sie hier den Antrag stellen, wird er drüben sowieso in der Verbrecherkartei überprüft.« In der Passierscheinstelle Wilmersdorf ließen sich am 2. und 3.10.1964 trotz gegenteiliger Hinweise des Gruppenleiters der DDR-Angestellten die Westberliner Einsatzkräfte von den Antragstellern die Kfz-Papiere vorlegen, wodurch die Antragsteller unnötig belästigt und verärgert wurden. Die Westberliner Einsatzkräfte beriefen sich dabei auf eine entsprechende Orientierung durch die Westberliner Presseorgane.
In der Passierscheinstelle Charlottenburg forderten die Westberliner Einsatzkräfte die Antragsteller auf, Geschenke in die Passierscheinstelle mitzubringen. Unnötige Verärgerung unter den Westberlinern, die ihre Passierscheine abholten, rief am 17.10.1964 in den Passierscheinstellen Wedding/Gotenburger Straße, Kreuzberg/Urban- und Lobeckstraße und Tempelhof die von den Westberliner Einsatzkräften organisierte Einlassordnung hervor. Durch Nichtbeachtung der unterschiedlichen Auslastung der einzelnen Schalter entstand an überbelasteten Schaltern starkes Gedränge, während andere Schalter nicht ausgelastet waren, weil die Westberliner Einsatzkräfte es unterließen, die Passierscheinabholer einzulassen, die Seriennummern der weniger belasteten Schalter hatten. In Tempelhof wiederum führten die Westberliner Einsatzkräfte die Passierscheinabholer ohne Beachtung der Kontrollnummern den Schaltern zu, wodurch die DDR-Postangestellten gezwungen waren, fehlgeleitete Abholer an die richtigen Schalter zu verweisen. Äußerst belästigend und störend auf den Arbeitsablauf wirkte sich während der gesamten Zeit der Tätigkeit der Passierscheinstellen auch die schlechte Disziplin und Einsatzbereitschaft der Westberliner Einsatzkräfte aus, die sich in übermäßigem Alkoholgenuss, Lustlosigkeit und Gleichgültigkeit äußerte. Unter Alkoholeinfluss zeigten die Westberliner Einsatzkräfte ein äußerst schlechtes, unhöfliches und flegelhaftes Verhalten gegenüber den Antragstellern oder versuchten, die DDR-Postangestellten zu provozieren.
Derartige Vorkommnisse gab es besonders oft in den Passierscheinstellen Tempelhof, Reinickendorf/Thurgauer- und Scharnweberstraße, Zehlendorf, Tempelhof und Wilmersdorf. In der Passierscheinstelle Tempelhof musste z. B. am 13.10.1964 ein Angehöriger der Westpost gegen 15.00 Uhr nach Hause gebracht werden, weil er so stark angetrunken war, dass er keine Arbeiten mehr durchführen konnte. Besonders häufig waren diese Vorkommnisse in der Zeit vom 16. bis 29.10.1964. Die durch die weitverbreitete Untätigkeit bedingte Lustlosigkeit und Gleichgültigkeit der Westberliner Einsatzkräfte sowie die durch übermäßigen Alkoholgenuss beeinträchtigte Einsatzbereitschaft führte in mehreren Passierscheinstellen dazu, dass sie den gesamten Arbeitsablauf mehr und mehr den Postangestellten der DDR überließen. Sie beschäftigten sich vornehmlich nur noch mit der Registrierung der ausgegebenen Passierscheine auf Strichlisten und verbrachten die übrige Zeit mit Trinkgelagen, Skatspielen, Diskussionen in den Ausgabe- und Aufenthaltsräumen und längeren Besorgungen außerhalb der Passierscheinstellen. In verschiedenen Passierscheinstellen baten, z. B. am 23.10.1964 in der Passierscheinstelle Wedding, die Angehörigen der Westberliner Post [Name 11], [Name12] und [Name 13] ihre Einsatzleiter darum, sie an ihre Arbeitsplätze in Westberlin zurückzuschicken, da sie in der Passierscheinstelle doch nur untätig herumsitzen würden.
Zur Abwicklung des Besucherverkehrs an den KPP
Die Abwicklung des Besucherverkehrs an den KPP während der beiden Besuchszeiträume des 2. Passierscheinabkommens verlief im Wesentlichen reibungslos.
Alle KPP wurden den Anforderungen gerecht. Sie waren zweckmäßig eingerichtet und verfügten über ausreichende Abfertigungskapazitäten, die einen reibungslosen und sicheren Ablauf des Besucherverkehrs gewährleisteten. Die schnelle, korrekte und höfliche Abfertigung wurde auch vom größten Teil der Westberliner Besucher bestätigt und lobend anerkannt.
In Einzelfällen aufgetretene kurzfristige Stauungen wurden durch entsprechende Maßnahmen der Grenzsicherungsorgane der DDR schnellstens behoben. Ursache dieser Wartezeiten, die in Einzelfällen höchstens bis zu 30 Minuten betrugen, waren die Nichtbeachtung und Nichteinhaltung entsprechender Hinweise der Organe der DDR durch Westberliner Besucher.
Die ständigen Hinweise zur Benutzung der Sammelstraßen und zur rechtzeitigen Rückfahrt nach Westberlin wurden nur ungenügend beachtet. Die Hauptlast des Rückreiseverkehrs konzentrierte sich an den KPP auf die Zeit zwischen 23.00 und 1.00 Uhr (50–70 % der Westberliner Besucher reisten erst in diesem Zeitraum nach Westberlin zurück.). Hinzu kommt eine Vielzahl erheblicher Zeitüberschreitungen z. T. von mehreren Stunden. Allein in den ersten drei Besuchstagen der 1. Besuchsperiode verließen je Tag über 200 Westberliner Bürger erst nach 2.00 Uhr die Hauptstadt der DDR. Auch an anderen Tagen, besonders am 26.12.1964 und am 1., 2. und 3.1.1965 waren es über 1 000 Westberliner Bürger, die erst weit nach der vorgeschriebenen Ausreise die Hauptstadt der DDR verließen. Trotz dieses disziplinlosen Verhaltens der Westberliner Besucher kam es zu keinen größeren Störungen bei der Abwicklung des Besucherverkehrs.
Zu feindlichen und provokatorischen Vorkommnissen – unter Ausnutzung des Passierscheinabkommens
Während der ganzen Zeit der bisherigen Durchführung des 2. Passierscheinabkommens duldete der Senat die Aktivität sog. antikommunistischer Organisationen in Westberlin, deren Tätigkeit systematisch auf die Störung des Passierscheinabkommens hinzielte. Der Senat duldete nicht nur die von diesen Organisationen forcierte Hetze gegen die Sicherungsmaßnahmen und ihre sonstige Störtätigkeit, sondern auch ihre Versuche, die Ermordung des Uffz. Schultz6 zu »rechtfertigen« und dieses Verbrechen zur Aufputschung von Provokationen auszunutzen. Die von der »Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V.«7 in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen gleichen oder ähnlichen Charakters (»Schülerparlament«, »Vereinigung der Opfer des Stalinismus«,8 »Gesamtverband der Sowjetzonenflüchtlinge«9 und dem Westberliner »Landesverband des Bundes der Vertriebenen«10) am 3.1.1965 in der Westberliner Kongresshalle veranstaltete Hetzkundgebung11 stellte eine Art offiziellen Höhepunkt der Hetze und Störtätigkeit dar.
Mit Duldung des Senats und der Westberliner Polizei konnten z. B.
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der Hauptinitiator der Veranstaltung und ehemalige KgU-Chef12 Rainer Hildebrandt13 in übler Weise gegen die »Mauer« und gegen alle verständigungsbereiten Menschen hetzen und die Forderung nach »freier Bahn« für die Aktivität der sog. antikommunistischen Organisationen erheben;
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ein gewisser Gino Ragno14 die von den Mördern des Uffz. Schultz in Italien betriebene Propaganda zur »Rechtfertigung« des Mordes loben;
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der Hetzredner Michael Mara15 gegen die SED-Westberlin hetzen und alle Befürworter des Passierscheinabkommens und der Verständigung überhaupt verleumden;
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der Chef der Tunnelschleuserbande Fuchs16 und der mutmaßliche Mörder von Schultz viele Einzelheiten über die Tunnelschleusung und über die gute technische Ausrüstung der Tunnelbauer berichten, die Unterstützung der Tunnelbauer durch Offiziere der Polizeiinspektion Wedding besonders lobend hervorheben und einen Lichtbildervortrag über den Tunnelbau und die -schleusung kommentieren.
Durch Ausführungen dieser Art und durch an den Senat erhobene Forderungen, in Zukunft die Agenten- und Schleuserorganisationen großzügig zu unterstützen und keine »falsche Rücksicht« auf das Passierscheinabkommen zu nehmen, wurden die etwa 550 Veranstaltungsteilnehmer im Sinne der Auslösung provokatorischer Handlungen gegen die DDR und gegen verständigungsbereite Westberliner Bürger aufgeputscht.
Am 23.12.1964, gegen 17.30 Uhr, und am 30.12.1964, gegen 18.00 Uhr, wurden am KPP Friedrich-/Zimmerstraße unter Gefährdung des Reiseverkehrs aus einem Fenster der 3. Etage des Westberliner Hauses Zimmerstraße 19a (unmittelbar am KPP) 20 bzw. 14 mit Gas gefüllte Ballons (ca. 70 cm ∅) aufgelassen. An den Ballons hingen Hetzschriftenbündel, die durch eine Zündschnur mit einem Sprengsatz verbunden waren. Am 30.12.1964 zerplatzten zwei miteinander gekoppelte Ballons unmittelbar nach dem Start. Das daran befestigte Paket Hetzschriften fiel – unter Gefährdung des Personenverkehrs – unmittelbar am KPP zu Boden. Weitere Ballons zerplatzten unmittelbar nach Überfliegen des KPP, wobei durch die herabfallende Last der grenzüberschreitende Personen- und Fahrzeugverkehr gefährdet wurde. Die Westberliner Polizei schritt erst nach einem energischen Protest des KPP-Leiters beim Diensthabenden der Westberliner Polizei gegen die Provokateure ein. In diesem Zusammenhang wird vorgeschlagen, beim nächsten Zusammentreffen mit dem Beauftragten des Westberliner Senats für das Passierscheinabkommen gegen diese erneute Provokation beim Westberliner Senat offiziellen Protest einzulegen und konsequente Maßnahmen gegen die der Westberliner Polizei bekannten Provokateure und zur Beseitigung der Bedingungen für derartige Provokationen zu fordern.17
Während der Durchführung der ersten beiden Besuchsperioden des Passierscheinabkommens wurden unsere Grenzsicherungskräfte wiederholt von Angehörigen der Westberliner Polizei provoziert. Z. B. bedrohten am 25.12.1964, 1.30 Uhr, drei Westberliner Polizeiangehörige am KPP Invalidenstraße unsere Kontrollkräfte, wobei ein Westberliner Polizeioffizier die Staatsgrenze überschritt und das Territorium der DDR verletzte. Offensichtlich standen alle drei Westpolizisten unter Alkoholeinfluss. (Kurz zuvor wurde am West-KPP Alkohol ausgegeben.)
Weiter kam es an den KPP zu einer großen Anzahl von Kontakt- und Beeinflussungsversuchen durch die Westberliner Einsatzkräfte, wobei sie durch Anbieten von Geschenken, Westzeitungen und Hetzschriften bzw. durch Beschimpfen mit üblen Redensarten unsere Kontrollkräfte zu provozieren versuchten.
Auch an der übrigen Staatsgrenze wurden die Provokationen gegen die Grenzsicherungskräfte und Sicherungsanlagen der DDR von Westberliner Gebiet aus weiter fortgesetzt. Dabei sind u. a. allein im Oktober 1964 – während der Zeit der Ausgabe und Annahme der Passierscheinanträge – im Abschnitt Kleinmachnow–Mahlow in drei Fällen von Westberlin aus Brandflaschen auf das Territorium der DDR geworfen worden. So wurden am 7., 11. und 23.10.1964 von Westberlin aus insgesamt 16 mit einer leicht brennbaren Flüssigkeit gefüllte Flaschen zum Teil brennend auf das Territorium der DDR sowie gegen Postentürme der Grenztruppen der NVA geschleudert.
Am 23.12.1964, gegen 0.30 Uhr, wurde im Bereich der Staatsgrenze Humboldthafen das Grenzsicherungsboot GB 20 vom Westufer aus mittels KK-Waffe (2 Schuss) beschossen. Während der erste Schuss über das Boot hinwegging, schlug der zweite kurz vor dem Boot ein. Erst nach Abgabe eines Signalschusses durch die Grenzbootbesatzung zogen sich die Provokateure zurück.
Am 1.1.1965, gegen 3.55 Uhr, wurden Angehörige der Grenztruppen im Bereich Mahlow-Waldblick von Westberliner Gebiet aus mit Schnellfeuergewehren (8–10 Schuss) beschossen. Die Provokateure waren zu diesem Zweck mit einem Pkw (Volkswagen) dicht an die Grenze herangefahren.
Neben diesen offenen provokatorischen Handlungen kam es an der Staatsgrenze zu einer großen Anzahl von Kontakt- und Beeinflussungsversuchen (190 Fälle), vor allem durch Westberliner Polizei- und Zollangehörige. In vielen Fällen wurden unsere Grenzposten durch Anbieten von Genussmitteln, Hetzzeitungen und durch hetzerische oder beleidigende Äußerungen provoziert sowie gleichzeitig zur Fahnenflucht aufgefordert.18 In ca. 20 Fällen sind unsere Sicherungskräfte von Westberlin aus mit Steinen und anderen Gegenständen beworfen worden.
Über die vier Leuchtschriftanlagen19 des Westberliner Senats wurden auch während der Zeit des Passierscheinabkommens allabendlich Hetzsendungen gegen die DDR ausgestrahlt. Die vom Westberliner Senat entlang der Staatsgrenze der DDR auf Westberliner Gebiet aufgestellten Hetztafeln sind während des Zeitraumes des 2. Passierscheinabkommens durch Angestellte des Westberliner Senats fünfmal mit neuen Hetztexten versehen worden. Der Inhalt der Hetze richtete sich vorwiegend gegen unsere Sicherungsmaßnahmen und sollte die Grenzsicherungskräfte zur unkorrekten Dienstdurchführung beeinflussen.20
Von Westberliner Menschenhändlerorganisationen21 wurden während des Passierscheinabkommens wiederholt Versuche unternommen, unter Ausnutzung des starken Besucherverkehrs mittels verfälschter Dokumente und Passierscheine sowie in Personenkraftwagen versteckt Bürger der DDR nach Westberlin zu schleusen. Dabei tragen u. a. die bekannten Schleuserorganisationen Wordel22 und Steinborn/Gehrmann23 in Erscheinung, die derartige verbrecherische Anschläge durchzuführen versuchten.
In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass Westberliner Menschenhändlerzentralen von Mittelsleuten Passierscheine beantragen ließen, die zur Ausschleusung von DDR-Bürgern verwandt werden sollten. So hat z. B. der inhaftierte Westberliner Bürger Pfaff24 im Auftrage eines gewissen [Name 14, Vorname] auf ca. 45 Westberliner Personalausweise Passierscheine zum Besuch der Hauptstadt der DDR beantragt und anschließend die genehmigten Passierscheine seinem Auftraggeber übergeben. Pfaff nutzte dazu seine Tätigkeit als DRK-Helfer in der Passierscheinstelle Berlin-Reinickendorf/Scharnweberstraße aus, um unter dem Vorwand, kranken und körperbehinderten Menschen zu helfen, diese Anträge zu stellen.
Während der 1. und 2. Besuchsperiode konnten mehrere Personen festgenommen werden, die unter Ausnutzung der Besuchsmöglichkeiten Westberliner Bürger versuchten, gefälschte Westberliner Personalausweise und verfälschte Passierscheine in die Hauptstadt der DDR illegal einzuführen und damit Bürger der DDR auszuschleusen.
Z. B. unternahm es der Westberliner Bürger [Name 15, Vorname], einer DDR-Bürgerin einen verfälschten Passierschein und einen Westberliner Personalausweis zum Zwecke ihrer Ausschleusung nach Westberlin zu überbringen. Die Verfälschung der Dokumente war in Westberlin von Mitarbeitern einer Menschenhändlerorganisation vorgenommen worden.
Ebenfalls illegal und unter Missbrauch der Besuchsmöglichkeiten eingeführt, wurden von Westberliner Bürgern verfälschte Passierscheine und verfälschte Westberliner Personalausweise für die DDR-Bürgerin [Vorname Name 16] und den DDR-Bürger [Vorname Name 17], die auf Betreiben Westberliner Menschenhändlerorganisationen zur illegalen Ausreise nach Westberlin veranlasst werden sollten.