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Verlauf des 2. Passierscheinabkommens (9)

13. Oktober 1964
9. Bericht Nr. 888/64 über den Verlauf des 2. Passierscheinabkommens

Am 12.10.1964 wurden in den 16 Passierscheinstellen in Westberlin 46 650 Antragsformulare (insgesamt 1 038 815) ausgegeben, davon 24 350 (insgesamt 519 630) für den 1. und 22 300 (insgesamt 519 185) für den 2. Besuchszeitraum.1

Am 12.10.1964 wurden 54 774 Anträge (damit insgesamt 622 448) gestellt, und zwar für den 1. Besuchszeitraum 26 534 (damit insgesamt 310 487) und für den 2. Besuchszeitraum 28 240 (damit insgesamt 311 961) Anträge.

Auf den am 12.10.1964 gestellten Anträgen sind

  • 46 792 Personen (mit 4 634 Kfz) für den 1. Besuchszeitraum,

  • 85 377 Personen (mit 8 671 Kfz) für den 2. Besuchszeitraum,

  • also insgesamt 132 169 Personen (mit 13 305 Kfz)

erfasst.

Damit sind auf den vom 1. bis 12.10.1964 gestellten Anträgen

  • 555 516 Personen (mit 59 852 Kfz) für den 1. Besuchszeitraum,

  • 998 308 Personen (mit 109 611 Kfz) für den 2. Besuchszeitraum,

  • also insgesamt 1 553 824 Personen (mit 169 463 Kfz)

erfasst.

Am 12.10.1964 wurden in den einzelnen Passierscheinstellen durchschnittlich 2 000 bis 4 500 Anträge entgegengenommen.

Nach den bis zum 12.10.1964 abgegebenen Anträgen sind Konzentrationen von über 100 000 Personen für den 7. und 8.11. im 1. Besuchszeitraum und für den 19. und 26.12.1964 sowie den 2.1.1965 im 2. Besuchszeitraum in der Hauptstadt der DDR zu erwarten.

In sämtlichen Passierscheinstellen wurden am 12.10. alle Antragsteller abgefertigt. Wartezeiten gab es nur in Einzelfällen. Die DDR-Postangestellten waren teilweise nicht ausgelastet. Die Verkürzung der Abfertigungszeit ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die DDR-Angestellten nicht mehr so viele hartnäckige Diskussionen mit Antragstellern über die Beschränkung der Besuchstage führen mussten und vor allem allen Störversuchen der Westkräfte energisch entgegentraten. Die Westkräfte wurden darauf hingewiesen, dass seit der Ausgabe der Merkblätter die Abfertigung vereinfacht wurde.

Die Störtätigkeit der westlichen Kräfte richtete sich insbesondere gegen die Bemühungen der DDR-Seite zur Durchsetzung des Besucherlimits und vor allem gegen die Verteilung der Merkblätter. Die westlichen Kräfte waren vom Senat fernschriftlich entsprechend instruiert worden. Aus dem Fernschreiben, das die Westseite in der Passierscheinstelle Neukölln/Morusstraße erhalten hatte, ging die Orientierung des Senats hervor, Antragsteller als Ersatz für den 25., 26.12. auf den 24. und 27.12. zu orientieren. Die Beschränkungen für den 1. Besuchszeitraum sollten dagegen von den Westkräften nicht anerkannt werden. Außerdem war angewiesen, die Verteilung der Merkblätter zu verhindern.

Die Reaktion der Westkräfte auf diese Anweisung war unterschiedlich. Teilweise lehnten sie die Maßnahmen des Senats ab und beschwerten sich darüber, dass ihre Arbeit nicht gewürdigt würde (Kritik an westlichen Presseveröffentlichungen). Von einigen dieser Kräfte wurde erklärt, die DDR habe die beste Übersicht und müsse wissen, wann eine Steuerung des Besucherverkehrs notwendig werde. Ein Teil der Westkräfte unterstützte die Argumentation der DDR-Postangestellten in Gesprächen mit den Antragstellern, bediente sich zunehmend der DDR-Merkblätter und änderte Besuchsdaten auf den Anträgen. In anderen Fällen kam es nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zu keinen Einmischungsversuchen von Westberliner Seite mehr.

In den Passierscheinstellen Reinickendorf/Thurgauer Straße, Neukölln/Karl-Marx-Straße und Morusstraße versuchten die Leiter der Westkräfte gleich zu Beginn, die Verteilung der Merkblätter der DDR zu verhindern. Die DDR-Gruppenleiter wiesen diese Einmischungsversuche zurück und öffneten die Passierscheinstellen erst dann, als die Leiter der Westkräfte ihre Forderung zurückzogen. Dadurch wurden die genannten drei Passierscheinstellen erst mit einigen Minuten Verspätung geöffnet.

Allgemein war festzustellen, dass die westlichen Kräfte, nachdem sie sich nicht durchzusetzen vermochten, unsere Gruppenleiter zu beeinflussen suchten und eine Verzögerungstaktik anwandten. Während des ganzen Tages waren sie auffallend geschäftig und telefonierten oft mit ihren vorgesetzten Dienststellen.

Einen verhältnismäßig großen Umfang nahm die Störtätigkeit der westlichen Kräfte in der Passierscheinstelle Wedding/Müllerstraße an. Nachdem der Leiter der westlichen Einsatzkräfte [Name 1] zunächst versucht hatte, mit unseren Postangestellten über die Aufhebung der »Beschränkungen« und über die Öffnung weiterer Grenzübergänge zu diskutieren, erklärte er, dass seine Mitarbeiter außer den beiden Weihnachtsfeiertagen und dem 2.1. die anderen Limittage nicht beachten würden. Gegen 10.30 Uhr forderte er unter Berufung auf sein Hausrecht die DDR-Angestellten auf, die Merkblätter nur noch direkt am Arbeitsplatz zu verteilen. Kurze Zeit darauf erschien der Senatsvertreter [Name 2] und forderte – unter Vorzeigen des bereits erwähnten Fernschreibens – die Verteilung der Merkblätter einzustellen. Nachdem der DDR-Gruppenleiter angekündigt hatte, dass in diesem Falle die Arbeit sofort eingestellt würde, zogen die Westberliner Vertreter ihre Forderung zurück, setzten ihre Störtätigkeit aber auf andere Art und Weise fort. Sie informierten die Antragsteller falsch, sodass diese in der Folgezeit zunehmend darauf bestanden, an den sogenannten Sperrtagen einreisen zu können.

Zu ähnlichen Erscheinungen, jedoch nicht in diesem großen Umfange, kam es in den Passierscheinstellen Wilmersdorf/Emserstraße, Zehlendorf und Charlottenburg/Joachimsthaler Straße. In Charlottenburg wurden die auf dem Merkblatt verzeichneten neuen Daten, wo das festgelegte Limit bereits überschritten ist bzw. die Grenze annähernd erreicht hat, nicht bekannt gegeben. Einige Senatsangestellte hatten sogar richtig ausgefüllte Anträge verändert und die sogenannten Sperrdaten eingetragen. Außerdem forderten sie von den Antragstellern, die DDR-Merkblätter abzulehnen. Der Leiter der Westkräfte in Wilmersdorf [Name 3] lehnte, nachdem er zum Nachgeben gezwungen worden war, einen Protest beim DDR-Gruppenleiter mit der Begründung ab, dass er die Zusammenarbeit nicht komplizieren wolle.

In der Passierscheinstelle Wedding/Gotenburger Straße zogen die Westkräfte ihre ursprüngliche Forderung nach Einstellung der Verteilung der Merkblätter ebenfalls zurück. In der Passierscheinstelle Zehlendorf wurden Senatsmitarbeitern, die sich an der Verteilung der Merkblätter beteiligt hatten, von dort eingesetzten Polizeikräften die Merkblätter wieder abgenommen. Ähnlich war es in Reinickendorf, wo Antragstellern, die Merkblätter zur Verteilung mit in den Vorraum nehmen wollten, von den Westkräften die Blätter ebenfalls abgenommen wurden.

In einigen Fällen wurden Westkräfte, die unsere Argumentation unterstützten und den Antragstellern nicht ausgelastete Besuchstage empfahlen, von den Leitern der Westkräfte gerügt und in einem Falle wurde sogar eine Auswechslung vorgenommen.

In Schöneberg lehnten es die Westkräfte ab, Antragsteller im Sinne der Orientierung der DDR zu beeinflussen. Sie erklärten, dass die Auseinandersetzungen der DDR-Seite zukommen würden. Es gab auch verschiedene Fälle, wo Westkräfte, die vorher die Verteilung der Merkblätter abgelehnt hatten, in der Folgezeit auf die Antragsteller im Sinne des Inhalts des Merkblattes einwirkten. In der Hälfte aller Passierscheinstellen war festzustellen, dass der größte Teil der Westkräfte im Sinne unseres Merkblattes wirkte. Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass trotz der Störversuche die Zusammenarbeit der Westkräfte mit unseren Postangestellten etwas besser war als an den Vortagen. Verschiedentlich verschanzten sich die Westkräfte hinter den Anweisungen des Senats.

Von verschiedenen Passierscheinstellen wurde bekannt, dass sie im Laufe des gestrigen Nachmittags ein weiteres Fernschreiben des Senats erhalten haben, nach welchem – offensichtlich auf die konsequente Haltung der DDR-Postangestellten und die Reaktion der Westberliner Bevölkerung zurückzuführen – die Verteilung der Merkblätter erlaubt und daraufhin teilweise auch in den Vorräumen durchgeführt wurde.

Trotz der zahlreichen Störversuche war am 12.10. festzustellen, dass sich die Westberliner Antragsteller disziplinierter als an den Vortagen verhielten und weniger Diskussionen um die Besuchstage auslösten. 80–90 % der Antragsteller zeigten Verständnis für die Maßnahmen der DDR. Sie hatten größtenteils die Besuchsdaten richtig eingetragen. Andere trugen die Besuchsdaten erst ein, nachdem sie mit den DDR-Angestellten gesprochen hatten (z. B. in Neukölln). In Wedding änderten Betriebsräte an Ort und Stelle die Antragsdaten.

Es fiel wiederum auf, dass sich zahlreiche Antragsteller gegen die »Belehrungen« der Westkräfte verwahrten und sich noch öfter als vorher an die DDR-Angestellten um entsprechende Auskünfte wandten. Ein Teil der Antragsteller beschwerte sich darüber, dass sie die Merkblätter nicht schon vor dem Ausfüllen ihres Antrages erhalten haben. Die DDR-Angestellten parierten diese Beschwerden mit dem Hinweis auf die Maßnahmen des Senats.

Die Zahl der Antragsteller, die negativ auftraten oder die DDR-Angestellten beleidigten, ist zurückgegangen. Bei dem Teil der Antragsteller, die kein Verständnis für das festgelegte Limit zeigten, spielte vor allem die Beschränkung der Besuchstage im 1. Besuchszeitraum eine Rolle. In diesem Zusammenhang wurde erneut »argumentiert«, dass an den nichtausgelasteten Tagen entweder die Antragsteller oder die zu besuchenden Bürger der Hauptstadt der DDR keinen Urlaub bekommen würden. U. a. wurde dabei mehrmals das Warenhaus Hertie erwähnt. In einzelnen Fällen wurde angeführt, dass das festgelegte Limit im Vergleich zum Dezember-Abkommen2 eine Verschlechterung darstelle.

Auch am 12.10. wurden wieder mehrere Betriebsräte bzw. -Beauftragte abgefertigt, u. a. der BEWAG, von Betrieben der Post und des Fernmeldewesens, von Dienststellen der Reichsbahn, von Betrieben in Reinickendorf usw.

In der Passierscheinstelle Neukölln/Morusstraße haben die Westkräfte Antragsformulare gehortet und ihr Verhalten damit begründet, dass sie im Falle der von ihnen erwarteten angeblichen Zurückhaltung der DDR Reserven haben wollten.

Die Passierscheinstellen wurden am 12.10. nur in Einzelfällen von westlichen Reportern usw. besucht. Es kam dabei zu keinen erwähnenswerten Störungen im Arbeitsablauf.

In der Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten in Wilmersdorf wurden am 12.10. 269 Anträge (davon 37 für die Einreise mit Kfz) für 420 Personen (145 Männer, 214 Frauen, 61 Kinder) angenommen. Nach Gründen untergliedert waren es

  • 84 wegen lebensgefährlicher Erkrankungen,

  • 76 wegen Todesfällen,

  • 45 wegen Geburten,

  • 35 wegen Eheschließungen,

  • 17 wegen Familienzusammenführung,

  • zwölf aus sonstigen Gründen.

Damit wurden seit dem 1.10. in dieser Passierscheinstelle 1 829 Anträge für 2 861 Personen entgegengenommen.

Ausgegeben wurden am 12.10. 148 Passierscheine, davon einer, der am gleichen Tage beantragt worden war.

Die Arbeit in dieser Passierscheinstelle verlief reibungslos. Besondere Vorkommnisse oder Provokationen gab es nicht. Das Ansteigen der Zahl der Anträge ist im Wesentlichen auf die Neuregelung der Antragsannahme zurückzuführen. So hat die Zahl der Antragsteller, die nicht zum Kreis der Besuchsberechtigten gehören, weiter zugenommen. Aus diesem Grunde erhöht sich die Zahl der Ablehnungen von Passierscheinen.

Der Leiter der Westkräfte in der Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten [Name 4] hat mit noch zwei seiner Mitarbeiter am 12.10. alle Personen, deren Anträge abgelehnt worden waren, nach ihrem Weggehen angehalten und befragt. Über den Inhalt dieser Gespräche wurde nichts bekannt.

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    13. Oktober 1964
    Einzelinformation Nr. 889/64 über eine weitere Provokation mit Brandflaschen an der Staatsgrenze im Raum Mahlow

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    12. Oktober 1964
    Einzelinformation Nr. 887b/64 über eine versuchte Schleusung DDR/Westberlin mittels Pkw durch einen USA-Bürger [Kurzfassung]