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Einleitung 1972

Einleitung 1972
Ronny Heidenreich

1. Zeithistorischer Hintergrund

Elf Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer und zwanzig Jahre nach der Abriegelung der innerdeutschen Grenze öffneten sich 1972 die Schlagbäume der DDR. Allerdings nur für Einwohnerinnen und Einwohner Westberlins und der Bundesrepublik. Ihnen war bis dahin die Einreise in den Osten Deutschlands nur in Ausnahmefällen möglich gewesen, wie auch der Transit von und nach Berlin in den zurückliegenden Jahrzehnten ständigen Behinderungen durch die DDR-Behörden unterworfen war. Für die allermeisten Ostdeutschen endete die Welt weiterhin an Berliner Mauer und innerdeutscher Grenze, auch wenn die SED-Führung im Oktober 1972 neue, aber weiterhin eng umrissene Möglichkeiten für Besuchsreisen in den Westen einräumte. Die im Januar 1972 zugebilligten Reisemöglichkeiten für die DDR-Bevölkerung nach Polen und in die Tschechoslowakei konnten dieses Manko kaum aufwiegen.

Die einseitige Grenzöffnung nach Westen war 1972 ein erstes und für die Menschen bis dahin das vielleicht wichtigste Ergebnis der Entspannungspolitik.1 Handlungsspielraum hatte die SED wenigstens in Reisefragen kaum. Es waren die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die sich im September 1971 mit dem Viermächteabkommen über Berlin darauf verständigt hatten, diesen Konfliktherd des frühen Kalten Krieges einzufrieren und sich gegenseitig den ungehinderten Zugang nach Berlin zu garantieren. Es war nun Aufgabe der SED, den reibungslosen Transit im Namen Moskaus umzusetzen. Im Windschatten dieser internationalen Entspannung nahm die »Neue Ostpolitik« Willy Brandts Fahrt auf. Am 17. Mai 1972 ratifizierte der Bundestag trotz heftiger innenpolitischer Widerstände die zwei Jahre zuvor unterzeichneten Ostverträge mit Moskau und Warschau. Vorausgegangen war ein gescheitertes Misstrauensvotum gegen den Kanzler, mit dem die Annahme der Abkommen in letzter Minute verhindert werden sollte.

Dass Brandt die politischen Krisen des Jahres überstand, war auch der DDR-Staatssicherheit geschuldet. Zum einen bestach das MfS zwei Bundestagsabgeordnete, um bei der Abstimmung über das Misstrauensvotum die nötige Stimmenmehrheit im westdeutschen Parlament zu verhindern.2 Zum anderen sorgte die Stasi für einen reibungslosen Ablauf der zeitweiligen Grenzöffnung während der hitzigen Bundestagsdebatten über die Ostverträge an den Oster- und Pfingsttagen 1972. Diese von der SED-Führung als »Gesten des guten Willens« bezeichneten Maßnahmen sollten der Welt beweisen, dass die von Brandt ausgehandelten Verträge tatsächlich auf eine Entspannung hinausliefen.

Die unfreiwillige Schützenhilfe des MfS geschah letztlich weniger auf Veranlassung der SED als vielmehr der Moskauer Parteispitze. Diese sah die unbedingte Stützung Brandts als Gewähr für die Durchsetzung ihrer internationalen Interessen und nahm die Ostberliner Führung hierfür in die Pflicht. Unter diesen Rahmenbedingungen kam auch in die deutsch-deutschen Beziehungen 1972 erhebliche Bewegung. Wenige Tage vor der Bundestagswahl am 19. November einigten sich die SED-Führung und die Bundesregierung über den Grundlagenvertrag, der am 20. Dezember 1972 in Ostberlin unterzeichnet wurde. Die SED beugte sich auch hier auf Moskauer Druck zahlreichen Wünschen der westdeutschen Verhandlungspartner. Für die Menschen in der DDR waren mit der Unterzeichnung des Vertragswerkes begründete Hoffnungen auf weitere »menschliche Erleichterungen« verbunden. Die Amnestie nunmehr von der DDR-Führung auch öffentlich so bezeichneter »politischer Gefangener« Anfang Oktober war ein weiteres Signal, dass es die SED-Spitze unter Erich Honecker mit der Öffnung des Landes tatsächlich ernst meinen könnte (Information 999/72).3

Auch innenpolitisch vermittelte die seit einem Jahr amtierende neue SED-Führung ein Gefühl des Aufbruchs. Eine breite gesellschaftliche Debatte löste der kurz vor Weihnachten 1971 verkündete und im März 1972 in der Volkskammer verabschiedete Beschluss über eine Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus. Es war die einzige Abstimmung der DDR-Volkskammer, bei der die SED – freilich kalkulierte – Gegenstimmen akzeptierte. Die tiefgreifendste Veränderung vollzog sich im April 1972, als Honecker auf der 5. Tagung des Zentralkomitees seine bereits 1971 angekündigten sozialpolitischen Reformen mit umfassenden lohn- und rentenpolitischen Gefälligkeiten für die DDR-Bevölkerung umsetzte. Das sollte zur Akzeptanz der SED und zur dauerhaften Befriedung der Gesellschaft beitragen.4 Die damit mittelfristig hervorgerufenen volkswirtschaftlichen Verwerfungen bewirkten aber genau das Gegenteil. Die ökonomische Misere war ein wesentlicher Faktor, der im Herbst 1989 zum Niedergang der DDR führte. Die in der Folge erzwungene und 1972 noch verweigerte Grenzöffnung nach Westen auch für DDR-Bürgerinnen und Bürger sollte das Schicksal des SED-Regimes besiegeln.

Hinter den Kulissen bereitete schon die begrenzte Öffnung des Landes 1972 der SED und ihrer Geheimpolizei Sorgen. Für das MfS schien die Welt in den zurückliegenden Jahren aus den Fugen geraten. Seit der Verkündung der »Neuen Ostpolitik« 1969 hatte sich die Staatssicherheit zunächst gegen die von Walter Ulbricht angestoßene Öffnung nach Westen verwahrt, musste sich aber schließlich 1971 den von Moskau diktierten und vom neuen Parteichef Erich Honecker umgesetzten deutschlandpolitischen Rahmenbedingungen anpassen. Galten der Stasi bis 1970 noch Willy Brandt und der »Sozialdemokratismus« als größte Gefahren, musste nun auf Moskauer Geheiß der politische Kurs des Bundeskanzlers mit allen Mitteln verteidigt werden.5 Die Bedrohungswahrnehmung blieb im Kern aber unverändert. Das MfS witterte hinter der Öffnung ungebrochen die Gefahr einer inneren Destabilisierung des SED-Staates, die mit geheimpolizeilichen Mitteln im Verborgenen zu bekämpfen war. Das zeigen auch die an die SED-Parteiführung verteilten Berichtes des Jahrganges 1972.

2. Ausgewählte Themenfelder der Berichte

Die deutschlandpolitischen Umbrüche spiegeln sich in der innenpolitischen Berichterstattung der Staatssicherheit nur mittelbar. In der Kommunikation mit der SED dürften sie gleichwohl die größte Rolle gespielt haben, wie die Auslandsberichte der Stasi zeigen. Die ZAIG verteilte 1972 mehr als 900 außenpolitische Berichte, die mehr als 80 Prozent des Berichtsaufkommens der Staatssicherheit in diesem Jahr ausmachen.6 Die innenpolitischen Berichte deckten das aus den zurückliegenden Jahren bekannte Spektrum an Themenfeldern ab: Flucht, Wirtschaftsprobleme und vereinzelte Protesthandlungen. Neu hinzu kam die regelmäßige Berichterstattung über den einsetzenden innerdeutschen Reiseverkehr.

2.1 Deutschlandpolitik

Die Deutschlandpolitik schlägt sich in den Inlandsberichten vor allem als Reaktionen der DDR-Bevölkerung nieder. Das ist nicht verwunderlich. In der Wahrnehmung des MfS maß die DDR-Bevölkerung sämtliche Schritte der SED-Führung immer mit Seitenblick auf Reaktionen und Erwartungen der westdeutschen Regierung, namentlich des äußerst populären Bundeskanzlers Willy Brandt. Das MfS führte der Parteiführung damit ständig vor Augen, dass die Loyalität der Bevölkerung in starkem Maße noch immer nicht der DDR galt. Die Verhandlungen mit dem Westen machten die SED zudem in der Wahrnehmung der Staatssicherheit erpressbar. So verwies das MfS beispielsweise mit Blick auf die Kirchen darauf, dass die Aufmerksamkeit der westdeutschen Regierung von einigen Pfarrern gezielt genutzt werde, um auf Repressalien gegen die Glaubensgemeinschaften hinzuweisen (Information 151/72) oder sich einzelne Kirchenführer mit ihren Anliegen in der Hoffnung auf Unterstützung direkt an Brandt wandten (Informationen 303/72, 538/72).

Wie rege die Anteilnahme der DDR-Bevölkerung an den innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik war, lässt sich vor allem in jenen Stasi-Berichten nachlesen, die unmittelbar die Folgen der Annäherungspolitik thematisieren, namentlich den Reiseverkehr. Insbesondere im Kontext der zunächst befristeten und ab Juni 1972 verstetigten Grenzöffnung wurden immer wieder Verweise auf die politische Einstellung der DDR-Bevölkerung eingeflochten. So vermerkte das MfS in einem Abschlussbericht über die »Geste des guten Willens« beiläufig, dass die Sympathie für Brandt ungebrochen sei, was sich auch daran zeige, dass die Postüberwachung 30 Briefe – in den Worten der Staatssicherheit »Sympathiebekundungen« – an Brandt sichergestellt habe, die dem Bundeskanzler Erfolg bei der Ratifizierung der Ostverträge wünschten. Beruhigend und für die Leser des Berichtes erfreulich sei ungeachtet der »Überbewertung« Brandts immerhin, dass in den sichergestellten Briefen nicht »feindlich oder provokatorisch gegen die DDR oder ihre Repräsentanten Stellung genommen« werde (Anlage zur Information 416/72).

Das einzige innenpolitische Ereignis, das sich dezidiert mit den Reaktionen der DDR-Bevölkerung auf die Vorgänge in der Bundesrepublik befasste, war die Bundestagswahl am 19. November 1972. Sie war nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen Willy Brandt notwendig geworden und wurde deshalb auch zu einer Abstimmung über die Fortsetzung der »Neuen Ostpolitik«. Eine erste Ausarbeitung vom 21. November verließ das Ministerium nicht und zirkulierte nur zwischen Mielke und seinem Stellvertreter Bruno Beater (Bericht K 34a). Das MfS konstatierte sowohl ein großes Interesse als auch große Begeisterung für den Erdrutschsieg Brandts, dessen SPD mehr als 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Die Begeisterung sei aber, so das MfS, »egoistisch« motiviert: Große Teile der DDR-Bevölkerung verbanden damit die Hoffnung auf weitere »menschliche Erleichterungen«, namentlich eine Grenzöffnung auch für sie. Am 5. Dezember 1972 wurde schließlich ein umfassender Abschlussbericht für die Parteispitze verfasst (Information 1100/72). Auch wenn der Bericht im Betreff Bezug auf die zwei Wochen zurückliegende Bundestagswahl nahm, liest sich die Ausarbeitung eher wie eine Generalabrechnung des MfS mit der Annäherungspolitik des zu Ende gehenden Jahres. Der Zeitpunkt der Berichtabfassung war sicherlich nicht zufällig gewählt. Am gleichen Tag trat das Zentralkomitee zu einer zweitägigen Sitzung zusammen, in der es unter anderem um die bevorstehende Unterzeichnung des Grundlagenvertrages ging.7 Diese an Parteichef Erich Honecker und Werner Lamberz, der als weltgewandter junger Nachwuchsfunktionär wie kaum ein anderer den Aufbruch in der DDR verkörperte, gerichtete Fassung wiederholte im Wesentlichen die vorherigen Argumente, zeichnete dann aber ein fundamentales Bedrohungsszenario. Der Wahlsieg der SPD wecke »bei größeren Bevölkerungskreisen in der DDR die verschiedensten Illusionen und Erwartungen« und verstärke die schon immer betonte »Tendenz der Überbewertung der Rolle der SPD und besonders der Rolle Willy Brandts«. Die Verhandlungen über den Grundlagenvertrag hätten gezeigt, dass sich die DDR »in der Defensive« befinde, da weitreichende Zugeständnisse gemacht würden. Tatsächlich hatte sich Honecker auf Weisung der Moskauer Führung in den Verhandlungen mit der Bundesregierung maximal kompromissbereit gezeigt und viele bisher vertretene Maximalforderungen aufgegeben, um das Vertragswerk noch vor der Bundestagswahl abzuschließen: in der berechtigten Hoffnung, dass dies Brandts Chancen auf einen Wahlsieg erheblich steigere.8 Nun aber warnte das MfS, dieses Zurückweichen würde in der DDR-Bevölkerung weitreichenden Erwartungen nach einer allgemeinen Grenzöffnung oder gar einer Aufhebung des »Schießbefehls« Vorschub leisten. Mehr noch verfestige sich selbst in Kreisen systemloyaler »fortschrittlicher Bürger« der Eindruck, dass die SED zu viele Zugeständnisse gemacht habe und letztlich die »politische Propaganda der SPD« in der DDR mehr verfange als die offizielle Parteilinie und damit die »zurzeit geduldete politische Windstille« die Machtbasis der SED unterminiere. In der Sache war dies erstaunlich starker Tobak und die Staatssicherheit zeigte sogleich auf, was aus ihrer Sicht nun getan werde müsse. Mit Verweis auf angebliche Diskussionen in »fortschrittlichen Kreisen« sollte in den gelenkten Medien eine »Hintergrundauseinandersetzung« mit den tatsächlichen Zielen der Ostpolitik Brandts vorgenommen werden, um solchen bedrohlichen Diskussionen in der Bevölkerung etwas entgegenzusetzen. Das MfS selbst, auch diese Botschaft vermittelte der Bericht, habe diese »wahren Ziele« längst erkannt und sei mit der Abwehr befasst.

Ob Mielkes Intervention Honecker beeindruckte, lässt sich nicht sagen. Der Parteichef jedenfalls betonte in seinem Schlusswort auf der ZK-Tagung ganz in der Argumentation der Staatssicherheit, dass trotz aller Annäherung der »ideologische Kampf an Umfang und Intensität« zunehme und die »Unvereinbarkeit« von Sozialismus und westlicher Demokratie »objektiv« weiter bestehe.9 Das war keine Absage an den eingeschlagenen Annäherungskurs, aber doch ein deutliches Signal der Abgrenzung. Im Mittelpunkt der Parteitagung standen die inneren »Errungenschaften« des Jahres. Denn für die SED war es viel wichtiger, die eigene Bevölkerung für sich zu gewinnen.

2.2 Innenpolitik

Bereits im Frühjahr 1972 hatte die neue SED-Führung erste grundlegende Beschlüsse zur »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« gefasst. Das MfS ließ die Reaktionen in der Bevölkerung in den ersten Maitagen und damit unmittelbar nach Verkündung des ersten großen lohn- und rentenpolitischen Reformpaketes in einem ausführlichen Stimmungsbericht analysieren (Bericht K 29). Allerdings gelangte diese Ausarbeitung nicht zur Verteilung und verschwand in der Ablage der ZAIG. Warum die »ausnahmslos mit großer Zustimmung« bejubelten Entscheidungen nicht der Parteiführung übermittelt wurden, bleibt offen. Zumal sich das MfS zu der Behauptung verstieg, die Begeisterung über diese Neuerungen dränge sogar – selten genug in diesem Jahr – die Diskussionen über Willy Brandt in den Hintergrund. Wahrscheinlich sah das MfS von einer Verteilung ab, weil die Abteilung Parteiorgane beim ZK unter dem 28. April 1972 die Politbüromitglieder bereits mit einer ähnlich lautenden Einschätzung bedacht hatte.10 Mielke bekam diesen Bericht zugestellt und übermittelte ihn am 4. Mai 1972 der ZAIG, wo daraufhin die Verteilung der eigenen Ausarbeitung möglicherweise zurückgestellt wurde.11

Allgemein hatte die Berichterstattung über Wirtschaftsfragen und ihren Widerhall in der Bevölkerung in den zurückliegenden Jahren eine große Rolle gespielt und war im Machtkampf zwischen Ulbricht und Honecker 1970/71 zu einer hochpolitischen Angelegenheit geworden.12 1972 spielten die übergeordneten Richtungskämpfe keine Rolle mehr. Was die Staatssicherheit jetzt über die Lage in der Wirtschaft berichtete, scheint substanziell vernachlässigbar. Von den 13 Wirtschaftsberichten entfiel die Masse auf kleinere und größere Zwischenfälle wie Havarien (Informationen 71/72, 412/72, 732/72, 910/72, 976/72) oder Brände (Informationen 59/72, 762/72, 819/72, 985/72). Von übergreifender volkswirtschaftlicher Bedeutung waren nur drei Berichte, beispielsweise über Produktionsschwierigkeiten bei der Herstellung von Tonbändern, die als begehrtes Konsumprodukt nicht in ausreichendem Maße hergestellt werden und damit ein zentrales Anliegen von Honeckers Wirtschaftspolitik gefährden konnten (Information 885/72). Ähnlich schwer wogen die Ende des Jahres und unmittelbar vor der Diskussion des nächsten Volkswirtschaftsplanes auf der ZK-Tagung gemeldeten Probleme in den Chemiewerken Schwedt und Schwarzheide (Informationen 1094/72 und 1095/72). Auch hier schien in der Einschätzung der Staatssicherheit die Herstellung von Grundstoffen für Waren des täglichen Bedarfs gefährdet. In beiden Fällen gab das MfS klare Handlungsempfehlungen, wie auf die gemeldeten Schwierigkeiten reagiert werden sollte. Im Falle des Chemiekombinates Schwedt erlaubte sich die Staatssicherheit sogar, einen Beschluss der zuständigen ZK-Abteilung Grundstoffindustrie unter dem mächtigen Wirtschaftslenker Günter Mittag zu kommentieren. Das deutet darauf hin, dass sich das MfS auf dem Wirtschaftssektor weiterhin in der Rolle eines Mahners und Wächters der Parteilinie sah und diese Dienstleistung bei den zuständigen Partei- und Staatsfunktionären geschätzt wurde.

2.3 Vollverstaatlichung

Zu den wirtschaftspolitischen Weichenstellungen des Jahres 1972, die später selbst ranghohe SED-Kader kritisch sahen, gehörte die Enteignung der letzten halbstaatlichen und privaten Betriebe in der DDR.13 Die Duldung privatwirtschaftlicher Elemente war nach dem Volksaufstand 1953 als Ausweg aus dem harten Enteignungskurs entwickelt und unter Walter Ulbricht in den 1960er-Jahren in der Hoffnung gefördert worden, durch kapitalistische Anreize die Planwirtschaft zu beflügeln.14 Bereits 1970 wurde diese Privilegierung unter anderem auf Moskauer Druck hin schrittweise zurückgefahren. Doch erst nach dem Machtwechsel vollzog die SED unter Honecker den entscheidenden Bruch. Am 8. Februar 1972 beschloss das Politbüro im Geheimen die »Vollendung der sozialistischen Produktionsverhältnisse«. Auch wenn dieser grundstürzende Beschluss bis 1990 in der Öffentlichkeit unbekannt blieb, hatte sich die Parteiführung mehrfach dahingehend geäußert, dass ein grundlegender Wandel im Verhältnis zu den privaten Unternehmen bevorstand. So nutzte Honecker die ZK-Tagung im Dezember 1971, um mehr oder weniger unverhohlen Drohungen gegenüber Privatbetrieben auszustoßen.15

Über das konkrete Vorgehen war sich die DDR-Führung uneinig. Namentlich zwischen der Plankommission und dem Parteiapparat bestand ein Dissens über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer Vollverstaatlichung.16 Dass sich Honecker trotz aller Warnungen dafür entschied, hatte letztlich wohl vor allem ideologische Gründe. Gleichwohl ging die SED nur schrittweise vor: In einer ersten Phase ab dem Jahreswechsel wurde die Vollverstaatlichung zunächst als Testfall im Kreis Apolda durchgesetzt. Die zweite Stufe betraf den Bezirk Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), bevor ab April 1972 die Kampagne schließlich auf die gesamte DDR ausgedehnt wurde.17

Das MfS mit seinen guten Einblicken in die ökonomischen Verhältnisse hielt sich aus den kontroversen Diskussionen zwischen Plankommission und Parteiapparat heraus. Die Berichte stärkten gleichwohl Honeckers Linie. In der Sache ist das nicht verwunderlich: Der Staatssicherheit waren Privatunternehmer und die Freizügigkeiten halbstaatlicher Unternehmen seit Längerem ein Dorn im Auge. Bereits 1970 und 1971 hatte das MfS die Parteiführung mit Fällen vermeintlicher Unterschlagung, Korruption oder gar Verrat privater Unternehmer konfrontiert und die politisch Verantwortlichen mehr oder weniger unverhohlen zum Handeln aufgefordert (vgl. beispielsweise Information 802/70). Unmittelbare Konsequenzen zeitigten diese Interventionen bis zum Rücktritt Ulbrichts aber nicht. Nach dem Machtwechsel änderte sich die Lage. Gut einen Monat vor dem grundlegenden Politbürobeschluss versandte das MfS am 10. Januar 1972 einen Bericht über eine Außenstelle des VEB Armaturenwerke Magdeburg und bezichtigte mehrere leitende Mitarbeiter schwerwiegender Wirtschaftsvergehen (Information 23/72). Das MfS gab den Empfängern zwei Empfehlungen mit auf den Weg: Erstens seien, wie auch schon früher gefordert, solche »Unternehmertypen« stärker zu kontrollieren und aus Entscheidungspositionen zu verdrängen. Zweitens und grundsätzlicher zeige dieser Vorfall, dass »eine prinzipielle Überprüfung« privatwirtschaftlicher Strukturen in der Volkswirtschaft dringend notwendig sei. Im Lichte der weiteren Entwicklung liest sich der Bericht wie eine vorweggenommene Begründung des Beschlusses der Parteiführung. Zwei der Empfänger, Günter Mittag, im SED-Wirtschaftsapparat treibende Kraft bei der Durchsetzung der Enteignungskampagne, und Wolfgang Rauchfuß, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates und zuständig für Wirtschaftsfragen, waren an der Ausarbeitung des Politbürobeschlusses vom 8. Februar 1972 maßgeblich beteiligt.18

Ob es dieser Intervention der Staatssicherheit bedurfte, ist fraglich.19 Die grundsätzliche Entscheidung, gegen die halbstaatlichen Unternehmen vorzugehen, hatte Honecker bereits gefällt und besaß hierfür die Rückendeckung Moskaus.20 Die SED-Führung war sich zudem bewusst, dass die geplanten Enteignungen nicht ohne Konflikte vonstattengehen würden. Besonders aus den Blockparteien CDU und LDPD drohte Widerstand, wie der SED-Führung aus mehreren Kanälen und direkten Unterredungen mit Betroffenen signalisiert wurde.21 Die Gefahr einer begrenzten innenpolitischen Krise schien damit im Frühjahr 1972 durchaus gegeben. So könnte zu erklären sein, dass Staatssicherheitsminister Mielke Erich Honecker persönlich über die Stimmung unter den halbstaatlichen Unternehmern in Kenntnis setzte. Die auf den 8. Februar 1972 datierte Information 123/72 wurde dem Postausgangsbuch der ZAIG zufolge als letzter Ausgang am 7. Februar 1972 durch den »Gen. Min[ister]« persönlich in Empfang genommen. Ein Durchschlag ging, auch das verweist auf die Tragweite der Unterrichtung, an das KGB.22 Die ZAIG-Information sandte mehrere verschiedene Signale. Zum einen und aus Sicht der SED beruhigend seien Bemühungen der Blockparteien, auf den anstehenden Parteitagen »positive« Betriebsinhaber zu präsentieren, die der Verstaatlichung ihrer Unternehmen zustimmen würden. Insgesamt aber sei eine massive Verunsicherung und Enttäuschung unter den Unternehmern festzustellen, die in Einzelfällen sogar Befürchtungen vor einem Rückfall in die drakonischen Zeiten vor dem Volksaufstand 1953 äußern würden. Das aber solle, so die letzten Absätze, nicht abschrecken: schließlich würden viele Unternehmer aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung darauf setzen, dass sie unverzichtbar seien und die SED nicht durchgreifen würde. Schlimmstenfalls müsse man, so vom MfS gemeldete Unternehmerstimmen, bis zum nächsten Kurswechsel überwintern. Schon deshalb, so der Tenor des Berichts, müsse diese Form des hinhaltenden Widerstandes nun gebrochen werden.

Über die ersten Reaktionen auf die Verstaatlichungskampagne berichtete die Staatssicherheit Mitte Februar. Inzwischen waren die CDU und die LDPD zu Parteitagen zusammengekommen, auf denen die Zukunft des privaten Unternehmertums in der DDR zentrales Thema war. Am 17. Februar 1972 legte das MfS eine nur für die Augen Honeckers bestimmte Zwischenbilanz vor, die in wesentlichen Teilen die bereits zehn Tage zuvor geschilderten Argumente und Beispiele wiederholte (Information 152/72). Auf die Parteitage ging das MfS insofern ein, als aus Kreisen der LDPD parteiinterne Diskussionen sowie »negative« Beispiele von Delegierten angeführt wurden, die sich gegen eine Aufgabe ihrer Betriebe stemmen würden. Hier bestand also Handlungsbedarf. Ob ein kausaler Zusammenhang zwischen der Unterrichtung Honeckers und den nun einsetzenden aktiven Eingriffen des MfS bestand, ist nicht belegbar, aber nicht unwahrscheinlich. Am Folgetag wurden jedenfalls Emissäre der MfS-Zentrale in die MfS-Bezirksverwaltungen geschickt und die Beobachtung solch »negativer« Erscheinungen zur vordringlichen Aufgabe der Staatssicherheit erklärt.23

Über die Ergebnisse dieser Maßnahmen informierte das MfS die Parteispitze ab jetzt nur noch zurückhaltend. Das dürfte damit zu erklären sein, dass der gesamte Partei- und Staatsapparat über die Reaktionen bzw. Gespräche mit den betroffenen Unternehmern an die SED-Parteizentrale berichtete und das MfS vor Ort in die mit der Enteignung befassten Sonderkommissionen eingebunden war.24 Die Beobachtung der Stimmung nahm mitunter kuriose Wege, zeigt aber zugleich, welch neuralgische Bedeutung die Partei ihnen beimaß. So ist in der Ablage von Propagandachef Albert Norden eine Notiz für den stellvertretenden Ministerpräsidenten Wolfgang Rauchfuß überliefert, der die Einschätzung eines Chauffeurs des ZK enthält, der wiederum von Diskussionen in seinem Bekanntenkreis über die laufende Kampagne berichtete.25 Wichtiger war sicherlich die Unterrichtung der örtlichen Kreisleitungen über die Umsetzung der Maßnahmen. Im Frühjahr 1972 spielte hier vor allem die SED-Kreisleitung Apolda eine entscheidende Rolle, deren Berichte direkt an die SED-Spitze durchgestellt wurden.26

Erst am 15. März 1972 legte die Staatssicherheit Honecker und Horst Sindermann als Stellvertreter von Regierungschef Willi Stoph einen neuen Bericht vor (Information 241/72). Schwerpunkt war weniger der Verlauf der Kampagne selbst als vielmehr die am 12. März 1972 beginnende Leipziger Frühjahrsmesse, auf der sich traditionell die ostdeutschen Unternehmer mit ihren westlichen Kollegen trafen. Insofern standen jene Betriebe im Fokus, die solche grenzüberschreitenden Kontakte pflegten. Das MfS legte Einschätzungen vor, wie die einzelnen Unternehmer zu den angelaufenen Maßnahmen standen. All dies erfolgte augenscheinlich im Bestreben, sich auf mögliche westliche Reaktionen auf die berichtete Empörung und Verbitterung der von Enteignung bedrohten oder enteigneten Unternehmer vorzubereiten. Volkswirtschaftlich bedenklich erscheint auch die Feststellung, dass einige westliche Unternehmer »Unsicherheiten hinsichtlich der Gestaltung von Vertragsabschlüssen« erkennen ließen.

Ungeachtet solcher bedenklichen Begleiterscheinungen verlief die Verstaatlichungskampagne, die inzwischen auf den Bezirk Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) ausgeweitet worden war, aus Sicht der Parteiführung insgesamt zu langsam. Honecker drängte auf ein beschleunigtes Tempo und ließ dies bei einer Rede in Leipzig am 22. März 1972 öffentlich durchblicken. Zwei Tage später fasste das MfS die Situation aus seiner Sicht letztmalig zusammen: die Lage sei weiterhin schwierig, einer Minderheit vollzogener Verstaatlichungen stehe die Mehrheit abwartender Betriebe gegenüber, wie auch die Zahl jener Unternehmer anhaltend hoch sei, die sich gegen die Enteignung wehrten (Information 286/72).

Über die im April einsetzende radikale und nunmehr republikweite Phase der Vollverstaatlichung setzte die Staatssicherheit keine Berichte mehr ab. Das bedeutet nicht, dass die Kampagne nun störungsfrei verlief. Im Gegenteil: die SED erhöhte den Druck auf die Unternehmen maximal. Einige Unternehmer kapitulierten und versuchten im Gegenzug für die Aufgabe ihrer Unternehmen eine Ausreisegenehmigung in den Westen zu erhalten. Andere Fälle endeten mit Suiziden tragisch. Der Partei- und Staatsapparat war völlig überfordert und nahm zeitweilig sogar einen Kontrollverlust oder wenigstens die Lahmlegung der örtlichen Verwaltungen in Kauf. Politisch wurde das Ziel dennoch erreicht: Innerhalb von drei Monaten war die Kampagne abgeschlossen und mehr als 11 000 Betriebe waren in Staatsbesitz überführt worden. Honecker meldete am 13. Juli 1972 nach Moskau, dass das vor ziemlich genau zwei Jahren angestoßene Projekt abgeschlossen sei.27

Es ist erstaunlich, dass die Staatssicherheit in der krisenhaften Phase keinerlei Berichte mehr an die SED-Führung absetzte. Die Informationen der Staatssicherheit lieferten der Parteiführung gleichwohl in den kritischen frühen Testphasen Situationsbeschreibungen. Im Fall der am Vorabend der grundlegenden Politbüroentscheidung vom 8. Februar 1972 übermittelten Lageeinschätzung kann daher eine gewisse Bedeutung für die Empfänger zugemessen werden. Entscheidend war die Meinung der Staatssicherheit aber wohl kaum: Es ist schwer vorstellbar, dass Honecker den vorbereiteten und abgestimmten Beschluss auf Grundlage anderer Informationen zurückgestellt hätte.

2.4 Auf dem platten Lande

Eine ähnlich grundlegende Veränderung vollzog sich in der Landwirtschaft. Deren Übergang in »sozialistische Produktionsverhältnisse« hatte die SED bereits 1960 erzwungen. Allerdings wurden auch hier zunächst teil- bzw. halbgenossenschaftliche LPG geduldet. Im Windschatten der Vollverstaatlichungskampagne und von der Öffentlichkeit weit weniger wahrgenommen wurde ein Großteil der teilgenossenschaftlichen LPG vom Typ I und II in die vollgenossenschaftliche Type III umgewandelt. 1972 waren rund 1 500 Genossenschaften davon betroffen.28 Außerdem war unter Ulbricht 1963 das Landwirtschaftsministerium aufgelöst und durch einen kollektiven Landwirtschaftsrat ersetzt worden. Auch dies wurde 1972 rückgängig gemacht: Das Ministerium wurde nach Abschluss der organisatorischen Vorbereitungen Anfang 1973 wiederbegründet und damit ganz im Sinne der von Honecker gewünschten dirigistischen Planwirtschaft die zentralistische Anleitung wiederhergestellt. Waren bislang die staatlichen Lenkungsgremien nur an den Spitzen mit SED-Kadern durchsetzt, suchte die Staatspartei jetzt auf allen Ebenen Fuß zu fassen.29 Ab Frühjahr 1972 wurden die bislang tonangebenden Kader der Blockpartei DBD aus den Leitungspositionen der LPG und Großgenossenschaften verdrängt und durch SED-Mitglieder ersetzt.30

Der dadurch ausgelöste Unmut in der DBD war für die Staatssicherheit erstmals seit Jahren wieder Anlass, die Parteispitze über Interna aus den Blockparteien zu informieren. In der SED waren diese Vorgänge alles andere als unbekannt, da die Ablösung einzelner Funktionäre ja in Zuständigkeit des Parteiapparates vorgenommen wurde. So meldete unter anderem die ZK-Abteilung Befreundete Parteien aus mehreren Kreisen, dass Unmut gegen die Einsetzung von SED-Genossen in LPG und anderen Einrichtungen verbreitetet sei und einzelne DBD-Funktionäre in die SED wechseln würden, um bessere Aufstiegschancen zu haben.31 Sogar das MfS flankierte solche Meldungen im März 1972 mit einer Unterrichtung über die Stimmung im Parteivorstand (Information 243/72). Die Zugänge der Staatssicherheit, die Interna aus einer Sitzung des Parteivorstandes zu berichten wusste, waren offensichtlich gut. In der Schusslinie des MfS stand der DBD-Bezirksvorsitzende von Erfurt Willi Grandetzka, der seinem Unmut über die Unterjochung der Bauernpartei Luft gemacht haben soll. Grandetzka, so das MfS, werde in seiner Auffassung von den meisten Mitgliedern der Parteiführung und namhaften Agrarwissenschaftlern unterstützt. Einzig der Vorsitzende Ernst Goldenbaum und sein Stellvertreter Ernst Mecklenburg verteidigten die Linie der SED. Der Bericht wurde Paul Verner als Leiter der Sicherheitsabteilung und erstaunlicherweise dem KGB zugestellt. Warum sich die sowjetische Geheimpolizei mit den Problemen der Bauernpartei beschäftigte, wirft Fragen auf. Vielleicht beabsichtigte das MfS, die sowjetischen Genossen bei der Wiederherstellung der Parteidisziplin in die Verantwortung zu nehmen. Immerhin war die DBD 1948 von der sowjetischen Besatzungsmacht begründet worden und einige ihrer führenden Köpfe blieben sehr wahrscheinlich Konfidenten des KGB.32 Der Kurs der SED in Bezug auf die DBD erfuhr jedenfalls keine Korrektur. Im Gegenteil: Der im Bericht des MfS gemeldete Widerstand gegen die Ablösung von Leitern in den landwirtschaftlichen Betrieben hielt ebenso an, wie die Industrialisierung der Landwirtschaft unter Erich Honecker nie gekannte Ausmaße annahm.

2.5 Grenzöffnung zum Westen

Mit Abschluss des Viermächteabkommens über Berlin im September 1971 war klar, dass dieses Vertragswerk umfassende Auswirkungen auf die DDR haben würde. Der sowjetischerseits zugesicherte ständige freie Transitverkehr von und nach Westberlin musste nun von der SED umgesetzt und garantiert werden. Damit stand die Neuregelung von Besuchsreisen auf der Tagesordnung. Die SED war in all diesen Punkten zu maximalen Konzessionen gezwungen. Bereits das Transitabkommen räumte den seit 1961 vom Ostteil der Stadt und der DDR abgeschnittenen Einwohnerinnen und Einwohnern Westberlins ab dem 3. Juni 1972 ein ständiges Besuchsrecht ein. Der im Mai des Jahres geschlossene und im Oktober in Kraft getretene Verkehrsvertrag erweiterte diese Rechte auf Bundesbürgerinnen und -bürger, die sich fortan jährlich bis zu 30 Tage in der DDR aufhalten durften. Umgekehrt gestand die SED mit dem Verkehrsvertrag auch ihrer Bevölkerung diesseits des Rentenalters die Möglichkeiten einer Westreise zu. Die Möglichkeiten waren 1972 noch sehr beschränkt: nur lebensbedrohliche Erkrankungen und Sterbefälle nächster Angehöriger wurden akzeptiert. Zwar wurde dieser Katalog mehrfach erweitert, 1973 zum Beispiel um Geburtstage und Hochzeiten naher Angehöriger, jedoch räumte die SED nie ein allgemeines Recht auf Westreisen ein. Für Bundesbürgerinnen und -bürger wurde hingegen mit Inkrafttreten des Grundlagenvertrages auch ein erleichterter kleiner Grenzverkehr in die Grenzkreise der DDR eingeführt.33

Nach Abschluss des Transitvertrages im November 1971 blieb dem MfS noch etwa ein halbes Jahr Zeit, um sich auf die neuen Reiseströme einzustellen. Die Vorbereitungen wurden durch eine kurzfristige Entscheidung der SED-Führung torpediert. Am 22. Februar 1972 verkündete die Parteiführung überraschend eine »Geste des guten Willens«, welche die im Transitabkommen vereinbarten Regularien bereits über die Oster- und Pfingstfeiertage in Kraft setzte. Mit der überraschenden Verkündung von Reiseerleichterungen sollte jenen Kritikern im Westen der Wind aus den Segeln genommen werden, die den Verhandlungen mit dem Osten kritisch gegenüberstanden.34 Auch für das MfS kam diese Volte überraschend, bot aber zugleich eine Gelegenheit, die in Ausarbeitung befindlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen einem ersten Praxistest zu unterziehen. Um deren Effektivität ging es zu diesem Zeitpunkt aber nur am Rande: Die Moskauer und damit auch die SED-Führung waren darauf bedacht, dass die Grenzöffnung ohne Störungen ablief. Wie Erich Honecker gut eine Woche nach Ankündigung der »Geste des guten Willens« unterrichtet wurde, habe die Partei deshalb vorsorglich die Aussprache mit den Genossen in der Stasi-Zentrale gesucht. »Hauptanliegen« war die Unterordnung aller Maßnahmen der Staatssicherheit unter das politische Ziel, dass »die Geste des guten Willens voll zum Tragen kommt«, was Mielke persönlich »garantiert« habe.35

Angesichts der zentralen Bedeutung ist es nicht verwunderlich, dass die Staatssicherheit 1972 einen erheblichen Teil ihrer innenpolitischen Berichte den Reiseströmen und damit in Zusammenhang stehenden Fragen widmete. Die Staatssicherheit fertigte zu diesem Themenfeld insgesamt 52 Berichte, davon 21 mit Bezug zu den »Gesten des guten Willens«. Beginnend mit dem 21. März 1972 wurde zunächst über eingehende Anträge auf Einreisen und schließlich mit einem Tag Verzug über die tatsächlichen Reiseströme informiert. Das MfS setzte vor allem Honecker als Parteichef sowie den Chef der Sicherheitsabteilung Paul Verner und Regierungschef Willi Stoph in Kenntnis. Anfänglich wurde auch das KGB eingehend unterrichtet: Karlshorst ließ sich täglich über die Reisebewegungen an den Osterfeiertagen und ihre Abwicklung berichten. Da die Aktion offenbar zur Zufriedenheit verlaufen war,36 ließ sich das KGB über die folgende Pfingstaktion nur noch einmal informieren. Neben solchen meist statistischen Erhebungen wurden auf einzelne Empfänger zugeschnittene Sonderberichte verfasst, die auf Probleme in deren Zuständigkeitsbereich verwiesen. So erhielt der Berliner Parteichef Konrad Naumann einen eigenen Bericht über die zu erwartenden Westberliner Besucher während der Osterfeiertage (Information 290/72). Verkehrsminister Otto Arndt wurde über das voraussichtliche Verkehrsaufkommen in Kenntnis gesetzt (Information 285/72). Innenminister Dickel wurde kurz vor Pfingsten mit einer Prognose über die Besucherströme bedacht (Information 470/72). Am 29. Mai 1972 legte die Staatssicherheit eine erste Bilanz über die »Geste des guten Willens« vor, die mit Ausnahme von Hermann Axen und Walter Ulbricht dem gesamten Politbüro sowie Polizeichef Dickel und dem KGB zugänglich gemacht wurde (Information 520/72). In den Worten der Staatssicherheit hatte die zurückliegende Aktion zu einer verstärkten »politisch-ideologischen Konfrontation« der DDR-Bevölkerung mit dem Westen geführt. Auch wenn die Staatssicherheit rückblickend keine nennenswerten »Provokationen« durch westliche Besucherinnen und Besucher verzeichnen konnte, sei nicht in Abrede zu stellen, dass schon allein die »Präsenz selbst in den unmittelbaren Umgangskreisen eine bestimmte politische Wirkung« hinterließ. Woher das MfS seine Einschätzung nahm, dass sich die »Mehrheit der besuchten Bürger der DDR« loyal verhalten und gegenüber der Westbekanntschaft die Vorzüge des Sozialismus verteidigt habe, sei dahingestellt. Gleichwohl betonte die Staatssicherheit, dass dieser Anschein trügerisch sein müsse, da die Gefahr einer Destabilisierung durch die Öffnung grundsätzlich weiterhin gegeben sei.

Knapp zwei Wochen nach Pfingsten trat das Transitabkommen endgültig in Kraft. Im Unterschied zur »Geste des guten Willens«, für deren Absicherung die Staatssicherheit einen klaren Auftrag und daraus abgeleitet Berichtspflichten hatte, war die Frage einer Unterrichtung über den nun einsetzenden Reisestrom ungeklärt. Zunächst war die Berichterstattung sehr hoch angebunden. Zu den Empfängern der wöchentlich verteilten Berichte gehörten im Juni 1972 Honecker, Stoph und das KGB. Anfang Juli 1972 gab es offenbar einen Stopp, da der für die erste Juliwoche geschriebene Bericht nicht mehr zugestellt wurde (Information 643/72). Der nächste Wochenbericht ging wieder an Honecker und nach Karlshorst (Information 673/72). Für die letzte Juliwoche verschwand die Ausarbeitung neuerlich in der Ablage (Information 695/72). Zwischenzeitlich dürfte die Entscheidung gefallen sein, nur noch monatlich zu berichten. Darauf deutet hin, dass erst Ende August 1972 wieder ein Bericht an Honecker, Stoph und das KGB geschickt wurde (Information 820/72), ebenso Ende September (Information 905/72). Damit kam die Berichterstattung über den innerdeutschen Reiseverkehr bis Jahresende zum Erliegen. Trotz Inkrafttreten des Verkehrsvertrages, der völlig neue Besucherströme aus der Bundesrepublik mit sich brachte, verließen die bereits fertigen Monatsberichte für Oktober und November 1972 die Stasi-Zentrale nicht.37 Das Politbüro wurde lediglich kurz vor Weihnachten wieder über den zu erwartenden Reiseverkehr während der Weihnachtsfeiertage unterrichtet (Information 1168/72).38

Diese erratische Informationspolitik verwundert, da die Abwicklung des deutsch-deutschen Reiseverkehrs politisch überaus bedeutsam für die SED-Führung war. Insbesondere die Überwachung der Transitstrecken war keine »innere Angelegenheit«, weil sie sowjetische Interessen berührte. Zwischen- und Streitfälle konnten im Rahmen der gemeinsamen Transitkommission thematisiert werden, was eine besonders penible Berichterstattung an die Parteiführung erwarten lässt. In welchen Intervallen, in welcher Zuständigkeit und mit welchem Verteiler das MfS die Partei über Fragen des innerdeutschen Reiseverkehrs zu informieren hatte, war 1972 noch offen.39 Spätestens 1975 war diese Frage geklärt: Die Staatssicherheit informierte nunmehr monatlich das Zentralamt für Statistik über die Zahl der Besucherinnen und Besucher. Besondere Zwischenfälle wurden der Parteiführung weiterhin fallweise übermittelt.

2.6 Grenzöffnung zum Osten

Die Überwachung und Berichterstattung über den innerdeutschen Reiseverkehr war 1972 nicht die einzige Herausforderung der Stasi. Zu Jahresbeginn verkündete die DDR-Führung unerwartet die gegenseitige Aufhebung des Visazwangs für Reisen nach Polen und in die Tschechoslowakei. Für die DDR-Bürgerinnen und Bürger eröffneten sich damit völlig neue Reisemöglichkeiten in den Ostblock wie auch für die Bewohnerinnen und Bewohner der Nachbarstaaten, die von Besuchen in Ostdeutschland rege Gebrauch machten. Die Dimensionen überstiegen den Strom von Westbesuchenden bei weitem. So reisten bis Jahresende allein mehr als zehn Millionen polnische Staatsbürgerinnen und -bürger in die DDR, knapp sieben Millionen Ostdeutsche zog es umgekehrt nach Polen.40 Die MfS-Berichterstattung über diese Verkehrsströme ergibt ein ähnlich unklares Bild wie über die Reiseströme aus dem Westen. Insgesamt fertigte die ZAIG 1972 elf Informationen über den Reiseverkehr an der Ost- und Südgrenze. Unmittelbar nach Inkrafttreten der Vereinbarungen am 1. bzw. 15. Januar setzte die Staatssicherheit wöchentlich Berichte ab (Informationen 12/72, 48/72, 74/72, 79/72). Die ersten beiden Meldungen gingen an Honecker persönlich (Informationen 12/72 und 48/72). Die dritte Meldung wurde für Außenminister Otto Winzer geschrieben und wies auf aus Sicht des MfS bedenkliche Entwicklungen hin (Information 74/72). Doch der letzte Bericht vom 22. Januar 1972 wurde bereits nicht mehr versandt (Information 79/72). Die Einstellung bedeutete nicht, dass sich die Partei nicht mehr für diese Fragen interessierte. Im Gegenteil: Das Politbüro ließ sich vom Parteiapparat über den Widerhall der Maßnahme berichten.41 Hinzu kamen Übersichten des Verteidigungsministeriums, dessen Grenztruppen für die Bewachung der Übergänge verantwortlich zeichneten.42Aus der Ablage der Abteilung Sicherheitsfragen wird deutlich, dass sich Honecker spätestens ab April von der Zollverwaltung wöchentlich unterrichten ließ.43 Die Zollverwaltung erhob wie in den Berichten der Staatssicherheit Angaben über die Zahl der Ein- und Ausreisen, den Warenverkehr sowie den Umtausch von DDR-Mark und Złoty bzw. Tschechische Kronen. Mitunter gelangten auf diesem Wege auch Hinweise auf Fluchtversuche oder Kontaktaufnahmen mit Westbürgerinnen und Westbürgern im »befreundeten Ausland« dem Parteichef zur Kenntnis, deren Bearbeitung »durch die zuständigen Organe«, also die Staatssicherheit, erfolgte.44 Honecker maß diesen Berichten ausweislich der häufigen Anstreichungen und Weiterleitungsvermerke an die Mitglieder des Politbüros augenscheinlich große Bedeutung bei. Mitte November 1972 schlug die Abteilung Sicherheitsfragen Honecker sogar den Übergang zu einer täglichen Lageberichterstattung der Zollverwaltung vor. Ab dem 15. November 1972 erhielt der Parteichef bis Jahresende Tagesrapporte zum Reiseverkehr nach Polen und in die Tschechoslowakei.45

Die Intensivierung der Berichterstattung war darauf zurückzuführen, dass ausweislich der Berichte insbesondere polnische Staatsbürgerinnen und -bürger ihre Besuche zu Einkäufen in der DDR nutzten. Die prekäre ökonomische Lage im Nachbarstaat, die Ende des Jahres 1970 zu gewaltsamen Massenprotesten und dem teilweisen Rücktritt der KP-Führung geführt hatten, hatte sich nur unwesentlich verbessert. Die Proteste waren seinerzeit für Honecker ein Argument, die Konsumpolitik als vermeintlich herrschaftsstabilisierenden Faktor durchzusetzen.46 Die Masseneinkäufe schienen dieses Ziel nun zu gefährden. Aus den Berichten der Zollverwaltung ließ sich erahnen, welche Dimensionen der Einkaufstourismus angenommen hatte. Als Problem wurden weniger die anhaltend unzureichende Versorgung mit Konsumgütern, sondern die Fremden diagnostiziert. So argumentierte auch die Staatssicherheit. Am 30. Oktober 1972 berichtete das MfS über »ein Anwachsen negativer Reaktionen zur Gewährleistung des Handels und der Versorgung« (Information 967/72) und bestätigte in einer zwölfseitigen Unterrichtung, dass der eingetretene Mangel auf die »ständig wachsende Einkaufstätigkeit von Bürgern der VR Polen« zurückzuführen sei. Dass die Leistungsfähigkeit der eigenen Wirtschaft ein Problem sei, wurde implizit insofern eingeräumt, als die leeren Regale »außerhalb des Planes« wieder aufgefüllt werden müssten. Da dies kaum möglich sei, nehme auch die »Kritik an der Wirtschaftspolitik der DDR« zu, das heißt die von Honecker teuer erkaufte Loyalität der Bevölkerung war hier gefährdet. Die Folgen solcher Schuldzuweisungen waren spürbar: Fremdenfeindlichkeit, namentlich Anfeindungen und offen rassistische Ausbrüche gegenüber polnischen Besucherinnen und Besuchern, brach sich unter den Ostdeutschen Bahn.47 Mit Blick auf die verordnete Völkerfreundschaft waren solche in der Sprache des MfS »Zurechtweisungen und Beschimpfungen« aber kein Problem von Fremdenfeindlichkeit. Vielmehr, so die Staatssicherheit, die den geschilderten Sorgen erhebliches Verständnis entgegenbrachte, seien die polnischen Besucherinnen und Besucher selbst schuld: Sie würden »rücksichtslos, unfreundlich, anmaßend oder arrogant« auftreten und hätten damit die verständlichen Entgleisungen »genährt bzw. begünstigt«. Alles in allem drohte hier ein veritables auch außenpolitisches Problem in den Beziehungen zu Polen, weshalb dieser Bericht neben Honecker auch dem KGB zugestellt wurde.

Auf Drängen der SED-Führung stimmte die polnische Führung ab November 1972 schließlich einer schrittweisen Einschränkung des Einreiseverkehrs aus Polen in die DDR und des Umtausches von Złoty-Beträgen in DDR-Mark zu.48 Über den Erfolg der Maßnahmen berichtete das MfS ab November etwa alle zwei Wochen. Eine grundlegende Verbesserung trat in der Einschätzung der Staatssicherheit aber zunächst nicht ein. Vielmehr konstatierte das MfS noch am 25. November 1972 eine Zunahme »antipolnischer, nationalistischer Tendenzen« in der Bevölkerung (Information 1075/72). Im gleichen Bericht thematisierte die Staatssicherheit umfassend den angeblichen Schwarzhandel. Am 29. November 1972 berichtete das MfS mit erkennbarer Empörung über eine Bitte polnischer Arbeiter beim VEB Zellstoff- und Papierfabrik Weißenborn, welche die Werksleitung um Zuteilung von Konsumgütern gebeten hatte, die in den örtlichen Kaufhäusern nicht mehr verfügbar seien (Information 1083/72). Das Ziel, diese »gewinnbringend« weiterzuveräußern, also Schwarzhandel zu betreiben, war nach Einschätzung der Staatssicherheit unverkennbar. Am gleichen Tag wurde ein Bericht mit Beispielen vermeintlicher Devisenspekulationen vorgelegt (Information 1088/72). Eine gewisse Beruhigung der Lage trat erst Ende des Jahres ein. Entscheidend war, dass die vom MfS unter Berufung auf Bevölkerungsmeinungen geforderten Einschränkungen im grenzüberschreitenden Verkehr endlich zu greifen begannen. Das zugrunde liegende Problem, die in diesem Fall durch Mangelwirtschaft begünstigte Fremdenfeindlichkeit, blieb allerdings bis zum Ende der DDR und darüber hinaus bestehen.

2.7 Fluchten und Fluchtbewegung

Die Öffnung der Grenzen nach Osten und Westen wirkte sich auch auf die Fluchtbewegung aus der DDR aus. Das MfS hatte diesen Zusammenhang ebenso frühzeitig erkannt, wie die Parteiführung. Die Befürchtung, dass sich die Fluchtbewegung verstärken könnte, bestätigte sich schnell. Die Zahl der registrierten Fluchtversuche stieg binnen eines Jahres sprunghaft an: 1971 hatte der DDR-Sicherheitsapparat mit rund 800 Fluchtversuchen einen seit dem Mauerbau historischen Tiefstand registriert. 1972 stieg die Zahl sprunghaft auf 1 200 registrierte Versuche an.49 Die Ursachen hierfür waren vielfältig. Zwar blieb die Westgrenze für die DDR-Bevölkerung weiterhin verschlossen, doch boten die Reisemöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik und aus Westberlin völlig neue Möglichkeiten der Fluchthilfe. In den Worten der Staatssicherheit trug also die »sich weiter verstärkende und vervollkommnende Ausnutzung der im Ergebnis des Abschlusses von Verträgen der DDR mit der BRD und Westberlin zur Normalisierung der Beziehungen entstandenen neuen und veränderten Bedingungen« erheblich zu dieser Entwicklung bei.50 Eine wahrscheinlich unterschätzte Rolle spielte auch die Grenzöffnung nach Osten. Insbesondere polnische Staatsbürgerinnen und -bürger hatten vergleichsweise einfache Möglichkeiten, über Ostberlin in den Westen weiterzureisen und sich ähnlich wie Westbesuchende als Fluchthelfende zu betätigen. Vor allem aber wähnten sich die fluchtbereiten DDR-Bürgerinnen und Bürger in trügerischer Sicherheit. Die um internationale Anerkennung bemühte SED-Führung würde, so die auch in den MfS-Berichten verschiedentlich kommunizierte Hoffnung, das Grenzregime lockern, was das Risiko eines tödlichen Ausgangs zu mindern schien. Diametral zur politischen Öffnung ging der Sicherheitsapparat aber bereits Ende 1971 dazu über, die Westgrenzen unter anderem durch den Ausbau von Minenfeldern und die Installation von Selbstschussanlagen in einen wortwörtlichen »Todesstreifen« umzufunktionieren.51

In den MfS-Berichten des Jahrganges spiegelt sich die Veränderung in der Fluchtbewegung weniger deutlich. Gemessen an der Zahl der verteilten ZAIG-Informationen stach 1972 im Vergleich zu den beiden vorangegangen Jahren nicht heraus. 1970 legte die Staatssicherheit 13 und 1971 insgesamt 21 Berichte vor, von denen 16 zur externen Verteilung gelangten.52 1972 wurden 23 Fluchten gemeldet, was damit ungefähr dem Stand der Vorjahre entsprach. Auffällig ist, dass die Staatssicherheit sehr viel häufiger über verhinderte als über geglückte Fluchten berichtete. Von den neun Fällen, in denen das MfS 1972 eine erfolgreiche Flucht aus der DDR einräumen musste, standen nur drei Fälle in unmittelbarem Zusammenhang mit der mitunter spektakulären Überwindung von Grenzanlagen (Informationen 76/72, 110/72, 1169/72). Die übrigen Berichte behandelten die Nicht-Rückkehr, vor allem von Sportlerinnen und Sportlern und Fachleuten, die sich zu Wettkämpfen oder Kongressen im westlichen Ausland aufgehalten hatten. Im Falle von fünf Mitgliedern der Staatskapelle Halle musste die Staatssicherheit sogar eigenes Versagen einräumen: im Vorfeld der Reise war vier Musikern wegen »Sicherheitsbedenken« die Ausreise verweigert und diese durch vermeintlich »zuverlässige« Kollegen ersetzt worden. Dass nun ausgerechnet sie die Gelegenheit zur Flucht nutzten, brachte die Stasi in Erklärungsnöte (Information 530/72). In der Mehrzahl der einschlägigen Berichte wies das MfS nach, dass Fluchten verhindert werden konnten. Die Spannbreite der aufgeführten Fluchtwege reichte von entdeckten Tunneln an der Bernauer Straße (Information 34/72) über Fluchthilfe durch diplomatisches Personal (Information 390/72), durch die Grenzöffnung nach Osten begünstigte Umwege über Drittstaaten (Information 1172/72) bis hin zu Fällen, in denen Angehörige der »Bruderländer« über Ostberlin ausgeschleust werden sollten (Information 707/72). Alles in allem wird deutlich, dass das MfS auf diese Weise der Parteiführung die Gefahren der Liberalisierung des Grenzregimes aufzeigte, zugleich aber den Eindruck vermittelte, dass es die Lage im Griff habe.

Ein Sonderfall sind wie in jedem Jahr die Todesfälle. Über die vier Todesopfer, die das Grenzregime an der Berliner Mauer forderte, berichtete die Staatssicherheit nur im Falle des Schülers Cengaver Katrancı, der beim Spielen in die Spree fiel und wegen unterlassener Rettungsversuche durch die Grenztruppen ertrank (Information 1007/72). Der tragische Unglücksfall erregte im Westen erhebliches Aufsehen, was für die Staatssicherheit Anlass zur Unterrichtung der SED-Führung gewesen sein dürfte.53 Über die sieben Toten entlang der innerdeutschen Grenze berichtete das MfS nur in zwei Fällen. Beide Vorgänge sind besonders, weil es sich um Suizide handelte, die sich im Grenzstreifen ereigneten. Der tragische Selbstmord des Grenztruppenoffiziers Alfred Goertzen ist auch deshalb bemerkenswert, weil er nach Einschätzung des MfS weniger in dem Wunsch nach einem Verlassen der DDR als vielmehr in der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Goertzen begründet lag, der nach der Offenbarung seiner Homosexualität sowohl dienstrechtliche als auch private Konsequenzen fürchtete. Der 30-jährige Hauptmann entschloss sich augenscheinlich in einer Kurzschlussreaktion zur Flucht, geriet dabei in ein Minenfeld und nahm sich schwer verletzt mit seiner Dienstwaffe das Leben (Information 197/72).54

Ebenfalls durch Suizid starb Mitte Januar der Grenzsoldat Lutz Meier. Er wurde am 18. Januar 1972 durch einen flüchtenden Kameraden angeschossen und so schwer verwundet, dass er sich das Leben nahm (Information 91/72). Der Tod von Lutz Meier blieb im Westen nicht verborgen. Detlef Kinzel, der auf Meier geschossen hatte, gelangte unverletzt in den Westen. Den westlichen Meldungen über einen tragischen Todesfall im Grenzgebiet widersprach die DDR-Presse am 21. Februar mit dem Vorwurf, Kinzel habe Meier ermordet. Das MfS unterrichtete in diesem Sinne am 27. Januar 1972 Erich Honecker und Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und empfahl, bei den westdeutschen Behörden im Rahmen der Rechtshilfe um eine Auslieferung von Detlef Kinzel zu ersuchen und den Fall propagandistisch im Sinne der SED weiter auszuschlachten. Interessant ist, dass die westdeutsche Justiz den Vorfall ernst nahm und gegen Kinzel ein Ermittlungsverfahren einleitete. Ein nunmehr westliches Rechthilfeersuchen lehnte jetzt allerdings das MfS ab. Da sich bei näheren Auskünften der finale Selbstmord nicht leugnen ließ und damit der behauptete Mord an Meier als Lüge entlarvt worden wäre, plädierte die Staatssicherheit dafür, keine Beweismittel an die westdeutsche Justiz zu übergeben.55 Die SED nahm damit in Kauf, dass das Verfahren gegen Kinzel 1973 eingestellt werden musste. Lutz Meier wurde mit militärischen Ehren beigesetzt und galt ganz im Sinne der SED als Opfer eines »feigen Mordanschlages« an der innerdeutschen Grenze.56

Die Zurückhaltung der MfS-Berichterstattung bei Grenzzwischenfällen bedeutete freilich nicht, dass die SED-Führung über diese Vorfälle im Unklaren blieb. Im Gegenteil: Der politische Annäherungsprozess allgemein, vor allem aber die institutionalisierten Gespräche in der Transitkommission zwischen beiden deutschen Staaten verliehen jedem einzelnen Vorfall gerade 1972 eine besondere Bedeutung. Entsprechend dicht wurde die Parteiführung informiert: Vorkommnisse an der Grenze wurden von den Grenztruppen bzw. dem Verteidigungsministerium, dem Zoll, der Volkspolizei oder dem MfS direkt an die Abteilung Sicherheitsfragen gegeben und von dort schließlich Erich Honecker informiert.57 Dabei ging es in der Regel um eine Erklärung oder Rechtfertigung für die Zwischenfälle gegenüber den westdeutschen Gesprächspartnern. Aber auch umgekehrt nutzte die SED Vorfälle, um Forderungen gegenüber der Bundesrepublik zu erheben. Anfang 1972 erregte die Festsetzung des DDR-Handelsschiffes »Eichsfeld« im Kieler Hafen internationales Aufsehen. Die westdeutschen Behörden zwangen den Kapitän, einen Ingenieur und seine auf dem Schiff versteckte Familie von Bord zu lassen. Das MfS unterrichtete vor dem Hintergrund der laufenden Gespräche über die Ausgestaltung des Verkehrsvertrages drei Tage später eingehend über den Vorfall und verwies auf das rechtlich fragwürdige Vorgehen der westdeutschen Behörden (Information 36/72). Der Fall wurde in den Unterredungen zwischen den Unterhändlern der Bundesregierung Egon Bahr und DDR-Staatssekretär Michael Kohl mehrfach besprochen, wobei Kohl im Ostberliner Auftrag Protest einlegte und vor »Weiterungen« für die laufenden Verhandlungen warnte.58

Nach Inkrafttreten des Transitabkommens registrierte man in Bonn »mit einer gewissen Beunruhigung« vermehrte Fälle von Fluchthilfe durch Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik und Westberlin im Rahmen des Transitverkehrs. Um die Abkommen nicht zu gefährden, bestand letztlich auch ein Interesse des Westens daran, solche Vorkommnisse klein zu halten, zumal davon auszugehen sei, dass die DDR-Sicherheitsbehörden die Transitstrecken und Fluchthelfende besonders scharf beobachteten.59 Tatsächlich informierte, wie die Berichte der ZAIG zeigen, das MfS sehr eingehend über die westliche Unterstützung für DDR-Bürgerinnen und Bürger beim Verlassen des Landes. Mit Inkrafttreten des Verkehrsvertrages wurden allein im Oktober 1972 vier solcher Zwischenfälle vom MfS gemeldet (Informationen 914/72, 926/72, 939/72, 960/72). Ernsthafter politischer Schaden drohte aber durch einen Fluchtfall zu entstehen, der in den ZAIG-Berichten nicht erwähnt wird. Vermutlich im Herbst 1972 desertierte ein Offizier der Grenztruppen in den Westen und berichtete dort über die Verlegung von Splitterminen entlang der innerdeutschen Grenze.60 Dieser Vorgang wurde in der konservativen westdeutschen Presse öffentlich gemacht und brachte die im Wahlkampfendspurt befindlichen Regierungsparteien in erhebliche Bedrängnis.61 Namentlich die CDU und CSU nahmen die Enthüllungen zum Anlass, um gegen die Annäherung an das SED-Regime zu protestieren und damit eines der zentralen Projekte Willy Brandts zu diskreditieren. Der Vorwurf wog umso schwerer, als Brandt unzutreffend vorgeworfen wurde, von diesen Minen gewusst und nichts gegen ihren Einsatz unternommen zu haben.62 Unter dem Strich konnte dieses Störfeuer den Wahlsieg nicht gefährden. Warum die Staatssicherheit in dieser zentralen Frage allerdings nicht die um eine Unterstützung Brandts bemühte SED-Führung unterrichtete, bleibt offen.

2.8 Kultureller Aufbruch

Die Amtszeit des Honecker-Vorgängers Walter Ulbricht war untrennbar mit dem Kahlschlagplenum von 1965 verbunden.63 Honecker selbst hatte sich seinerzeit als einer der Scharfmacher auf die Seite Ulbrichts geschlagen. Auch das MfS verteidigte diese rigide Kulturpolitik und baute seit dem »Prager Frühling« die Überwachung des Kulturbereiches sukzessive aus.64 Noch im Herbst 1970 beteuerte Mielke, es sei Aufgabe seines Ministeriums herauszufinden, wer unter den Kulturschaffenden »gegen die führende Rolle von Partei und Regierung und Staatsmacht« sei.65

Nach dem Machtantritt Honeckers schlug die SED-Führung neue Töne an. Im Dezember 1971 äußerte sich der neue Parteichef zu Fragen der künftigen Kulturpolitik. Honecker signalisierte, dass es vom Standpunkt des Sozialismus aus keine »Tabus« mehr in Kunst und Kultur geben müsse.66 Auf diese Linie schwenkte auch der SED-Kulturchef Kurt Hager ein. Wie er in seinen Memoiren ausführte, wollte er sich von der rigiden Kulturpolitik Ulbrichts abgrenzen und um ein »neues Vertrauensverhältnis« zu den Kulturschaffenden werben.67 Diesen Ankündigungen ließ die Parteiführung Taten folgen. Die Künstlerinnen und Künstler in der DDR konnten ab Anfang 1972 öffentlich kontroverse Debatten in der Zeitschrift »Sinn und Form« über die unter Ulbricht herangezüchtete Provinzialität der DDR-Literatur führen. Texte wie die »Leiden des jungen W.« von Ulrich Plenzdorf und anderer bislang verpönter Autorinnen und Autoren durften erscheinen.68 Aus Sicht der SED waren solche Konzessionen vor dem Hintergrund der deutsch-deutschen Annäherung als eine weitere »Geste des guten Willens« wichtig. Aber auch um das Ansehen des neuen Parteichefs in der eigenen Bevölkerung, namentlich der Jugend, zu heben, gab sich die SED den Anschein von Liberalität.

Im Frühjahr 1972 traten mehrere Verbände aus dem Kulturbereich zu Tagungen zusammen, auf denen die Grenzen der neuen Freiheiten ausgelotet und das Entgegenkommen der neuen Parteiführung überschwänglich begrüßt wurde. Die Parteiführung ließ sich eingehend aus den Verbänden und vom eigenen Apparat über die dort geführten Diskussionen unterrichten. Allein der Staatssicherheit schien der verordnete Kurswechsel bedenklich. Aus den monatlichen Lageeinschätzungen der für die Überwachung des Kulturbetriebes zuständigen Hauptabteilung XX lässt sich deutlich herauslesen, dass das MfS hinter der neuen Offenheit eine Gefährdung witterte.69 Natürlich verbot es sich, hierfür die Parteiführung verantwortlich zu machen, weshalb die Entwicklungen auf verstärkte »gegnerische Angriffe« – also den Einfluss des Westens – zurückgeführt wurden.70 Das war im Kern letztlich auch nicht ganz falsch, da mit der Öffnung der Grenzen nach Westen zwangsläufig auch die persönlichen Kontakte im Kulturbereich zunehmen mussten.

Mielke bekam die für das Politbüro bestimmten Berichte aus dem Kulturbereich zugestellt und reichte diese zur Auswertung an die ZAIG weiter. Der Tenor dieser Unterrichtungen dürfte dem Minister und seinen Fachleuten missfallen haben. So ist zu erklären, dass der Apparat eine fast 40-seitige eigene Einschätzung zur Lage im Kulturbereich verfasste. Das hochgradig denunziatorische Papier, das aus Sicht der Staatssicherheit herrschaftsgefährdende Äußerungen wahrscheinlich sämtlicher damals führender Künstlerinnen und Künstler der DDR zusammentrug, wurde Mitte April fertiggestellt (Information 188/72). In der Staatssicherheit bestand die Absicht, nicht nur punktuell auf ein Problem hinzuweisen, sondern die Parteiführung ungeachtet des gewandelten Zeitgeistes laufend zu unterrichten und damit den im Politbüro kursierenden Papieren etwas entgegenzusetzen. So wurde den Empfängern angekündigt, dass Ergänzungen »auf der Grundlage der in jüngster Zeit bekannt gewordenen Fakten« nachgereicht würden.

Der Bericht wurde am 12. April 1972 abgeschlossen und sollte SED-Kulturchef Kurt Hager zugestellt werden.71 Der Zeitpunkt der Berichtsabfassung war nicht zufällig gewählt: Hager sollte, wie Mielke aus dem Politbüro wusste, in den kommenden Wochen eine Grundsatzrede zur Kulturpolitik vor der Akademie der Künste halten. Für Anfang Juli 1972, auch das war Mielke bekannt, hatte die Parteiführung eine ganze ZK-Tagung zum Thema anberaumt. Der 40-seitige Bericht wurde jedoch gestoppt und verschwand in der Ablage. Warum er zurückgezogen wurde, ließ sich nicht klären. In den kommenden Wochen musste der Staatssicherheitsminister allerdings zur Kenntnis nehmen, dass ein Stillhalten die aus der Sicht seines Ministeriums bedenkliche Lage nicht verbessern würde. Am 10. Mai 1972 erhielten die Politbüromitglieder und damit auch Mielke beispielsweise einen Bericht über den Kongress der Film- und Fernsehschaffenden, der Anfang April 1972 in Ostberlin stattgefunden hatte. Betont wurde darin der Aufbruch sowie kontroverse Diskussionen über die neuen Freiheiten, welche die neue Parteilinie versprach.72 Gleichzeitig warnte die HA XX, der diese Diskussionen nicht verborgen geblieben waren, vor den Folgen der »weichen Welle«, die sich namentlich im Bereich des Fernsehens ausbreite. Dass dies tatsächlich von der Partei gewollt sein könnte, ließ sich nicht in die Vorstellung der Staatssicherheit einpassen: so sei diese Entwicklung, wie es intern hieß, »angeblich« auf die Kulturpolitik der SED zurückzuführen.73

Obwohl solche und andere Einschätzungen seiner Fachabteilung eindeutig waren, sah Mielke zunächst weiterhin davon ab, sich einzumischen. Das änderte sich unmittelbar vor Beginn der für Juli anberaumten Kulturkonferenz der SED. Zentrales Ereignis war eine mit Spannung erwartete Grundsatzrede von Kurt Hager, welche die Linien der bislang nur versatzstückweise angedeuteten Kulturpolitik festlegen sollte. Eine solche Erklärung konnte freilich nicht ohne Rückendeckung der höchsten Parteigremien abgegeben werden. Entsprechend den eingeübten Ritualen musste sich Hager den Inhalt vorab absegnen lassen. Auch diese für die Politbüromitglieder bestimmte Vorlage erhielt Mielke zugestellt und ließ sie unmittelbar nach Eingang im Ministerbüro am 19. Juni 1972 an die ZAIG weiterleiten.74 Aus dem Papier war klar erkennbar, dass Hager wiederholen würde, was Honecker vorgegeben hatte: solang der Sozialismus nicht in Frage gestellt werde, seien Künstler aufgerufen, sich in die Gesellschaft einzubringen. Hager schlug einen moderaten, ja versöhnlichen Ton an. Er unterstrich, dass es der SED mit der Öffnung ernst sei: Der Kurswechsel sei keine »taktische, zeitweilige Variante« und Befürchtungen vor einem neuen Kahlschlagplenum unbegründet. Die Kritik Hagers richtete sich ausgerechnet an jene, die das nicht verstehen würden. Denn »gegenwärtig« sei unverkennbar, so Hager, dass »eine Reihe von Künstlern, aber auch Funktionären« Schwierigkeiten damit hätten »zu begreifen, dass eine größere Weite und Vielfalt in der Kunst« ein »notwendiger nächster Schritt« sei.75

Vielleicht waren es eben diese Passagen, die Mielke zu viel wurden. Der Minister ließ die im April noch zurückgezogene Ausarbeitung wieder hervorholen, überarbeiten und vor allem mit Blick auf den Film- und Fernsehbereich umfangreich ergänzen. Am 23. Juni 1972 übersandte er mit einem persönlichen Begleitschreiben versehen dem »werten Genossen« Hager und dem Honecker-Vertrauten und Agitationschef Werner Lamberz seine Einschätzung über die Lage in der Kulturpolitik »zur persönlichen Kenntnisnahme und Auswertung«. Dass der Bericht denunziatorisch war, räumte Mielke unumwunden ein. Es gehe »vorrangig nur um unklare und negative Auffassungen und Äußerungen« einzelner Personen, doch seien eben diese Anlass, jene »Kulturschaffenden« zu unterstützen, die einen »festen Klassenstandpunkt« vertreten würden. Mielke bot dienstbeflissen an, im Bedarfsfall zu den einzelnen Einlassungen weitere Auskünfte zu erteilen. Der Bericht selbst verwies am Ende auf einen besonderen Geheimhaltungsschutz: Aufgrund von »Quellengefährdung« sei die Ausarbeitung nur zur persönlichen Unterrichtung und keinesfalls zur »öffentlichen Auswertung« bestimmt. Um die erhoffte politische Wirkung zu entfalten, brauchte es aber mindestens eine begrenzte Öffentlichkeit. Entsprechend relativierte Mielke diese Auflage im Begleitschreiben stark: Eine »Auswertung und Verwendung« sei nach Rücksprache selbstredend möglich.76 Gemessen an den öffentlichen Äußerungen Hagers auf dem Kulturplenum griff dieser weder die Anregungen aus der Normannenstraße auf, noch wich er in den entscheidenden Punkten von der Politbürovorlage ab.77 Reaktionen von Werner Lamberz sind ebenfalls nicht überliefert. Er bedankte sich im Oktober 1972 bei Mielke für den Bericht und reichte ihn ohne weiteren Kommentar zurück.78 Im Büro von Kurt Hager verblieb die Ausarbeitung noch etwas länger: Erst Ende 1973 wurde sie an die ZAIG zurückgegeben und vernichtet.79

Die von Mielke heraufbeschworene Bedrohungskulisse war allem Anschein nach ins Leere gelaufen. Augenscheinlich auch sehr zum Ärger der ZAIG. Der zuständigen HA XX wurde zum Ende des Jahres ins Stammbuch geschrieben, die Beziehungen zu den ZK-Abteilungen Massenmedien (Lamberz) und Kultur (Hager) grundlegend zu verbessern, um künftig ein »einheitliches Vorgehen« von Staatssicherheit und Partei sicherzustellen.80 Die Kulturkonferenz selbst zwang Mielke zur Parteidisziplin. Am 13. Juli 1972 hielt er eine Dienstversammlung ab, an der auch Vertreter des Parteiapparates teilnahmen.81 Mielke, der nun gezwungen war, sich öffentlich zur neuen Kulturpolitik zu bekennen, betonte im Zuge der Erläuterung der Hager-Rede gleichwohl, dass eine breite Überwachung des Kulturbereiches notwendig und auszubauen sei. Offene Repression wie in der Vergangenheit war allerdings fehl am Platz. Vielmehr müsse nun präventiv überwacht und im Hintergrund Einfluss genommen – in der Sprache des MfS »zersetzt« – werden.82 Das hieß unter dem Strich, dass sich die Staatssicherheit zurückzuhalten hatte. Auch weil unter den Bedingungen einer nach Westen geöffneten Gesellschaft jedwede Störung der inszenierten Offenheit zu vermeiden sei. Der im Verborgenen vollzogene Kurswechsel schuf gleichwohl die Voraussetzungen für ein repressives Vorgehen, sobald dies aus Sicht der SED wieder opportun erschien. Die auferlegte Zurückhaltung währte nicht lange. Mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 nahm die SED die bislang gewährten Freiheiten zurück und ließ die Staatssicherheit wieder offensiv gegen Kulturschaffende vorgehen.

2.9 Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch

Am Abend des 22. Dezember 1971 verkündeten Hauptnachrichten des DDR-Fernsehens eine grundstürzende gesellschaftliche Neuerung. Auf Beschluss der Parteiführung sollte das Recht auf Schwangerschaftsabbruch erheblich liberalisiert werden. Obwohl der gesamte Ostblock im Vergleich zu Westeuropa bereits seit den 1950er-Jahren vergleichsweise weitreichende Regelungen in Bezug auf dieses damals brisante Thema geschaffen hatte und es in der DDR seit Längerem Diskussionen über mehr Selbstbestimmung und Rechtssicherheit gegeben hatte, kam der Zeitpunkt der Ankündigung überraschend.83 Tatsächlich war die Entscheidung extrem kurzfristig gefallen. Nachdem die Parteiführung am 1. Dezember 1971 frauenpolitische Themen beraten hatte, wurde das Gesundheitsministerium beauftragt, binnen zwei Wochen eine Vorlage auszuarbeiten. Bereits am 22. Dezember 1971 wurde der Gesetzesvorschlag vom Politbüro bestätigt und sofort verkündet. Selbst für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Kongresses der »Gesellschaft für Familienplanung«, der nahezu alle maßgeblichen Fachleute zu diesem Thema versammelte, kam die Ankündigung völlig überraschend.84

Die Gründe für diesen Schnellschuss waren vielfältig. Auf der einen Seite eine in der Bevölkerung bestehende Unzufriedenheit über die bestehende Gesetzeslage. Auf der anderen Seite Überlegungen zu vermeintlichen volkswirtschaftlichen Nachteilen bei der Beschäftigung von Frauen, die keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen konnten. Die Liberalisierung sollte damit mehrere Vorteile bringen: einmal Zustimmung in jenen Teilen der Bevölkerung, die eine rechtliche Neuregelung begrüßten, zum anderen eine noch effektivere Einbindung von Frauen in die Volkswirtschaft. Drittens und 1972 aus Sicht der SED-Führung nicht minder wichtig war der Umstand, dass sich in der Bundesrepublik 1971 gesellschaftliche Diskussionen Bahn brachen, die für eine Liberalisierung des in Westdeutschland äußerst rigiden Abtreibungsrechts eintraten. Das spektakuläre Bekenntnis von 300 Frauen im Magazin »Stern« »Wir haben abgetrieben« im Juni 1971 blieb trotz der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung der Ära Brandt zunächst ohne Konsequenzen.85 Die SED konnte also in der Systemkonkurrenz mit der Bundesrepublik durch eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts auf einen Punktgewinn hoffen.

Gleichwohl konnte sich die SED nicht sicher sein, dass diese Maßnahme innenpolitisch auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde. Unabhängig von der politischen Teilung waren in weiten Teilen der Gesellschaft in Ost und West traditionelle bis reaktionäre Wertevorstellungen über die Rolle der Frau und ihr Recht auf Selbstbestimmung fest verankert. Auch der SED-Führung war bewusst, dass das ein Problem sein konnte und investierte deshalb erhebliche Ressourcen in die Überwachung der öffentlichen Meinung. Der Parteiapparat und seine Vorfeldorganisationen wie die Nationale Front, aber auch die Blockparteien unterrichteten die Parteispitze dicht über Reaktionen aus der Bevölkerung. Umgekehrt meldeten sich die DDR-Bürgerinnen und Bürger selbst zu Wort: das Gesundheitsministerium, die mit der Umsetzung des Parteibeschlusses befasste Volkskammer und nicht zuletzt der Regierungsapparat wurden nach der Veröffentlichung des Beschlusses mit einer Flut von Stellungnahmen und Meinungsäußerungen konfrontiert.86 So unterrichtete die Abteilung Parteiorgane die Politbüromitglieder nach den Weihnachtsferien am 5. Januar 1972, dass überwiegend unter Medizinerinnen und Medizinern Zustimmung anzutreffen sei, gleichzeitig aber stärkste Vorbehalte besonders unter den Gläubigen und Würdenträgern der katholische Kirche festzustellen seien.87

Die Einschätzungen der Staatsicherheit flankierten solche Berichte an die Parteiführung und konnten wichtige Detailfragen für die SED-Spitze klären. Wie genau sich der Protest insbesondere in den Kirchen artikulieren würde, legte die Staatssicherheit am 7. Januar 1972 in einem Bericht über die Vorbereitung einer Erklärung der katholischen Bischöfe dar, die das MfS im Original beschaffen konnte (Information 27/72). Die Bischofskonferenz hatte drei Tage zuvor, am 3. Januar 1972, eine Erklärung verfasst, wovon die zuständige Hauptabteilung XX am 6. Januar 1972 erfuhr.88 Die ZAIG fertigte daraus umgehend eine Information. Obwohl sich die katholischen Bischöfe kategorisch gegen die Pläne der SED stellten und sich hierbei auf theologische Vorbehalte und Vorgaben des Vatikans beriefen, maß die MfS-Führung dieser Fundamentalopposition keine herausgehobene Bedeutung bei. Der Bericht mit dem beiliegenden Wortlaut der Erklärung ging nur an Regierungschef Willi Stoph, Paul Verner als Leiter der Sicherheitsabteilung und schließlich Willi Barth, dessen Abteilung im Parteiapparat für Kirchenfragen verantwortlich zeichnete. Barth bewertete die politische Bedeutung des Vorganges anders. Er übersandte die vom MfS beigefügte Ablichtung der Erklärung sofort nach Eingang noch am 7. Januar 1972 mit einer begleitenden Hausmitteilung an Erich Honecker. Dass er das »Wort der Bischöfe« vom MfS erhalten hatte, erwähnte Barth nicht. Er ergänzte für den Parteichef, dass trotz der unerfreulichen Haltung der katholischen Kirche nach ersten offiziellen Gesprächen mit den evangelischen Kirchenleitungen eine »loyalere Haltung« zu erwarten sei.89 Letztere wiederum trafen sich am 7. und 8. Januar 1972 zu einer internen Beratung, über die das MfS neuerlich, wenn auch mit deutlicher Verzögerung, berichtete. Erst am 24. Januar wurde einem ähnlicher Verteiler (nunmehr Horst Sindermann anstelle von Stoph) die Stellungnahme der evangelischen Bischöfe (Information 70/72) vorgelegt. Der bereits am 15. Januar 1972 beschlossene Wortlaut ließ ähnlich wie in der katholischen Kirche zwar Vorbehalte erkennen, ohne allerdings das Vorhaben in Gänze zurückzuweisen. Die Bischöfe räumten ein, dass es durchaus Situationen geben könne, in denen ein Schwangerschaftsabbruch vertretbar sei. Diese Erklärung lag drei Tage später bei der Staatssicherheit auf dem Tisch.90 Warum sich die ZAIG noch mehr als eine Woche Zeit ließ, um die Parteiführung zu unterrichten, bleibt offen.

Was das MfS über Reaktionen in der Bevölkerung zusammentragen konnte, bestätigte im Kern was die Politbüromitglieder aus anderen Quellen bereits wussten. Mielke übersandte letztere an die ZAIG, die damit über Inhalte und Tenor im Bilde war.91 Am 28. Januar 1972 wurde ein ergänzender Stimmungsbericht des MfS fertigstellt, aber nicht verteilt (Information 85/72). Die einleitenden Passagen lesen sich zunächst wie eine Paraphrase der Einschätzung der Abteilung Parteiorgane vom Monatsanfang und bestätigten damit grundsätzlich, dass es keinen grundlegenden Stimmungsumschwung gegeben hatte. Im Weiteren enthält der Bericht allerdings stärkere Anhaltspunkte für kritische Diskussionen unter Ärztinnen und Ärzten sowie die allgemeine Forderung einer besseren Erklärung der Gesetzesnovelle gegenüber der Bevölkerung. Vor allem aber thematisiert er Auseinandersetzungen in der CDU-Führung und deutet an, dass es insbesondere mit den katholischen Gläubigen nach dem Bischofsbrief zu Friktionen kommen werde. All das waren Informationen, die in der Sache für die SED-Spitze politisch äußert wichtig gewesen wären. Über die Gründe der Zurückhaltung des MfS ließe sich wiederum nur spekulieren. In der Sache nahm die Parteiführung durch das Schweigen der Staatssicherheit keinen Schaden. Sowohl über die hitzigen Debatten innerhalb der Blockparteien als auch die Lage in der katholischen Kirche erfuhr die SED aus anderen Kanälen. Das dürfte auch erklären, weshalb die Staatssicherheit über die weiteren Diskussionen zwischen CDU, Kirche und SED im Vorfeld der Abstimmung in der Volkskammer nicht mehr berichtete. Die Volkskammer nahm das Gesetz mit 14 Gegenstimmen und acht Enthaltungen an.

2.10 Kirchenpolitik

Die Debatten um den Schwangerschaftsabbruch zwischen Partei und Kirchen hatten vor dem Hintergrund der außen- und deutschlandpolitischen Entwicklungen des Jahres 1972 eine besondere Bedeutung. Im Streben um internationale Anerkennung und Souveränität der DDR war die SED bemüht, die Kirchen nicht nur einzuhegen, sondern auch deren Strukturen in nationalstaatliche Gegebenheiten der deutschen Teilung einzupassen. Mit der 1969 vollzogenen Spaltung der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Gründung des Bundes Evangelischer Kirchen der DDR war aus Sicht der SED ein wichtiger Schritt gegangen worden.

Mit Blick auf die katholische Kirche war die Lage komplizierter. Das hing vor allem damit zusammen, dass sich die SED-Führung mit dem Vatikan verständigen musste. In den Beziehungen zum Heiligen Stuhl hatte allerdings Moskau das letzte Wort und verbot den ostdeutschen Genossen zunächst Alleingänge. Erst nach Ratifizierung der Ostverträge 1972 waren die Weichen gestellt. Mit der Anerkennung der territorialen Integrität Polens durch die Bundesrepublik konnte die seit 1945 schwebende Frage einer Neugliederung der polnischen Kirchenprovinzen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten erfolgen. Entscheidend war der nun verkündete Grundsatz des Vatikans, dass die Bistümer aus dem Land heraus verwaltet werden sollten, in dem sie sich befanden. Auf dem Gebiet der ehemaligen preußischen Provinzen Schlesien, Pommern und West- bzw. Ostpreußen wurden erst jetzt eigenständige Diözesen errichtet.92

Aus Sicht der SED schien jetzt der Zeitpunkt gekommen, nun auch die Verselbstständigung der über die innerdeutsche Grenze reichenden Bistümer zu fordern und in der Folge einen katholischen Kirchenverband in der DDR zu schaffen.93 Allein das Bistums Meißen lag vollständig auf dem DDR-Gebiet. Die übrigen Kirchengebiete wurden von Bischöfen verwaltet, deren Sitze sich in der Bundesrepublik befanden. Die 1972 aufgenommenen Verhandlungen zogen sich zwar noch bis zum Sommer 1973 hin, doch verfügte der Vatikan schlussendlich mit der Einsetzung Apostolischer Administratoren in Erfurt-Meinigen sowie Magdeburg und Schwerin die angestrebte Abspaltung.94 1976 wurde dann mit der Berliner Bischofskonferenz faktisch ein nationales Leitungsgremium für die katholischen Gemeinden in der DDR geschaffen. Allein die diplomatische Anerkennung der DDR durch den Heiligen Stuhl blieb der SED-Führung bis zum Ende versagt.95

Vor dem Hintergrund der skizzierten politischen Lage gewannen Fragen der katholischen Kirchenpolitik für die SED 1972 an Bedeutung. Insgesamt fertigte das MfS in diesem Jahr vier einschlägige Berichte. Die überschaubare Anzahl steht im gewissen Widerspruch zur politischen Relevanz des Themas für die SED-Führung. Inhaltlich aber lassen sich die Unterrichtungen der Staatssicherheit gut in die Informationsinteressen der Partei einpassen. So war eine genaue Kenntnis über die Haltung der katholischen Bischöfe, namentlich des Berliner Bischofs Kardinal Alfred Bengsch, zum Schwangerschaftsabbruch auch deshalb so wichtig, weil die SED-Führung diesen als Fürsprecher einer Verselbstständigung der Bistümer zu gewinnen trachtete.96 Das Zugeständnis der SED, in der Volkskammerabstimmung Gegenstimmen und Enthaltungen zuzulassen, lässt sich in diesem Sinne auch als eine Konzession an die katholische Kirchenführung lesen.

Während die Staatssicherheit 1972 wie üblich regelmäßig Interna aus den Führungsgremien der evangelischen Kirchen an die zuständige Abteilung Kirchenfragen weitergab, war es auf die Beschaffung von Informationen über Diskussionen und Meinungen in der katholischen Kirchenführung nicht vorbereitet. Im Unterschied zur evangelischen Kirche besaß die zuständige Hauptabteilung XX keine Einblicke in den inneren Führungszirkel. Mit dem Prälaten der Berliner Ordinarienkonferenz Otto Groß und dem einflussreichen Magdeburger Generalvikar Theodor Hubrich führte das MfS zwar auf dem Papier zwei hochrangige »Informelle Mitarbeiter«. Tatsächlich hielten beide aber mit Wissen und Billigung der Bischöfe Kontakte zum MfS und waren damit je nach Blickwinkel eher Einflussagenten als Konfidenten.97 Das Problem fehlender aussagekräftiger Informationen lässt sich für den Jahrgang sehr gut am Informationsaufkommen der HA XX nachzeichnen. Aus dieser Hauptabteilung sind ab dem 1. Juni 1972 Übersichten vorhanden, welche Berichte dort geschrieben wurden, aus welcher Quelle die zugrunde liegenden Informationen stammten und wie sie innerhalb des Apparates weiterverarbeitet wurden.98

Insgesamt verfasste die zuständige HA XX/4 bis Jahresende 31 Berichte mit Bezug zur katholischen Kirche. Dass an diesen Dossiers ein starkes Interesse bestand, zeigt schon der Umstand, dass 21 Berichte an die ZAIG weitergereicht wurden. In einem Fall wurde außerdem Mielke persönlich unterrichtet.99 Elf Berichte behandelten außenpolitische Themen, insbesondere zur Frage der Einrichtung neuer Diözesen in Westpolen und die Haltung des Vatikans, was die Staatssicherheit im Wesentlichen von Otto Groß und Theodor Hubrich erfuhr.100

Was die Fachabteilung damit an die ZAIG und den Minister weiterleitete, war in ihren Augen potenziell geeignet, die politische Führung zu unterrichten. Tatsächlich wurden aber nur drei Ausgangsinformationen gefertigt, zwei davon mit innenpolitischem Bezug.101 Das deutet darauf hin, dass die in den übrigen Berichten enthaltenen Informationen vom Minister bzw. der ZAIG als zu unbedeutend für die Partei- und Staatsführung beurteilt wurden. Letzteres lässt sich exemplarisch an den in der HA XX eingehenden Berichten über die Haltung von Kardinal Bengsch nachvollziehen. Seine Positionierung in Bezug auf die Verselbstständigung der Bistümer in der DDR gewann nach Unterzeichnung des Warschauer Vertrages für die SED höchste Priorität.102 Dem MfS lagen allerdings kaum Informationen zu dieser Frage vor.103 Einzig über einen öffentlichen Auftritt von Bengsch in der Ostberliner Hedwigskathedrale am 29. Juni 1972 konnte die HA XX Berichte anfertigen. Am Vortag berichtete Generalvikar Hubrich vermutlich im Rahmen einer offiziellen Unterredung mit dem MfS über die wahrscheinlichen Äußerungen von Bengsch in der Predigt. Der anschließend geschriebene Bericht wurde nicht an die ZAIG weitergeleitet und verschwand in der Ablage der Hauptabteilung.104 Am 30. Juni 1972, einen Tag nach der Veranstaltung, fertigte dann ein Referatsleiter einen Bericht über den Auftritt von Bengsch. Da er und nicht ein IM als Quelle genannt ist, liegt die Vermutung nahe, dass er selbst an der Messe teilgenommen und seine Eindrücke zusammengefasst hatte. Dieser Bericht wurde nunmehr der ZAIG vorgelegt, dort allerdings nicht weiterbearbeitet.105 Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass sich aus den öffentlichen Äußerungen des Kardinals keine relevanten neuen Informationen gewinnen ließen.

Die einzige zur Verteilung gelangte kirchenpolitische Information der HA XX betraf die Vorbereitung der Pastoralsynode (Information 686/72). Die Quelle des Berichtes liegt im Dunkeln. Die Übersicht vermerkt eine Bezirksverwaltung als Endquelle, wahrscheinlich die Bezirksverwaltung Dresden, in deren Zuständigkeitsbereich das für die Synode federführende Bistum Meißen lag.106 Inhaltlich war der Bericht von Bedeutung, weil auf der für 1973 geplanten Kirchenversammlung jenseits kirchenjuristischer Neujustierungen die Geistlichen und Laien um eine Haltung der katholischen Kirche zum SED-Staat insgesamt ringen würden. Das MfS informierte die zuständige Abteilung Kirchenfragen detailliert über Akteure und deren Haltung, Entscheidungsabläufe sowie Inhalte bekannt gewordener Positionspapiere. Insgesamt verwies die Staatssicherheit auf eine kritische Haltung der katholischen Gemeinden gegenüber dem SED-Staat und warnte davor, dass selbst scheinbare Zugeständnisse letztlich auf eine Unterminierung des Sozialismus hinauslaufen würden. Umso wichtiger sei es, wie der Bericht am Ende vermerkt, jene »progressiven Kräfte« in der katholischen Kirche zu unterstützen, die den Diskussionsprozess im Sinne der SED führen würden. Das MfS, so wurde den Empfängern versichert, sei mit der »weiteren Aufdeckung der feindlichen Aspekte« befasst.

Solche »feindlichen Aspekte« ergaben sich für die Staatssicherheit vor allem auch aus den intensivierten Westkontakten. Insbesondere mit Blick auf die Abtrennung der DDR-Bistümer sei nicht nur, wie der Bericht über die Pastoralsynode vermerkte, mit Widerstand aus »reaktionären« Kreisen der katholischen Kirche in der DDR zu rechnen, sondern auch aus der Bundesrepublik. Eine Unterbindung dieser Westkontakte war 1972 gleichwohl kaum mehr möglich und so musste die Staatssicherheit u. a. Einreisesperren gegen Würdenträger aufheben. Das aber war eine politische Frage, weshalb Mielke diese Angelegenheit mit Honecker persönlich klären wollte (Information 1026/72). Umso wichtiger schien aus Perspektive der Staatssicherheit die Überwachung der nicht mehr einzudämmenden grenzüberschreitenden Kontakte. Was die ranghohen Würdenträger mit ihren Kollegen in der DDR verhandelten, meldete die Staatssicherheit wahrscheinlich mangels Zugängen nicht. Dafür aber fertigte die ZAIG 1972 einen ausführlichen Bericht über Begegnungen zwischen den katholischen Studentengemeinden aus der DDR und der Bundesrepublik (Information 1056/72). Auch wenn dieser der Abteilung Kirchenfragen vorgelegte Bericht im Wesentlichen vermutete persönliche Netzwerke referierte, so enthielt er doch einige politisch wichtige Hinweise, die auf übergeordnete Diskussionen zu Fragen des Verhältnisses Kirche – Sozialismus und die Verselbstständigung der katholischen Gemeinden in der DDR enthielt. Dass die Staatssicherheit über die Aktivitäten der katholischen Studentengemeinden so ausführlich berichten konnte, lag in erster Linie an einer relativ neuen und aus Sicht des MfS als gut beurteilten Verbindung zu einem Studentenpfarrer. Auf dessen Aussagen beruhte bereits ein im Frühjahr 1972 verteilter Bericht über Wallfahrten (Information 409/72).107 Das MfS übernahm die vom Führungsoffizier nach den Treffen verfassten Berichte in weiten Strecken wortwörtlich in die Ausarbeitungen für die ZAIG und schließlich in den Bericht an die Parteiführung.108

2.11 Katastrophen

Am 14. August 1972 ereignete sich die größte Flugzeugkatastrophe in der Geschichte der deutschen Luftfahrt. Ein Ferienflieger der DDR-Fluggesellschaft Interflug stürzte unmittelbar nach dem Start südöstlich von Berlin ab. Alle Passagiere und das Bordpersonal kamen ums Leben, insgesamt starben 156 Menschen.109 Am 28. August 1972 wurden 60 Opfer mit einem Staatstrauerakt auf dem Friedhof von Königs Wusterhausen beigesetzt. Die Ursache des Unglücks, die in den ersten beiden Lageeinschätzungen des MfS noch nicht bekannt war, lag in einem Konstruktionsfehler (Informationen 772/72 und 779/72). Da es sich um eine sowjetische Maschine vom Typ Iljuschin handelte, bekam der tragische Zwischenfall eine politische Dimension. Eine Debatte über die Ursache verbot sich mit Rücksicht auf die sowjetischen Genossen, die technische Mängel zunächst vehement in Abrede stellten. Als es den Gutachtern schließlich gelang, den Konstruktionsfehler zweifelsfrei nachzuweisen, wurden die Untersuchungen 1973 kurzerhand für beendet erklärt. Immerhin wurde die Fehlerdiagnose stillschweigend vom sowjetischen Hersteller zur Kenntnis genommen und behoben.

Doch bereits die unmittelbar im Nachgang einsetzenden technischen Überprüfungen der übrigen Flugzeugflotte brachten eine Vielzahl von weiteren Mängeln zum Vorschein, die kurzfristig den Flugbetrieb in der DDR beeinträchtigten. Dem MfS zufolge wurde deshalb sogar in Erwägung gezogen, andere Staaten um Überlassung von Maschinen zu bitten (Information 779/72). Mangelhafte Wartung, technische Störungen und menschliches Versagen waren zudem keineswegs auf die zivile Luftfahrt beschränkt. Wie aus den Meldungen der Abteilung Sicherheitsfragen hervorgeht, stürzten 1972 mindestens zehn Militärmaschinen ab, wobei fünf Piloten ums Leben kamen.110 Einen Monat nach der Flugzeugkatastrophe in Schönefeld deutete sich an, dass auch in der Mehrzahl dieser Fälle technische Defekte an den sowjetischen Maschinen vom Typ MiG ursächlich sein könnten. Das Verteidigungsministerium unterrichtete die Abteilung Sicherheitsfragen Ende September 1972, dass insgesamt 312 MiG-Maschinen bis auf weiteres aus dem Verkehr gezogen werden mussten, da Wartungsfehler festgestellt worden seien.111

Gut zwei Wochen später berichtete die Staatssicherheit über eine weitere Katastrophe, die sich im Herzen Ostberlins abgespielt hatte. In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1972 war ein Großbrand mit verheerenden Folgen im U-Bahnhof Alexanderplatz ausgebrochen. Menschen kamen glücklicherweise nicht zu ernsthaftem Schaden, doch stürzte in Folge des Brandes ein U-Bahn-Tunnel ein, was die Statik des Vorzeigekaufhauses »Centrum« sowie das internationale Touristenhotel »Stadt Berlin« zu gefährden drohte. Die Löscharbeiten nahmen mehrere Tage in Anspruch; dicke Rauschwaden hingen über dem Stadtzentrum von Ostberlin. Der Zeitpunkt des Unglücks wenige Tage vor dem Republikgeburtstag weckte Befürchtungen, es könnte sich um einen politisch motivierten Anschlag gehandelt haben.112 Doch wie die Staatssicherheit bereits am 6. Oktober 1972 melden konnte, waren höchstwahrscheinlich technische Defekte ursächlich, weshalb der gesamte Fuhrpark der Berliner Verkehrsbetriebe einer Generalüberprüfung zu unterziehen sei (Information 912/72). Wie der bis in technische Details gehende Abschlussbericht Ende November 1972 bestätigte, war in der Tat ein Beleuchtungssystem an dem Unglück Schuld, die U-Bahn-Flotte und die Gleisanlagen würden aber entgegen der ersten Einschätzung den »vorgeschriebenen Normativen entsprechen und eine hohe Sicherheit gewährleisten« (Information 1074/72).

3. Die ZAIG im Jahr 1972

Die ZAIG befand sich seit 1968 in einem ständigen Wachstumsprozess, sowohl personell wie auch hinsichtlich der ihr übertragenen Kompetenzen.113 Die Berichterstattung an die Parteiführung hatte innerhalb der ZAIG 1972 zwar eine wichtige, aber nicht die höchste Priorität. ZAIG-Chef Werner Irmler verwandte erhebliche Ressourcen darauf, Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe seiner Abteilung innerhalb des MfS neu zu konzipieren und dem Minister nahezubringen. Zentrales Papier war eine Dutzende Seiten umfassende Ministervorlage über das künftige Aufgabenprofil der ZAIG, das an vierter Stelle die »Gewährleistung der Informationstätigkeit« festschrieb, ansonsten aber seine Abteilung zum »Funktionalorgan« des gesamten Ministeriums entwickeln sollte.114 Bis zur Genehmigung wurden grundlegende Veränderungen zurückgestellt. Doch die 1971/72 konturierten Strukturen der ZAIG sollten bis zur Friedlichen Revolution Bestand haben. Hinsichtlich der Personalsituation war die ZAIG im Jahr 1972 unterbesetzt: sie hatte binnen Jahresfrist zwei Mitarbeitende abzugeben und bestand nur noch aus 57 Personen.115 Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Einführung elektronischer Datenverarbeitungssysteme, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der politischen Entwicklung des Jahres standen. 1972 wurde die datenbankgestützten Erfassung von Einreiseanträgen verbessert und in der zuständigen Hauptabteilung VI eingesetzt.116

4. »Posteingangsbuch ZK«

Dennoch lassen sich mit Blick auf das Berichtswesen einige grundlegende Veränderungen feststellen, die unmittelbar mit dem Aufstieg Mielkes in die oberste Parteiführung im Vorjahr zusammenhingen. Wie die Beschäftigung mit den ZAIG-Berichten des Jahrganges zeigt, sind in vielen Fällen zeitliche und inhaltliche Bezüge zu anderen Unterrichtungen der Parteiführung nachweisbar. Dieser Zustand war 1972 nach Aktenlage neu. Mielke erhielt in seiner Eigenschaft als Kandidat des Politbüros seit Sommer 1971 sämtliche Sitzungsunterlagen und Informationsberichte, welche die Mitglieder des ranghöchsten SED-Gremiums bekamen. Die Papiere waren eigentlich nur zur persönlichen Unterrichtung bestimmt, doch Mielke leitete seine Dokumente an die ZAIG weiter. 1971 ist diese Praxis bereits vereinzelt nachweisbar.117 1972 wurde sie verstetigt und institutionalisiert. Ab dem 1. Januar 1972 wurde das Parteimaterial in der ZAIG in einer eigenen roten Kladde akribisch erfasst, anschließend verteilt und ausgewertet.118 Mit gleichem Stichtag wurde auch die Verwaltung von klassifiziertem Regierungsschriftgut neu geregelt. Auch an diesen Unterrichtungen wurde die ZAIG jetzt systematisch beteiligt.119

Die Einrichtung dieser Sonderablagen in der ZAIG könnte mit dem Bestreben Irmlers zusammenhängen, seine Abteilung zur Schaltzentrale auszubauen und damit die Verwaltung dieser wichtigen Materialien für den Minister zu übernehmen. Eine solche grundsätzliche Übertragung von Funktionen aus dem Sekretariat des Ministers, wo die Papiere bislang gesammelt wurden, lässt sich allerdings nicht nachweisen. Es ist eher davon auszugehen, dass Mielke die Verteilung mit Blick auf die Informationstätigkeit seines Hauses veranlasst haben dürfte. Darauf deutet auch hin, dass die Papiere nach thematischen Gesichtspunkten an die zuständigen Referate der ZAIG verteilt wurden. Die meisten Papiere erhielt der für die Abfassung der Berichte zuständige Bereich 1 unter Heinz Seidel. Seinen Arbeitsgruppenleitern Karl Oettel (Internationales), Karl Großer (Wirtschaft, Verkehr, Kultur, Kirchen), Peter Poppitz (Sicherheitsapparat, Grenze, Militär) sowie dem stellvertretende Bereichsleiter Günter Hackenberg wurde die weit überwiegende Masse der Papiere aus dem Ministerbüro überlassen.120 Sie waren damit nach Kenntnisnahme so umfänglich wie wahrscheinlich nie zuvor in der Lage, sich ein Bild von den anstehenden Themen und Schwerpunkten der Beratungen in der SED-Führung zu machen. Das versetzte sie umgekehrt in die Lage, die bei ihnen zusammenlaufenden Meldungen aus den Fachabteilungen des Ministeriums mit dem Informationsstand der Parteiführung abzugleichen und letztlich gegebenenfalls Impulse für eigene Parteiinformationen zu geben.

In welchem Umfang und welche konkreten Papiere Mielke der Irmler-Abteilung überließ, lässt sich nicht sagen.121 Dass der Minister die ZAIG aber umfänglich und auch mit politisch heiklen Unterlagen bedachte, wird daran deutlich, dass neben den für alle Politbüromitglieder gedachten Sitzungsunterlagen auch die an Honecker persönlich gerichteten und nur an den Staatssicherheitsminister weitergeleiteten monatlichen Stimmungs- und Lageberichte der SED-Bezirkschefs den Weg in die Irmler-Abteilung fanden.122

Das von der ZAIG ausgewertete Material aus dem Politbüro ist in den Ablagen der ZAIG nicht überliefert. Es wurde dem Posteingangsbuch nach zu urteilen entweder in das Ministerbüro zurückgereicht oder vernichtet.123 Gleichwohl erlauben vermerkte Kurzbetreffs und Nummerierungen in der Regel eine Identifizierung der damals übersandten Papiere, die parallel im SED-Apparat bzw. Ministerrat archiviert wurden und heute im Bundesarchiv zugänglich sind.124

Welchen Mehrwert sich Mielke und Irmler von der Auswertung versprachen, lässt sich bislang nicht genau bestimmen. Für eine Aufmunitionierung Mielkes zu den anstehenden Politbürositzungen war die Zeitspanne aber zu kurz. Dem Posteingangsbuch folgend, erhielt die ZAIG beispielsweise am 10. Januar 1972 die Vorlagen für die Sitzung am Folgetag, ebenso am 24. Januar 1972 für die nächste Zusammenkunft des Parteigremiums am Morgen des kommenden Tages.125 Das Besorgen von Hintergrundmaterial oder gar Abfassen von Berichten dürfte in dieser kurzen Zeitspanne nur in Ausnahmefällen möglich gewesen sein.

Jenseits tagesaktueller Informationen waren die Unterlagen aber sehr wohl geeignet, weitergehende Recherchen anzustellen. In einigen Fällen lassen sich solche Vorgänge anhand des Posteingangsbuches auch nachvollziehen. So erhielt die für die Überwachung der Volkswirtschaft zuständige HA XVIII nach Eingang des Monatsberichtes der SED-Bezirksleitung Berlin am 19. Juni 1972 den Auftrag, eine Überprüfung einzuleiten und das Ergebnis ZAIG-Chef Irmler vorzulegen.126 Im Falle eines wahrscheinlich aus dem Außenministerium stammenden Berichtes über die strategische Rüstung der NATO wurde der Vorgang zur »Einschätzung« an die Auswertung der HV A weitergeleitet.127 Im November 1972 ließ Mielke in der ZAIG zwei wahrscheinlich umfänglichere Berichte über Beratungen der SED-Bezirkschefs auswerten und sich eine Zusammenfassung vorlegen.128 In keinem Fall ließ sich aber nachweisen, dass am Ende dieser Arbeitsaufträge eine ZAIG-Information stand.

Dieses Ziel musste aber auch gar nicht vordergründig sein. Im Kern wurde die ZAIG in die Lage versetzt, die aus dem eigenen Apparat eingehenden Informationen mit jenen abzugleichen, welche die Parteiführung aus anderen Kanälen erreichten. Im Zweifelsfall war also Arbeitsentlastung das Ergebnis, sofern das MfS mit seinen Informationen keinen Widerspruch und damit auch keinen Handlungsbedarf sah. Wie gezeigt könnte ein solcher Abgleich im vorliegenden Jahrgang für das Zurückziehen mehrerer ZAIG-Informationen beispielsweise über Reaktionen auf den Beschluss zur Lohn- und Rentenerhöhung oder zum Schwangerschaftsabbruch ursächlich gewesen sein. Von dieser Praxis profitierte nicht nur die ZAIG. Ausgewählte Materialien wie Themenplanungen für Politbüro- oder ZK-Sitzungen wurden mit der Aufforderung, relevante eingehende Informationen zu melden, in die Fachabteilungen weitergereicht.129 Das betraf damit längerfristige Aufgabenstellungen. Ob und in welchem Umfang die ZAIG tagesaktuelle Informationsbedürfnisse nach Eingang der Parteiberichte an die Fachabteilungen kommunizierte, bleibt hingegen weiterhin eine offene Frage.

Unter dem Strich zeigt sich, dass das MfS wahrscheinlich auch dank dieser Neuerungen 1972 in der Lage war, relativ dicht alle wichtigen innenpolitischen Probleme des Jahres mit eigenen Informationen zu flankieren – oder wenigstens darauf vorbereitet zu sein. Die 1970 angestoßene Evaluation und Neuausrichtung des Berichtswesens mit dem Ziel einer effizienteren Einflussnahme auf die SED begann erste Früchte zu tragen.130

5. Adressaten und Verteiler

Hinsichtlich der Verteiler fallen für den Jahrgang einige Besonderheiten auf. Zunächst ist der KGB mit 57 Berichten in diesem Jahr so stark vertreten wie seit den 1950er-Jahren nicht mehr. Das liegt in erster Linie daran, dass sich die Ostberliner Vertretung der sowjetischen Geheimpolizei im Namen der Moskauer Führung intensiv über die ersten Maßnahmen im innerdeutschen Reiseverkehr, insbesondere während der »Geste des guten Willens« und späterhin der anfänglichen Umsetzung des Transitabkommens unterrichten ließ. Eine nachgeordnete Rolle spielten wie in den anderen Jahrgängen auch die Meldungen von Zwischenfällen mit sowjetischen Militärpersonen sowie den alliierten Militärverbindungsmissionen, deren Klärung außerhalb der Zuständigkeit der DDR-Behörden lag. Mit Blick auf die eigene Parteiführung zeigt sich, dass das MfS 14 der 16 Politbüromitglieder mit Informationen versorgte. Ausgeschlossen von der innenpolitischen Berichterstattung blieben nur der politisch kaltgestellte und lange Zeit krankgeschriebene alte Parteichef Walter Ulbricht sowie Albert Norden, der zu den letzten im Politbüro verbliebenen Ulbricht-Gefolgsleuten gehörte. Mielke bezog also nahezu die gesamte engere Parteiführung in die Verteiler seines Hauses ein, was sicherlich auch dazu gedient haben dürfte, seine Hausmacht im Politbüro zu stärken. An der Spitze der Empfänger stand wiederum wenig verwunderlich Erich Honecker. Aber auch der Staatsapparat wurde auf Ebene der Minister, Staatssekretäre und stellvertretenden Minister mit 16 Adressaten ähnlich dicht mit Informationen versorgt.131

6. Druckauswahl und Formalia

In dieser Buchausgabe liegt eine Auswahl der edierten Dokumente des Jahres 1972 vor. Die Zusammenstellung umfasst sowohl standardmäßige Berichte als auch Exemplare mit besonderen formalen oder inhaltlichen Auffälligkeiten. In ihrer Gesamtheit sollen sie einen Eindruck von der innenpolitischen Dynamik des Jahres und der Vielfalt der wiedergegebenen Ereignisse vermitteln. Die Abschriften aller edierten Berichte des Jahres 1972 sind vollständig auf der Website https://1972.ddr-im-blick.de abrufbar. In Form einer Datenbank ist hier auch eine elektronische Volltextrecherche möglich.

Die Wiedergabe der Dokumente folgt grundsätzlich dem Original. Die Rechtschreibung ist den heutigen gültigen Regeln angeglichen. Während kleinere Tipp- und Rechtschreibfehler stillschweigend korrigiert werden, bleiben größere Orthografie- und Grammatikfehler aus Gründen der Quellenauthentizität unverändert. Ungewöhnliche Abkürzungen werden stillschweigend in übliche umgewandelt oder ausgeschrieben. Eventuelle Unterstreichungen, Randvermerke und Einkreisungen werden im Dokumentenkopf erwähnt, wenn sie gleichmäßig einen Großteil des Textes betreffen. Auf besondere Markierungen einzelner Wörter oder Sätze wird in einem Fußnotenkommentar aufmerksam gemacht.

Der Jahrgang 1972 weist in den Dokumentenköpfen einige Besonderheiten auf. Dazu gehören die bereits erwähnten Weiterleitungsvermerke in den Verteilern, die Hinweise auf die Kommunikationskanäle des MfS in den Staats- und ZK-Apparat geben. Zum anderen weisen viele Berichte zwei Datierungen auf, die in der Regel einige Tage voneinander abweichen. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um das Datum der Bestätigung der Verteilervorschläge, die nicht in der ZAIG, sondern wahrscheinlich dem Vorzimmer des Ministers erfolgten. In vielen Fällen sind die späteren Daten mit dem Tag des Postausgangs bei der ZAIG identisch. Die abweichenden Datierungen sind unter Vermerk erwähnt. Weist der Bericht nur ein Datum auf, wird dies wie üblich als Datum der Berichtsabfassung angenommen.

Gemäß § 32a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wurden die in den Texten erwähnten Personen der Zeitgeschichte sowie Amts- und Funktionsträger öffentlicher Institutionen vor der Veröffentlichung von Informationen zu ihrer Person benachrichtigt, wenn die Angaben nach einer Einordnung verlangen oder über ihre reine Funktionstätigkeit hinausgehen. Betroffene, die nicht zu diesen Personenkreisen gehören, wurden um eine Einwilligung für die Publikation von Daten zu ihrer Person gebeten. Um den Schutz der Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten, war es bei einigen wenigen Berichten notwendig, Passagen, Personennamen oder Adressenangaben zu anonymisieren. Die Aussagekraft der Quellen wird dadurch aber in keiner Weise beeinträchtigt, da es sich hierbei in der Regel um weniger relevante Angaben handelt. Die mitunter sehr aufschlussreichen Anmerkungen und Richtigstellungen von Personen, die sich auf Nachfrage zu den sie betreffenden Aussagen der Berichte äußerten, wurden den Dokumenten als Fußnotenkommentar hinzugefügt.

7. Schlussbemerkungen

1972 brachte sich das MfS wieder aktiv in die Tagespolitik ein. In den beiden zurückliegenden Jahren übte sich die Geheimpolizei angesichts des Machtkampfes in der SED-Spitze in Zurückhaltung, um sich dann in das neue Kräfteverhältnis im Politbüro einzupassen und die Informationsbedürfnisse der neuen Führung auszuloten. Die nunmehrige Rückkehr zur Normalität zeigt sich schon an der Zahl der Berichte: mit mehr als 200 innenpolitischen Informationen bewegte sich die Staatssicherheit wieder auf dem Niveau der späten 1960er-Jahre, nachdem die Berichterstattung über innere Vorgänge an die Parteiführung 1971 einen historischen Tiefstand erreicht hatte. Vor allem konnte das MfS, so steht angesichts der Flut an HV-A-Berichten zu vermuten, auf deutschlandpolitischem Gebiet reüssieren. Aber auch innenpolitisch flankierte das MfS an mehreren Stellen grundlegende Entscheidungen der Parteiführung. Das lässt sich an der Berichterstattung über die Testphase der Vollverstaatlichung ebenso feststellen, wie an der auch jenseits des eigentlichen Gegenstandes der kirchenpolitisch wichtigen Frage nach der Haltung der Kirchen zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Gleichwohl bleibt es dabei, dass die Berichte des Jahrganges aus Sicht der Empfänger bestätigende und weniger exklusive Informationen wie beispielsweise aus dem Parteivorstand der DBD lieferten. Hier stieß im Zweifelsfall auch das Alleinstellungsmerkmal der Geheimpolizei – das Beschaffen von Hintergrundinformationen aus klandestinen Kanälen – an seine Grenzen: Wie am Beispiel der katholischen Kirche gezeigt, war die Staatssicherheit in einem krisenhaften Moment aufgrund fehlender Konfidenten nicht in der Lage, entscheidende Informationen an die Parteiführung zu liefern. Umgekehrt zeigt sich aber auch, dass aus Sicht der Staatssicherheit relevante Informationen von den Empfängern nicht immer geschätzt und deshalb zurückgezogen wurden. Das betraf 1972 unter anderem die Frage, welche Rolle das MfS als Nachrichtengeber über den Grenzverkehr nach West und Ost einnehmen sollte. Erst mittelfristig gelang es der Staatssicherheit, sich in diesem Berichtsstrang dauerhaft als Informationsgeber zu etablieren. Die Berichte des Jahres 1972 zeigen, dass das MfS im ersten Jahr nach dem Machtwechsel seine Informationsaufgaben mit neuem Selbstbewusstsein anging.

8. Anhang: Adressaten der Berichte 1972

Tabelle 1: Adressaten der Berichte 1972 außerhalb des MfS

Name, Funktion

Berichtsnummern

Summe
der Berichte

Arndt, Otto (Jg. 1920)

Minister für Verkehrswesen und Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn

285, 293, 294, 459, 472, 1073, 1074, 1076, 1104, 1143, 1167

11

Axen, Hermann (Jg. 1916)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Außenpolitik

490, 498, 609, 747, 757

5

Barth, Willi (Jg. 1899)

ZK-Mitglied, Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen

27, 11, 70, 78, 115, 147, 151, 303, 386, 401, 409, 538, 548, 562, 686, 693, 731, 1026, 1047, 1056

20

Böhm, Siegfried (Jg. 1928)

ZK-Mitglied, Minister der Finanzen

1104

1

Borning, Walter (Jg. 1920)

ZK-Mitglied, Leiter der Abteilung Sicherheit

(Absetzung im Februar 1972)

59, 62, 63, 137

4

Brasch, Horst (Jg. 1922)

Mitglied des ZK der SED

32

1

Briska, Gerhard (Jg. 1924)

Minister für Handel und Versorgung

1104

1

Bulgarien, hier Geheimpolizei Komitet za darschawna sigurnost (KDS)

744b

1

ČSSR, hier Geheimpolizei Státní bezpečnos (StB)

744b

1

Dickel, Friedrich (Jg. 1913)

ZK-Mitglied, Minister des Inneren und Chef der Deutschen Volkspolizei

470, 520, 827, 1104, 1158, 1169

6

Ebert, Friedrich (Jg. 1894)

SED-Politbüro

520

1

Ewald, Georg (Jg. 1926)

ZK-Mitglied, Vorsitzender des Landwirtschaftsrates (Minister)

819, 1033

2

Ewald, Manfred (Jg. 1926)

ZK-Mitglied, Präsident des DTSB

32, 39, 520, 744a

4

Fichtner, Kurt (Jg. 1916)

Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats für Grundfonds- und Investitionspolitik

659, 685, 840, 848, 849, 885, 1075, 1083, 1104, 1119

10

Fischer, Oskar (Jg. 1923)

ZK-Mitglied, stellvertretender Außenminister

74

1

Florin, Peter (Jg. 1921)

ZK-Mitglied, Staatssekretär im Außenministerium und 1. stellvertretender Außenminister der DDR

63, 390, 482

3

Grüneberg, Gerhard (Jg. 1921)SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Landwirtschaft

520, 819

2

Hager, Kurt (Jg. 1912)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wissenschaft, Bildung und Kultur

11, 493, 520, 530, 585, 1044

6

Hellmann, Rudolf (Jg. 1926)Leiter der Abteilung Körperkultur und Sport des ZK

32, 744a

2

Hoffmann, Heinz (Jg. 1910)

Minister für Nationale Verteidigung

76, 91, 110, 137, 197, 244, 380, 447, 520, 922, 1098, 1169

12

Honecker, Erich (Jg. 1912)

SED-Politbüro, Erster Sekretär des ZK der SED (Parteivorsitzender), Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates

5, 12, 32, 34, 36, 48, 62, 75, 91, 123, 152, 151, 241, 289, 300, 305, 307, 313, 314, 316, 317, 318, 323, 324, 332, 341, 414, 429, 432, 461, 490, 493, 498, 501, 504, 512, 520, 566, 588, 604, 609, 622, 673, 701, 770, 820, 854, 855, 876, 885, 892, 905, 908, 910, 914, 912, 913, 926, 939, 960, 962, 967, 968, 1038, 1023, 1026, 1044, 1083, 1098, 1099, 1100, 1101, 1168, 1169, 1171

75

Jarowinsky, Werner (Jg. 1927)SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Handel und Versorgung

520

1

Keßler, Heinz (Jg. 1920)

ZK-Mitglied, Stellvertretender Minister für Nationale Verteidigung

137

1

KGB Berlin-Karlshorst (»AG«)

32, 34, 36, 39, 96, 123, 243, 274, 286, 289, 300, 305, 307, 303, 313, 314, 317, 318, 324, 332, 341, 359, 460, 461, 490, 498, 512, 520, 547, 604, 622, 625, 673, 674, 703, 715, 744b, 770, 820, 839, 861, 873, 876, 892, 905, 908, 912, 913, 926, 939, 960, 962, 967, 968, 1011, 1083, 1087

57

Kleiber, Günther (Jg. 1931)

ZK-Mitglied, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates

520

1

Kohl, Michael (Jg. 1929)

Staatssekretär für westdeutsche Fragen beim Außenministerium, Verhandlungsführer in den Verhandlungen zum Transitabkommen, zum Verkehrs- und zum Grundlagenvertrag DDR–Bundesrepublik, Mitglied der Außenpolitischen Kommission beim Politbüro und der Westkommission beim Politbüro des ZK der SED

609, 926, 939, 960, 962, 968, 1007, 1011, 1101

9

Krolikowski, Werner (Jg. 1928)

SED-Politbüro, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden

520

1

Lamberz, Werner (Jg. 1929)

SED-Politbüro, Leiter der Abteilung Agitation beim ZK der SED

107, 262, 355, 490, 520, 573, 585, 744a, 908, 912, 1100, 1131, 1168, 1171

14

Markowski, Paul (Jg. 1929)

ZK-Mitglied und Mitglied der Außenpolitischen Kommission des Politbüros

768

1

Mitdank, Joachim (Jg. 1931)

Leiter der Abteilung Westberlin/Bundesrepublik Deutschland im Außenministerium

1007, 1011

2

Mittag, Günter (Jg. 1926)

SED-Politbüro, Sekretär für Wirtschaft

23, 59, 71, 412, 520, 659, 685, 779, 840, 848, 849, 885, 910, 985, 1073, 1074, 1076, 1094, 1095, 1139, 1148, 1167

22

Mückenberger, Erich (Jg. 1910)

SED-Politbüro, Leiter der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK)

520

1

Naumann, Konrad (Jg. 1928)

ZK-Mitglied, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin

34, 290, 520, 698, 762, 912, 1073, 1074, 1158, 1167

10

Neumann, Alfred (Jg. 1909)

SED-Politbüro, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates

520, 1139

2

Pisnik, Alois (Jg. 1911)

ZK-Mitglied, Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates

23

1

Polen, hier Geheimpolizei Służba Bezpieczeństwa (SB)

744b

1

Rauchfuß, Wolfgang (Jg. 1931)

ZK-Mitglied, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates

23, 412, 1094, 1095

4

Scheibe, Herbert (Jg. 1914)

Leiter der Abteilung Sicherheit des ZK der SED

244, 299, 298, 380, 447, 469, 701, 922, 1038, 1169

10

Sindermann, Horst (Jg. 1920)

SED-Politbüro, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates

23, 70, 241, 490, 498, 520, 685, 694, 698, 1033, 985, 1074, 1148, 1167

14

Stoph, Willi (Jg. 1914)

SED-Politbüro, Vorsitzender des Ministerrats

27, 274, 286, 289, 301, 313, 314, 316, 317, 318, 323, 324, 332, 341, 412, 414, 429, 432, 461, 490, 493, 501, 504, 512, 520, 566, 588, 604, 609, 770, 779, 820, 840, 848, 849, 876, 885, 892, 905, 908, 910, 912, 913, 1033, 985, 1044, 1073, 1075, 1076, 1083, 1087, 1088, 1093, 1119, 1168, 1171

56

Tautenhahn, Gerhard (Jg. 1928)

Leiter der Abteilung Maschinenbau u. Metallurgie des ZK der SED

1104

1

Ungarn, hier Geheimpolizei Államvédelmi Hatóság (ÁVH)

744b

1

Verner, Paul (Jg. 1911)

SED-Politbüro, Leiter der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen und Leiter des Jugendkommission im Politbüro

27, 11, 32, 70, 75, 78, 115, 147, 151, 256, 243, 265, 262, 274, 286, 289, 300, 301, 305, 303, 313, 314, 316, 317, 318, 323, 324, 332, 341, 409, 490, 520, 538, 686, 698, 701, 703, 707, 731, 732, 744a, 747, 754, 762, 768, 772, 779, 912, 1026, 1139, 1168, 1169, 1171

53

Wansierski, Bruno (Jg. 1904)

Stellvertretender Leiter der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen

197, 635

2

Warnke, Herbert (Jg. 1902)

SED-Politbüro, Vorsitzender des FDGB

520

1

Winzer, Otto (Jg. 1902)

ZK-Mitglied, Minister für Auswärtige Angelegenheiten

703, 747, 839, 876, 892, 913, 1049

7

Wyschofsky, Günther (Jg. 1929)

ZK-Mitglied, Minister für chemische Industrie

71

1

Zimmermann, Gerhard (Jg. 1927)

Minister für Schwermaschinen- und Anlagenbau

23

1

Summe

444

Tabelle 2: Name und Funktion der Adressaten innerhalb des MfS 1972

Name, Funktion

Berichtsnummern

Summe
der Berichte

Abteilung X

(Internationale Verbindungen)

48, 1075, 1083

3

Abteilung X (Internationale Verbindungen)

Damm, Willi (Jg. 1930)

Leiter

74, 1088, 1093, 1104, 1119

5

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Cottbus

701

1

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin

290, 686

2

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin

Wichert, Erich (Jg. 1909)

Leiter

34, 290, 698, 762, 912, 1073, 1074, 1158

8

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin

Schwanitz, Wolfgang (Jg. 1930)

Stellvertreter Operativ

482, 779

2

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Suhl

110, 686

2

Bezirksverwaltungen für Staatssicherheit

686

1

Büro der Leitung (BdL)

Hettwer, Martin (Jg. 1929)

Stellvertretender Leiter

32

1

Hauptabteilung I

(NVA, Grenztruppen)

91, 110, 197, 244, 380, 447, 469, 703, 922, 962, 1038, 1169

12

Hauptabteilung I

(NVA, Grenztruppen)

Kleinjung, Karl (Jg. 1912)

Leiter

1007, 1098

2

Hauptabteilung II

(Spionageabwehr)

K32a

1

Hauptabteilung II (Spionageabwehr)

Brückner, Lothar (Jg. 1933)

Stellvertretender Referatsleiter

1007

1

Hauptabteilung IX

(Untersuchungsorgan)

34, 62, 91, 110, 197, 380, 390, 469, 482, 635, 685, 694, 701, 707, 754, 912, 922, 926, 960, 968, 1023, 1074, 1076, 1101, 1139, 1148, 1169

27

Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan)

Heinitz, Walter (Jg. 1915)

Leiter

715

1

Hauptabteilung PS (Personenschutz)

34

1

Hauptabteilung VI

(Passkontrolle, Tourismus, Interhotel)

289, 343, 459, 472, 512, 1169

6

Hauptabteilung VI

(Passkontrolle, Tourismus, Interhotel)

Wilke, Erhard (Jg. 1932)

Stellvertreter für Reisen und Tourismus West

501, 504

2

Hauptabteilung VII (Innenministerium, Volkspolizei)

110, 470, 922

3

Hauptabteilung VII (Innenministerium, Volkspolizei)

Büchner, Joachim (Jg. 1929)

Leiter

K2/35b

1

Hauptabteilung VIII (Beobachtung, Ermittlung)

470, 839

2

Hauptabteilung XVIII

(Volkswirtschaft)

243, 659, 732, K32a, 910, 912, 1073, 1074

8

Hauptabteilung XVIII

(Volkswirtschaft)

Mittig, Rudi (Jg. 1925)

Leiter

1094, 1095

2

Hauptabteilung XIX (Verkehr, Post, Nachrichtenwesen)

36, 459, 659, 685, 694, 772, 779, 1076, 1143

9

Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kirchen, Kultur, Untergrund)

K32a

1

Hauptabteilung XX

(Staatsapparat, Kirchen, Kultur, Untergrund)

Kienberg, Paul (Jg. 1926)

Leiter

715

1

Hauptabteilung XX

(Staatsapparat, Kirchen, Kultur, Untergrund)

Gerlach, Horst (Jg. 1929)

Leiter des Referates III (Kunst und Kultur)

K32a

1

Hauptabteilung XX/1

(Staatsapparat, Justiz)

1044

1

Hauptabteilung XX/4

(Kirchen)

385, 686, 693, 731, 1047, 1049, 1056

7

Hauptabteilung XX/7

(Kultur)

585

1

Hauptverwaltung A (HV A) Wolf, Markus (Jg. 1923) (Leiter)

300, K32a, 1100

3

Hauptverwaltung A (HV A)/1 (Bundesregierung)

K32a

1

Hauptverwaltung A (HV A)/5 (Industrie)

1094, 1095

2

Hauptverwaltung A (HV A)/VII

(Auswertung)

K32a

1

Minister für Staatssicherheit Mielke, Erich (Jg. 1912)

5, 12, 48, 85, 123, 241, 243, 262, 265, 285, 289, 290, 293, 294, 300, 301, 305, 313, 314, 316, 317, 318, 323, 324, 332, 341, 343, 459, 461, 472, 490, 501, 504, 512, 520, 566, 588, 604, 622, K32a, 744a, 770, 820, K34, 876, 905, 967, 1026, K234, K34a, 1075, 1104, 1119, 1168, K235b, K29

56

Sekretariat des Ministers (SdM)

Volpert, Heinz (Jg. 1932)

Leiter des Sonderaufgabenbereichs Devisenbeschaffung und Häftlingsfreikauf

707, K235b

2

Stellvertretender Minister für Staatssicherheit

Beater, Bruno (Jg. 1914)

74, 85, 262, 285, 286, 289, 290, 293, 294, 300, 301, 305, 313, 314, 316, 317, 318, 323, 324, 332, 341, 343, 414, 429, 459, 461, 470, 472, 490, 501, 504, 512, 520, 566, 588, 604, 622, 673, 707, K32a, 747, 757, 770, 772, K2/4a, 779, 820, 967, K34a, 1075, 1083, 1093, 1099, 1100, 1104, 1119, 1168, 1171, K235b

59

Stellvertretender Minister für Staatssicherheit

Scholz, Alfred (Jg. 1921)

K32a, 1099

2

Stellvertretender Minister für Staatssicherheit

Schröder, Fritz (Jg. 1915)

11, 23, 27, 32, 36, 59, 62, 70, 71, 75, 78, 85, 115, 123, 137, 147, 151, 152, 188, 241, 243, 285, 286, 289, 293, 294, 303, 313, 314, 316, 317, 318, 323, 324, 332, 341, 355, 386, 401, 409, 412, 432, 459, 461, 472, 490, 493, 501, 504, 512, 520, 530, 538, 547, 548, 562, 566, 573, 588, 604, 622, 698, 701, K32a, 747, 754, 762, 768, 770, 772, 779, 819, 820, 840, 848, 849, K34, 885, 985, 1033, 1139, 1143, 1148, 1168, 1171, K29

86

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Giersch, Jean (Jg. 1934)

Offizier für Sonderaufgaben

566, 588, 604, 673, 732

5

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Großer, Karl (Jg. 1929)

Leiter der Arbeitsgruppe 2 im Bereich I (Einschätzung der Lage)

493

1

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Hackenberg, Günter (Jg. 1931)

Stellvertretender Leiter des Bereichs I

289

1

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Hettwer, Brigitte (Jg. 1927)

1169

1

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Irmler, Werner (Jg. 1930)

Leiter

1100

1

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Poppitz, Peter (Jg. 1937)

Leiter der Arbeitsgruppe 3 im Bereich I (Einschätzung der Lage)

274, 285, 323, 324, 332, 604, 622, 1075, 1158, K235b

10

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Schorm, Ursula

(Jg. 1934)

Stellvertretende Referatsleiterin

188, 585, K34a, K29

4

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Tannhäuser, Dieter (Jg. 1936)

Offizier für Sonderaufgaben

414, 459, 461, 470, 472, 490, 498, 501, 504, 512

10

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Taube, Rudi (Jg. 1926)

Leiter der Arbeitsgruppe 5 im Bereich I (Ministerzuarbeiten)

K24a

1

Summe

361